Affektökonomien im 18. und 19. Jahrhundert (Frankreich, Spanien)
Susanne Schlünder und Andrea Stahl
Der folgende Tagungsbericht fasst Vorträge und Diskussionsüberlegungen der Sektion „Affektökonomien im 18. und 19. Jahrhundert (Frankreich, Spanien)“ zusammen, die im Rahmen des 34. Deutschen Romanistentag in Mannheim vom 26.–29. Juli 2016 von Susanne Schlünder und Andrea Stahl organisiert wurde.
Geld dynamisiert Affekte und Affekte dynamisieren Geld – so könnte man den groben Rahmen der Sektion umschreiben. Dass ökonomische Entwicklungen Einfluss auf die Entstehung von Affekten haben, ist sicherlich unbestreitbar. Ein Zusammenschluss von Affekt und Ökonomie zum Begriff der Affektökonomie suggeriert jedoch darüber hinaus eine mögliche Übertragung ökonomischer Kategorien auf den Bereich der Affekte. Nicht nur die Frage, welche ökonomischen Aspekte für die Beschreibung und Analyse zur Verfügung stehen, sondern auch, welcher Mehrwert dadurch für das Verständnis der Affekte selbst zu erwarten ist, rückt damit in den Vordergrund. Der Begriff der Affektökonomie verweist damit auf aktuelle Schlüsselkonzepte, die in ihrem Zusammenwirken für kulturelle und literarische Erscheinungsformen in der Romania jedoch erst in Ansätzen berücksichtigt worden sind. Ziel der Sektion war es daher – und hier setzt auch die in Vorbereitung befindliche Publikation an –, Affektökonomien auf theoretischer, motivischer und diskursiver Ebene herauszuarbeiten und als analytische Leitkategorien für das 18. und 19. Jahrhundert in Frankreich und Spanien zu entwickeln.
Als konzeptuelle Ausgangspunkte der Sektionsarbeit, lassen sich die beiden ersten Vorträge ansehen, die zum einen Kodierungsformen des Affektiven im 18. und 19. Jh. aufzeigten und zum anderen ökonomische Entwicklungen und literarische Erscheinungen miteinander korrelierten. So lieferte der Philosoph Bernd Bösel (Potsdam) eine erste Antwort auf die Frage, welche konzeptionellen Modelle sich für die Beschreibung und Analyse von Affektökonomien anbieten. Der Vortrag vertrat die These, dass es neben einer kultur- und epochenspezifischen Geschichte der Affekte und Emotionen auch übergreifende Kodierungsformen des Affektiven gibt, die ihrerseits eine im Laufe des Zivilisationsprozesses entwickelte Genealogie aufweisen. Für das 18. und das 19. Jahrhundert machte Bösel zwei neue Kodierungsformen aus: ein immunologisches und ein mechanologisches Verfügungsregime. Das erste begreift die starken Affekte (les passions) nicht mehr als moralische Verfehlungen, sondern als pathogene Fremdkörper. Diese sollen, ähnlich wie die zur selben Zeit einsetzende Vakzinationspraxis, nach Bösel durch ein Verfahren in Schach gehalten werden, das einen als harmlos deklarierten Affekt – nämlich das aufgeklärte Eigeninteresse – als immunisierendes Mittel gegen den Ausbruch tatsächlich schädigender Affekte in Stellung bringt. Das mechanologische Verfügungsregime entwickelt sich im 19. Jahrhundert durch die Ausweitung industrieller Produktionsprozesse auf den Bereich der Kultur. Bedingt durch die von Zylinderpresse und Rotationsdruck ausgehende, schnellere Verbreitung von Zeitungen und später durch die Erfindung von Photographie, Phonographie und Film werden Affekte nun als maschinelle Leistungen kodiert, die von einer aufwändigen Apparatur produziert werden und deren Valenz keine entscheidende Rolle mehr spielt. Vielmehr werden Quantität, Effizienz, Dichte, Verbreitungsgrad und Geschwindigkeit zu entscheidenden Leitkategorien.
