Ein Subtext Frankreichs: Mittelmeeridee, Latinität und Katholizismus
Zu Wolf Lepenies, Die Macht am Mittelmeer
Joseph Jurt
Wolf Lepenies, Die Macht am Mittelmeer: französische Träume von einem anderen Europa (München: Carl Hanser Verlag, 2016), 352 S.
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Wolf Lepenies, den ehemaligen Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs, braucht man nicht vorzustellen. Sein Buch Die drei Kulturen1 ist zu einem Standardwerk geworden, auf das man immer wieder mit Gewinn zurückgreift. Der Autor zeichnet sich nicht nur durch seine herausragende Kenntnis der genannten drei Wissenschaftskulturen aus, sondern auch durch die (seltene) gleichzeitige Vertrautheit mit der deutschen, französischen und der angelsächsischen Geisteswelt. Mit seiner Monographie über den Literaturkritiker Sainte-Beuve2 beleuchtete er eine bedeutende Persönlichkeit des französischen Geisteslebens des 19. Jahrhunderts, die man nach Prousts Contre Sainte-Beuve zu unterschätzen geneigt war.
Wolf Lepenies ist auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch seine Interventionen in der Presse, zunächst in der Süddeutschen Zeitung und seit ein paar Jahren in der Welt. In diesen Beiträgen schätzt man immer wieder den hell wachen und immer bestens informierten Blick des Autors auf aktuelle Tendenzen namentlich in Frankreich, die der gängigen Berichterstattung zumeist entgehen3. So fiel ihm schon früh die starke Mittelmeerorientierung Frankreichs auf, die etwa in Sarkozys Idee einer Mittelmeerunion mündete, die den Machtzuwachs Deutschlands kompensieren sollte. Schon 1999 hatte er dafür plädiert, Frankreich solle für Deutschland weit stärker als bisher zum „Mittler zwischen Süd und Ost“ werden, damit es in Europa vom Konflikt zur notwendigen Kooperation der Himmelsrichtungen komme: „Es tut uns Deutschen gut, von Frankreich und anderen mediterranen Ländern an die islamische Prägung von Mittelalter und Mittelmeer erinnert zu werden.“4
Das Scheitern der intendierten Mittelmeerunion hatte Lepenies mehrfach publizistisch kommentiert. Daraus entstand die Idee einer historischen Vertiefung in einer Monographie, die nun vorliegt: Die Macht am Mittelmeer: französische Träume von einem anderen Europa. Im Zentrum stehen die Versuche, eine (politische) Union der ‚lateinischen Nationen‘ unter der Ägide Frankreichs als Gegengewicht zu Deutschland zu bilden. Es handelt sich zweifellos um einen originellen Fokus, der es erlaubt das französische Selbstverständnis aus einer anderen Perspektive zu behandeln, ein Vorhaben, dem keineswegs die Legitimität wegen der Tatsache abgeht, dass die Vorstellungen oft, wie der Titel schon suggeriert, bloß „Träume“ blieben. Es handelt sich in jeden Fall um ein spannendes Buch, das zur Diskussion anregt.
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Der Latinitäts-‚Traum‘ manifestierte sich 2013 in einem Zeitungsartikel des Philosophen Giorgio Agamben, der zunächst in der italienischen Zeitung La Repubblica und dann in Libération, dort unter dem von der Redaktion gesetzten provokativen Titel „Que l’Empire latin contre-attaque!“ am 24. März 2013 erschien. Agamben bezog sich auf einen vom Philosophen und hohem Beamten des französischen Staates Alexandre Kojève 1947 veröffentlichten Essay „L’Empire latin“, der neue Aktualität gewonnen habe. Kojève habe damals vorausgesagt, Deutschland werde zur wichtigsten Wirtschaftsmacht Europas aufsteigen und dann Frankreich auf eine sekundäre Rolle verweisen. Frankreich solle darum an die Spitze eines ‚lateinischen Imperium‘ treten, das zusätzlich Spanien und Italien umfassen und im Einklang mit der Tradition der katholischen Kirche stehen und sich gleichzeitig auf den Mittelmeerraum öffnen sollte. Jetzt, wo die EU sich nur an einer ökonomischen Logik orientiere und die konkreten kulturellen Affinitäten missachte, sei es Zeit, sich auf Kojève zu besinnen:
Une Europe qui prétend exister sur une base strictement économique, en abandonnant toutes les parentés réelles entre les formes de vie, de culture et de religion, n’a pas cessé de montrer toute sa fragilité, et avant tout sur le plan économique.5
Es mache keinen Sinn, so Agamben, einem Griechen oder einem Italiener den Lebensstil eines Deutschen vorzuschreiben. Das führe zu einer Zerstörung des kulturellen Erbes, das sich vor allem in einer bestimmten Lebensform äußere.
