Die schönste Schule der Welt

Christine Michler

la scuola più bella del mondo, Regie und Drehbuch: Luca Miniero (Italien: Universal Pictures Italia, 2014), DVD (Cattleya e Universal Pictures International, 2015), ca. 94 min.

Der Film La scuola più bella del mondo (Filmstart November 2014), für dessen Drehbuch und Regie Luca Miniero verantwortlich zeichnet, nimmt Vorurteile zwischen Nord- und Süditalienern aufs Korn, indem er zwei grundsätzlich verschiedene Schulen und Lebenswelten kontrastiert. Miniero greift damit das Thema seiner Erfolgsfilme Benvenuti al Sud (2010) und benvenuti al nord (2012) auf und variiert so noch einmal den französischen Kassenschlager bienvenu chez les ch’tis (2008).

Das Cover der DVD situiert den Film, der mit bekannten und beliebten italienischen Schauspielern besetzt ist, in die Sparte der Komödien, denn zwei Männer mittleren Alters sitzen aneinander gelehnt auf viel zu kleinen Fahrrädern und lachen breit in die Kamera. Christian de Sica, der 2007 den „Telegatto“ als bester Darsteller erhielt, verkörpert Filippo Brogi, einen korrekten, gut angezogenen Schuldirektor aus der Toskana, Rocco Papaleo, der mehrfach mit dem David di Donatello ausgezeichnet wurde (bester Nachwuchsregisseur, beste Musik), den in Kleidung und Wesensart unkonventionellen Lehrer Gerardo Gregale aus dem Süden. Die weibliche Hauptrolle spielt Angela Finocchiaro, die zweimal den David di Donatello für weibliche Nebenrollen erhielt. Sie stellt im Film Wanda Pacini, eine ursprünglich aus der Toskana kommende, inzwischen in Süditalien lebende Lehrerin dar, die überdies die Ex-Verlobte von Brogi ist und kein gutes Haar an ihm lässt. Ihr Beharren auf dem korrekten Gebrauch des congiuntivo bei Schülern und Lehrern sorgt für einen running gag des Films.

Die Handlung beginnt in einem heruntergekommenen Viertel der Stadt Acerra nördlich von Neapel. In der Eingangssequenz wird der desolate Zustand der scuola media veranschaulicht, denn der preside schreibt auf einem vorsintflutlichen Computer und das provisorische Lehrerzimmer ist in einem Vorraum der Schülertoiletten untergebracht. Das Klischee, dass Schüler in solchen Stadtgebieten schwierig und undiszipliniert sind, illustriert eine Szene, in der sich die Jugendlichen nicht darum kümmern, dass die Lehrkraft das Klassenzimmer betritt, sondern einfach weiter toben. Der betroffene Lehrer, Gregale, denkt seinerseits nicht daran, Ordnung zu schaffen, sondern setzt Kopfhörer auf und macht es sich am Lehrerpult bequem.

Gegensätzlicher kann die andere Schule nicht sein. Sie liegt in San Quirico d’Orcia (Toskana), einer sehr gepflegten Stadt. Schüler und Lehrkräfte verhalten sich so, wie man es gemeinhin in einer Schule erwartet. Um den Wettbewerb um die beste Schule zu gewinnen, will Direktor Brogi Studenten aus Accra (Ghana) zum kulturellen Austausch einladen. Der Plan wird unbeabsichtigt durch den Hausmeister vereitelt, der die Einladung schreiben soll, aber keine Verbesserung vornimmt, als das automatische Korrekturprogramm des Computers aus Accra Acerra macht. In der süditalienischen Schule nimmt man das Angebot nach einigem Zögern an. Begleitpersonen der Schülergruppe sind Gregale und Wanda Pacini. Bei der Ankunft in San Quirico d’Orcia interpretieren die Jugendlichen aus Acerra den aufwendig inszenierten Willkommensgruß für die afrikanischen Schüler als einen gegen Süditalien gerichteten Affront und sprengen die Feier. Es kommt zu Tumulten und Handgreiflichkeiten, und auch danach stehen sich die Beteiligten aus den beiden Landesteilen verständnislos, sogar feindselig, gegenüber. Während die Lehrkräfte der toskanischen Schule versuchen, dem Projekt eine neue Richtung zu geben und – obwohl sie immer wieder betonen, dass die Toskana nicht „der Norden“ sei – den Ausgleich von Gegensätzen zwischen Nord- und Süditalien in den Mittelpunkt zu rücken, kommt es zu weiteren Verwicklungen und skurrilen Szenen, denn der Sponsor des Projekts darf nicht erfahren, dass statt afrikanischer süditalienische Schüler angekommen sind. Nach und nach finden aber beide Gruppen zusammen, und ein gefühlvoller Abschied mündet in das vorhersehbare Happy-End, bei dem jeweils zwei Schüler und zwei Lehrkräfte aus den beiden Schulen zu Paaren werden.