Der Vortrag des Anglisten K. Ludwig Pfeiffer (Siegen/Bremen) entwickelte vor dem Hintergrund einer häufig konstatierten Vorreiterrolle Großbritanniens im Prozess der Modernisierung ein historisches Modell, das soziologische und philosophisch-literarische Erscheinungen miteinander in Beziehung setzt. Auf die Beweglichkeit von Geld und Arbeit antwortet das 18. Jahrhundert in England mit einer Mischung aus rigider Ideologie und sozial-struktureller Dynamisierung. Dies hat eine Spannung zwischen konventioneller Codierung, Neutralisierung und Verflüssigung von Affekten zu Emotionen und umgekehrt zur Folge. Während der Hochadel eine affektive Selbstimmunisierung durch Verhaltensstile betreibt, klafft eine Vielzahl möglicher Affekte ohne festen sozialen Ort auf. Die Anschlussfähigkeit des Affektinventars, also seine Ordnung zu einer Affektökonomie, ist auch in philosophischen (Hume) und ökonomischen Schriften (Smith) systematisch gestört. In Humes Hin und Her zwischen kühlen, gelassenen, schwachen und starken Affekten keimt der Verdacht, dass es nicht mehr um die qualitative Beschaffenheit oder die möglichst reibungslose Organisation der Affekte geht, sondern um Verfahren oder gar Methoden des Umgangs mit Impulsen, Wallungen, Strömen. Demgegenüber zeigen sich mit Richardsons Briefroman Clarissa Harlowe (1748) die Fallstricke des Emotionsmanagements und ein ebenso komplexes wie erschreckendes Bild menschlicher Affektdynamik. Die depressive Dialektik Humes wird Pfeiffer zufolge bei Richardson von einer deprimierenden und beängstigenden, weil wie das Geld unbegrenzt steigerbaren und bedrohlichen Dynamik wörtlicher wie metaphorischer Affektökonomien abgelöst, die sich um Formen des Neids zentrieren.
Der am Beispiel Großbritanniens konturierte Bezug zwischen ökonomischer Theorie und Literatur konstituiert sich in Spanien offenbar anders, wie die auf das 18. Jahrhundert fokussierten Beiträge von Beate Möller und Beatrice Schuchardt sowie von Susanne Schlünder und Rolando Carrasco zeigten. Insofern das ökonomische Denken im Spanien der Aufklärung jene tomasischen Züge trägt, welche die katholische Soziallehre bis heute maßgeblich prägen, akzentuiert es die für das ökonomische Denken Thomas von Aquins konstitutive Balance zwischen zwei Polen, die man in heutigen Begriffen als Eigeninteresse und Gemeinwohl, individuellen und persönlichen Nutzen bezeichnen könnte. So mag nicht verwundern, dass die ökonomischen Reformdiskurse in Spanien, die sich im Essay, im neoklassizistischen Theater oder in der Lyrik artikulieren, das Gemeinwohl dem aufgeklärten Eigeninteresse überordnen und letzteres damit gesellschaftlich einbinden.
Dies bestätigte der Beitrag von Beate Möller (Kassel), der das Konzept der felicidad in der spanischen Literatur des 18. Jahrhundert zwischen Affekt und Ökonomie lokalisierte. Wie die frühaufklärerischen Schriften Benito Jerónimo Feijoos zeigen, gewinnt der Begriff allmählich diskursive und politische Relevanz, bleibt zunächst aber auf die christlich geprägte Vorstellung einer außerweltlichen felicidad eterna sowie auf das politische Handlungsprinzip eines am Glück der Untertanen ausgerichteten ‚richtigen Regierens‘ bezogen. Die im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmende Verweltlichung, Ökonomisierung und Politisierung einer felicidad pública, die mit zivilisatorischem Fortschritt und materiellem Wohlstand gleichgesetzt wird, bildet einen integralen Bestandteil des bourbonischen Reformprogramms und setzt den Ausgleich zwischen individuellem und kollektivem Glück voraus. Ein Akzentwechsel lässt sich in der zweiten Jahrhunderthälfte bei Gaspar Melchor Jovellanos erkennen, der das Verhältnis zwischen Affekt und Ökonomie mit Bezug auf das ‚patriotische Gefühl‘ bestimmt. Letzteres definiert sich, wie Möller zeigen konnte, als affektive Kraft, die jeden Einzelnen antreibt, die felicidad der aufkommenden Nation geschäftig zu vermehren. Damit wird das individuelle dem kollektiven Glücksstreben nicht nur nachgeordnet, vielmehr wird der persönliche Gefühlshaushalt insofern ökonomisiert als er auf ein Gemeinwohl eingeschworen wird, das sich maßgeblich als allgemeine wirtschaftliche Prosperität versteht.