In der Rezeption durch die Öffentlichkeit wurden diese Thesen aber sehr stark verkürzt, als ob es um einen Kulturkampf zwischen dem ‚Süden‘ gegen den deutsch dominierten ‚Norden‘ ginge. Agamben stellte das in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung richtig: „Wie könnte ich die lateinische Kultur der deutschen entgegenstellen, wo doch jeder intelligente Europäer weiß, dass die italienische Kultur der Renaissance oder des klassischen Griechenlands heute mit vollem Recht auch zur deutschen Kultur gehört, die sie neu durchdacht und sich angeeignet hat!“6 Agamben führte dann weiter aus, das Ziel seiner Kritik sei nicht Deutschland gewesen, „sondern die Weise, in der die Europäische Union konstruiert wurde, nämlich auf ausschließlich ökonomischer Basis. So werden nicht nur unsere spirituellen und kulturellen Wurzeln ignoriert, sondern auch die politischen und rechtlichen. Wenn eine Kritik an Deutschland herauszuhören war, dann nur, weil Deutschland aus seiner dominierenden Position heraus und trotz seiner außergewöhnlichen philosophischen Tradition momentan unfähig erscheint, ein Europa zu denken, das nicht allein auf Euro und Wirtschaft beruht.“7 Europa beruhe auf dem Dialog mit der Vergangenheit, die eben nicht nur Tradition sei, sondern eine „anthropologische Grundbedingung“.8
Agamben hatte sich, wie er im Gespräch ausführte, „vielleicht etwas provokativ“ auf Kojèves Projekt bezogen. Immerhin lenkte er den Blick auf die genannte Denkschrift. Lepenies kommt das Verdienst zu, den (kaum bekannten) Essay von Kojève ausführlich vorzustellen auf der Basis des maschinenschriftlichen Typoskripts, das im Archiv der Hoover Foundation aufbewahrt wird unter dem schlichten Titel „Esquisse d’une doctrine de la politique française“ (datiert auf den 27. August 1945). Der 1902 in Russland geborene und seit 1926 in Frankreich lebende Kojève war vor allem als Philosoph bekann. Sein Hegel-Seminar an der Ecole pratique des Hautes Etudes von 1933–39 war legendär; zählten doch zu den Hörern neben Georges Bataille auch Lacan, Raymond Aron und Merleau-Ponty. In seiner Lektüre der Phänomenologie des Geistes ging es ihm darum, Hegel von der Dialektik von Herr und Knecht her zu verstehen und in der Dialektik das Spezifische der Geschichte zu sehen. Aus seinen Thesen über das Ende der Geschichte und der Philosophie zog er Konsequenzen und arbeitete als Berater des französischen Wirtschaftsministeriums im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
In seiner „Esquisse“ entwickelte er die These, den slawisch-sowjetischen und angelsächsischen Imperien müsse als Puffer ein ‚Lateinisches Reich‘ entgegengestellt werden, das die Errungenschaften der lateinisch-katholischen Zivilisation verteidige, die eben nicht in ökonomischen und politischen Erfolgen bestehe, sondern in einer Lebensform, einer ‚Humanisierung‘ der freien Zeit. Detaillierte Maßnahmen sollten sicherstellen, dass Deutschland die Schaffung eines ‚Lateinischen Reiches‘ nicht hemmen könne. Die „Esquisse“ orientierte sich nicht mehr an der These des Endes der Geschichte, sondern war, so Lepenies, „Ausdruck des Wunsches, Frankreich möge die Initiative an sich reißen, um aktiv die Zukunft Europas zu gestalten“ (32).
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Die Nachkriegszeit entwickelte sich indes nicht im Sinne von Kojève. Der Schumanplan war ein wichtiger Schritt auf dem Weg der wirtschaftlichen Integration Westeuropas mit Deutschland als gleichwertigem Partner. Für die These, de Gaulle sei der Adressat von Kojèves „Esquisse“ gewesen, gibt se nach Lepenies keine eindeutigen Belege, selbst wenn gewisse Passagen den Vorstellungen des Generals hätten entsprechen können. Dieser sprach auf jeden Fall nicht von einem ‚Lateinischen Reich‘. Aber wie für Kojève ging auch für de Gaulle, so schreibt Lepenies, „die größte Gefahr für Frankreich von einem wieder erstarkten Deutschland“ aus (40). Der General habe sich darum nach dem Krieg jeder Zentralisierung der deutschen Verwaltung widersetzt. Einen deutschen Einheitsstaat wollte er auch später mit allen Mitteln verhindern. Er konnte kein Europa akzeptieren, in dem zwischen dem siegreichen Frankreich und dem besiegten Deutschland Parität herrsche (42). Er befürchtete überdies, die Deutschen würden den Franzosen auf dem Feld der Wirtschaft bald eine neue Niederlage zufügen. Frankreich könne seiner historischen Bestimmung nur gerecht werden, wenn sich am Prinzip der „grandeur“ orientiere.