In der Komödie werden typische Elemente des Genres verarbeitet: vielfach überdrehte Spielweise der Schauspieler, plakative Darstellung, Überzeichnung der meisten Figuren sowie Dominanz von Szenen, in denen Klamauk, Chaos und Turbulenzen vorherrschen. Daneben gibt es allerdings romantische Szenen, Zeichentricksequenzen, Gesangs- und Tanzeinlagen zu Rap und anderer Musik. Das temporeiche und teilweise von grotesker Situationskomik geprägte Verfahren rückt den Film in die Nähe von Screwball-Komödien, die häufig durch das Aufeinanderprallen von (Geschlechter-)Gegensätzen, Verwechslungen, Verkleidungen und Anspielungen charakterisiert sind. Letztere kann in la scuola ... wohl oft nur das italienische Publikum wirklich entschlüsseln. Nicht umsonst ist der Film (bislang) nicht synchronisiert, und auch Untertitel für Hörgeschädigte gibt es nur in italienischer Sprache.

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Die bizarre Komödie über die Gegensätze zwischen Nord- und Süditalien basiert jedoch auf einem ernsthaften Problem, das nicht erst seit der Initiative der Lega Nord, den reichen Norden vom armen Süden abzuspalten,1 die italienische Realität prägt und seitdem wenig an Brisanz verloren hat. Deswegen und weil Filme aufgrund ihres Stellenwerts im außerschulischen Leben der Jugendlichen das Interesse für Italien und seine Bewohner wecken und so Motivationspotential enthalten, kann der Einsatz des Films im Italienischunterricht in Deutschland an fortgeschrittene Lernende reizvoll sein. Die Auseinandersetzung mit Inhalt, narrativer Struktur und kinematografischen Techniken liefert zahlreiche für den kommunikativen Italienischunterricht wertvolle Sprechanlässe, denn das Sprechen über einen Film führt dazu, dass die Fremdsprache nicht, wie in vielen anderen Unterrichtssituationen, selbst Gegenstand der Betrachtung ist, sondern über Inhalte kommuniziert wird.

Analog zur Arbeit mit literarischen Texten nach dem bekannten Dreischritt prima – durante – dopo schafft ein brainstorming prima della vista beispielsweise über das Thema „Immaginate come dovrebbe essere la vostra scuola ideale“ einen Erwartungshorizont, der durch andere Methoden kreativer Vorarbeit ergänzt werden kann (z.B. Sensibilisierung für den Film über Gattungseigentümlichkeiten, über Standbilder, Vorspielen von Filmmusiknummern, Eingehen auf soziolinguistische Besonderheiten, Erstellen von Wortfeldern, die das Verstehen unterstützen).

Didaktisch ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit Filmen nicht allein aufgrund der impliziten Sprechanlässe erstrebenswert, sondern auch weil Schüler durch Filme einen authentischen Zugang zur Zielkultur erhalten. Landeskundlich-interkulturelle Aspekte können durante la vista immer wieder aufgegriffen werden. So erweitern beispielsweise die Gegenden, in denen der Film gedreht wurde (Montepulciano u.a.), topographische Kenntnisse und geben plastische Eindrücke der mittel- und süditalienischen Landschaft. Außerdem erwerben die Schüler Grundlagenwissen über das italienische Schulsystem (scuola media vs. Mittelschule) und über Lebensverhältnisse in der Mitte und im Süden Italiens. Vor allem aber werden die Jugendlichen mit dem Problem des ‚Nord-Südgefälles‘ und mit Vorurteilen innerhalb der italienischen Bevölkerung konfrontiert, so dass sie Einblicke in Mentalität und gesellschaftliche Gegebenheiten des fremden Landes gewinnen.