Anschlussfähig sind diese mit den Überlegungen Beatrice Schuchardts (Siegen) zum Ideal einer u.a. am Konzept der hombría de bien geschulten, ‚ökonomisierten‘ Freundschaft, die das neoklassizistische Theater im Spanien des 18. Jahrhunderts didaktisiert. So wie die moralisierende Botschaft der Stücke darauf drängt, maßvoll mit Ressourcen, Finanzen und Affekten umzugehen, verkörpert Freundschaft – ganz im Sinne neuer Soziabilitätsformen – eine ebenso gesellige wie nützliche Verbindung unter Gleichen. Funktion und Leistung der sentimentalen Komödie ist es vor diesem Hintergrund, die Verzahnung von Individuum und Gemeinschaft sowie von Freundschaft und Wohlstand zu veranschaulichen. Besondere Bedeutung erhalten der Figurentyp des integren Unternehmers und der des geizigen Kaufmanns. In Iriartes La señorita malcriada (1788) wird nicht nur der Topos des angemessenen Preises für gesellschaftliches und moralisches Fehlverhalten aufgeworfen, vielmehr werden auch freundschaftliche Ratschläge als Motor für moralischen Nutzen und finanziellen Ertrag erkennbar, d.h. das Ideal der Freundschaft konturiert sich als Verkettung affektiver und ökonomischer Figuren. Moratíns El viejo y la niña (1786) führt dagegen nach Schuchardt die Gegenfigur des geizigen Kaufmanns ein, anhand dessen der Gegensatz zwischen geselligem Gefühl und egozentrischem Affekt ausgespielt wird. Während wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand an umsichtiges, sozial integres Handeln gebunden sind, zeichnet affektgesteuerter Überschwang den schlechten Ökonomen aus, der den gerechten Preis für sein Fehlverhalten zu zahlen hat.
Susanne Schlünder (Osnabrück) stellte Figuren spanischer Affektökonomien heraus, die im Horizont eines von der politischen Tradition der Spätscholastik beeinflussten, ökonomischen Denkens zu situieren sind. Als gemeinsamer Nexus durchaus divergierender wirtschaftspolitischer Entwürfe kann ein am Konzept des corpus mysticum ausgerichtetes Gesellschaftsbild angesehen werden, auf das sich auch die literarischen Texten beziehen lassen. So stellen sich etwa die in der Lyrik Gerardo Lobos dargestellte amouröse Praktik des chichisbeo, die Liebeskonzepte im sentimentalen und neoklassizistischen Drama von Jovellanos und Moratín d.J. und auch die Bestimmung der Leidenschaften im Evangelio en triunfo von Pablo de Olavide in den Horizont einer affektökonomischen Logik, die Affekt und Ökonomie zum Nutzen des Gesellschaftskörpers miteinander vermittelt: Der ‚Hausfreund‘ ist dem bien general förderlich, weil er durch exorbitante Gaben brachliegendes Privatkapital in den Wirtschaftskreislauf einspeist, Jovellanos’ und Moratíns ‚Helden‘ werden belohnt, da sie zum finanziellen Wohl der Gemeinschaft beitragen oder, biopolitisch gedacht, auf einen substantiellen Beitrag für eine positive demographische Entwicklung hoffen lassen, und auch die Resemantisierung der pasión in den Cartas de Mariano a Antonio Olavides weist eine vergleichbare Funktionalisierung des Affektiven im Zeichen des Ökonomischen auf. Dass sich das Verhältnis von Affekt und Ökonomie in der klandestinen erotischen Literatur womöglich komplexer gestaltet, war die abschließende Vermutung Schlünders.