De Gaulle sei aber Realist genug gewesen, um einzusehen, dass ein gegen Deutschland gerichtetes ‚Lateinisches Reich‘ eine Illusion war und dass er darum für ein ‚europäische Europa‘ nicht gegen, sondern mit Deutschland plädierte. Mit dem „rheinischen Katholiken“ Adenauer sei die Aussöhnung leichter zu erreichen gewesen. De Gaulle habe aber darauf bestanden, „dass auch in Zukunft zwischen Frankreich und Deutschland ein politisches Ungleichgewicht gelten müsse“ (44). De Gaulles Ziel, ein selbstsicheres Europa aufzubauen, habe der Ambition, ein Lateinisches Reich zu schaffen kaum nachgestanden. „In der Einschätzung der Gefahren, die Frankreich von einem wieder erstarkten Deutschland drohten, unterschied sich dabei de Gaulle kaum von den Befürchtungen Kojèves (46).
Man kann sich aber fragen, ob hier die Nachkriegspolitik Frankreichs und namentlich de Gaulles nicht zu sehr durch die Brille von Kojève gesehen wird. Der französische Politikwissenschaftler René Rémond hatte auf einem Kolloquium über die Nachkriegszeit festgehalten, dass Frankreich als Siegermacht 1918 es sich hätte leisten können, mit dem deutschen Volk freundschaftliche Beziehungen aufzunehmen, während 1945 nach der Niederlage von 1940 und einer äußerst unerbittlichen Besatzungszeit eine mögliche Versöhnung keineswegs evident war. Paradoxerweise trat das Gegenteil ein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das gegenseitige Misstrauen kaum abgebaut. Nach 1945 brauchte es indes nur wenige Jahre, bis sich die Meinung durchsetzte, der deutsch-französische Antagonismus sei überholt. René Rémond schreibt das auch der Tatsache zu, dass sich namentlich Mitglieder der Résistance gegen das nationalsozialistische Regime und nicht gegen das deutsche Volk wandten und sich mit demokratischen Kräften in Deutschland eins wussten.9
Frankreich ließ sich bei seiner Deutschlandpolitik von der Idee eines dissoziativen Föderalismus leiten, der im Kontrast zur eigenen zentralstaatlichen Organisation stand. „Jamais plus de Reich“ – diese Forderung artikulierte de Gaulle in der Tat immer wieder. Dieses Prinzip diente sicher zuallererst französischen Sicherheitsinteressen. Der französische Botschafter Pierre Mailland betonte indes in diesem Zusammenhang den ausgesprochenen Geschichtssinn des Generals. In seinen Augen entsprach der föderalistische Staatsaufbau der historischen Tradition Deutschlands besser.10 Nach Maillard sah de Gaulle im Nachbarland zunächst eine Bedrohung, fühlte sich von ihm auch angezogen, war er doch mit der deutschen Philosophie und Literatur vertraut. Sein Wort von der Größe des deutschen Volkes bei der berühmten Ludwigsburger Rede von 1962 beruht auf einer intimen Kenntnis des Landes. Schon in den Reden nach 1945 hatte er von der Versöhnung und der Komplementarität der beiden Völker gesprochen. Die Idee der Nation setzte für ihn die Achtung der Rechte anderer Nationen voraus. Die Einheit der deutschen Nation stellte er nie in Frage und plädierte schon 1959 für die Wiedervereinigung.
Der Föderalismus entsprach in seinen Augen, wie gesagt, der Tradition Deutschlands. Dem pflichtete auch der deutsche Politikwissenschaftler Frank R. Pfetsch bei, wenn er die Sensibilisierung der französischen Verantwortlichen in der Besatzungszone für die gewachsenen Strukturen unterstreicht:
Juristisch geschulter Verstand und die Kenntnis deutscher Geschichte und Kultur bei zahlreichen in französischen Behörden angestellten französischen Germanisten ließen die historischen und kulturellen Wurzeln bei der deutschen staatlichen Organisation stärker zum Tragen kommen als bei den anderen Siegermächten.11
Das Engagement von Vertretern der Zivilgesellschaft trug so wesentlich zur Aussöhnung bei.