Zusätzlich zu landeskundlich-interkulturellen Kompetenzen fördern Filme die Schulung der fremdsprachendidaktisch überaus bedeutsamen Fertigkeiten des Hör- und insbesondere des Sehverstehens, denn Bildinformationen sind gewöhnlich dichter als sprachliche. Als Hinführung zum Film sind verschiedene methodische Verfahren wie die Wiedergabe einer Szene ohne Ton (nur Bild) oder die Wiedergabe nur der Tonspur (ohne Bild) zweckmäßig, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu lenken und sie Hypothesen über Dialoge bzw. bildliche Inhalte aufstellen zu lassen. Die Lernenden gewöhnen sich an Intonation, vor allem aber an die Sprechgeschwindigkeit der italienischen Sprache und üben so das Hörverstehen authentischer Texte. Durch die Kombination von Ton und Bild erhalten sie überdies Einblicke in landestypisches situatives Sprachhandeln, Mimik und Gestik und lernen, prosodische Mittel (z.B. Lautstärke) zu deuten, was bei der Bewältigung interkultureller Begegnungssituationen eine wichtige Rolle spielen kann. Im Fall von La scuola... ist allerdings für deutsche Schüler die Unterstützung durch italienische Untertitel wohl unabdingbar, um die sicher auftretenden Verständnisschwierigkeiten aufzufangen.

Ein wesentlicher Faktor der Filmbetrachtung ist der Beitrag zu Literaturkompetenz. (Spiel-)Filme sind Bestandteil des erweiterten Literaturbegriffs, und ihre Integration in den Unterricht wird verbreitet in curricularen Vorgaben gefordert. Durch heute weithin übliche Unterrichtsverfahren, die auf rezeptionsästhetischen Grundsätzen beruhen, werden Fragestellungen hinsichtlich der Wirkung des Films auf den Leser, der individuellen Wahrnehmung und Füllung von Leerstellen sowie des persönlichen Verstehens der im Film implizit oder explizit dargebotenen Phänomene fokussiert. So ist ein intensiver Interaktionsprozess der Schüler mit dem Film gewährleistet, durch den sie sich mit der fremdkulturellen Welt verschiedene Konzeptionen von Wirklichkeit erschließen und ihre Persönlichkeitskompetenz erweitern. Wie bei der Arbeit mit einem literarischen Text in Printform bieten sich vielfältige methodische Möglichkeiten an wie vero-falso-Fragen, Mutmaßungen über den Fortgang der Geschichte (z.B. nach der Vorstellung der beiden Schulen zu Beginn des Films), die Weiterentwicklung der Geschichte ab einem bestimmten Moment (z.B. nach Erhalt der Einladung), das Nacherzählen bestimmter Sequenzen oder die Dokumentation des ersten Eindrucks.

Nicht zuletzt erwerben die Schüler durch Filme Medienkompetenz. Im Fremdsprachenunterricht sollten Filme auf keinen Fall nur als ‚Lückenfüller‘ vor den Ferien fungieren. Die Schüler sollen vielmehr angeleitet werden, über das reine Konsumverhalten hinauszukommen und statt dessen ein filmspezifisches Textverständnis zu entwickeln, indem sie lernen, kritisch-bewertend auf Filme zu reagieren, über filmische Kunstgriffe zu reflektieren und über – im weitesten Sinn – cineastisches Leben Bescheid zu wissen. Dazu eignet sich La scuola... durch die verschiedenartigen Techniken und Sequenzen, so dass sich mediendidaktisch ein weites Feld eröffnet. Die Schüler werden durch die inhaltliche und formale Auseinandersetzung mit dem Film zum Hinterfragen der Medienwirklichkeit angeregt (z.B. Ist die Darstellung der Schule in Acerra realistisch?), zum Vergleich verschiedener Techniken in ihrer Wirkung, zur Diskussion filmspezifischer Darstellungsverfahren und zur semiotischen Analyse von Filmbildern (z.B. Spielfilmsequenzen bzw. Zeichentricksequenzen in ihren Funktionen). Dazu bedarf es selbstverständlich eines Grundstocks filmanalytischer Fachbegriffe, die nach und nach in den Unterricht einfließen sollten (z.B. rallentatore, montaggio, panoramica, effetti di luce, operatore di ripresa, ripresa cinematografica, attrezzeria, accessoria di scena, linguaggio del corpo, costumi, angolo di campo, tecnica di taglio u.v.a.m.).