Eine weitere Facette im Feld spanischer Affektökonomien behandelte Rolando Carrasco Monsalve (Konstanz/Santiago de Chile), der sich mit utopischem Gedankengut der Aufklärungszeit beschäftigte. Die seit der Antike durch Grundkomponenten wie Isoliertheit, spezifische, politisch-administrative Organisation und ökonomische Autarkie charakterisierte Utopie finden auch im Spanien des 18. Jahrhunderts ein wichtiges Echo. So stellte Carrasco Monsalve u.a. am Beispiel der Campomanes zugeschriebenen Sinapia península en la tierra austral die Korrelation von physiokratisch fundiertem Denken und Affektmanagement in ihrem Zusammenspiel von Kontrollmechanismen und Disziplinierungsmaßnahmen heraus. Eine wesentliche Rolle spielt dabei jener Orientalismus, der als Ergebnis komplexer Transkulturationsprozesse als zentrales Wahrnehmungsdispositiv von Marco Polo bis Christoph Kolumbus wirksam ist und dazu anregt, spanische Affektökonomien und die ihnen korrespondierenden Verfügungsregime mit Bezug auf die Kolonisierung und die sie begleitenden Projektionsprozesse unter globaler Perspektive zu überdenken.
Gegenüber der für die spanischen Aufklärungstexte skizzierten Funktionalisierung des Affektiven im Zeichen des Ökonomischen, erwies sich die gegenseitige Durchdringung von Affekt und Ökonomie in den französischen Beispielen als vielgestaltiger. Einesteils mag dies auf eine stärkere Autonomisierung des literarischen Feldes sowie auf andere Subjektivitätstraditionen diesseits der Pyrenäen zurückzuführen sein; andernteils ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die auf Frankreich bezogenen Beiträge insgesamt eine breitere Zeitspanne in den Blick nahmen als die Beiträge zu Spanien.
So bezog sich Matei Chihaia (Wuppertal) auf den Affekthaushalt der französischen Klassik, um am Beispiel des Tränenreichtums und im Blick auf die spezifisch klassische Dialektik aus Sozialkontrolle und Selbstkontrolle die Andersartigkeit einer Modellierung des Weinens im Zeitalter der Empfindsamkeit zu betonen. Als maßgebliche Verweissysteme der eifrig vergossenen Tränen des 17. Jahrhunderts sah Chihaia die rationalistische Affektlehre mit ihrem Grundsatz der Mäßigung und die moralistische Affektlehre mit ihrer Verschränkung von Angemessenheit und Prestige sowie schließlich die religiös-mystische und die barock-galante Literatur mit ihrem Faible für Maßlosigkeit und hyperbolischer Allegorisierung an. Wenn sich das Weinen auf dieser Folie als Teil einer theatralischen Praxis mit eigener Ökonomie bestimmen lässt, der es mal um Mäßigung (Descartes) bzw. das ‚rechte Maß‘ (La Bruyère, La Rochfoucauld), ein andermal um Verausgabung (La Fontaine) getan ist, konturiert sich eine Dialektik von Rationierung und Verschwendung als Charakteristikum einer Ökonomie des Weinens in der französischen Klassik. Das Maß der Tränen orientiert sich dabei anders als im „weinenden Saeculum“ der Empfindsamkeit an repräsentiertem Gefühl, gesellschaftlicher Rolle, Situation und rhetorischer Wirkung wie Chihaia u.a. mit Blick auf Chateaubriands Novelle Atala deutlich machte, in der das Weinen als sozial egalisierendes Prinzip wirksam wird.
Einer Bruchstelle von klassischer und empfindsamer Affektökonomie galt auch Katarina Rempes (Osnabrück) Interesse, die in ihrer Analyse von Marivaux’ Le paysan parvenu ein Zusammentreffen gegenläufiger affektiver Verfügungsregime sichtbar machte. In ihrer Untersuchung des Marivauxschen ‚roman-mémoires‘, untersuchte sie den Gefühlshaushalt des Protagonisten Jacob, dessen gesellschaftlich-ökonomischer Erfolg letztlich darauf zurückzuführen ist, dass er bei der Eroberung ihm nützlicher Frauen bestimmte Affektstrategien einsetzt. Als besonders komplex erweisen sich die affektökonomischen Denkfiguren im Paysan Parvenu, insofern zuwiderlaufende Prinzipien, nämlich Affektkontrolle einer- und die zeittypische Forderung nach sincérité andererseits, miteinander korreliert werden. Dabei bleiben die Kosten-Nutzen-Rechnungen, die den Protagonisten veranlassen, eine sensibilité mit Wirkungsabsicht an den Tag zu legen, intransparent und bieten keinen Anhaltspunkt, um den Grad der Aufrichtigkeit des Ich-Erzählers oder die Authentizität seiner Gefühle bestimmen zu können. Bezogen auf die Figur des Protagonisten führen die literarisch gestalteten Affektökonomien bei Marivaux dementsprechend, wie Rempe folgerte, in ein Oszillationsfeld von Selbstgewinn und Selbstverlust. Gleichzeitig bekunden sie jene Entsubstantialisierung des Affektiven, die dazu führt, dass die Differenz wahr/falsch unterlaufen wird.
Einer weiteren Facette der Durchdringung von Affekt und Ökonomie im Zeichen des Theatralischen widmete sich Andrea Grewe (Osnabrück) mit Bezug auf Lesages Turcaret, Sedaines Le philosophe sans le savoir und Beaumarchais’ La folle jounée ou Le mariage du Figaro. Im Rekurs auf die von Fulda festgestellten Strukturhomologien zwischen Komödie und Geldwirtschaft konnte Grewe jenseits einer thematisch-motivischen Ebene insbesondere bei Beaumarchais entsprechende Äquivalenzen ausmachen, die sich mit Bezug auf die Begriffspaare Bewegung/Stabilität und Handlung/Täuschung bzw. Handel/Tausch bestimmen lassen. Während Lesages Stück, das sich satirisch mit den desaströsen Staatsfinanzen in der Spätzeit Ludwigs XIV. auseinandersetzt, monetäre und affektive Inflation miteinander korreliert und der Flüchtigkeit des Geldes die Falschheit der Gefühle zuordnet, verknüpft Sedaine moralisches Wohlverhalten und wirtschaftlichen Erfolg miteinander. Anders als seine beiden Vorgänger stellt Beaumarchais nicht Händler und Finanziers in den Mittelpunkt seiner Komödie, deren Affinität zur Geldwirtschaft vielmehr struktureller Natur ist: Die an Peripetien reiche und bewegte Handlung modelliert einen Liebeshändel als ökonomische Transaktion, die mit dem glücklichen Ende des Stücks in eine Stabilisierung überführt wird. Die Verschränkung von Begehren, Erwartung und Wert im Stück illustriert dabei zentrale marktwirtschaftliche Prinzipien wie die Interdependenz von Preis und Nachfrage und gestaltet somit eine Zurichtung der Affekte nach ökonomischen Gesichtspunkten.
Nach spezifisch narrativen Affektmodellierungen fragte Rike Bolte (Osnabrück) anhand ihres Beitrags zur affektiven und materiellen Ökonomie in Prévosts Manon Lescaut, in dem die Geldsphäre ähnlich omnipräsent ist wie im zeitgenössischen Theater. Herleiten lässt sich diese Omnipräsenz aus dem wirtschaftshistorischen Kontext der Régence, der in ein Chaos und Ruin beförderndes Kreditsystem mündet. Wie Bolte darlegte, lässt sich die ruinöse Liebesbeziehung zwischen dem Chevalier Des Grieux und der Halbweltdame Manon als janusköpfige Figuration dieses desaströsen Kreditsystems begreifen. Dabei allegorisiert die Figur der Manon, in deren femme fatale-Gestaltung sich Objektsucht und Anziehungskraft gegenseitig bedingen, insofern das kreditäre Prinzip, als das von ihr vertretene Anschaffungs- und Vergeudungssystem den Geliebten Des Grieux um den unmittelbaren Genuss der Paarliebe bringt. In diesem Sinne führt sie eben jenes Distanz-Prinzip ein, das laut Simmel der Kredit- im Gegensatz zur Naturalwirtschaft eignet. Erzählerisch befördert dieses Gefüge zwei komplementäre Narrative: zum einen ein männlich kodiertes, das den Verlust an Geld und Verstand bilanziert, und ein weiblich kodiertes, das Abundanz und Überschuss an das Affektive rückkoppelt.