Dopo la vista empfiehlt sich ein Gedankenaustausch der Schüler über die jeweils subjektive, individuelle Einschätzung des Films. Auch das Nachspielen kurzer Szenen, das Entwickeln eines anderen Schlusses (z.B. Wanda bleibt in der Toskana und heiratet Brogi) oder die Entfaltung grundsätzlicher inhaltlicher Alternativen (was wäre passiert, wenn die ghanaischen Schüler angekommen wären?) sind erprobte Verfahren, die zu einer vertieften Reflexion von Inhalt und Machart führen. Außerdem können in interessierten Klassen deutsche und italienische Komödien im Allgemeinen und über Schulen insbesondere verglichen werden.

Moderner Italienischunterricht darf sich nicht nur auf die Vermittlung von Sprache und landeskundlichen Besonderheiten konzentrieren. Er soll einen Beitrag zur Medienerziehung leisten und die ästhetische Bildung der Schüler vorantreiben. Diesen Aufgaben kann der Italienischunterricht gerecht werden, wenn der Inhalt von la scuola più bella del mondo kritisch hinterfragt wird, wenn Struktur und technische Mittel des Films zum Untersuchungsgegenstand werden. Allerdings scheint, obwohl der Film mit einer Dauer von ca. 94 Minuten sich durchaus dazu eignet, in voller Länge gezeigt zu werden, das sequentielle Verfahren bzw. die Verwendung von Auszügen wegen der sicher auftretenden Sprachschwierigkeiten und der vielen tumultartigen Szenen angebrachter, nicht zuletzt auch, weil die Aufmerksamkeit der Schüler gerade bei fremdsprachigen Filmen durch die Verständnisschwierigkeiten schnell erlahmt.

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Möglicher Katalog von Fragen bzw. Aufgaben

  1. Immaginate come dovrebbe essere la vostra scuola ideale.

  2. Fate una rete di vocabolario delle parole ‚scuola‘ e ‚pregiudizio‘.

  3. Informatevi su Internet sopra gli attori principali e istruite dopo li compagni di classe.

  4. La musica del film vi sembra adeguata?

  5. Parlate con il vostro vicino dell’ impressione delle prime scene.

  6. Descrivete la fotogramma introduttiva del preside delle scuola ad Acerra.

  7. Immaginate la continuazione della trama dopo la presentazione delle scuole.

  8. Spiega al tuo compagno cos’è la scuola media rispetto alla Mittelschule tedesca.

  9. Che cosa hai imparato durante la vista del film a proposito delle differenze tra il Nord e il Sud?

  10. Descrivete la maniera de parlare in Toscana e nel Sud.

  11. Quale sono i gesti tipici dei protagonisti del film?

  12. Descrivete la funziona dei fumetti/cartoons.

  13. Descrivete la foto della DVD. Vi sembra bene riuscita riguardo al contenuto?

  14. Parlate in due e dopo in classe: Il film era interessante per voi? Perché si, perché no?

  15. Immaginate un’altra fine.

  16. Che cosa sarebbe successo se gli allievi ghanesi fossero arrivati?

  17. Paragonate una commedia tedesca che conoscete con questa commedia italiana. Quale sono le differenze/le somiglianze le più importanti secondo voi?

  18. Fate ipotesi: Le due coppie saranno ancore felici dopo un anno?

  19. Scrivete un articolo per il vostro giornale di scuola sopra il film.

  20. Quali sono, secondo voi, gli elementi realistici nel film. Dove la rappresentazione vi sembra molto esagerata?


  1. Vgl. http://www.leganord.org/elezioni/2008/politiche/dati_elettorali.pdf, Aufruf am 10.09.2015. Vgl. auch Christine Michler, „Das Nord-Süd-Gefälle in Italien als Thema des Landeskundeunterrichts“, in Ruedi Ankli und Hannelore Martin, Hrsg., Aufbrüche – Umbrüche: Aufsätze zur Didaktik des Italienischen, Akten der Sektion Didaktik des Deutschen Italianistentages „Inquietudini“ in Marburg 2008, (München: Oldenbourg/Verlag für deutsch-italienische Studien, 2010), 72–83.





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