Einen thematischen Schwerpunkt des zweiten Sektionsteils bildete die vielgestaltige Auseinandersetzung mit Diderot, die der Philosoph Felix Heidenreich (Stuttgart) mit einem Beitrag zu emotionalen Faktoren des Konsums anhand von Diderots Regrets sur ma vieille robe de chambre ou Avis à ceux qui ont plus de goût que de fortune (1772) einleitete. Als Diderot-Effekt ist das Bemühen von Konsumenten in die Forschung eingegangen, ein stimmiges Gesamtensemble von Dingen um sich zu versammeln. Diese unendliche, weil a priori unlösbare Aufgabe zeigt, dass jede Konsumentscheidung weitere Konsumakte notwendig macht und sich die Saturierung durch Konsum in einen sich beständig entziehenden Horizont verschiebt. Insofern als der Konsum dazu führt, dass Erfahrungen der Nicht-Passung kompensiert werden müssen, lässt er sich auch als Form eines Emotionsmanagements verstehen. Bei Diderot erscheint Geschmack sogar als Instanz der emotionalen Terrorisierung, der Heidenreich eine zur Reduktion einladende Dingdiät gegenüberstellte. So wie Diderot im Blick auf Konsumbestrebungen das Bild eines harmonischen Gesamtzusammenhangs in Frage stellt, warf auch der Vortrag die Frage auf, ob das Streben des Bürgertums nach sozialem Aufstieg in ähnlicher Weise als ein möglicherweise gefährlicher Kohärenzdruck verstanden werden kann.
Indem Konstanze Baron (Tübingen) mit dem französischen Begriff intérêt einen Bezug zwischen Moral- und Gesellschaftstheorie, Kunst- und Literaturtheorie setzt, thematisierte ihr Vortrag die Frage, inwiefern sich Verbindungen zwischen Affektökonomien und Literaturtheorien herstellen lassen bzw. inwiefern Affektökonomien zwischen Literatur und Rezipient wirksam werden können. Der Begriff des Interesses impliziert ein fundamentales Bezogensein und damit eine Form der Bewegung oder Bewegtheit, die ihm nach Baron im 18. Jahrhundert einerseits das Verständnis als Affekt zuträgt und ihn andererseits in ästhetischen Schriften maßgeblich zur Geltung kommen lässt. Während Dubos und Batteux die Grundlagen für jene komplexe Konzeption gelegt haben, erfährt der Begriff in Diderots Poetik des conte historique eine charakteristische, dialektische Wendung. Anders als seine Vorgänger bezieht Diderot die von der moralistischen Tradition herausgearbeiteten, ethisch-moralischen Ambivalenzen in die ästhetische Reflexion ein. Intérêt schillert so zwischen Eigeninteresse und Fremdbezogenheit, zwischen Utilitarismus und Altruismus. Als solcher avanciert er zum Schlüsselbegriff einer Literatur, die sich dem Leben bzw. der Praxis dynamisch verbunden fühlt und in diesem Zusammenhang sowohl die ihr vorausliegenden materiellen Bedingungen, wie etwa den Bezug zu einem Rezipienten, als auch ihre eigenen ästhetischen Qualitäten reflektiert.
Christian Reidenbach (Bonn) ging der vielschichtigen Reflexion der Passionen bei Diderot nach. In seinem Encyclopédie-Artikel zum Stichwort ‚Indifférence’ weist Diderot auf die Schwierigkeit hin, in der affektiven Teilnahmslosigkeit selbstsüchtige Motive von solchen der Selbsterhaltung zu unterschieden. Sang-froid widersetzt sich der Zirkulation und baut den eigenen Vorteil auf den Nachteil des Nächsten. Der Vortrag führte anhand dreier Beispiele vor, wie Diderots Ökonomie der Affekte solche Strategien der Negation einsetzt und zugleich hinterfragt. Während im Neveu de Rameau der sang-froid zwar eine amoralische Praxis beschreibt, die jedoch nur im Exzess relevant wird, ist er im Paradoxe sur le comédien zum notwendigen ästhetischen Kalkül gewendet. Dazu wird das Beispiel einer affektiven Teilnahmslosigkeit von seiner rein ästhetischen Konsequenz entkoppelt und ethisch fruchtbar gemacht. Diderots spätere Schriften verfolgen zunehmend das Ziel, eine effiziente Selbstführung herzustellen. In der Reflexion des Intellektuellen Seneca zwischen Engagement und Rückzug und in Diderots Absage an die stoische impassibilité erkannte Reidenbach den Willen des Philosophen zu einer Affektökonomie von Offenbarung und Anteilnahme, die auf ihre Eingebundenheit in die Kreisläufe des Geselligen angewiesen ist, dem Intellektuellen jedoch eine Position am gesellschaftlichen Rand zumisst. In den drei Modellfällen des Neffen als homme-singe, im künstlerischen Genie und im grand homme Seneca wird diese Ökonomie auf besonders prägnante Weise sichtbar, weil diese durch eine extreme Entfesselung des Ausdrucks bzw. die Verweigerung von Authentizität affektive Semiologien in ihrem Aussagewert zu steigern und auszureizen suchen.
Fabian Scharf (Berlin) beschäftigte sich in seinem Beitrag zu Charles Fourier mit der gegenseitigen Durchdringung von Affekt und Ökonomie im Denken des französischen Utopisten. Dessen Vision einer harmonischen Gemeinschaft, die sich in der Institution der phalanstères verwirklichen sollte, konzipiert Ökonomie und Affekt nicht als distinktive sondern vielmehr als korrelative Größen. Als allen Menschen innewohnendes Prinzip, deren soziale und ökonomische Gleichheit er – anders als die Aufklärer einige Dekaden zuvor – nicht als erstrebenswert ansieht, begreift Fourier dabei ein Gewinnstreben, das sich dem Hang zu Luxus, Reichtum und Genuss verdankt. Grundlegende Prämisse seiner Affektökonomie ist die Befreiung der Leidenschaften, die freie Entfaltung sexueller Vorlieben eingeschlossen, die automatisch den gewünschten harmonischen Gesellschaftszustand herbeiführe. Die Wirkmacht der affektökonomischen Theoreme des aufgrund seiner bisweilen skurrilen Einfälle vielfach diskreditierten Gesellschaftstheoretikers konnte Scharf im Verweis auf verwirklichte phalanstères in Europa, Afrika und Amerika sowie mit Bezug auf politische Theorie und literarische Entwürfe von Balzac über Flaubert bis Zola zeigen.
In seinen Überlegungen zum Bezug von Moderne, Kapitalismus und Affektkontrolle in Flauberts Education sentimentale unternahm Benjamin Loy (Köln) eine Romanlektüre am Schnittpunkt von Soziologie und Literaturwissenschaft. Seine zentralen Fragestellungen richteten sich dabei zum einen auf die Bedeutung ökonomischer Faktoren und Motive für die Konzeption von Liebe und Ehe im Roman, aus der sich dessen Affektproblematik maßgeblich speist, zum anderen auf den in der Forschung bislang vernachlässigten Aspekt des Zorns. In dem Maße wie das Begehren des Protagonisten für die verheiratete Frau einesteils traditionellen Schemata, andernteils einem neue marktförmig organisierten Liebesregime folgt, führt, wie Loy im Rekurs auf Illouz und Sloterdijk zeigt, in ein Paradox: Die Begehrenserfüllung muss notwendig aufgeschoben werden, weil andernfalls der Auslöser des Begehrens, nämlich die moralische Überlegenheit der Angebeteten destruiert würde. Um sich im kapitalistischen Spiel um Geld, Liebe und Einfluss alle Optionen offen zu halten, müssen dabei gleich zwei Affekte unterdrückt werden: das Liebesbegehren und der Zorn, der seinerseits als Resultat der für die Moderne konstitutiven Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten zu begreifen ist. Liebe und Zorn entpuppen sich damit als Kern einer ‚Dialektik des Begehrens‘ (Küpper), die mit Loy einen affektökonomischen Schlüssel der Education sentimentale darstellt.
Der Germanist Justus Fetscher (Mannheim) befasste sich in seiner Lektüre von Le testament aus den Contes de la Bécasse mit den affektökonomischen Implikationen der im Titel angesprochenen Lebensabschlussrechnung. Als Textsorte zugleich prospektiv und retrospektiv, weil es in Kenntnis vergangener Beziehungsgefüge und Situationen Verfügungen für die Zukunft trifft, ist das Testament in der gleichnamigen Novelle zugleich Kondensationspunkt und Peripetie der erzählten Handlung. So erweist sich die Protagonistin, die ihr Erbe zur Überraschung der Beteiligten allein dem Geliebten und dem gemeinsamen Sohn nicht aber dem untreuen Ehemann nebst ehelichen Söhnen hinterlässt, als homo oeconomicus, da sie ganz im Geist der vorklassischen und klassischen Ökonomie von Turgot über Ricardo bis Mill Ertrag, Überschuss und Ressourcenknappheit zueinander in Bezug setzt: Die Liebe, die Ehemann und legitime Söhne schuldig geblieben sind, wird gegen etwaige Vermögensansprüche aufgerechnet und gerät zum Nullsummenspiel, wobei die Affekttauschrechnung das vorgängige und prinzipielle Verflochtensein des Affektiven mit dem Ökonomischen bezeugt.
Der Vortrag von Andrea Stahl (Osnabrück) ging abschließend der Frage nach, wie sich aus der Konfrontation von Affekt und Ökonomie punktuell epistemologische Folgerungen ziehen lassen und welcher Erkenntnisgewinn dabei für die Literatur zu ziehen ist. Mit dem Traité des passions des Moralisten Vauvenargues (1746) werden Affekte im Zeichen der Produktivität gesehen, die durch die Denkfigur eines Strebens nach Perfektion begründet ist. Für Foucault steht die öffentliche Hinrichtung und Vierteilung von Robert François Damiens (1757) dagegen am Beginn einer Entwicklung, in deren Verlauf das Interesse am Kleinen und Kleinsten des Körpers zunimmt. So wie moderne Gesellschaften mit hoher Produktivität und Güterfluss soziologisch gesehen neue Organisationsprinzipien erfordern, um sich ‚dynamisieren‘ zu können, verweist das Modell der von Foucault so genannten politischen Ökonomie des Körpers strukturell auf eine zu ergänzende Ökonomisierung der Affekte. Damit verbunden ist eine Form der Verflüssigung oder auch Dynamisierung von Affekten, die die Loslösung von Gegenständen oder Objektbezügen zugunsten einer auf Entwicklung und Produktivität ausgerichteten Kraft mit sich bringt. So wandeln sich in der französischen Literatur von Marivaux über Bernardin de Saint-Pierre bis hin zu Fromentin situative Affekte zu einer beinahe flächendeckenden Affektivität, die sich schließlich zu einer erneut kontrollierten, gleichzeitig aber entleerten Affektiertheit auswächst.
Konturieren die Beiträge insgesamt ein weites Feld, das im einzelnen ganz unterschiedliche, kulturhistorisch kodierte Bezüge zwischen Affekt und Ökonomie erkennen lässt, wie die Unterschiede zwischen Spanien und Frankreich aber auch die historisch bedingten Bruchstellen verschiedener affektiver Verfügungsregime zeigen mochten, lassen sich innerhalb des Vielgestaltigen womöglich doch zentrale Momente bzw. Tendenzen ausmachen. So weist die Zurichtung der Affekte im Zeichen des Ökonomischen in der longue durée offenbar Züge jener Fusion von Selbstverlust und Entsubstantialisierung des Affektiven auf, die dem „erschöpften Selbst“ im frühen 21. Jahrhundert zu eignen scheint.
Copyright (c) 2016 Susanne Schlünder, Andrea Stahl
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