So setzte sich langsam die Einsicht durch, dass man mit den rein realpolitischen Konzepten von 1918 – territoriale Aufsplitterung, Gebietsamputationen, Annexionen, Reparationen – keine neue Deutschlandpolitik begründen konnte. Hier hat sich, vor allem auch aufgrund der Forschungsergebnisse von Rainer Hudemann, der Konsens durchgesetzt, dass die positive französische Kultur- und Sozialpolitik in der Besatzungszone in Deutschland nicht bloß kompensatorischen Charakter hatte, um die Härten der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik abzufedern. Das französische Verständnis von Sicherheitspolitik hatte sich gegenüber 1919 grundlegend gewandelt:
Sicherheitspolitik bedeutete für die politisch entscheidenden französischen Instanzen jetzt nicht mehr nur ein Sicherheitsglacis an der Ostgrenze und die Ausschaltung wesentlicher Teile des deutschen Wirtschaftspotentials. Ausgehend von einer – durch die französische Germanistik geförderten – Interpretation des Nationalsozialismus als Konsequenz der deutschen Geschichte, gewannen jetzt Konzeptionen an Boden, welche durch gesellschaftliche Reformen dem, was man für deutschen Militarismus und Nationalismus hielt, den Boden entziehen wollten.12
Die Deutschlandpolitik Frankreichs, die im Rahmen von De Gaulles Vision von Europa gedacht wurde, war, so Lepenies, wohl nicht ‚lateinisch‘, trug aber „katholische Züge“ (46). So sei es von großer symbolischer Bedeutung gewesen, dass die Aussöhnung mit Deutschland 1962 mit einer Messe in der Kathedrale von Reims gefeiert wurde. De Gaulle und Adenauere werde es bewusst gewesen sein, dass die Architekten des vereinten Europa – neben ihnen Monnet, Schuman, de Gasperi, Spaak – „ausnahmslos Katholiken“ (46) waren. De Gaulle war wohl praktizierender Katholik, Péguy-Leser und gut vertraut mit christlich-demokratischen Denkern; seine Sammelbewegung sollte indes unterschiedliche politische Traditionen integrieren und er selber respektierte immer das Prinzip der „laïcité“. Die Option für die Kathedrale von Reims war ein starkes Symbol der Aussöhnung; war doch das Monument ein wichtiger französischer (und nicht bloß katholischer) Erinnerungsort. Nach dem von den Zeitgenossen zu Recht als barbarisch angesehenem deutschen Bombardement der Kathedrale von Reims im ersten Kriegsjahr 1914 war die Stadt ein Schauplatz des Krieges geblieben und bis zu 80 Prozent zerstört worden. Dass die Gründerväter des vereinten Europa Katholiken waren, inspirierte wohl kaum den Traum einer römisch-katholischen politischen Gemeinschaft, kann aber eine mehr universalistisch als nationalstaatliche politische Ausrichtung befördert haben.13
Neben den nun immer bedeutender werdenden Beziehungen zu Deutschland durften auch für de Gaulle die ‚lateinischen‘ Affinitäten nicht vernachlässigt werden. Der General sprach wohl in Italien von ‚lateinischer Brüderlichkeit‘. Aber frühere Pläne eines ‚mediterranen Paktes‘ wurden nicht aktualisiert. Der Bezug auf die ‚Latinität‘ war bloß mehr ein „Element der politischen Rhetorik“ (53).
Wichtiger war indes die Beziehung zu Lateinamerika. Mehr als die Hälfte der ‚Comités de la France libre‘ waren während des Zweiten Weltkrieges auf dem amerikanischen Subkontinent entstanden. Es handelte sich hier um ein zivilgesellschaftliches Engagement zugunsten der Vorstellung Frankreichs, wie es de Gaulle verstand – als eines Ensembles von Werten – gegen die scheinbar ‚realpolitische‘ Option Vichys.14 De Gaulle knüpfte daran an, als er 1964 Mexiko und dann auch Mittel- und Südamerika bereiste und die ‚Latinität‘ Amerikas beschwor, was nach Lepenies jedoch „ohne politische Wirkung“ (55) blieb. Ich bin aber nicht sicher, dass Lateinamerika Frankreich „vollkommen fremd“ (55) war. Das würde sicher für Brasilien so nicht gelten. Wenn nach 1815 der wirtschaftliche Einfluss Großbritanniens in Brasilien dominant wurde, so sollte diese Dominanz durch kulturelle Aktivität der Franzosen ausgeglichen werden. So war eine große Anzahl der in der Restaurationszeit nicht mehr genehmen Mitglieder der Pariser Académie des Beaux-Arts nach Brasilien ausgewandert, wurde dort mit dem Aufbau einer eigenen Kunstakademie betraut und führte den neoklassischen Stil ein. Auch die brasilianische Flagge wurde von einem Franzosen der Akademie, Jean-Baptiste Debret, entworfen. Nachhaltig war bei der Gründung der Republik 1889 der positivistische Einfluss Victor Cousins, dessen Motto ‚Ordem e Progresso‘ danach auf der brasilianische Flagge Platz fand15. Für das zwanzigste Jahrhundert ist daran zu erinnern, dass neben Levi-Strauss auch Braudel und Foucault in Brasilien forschten und lehrten. Der brasilianische Staatspräsident Fernando Enrique Cardoso hatte vorher an der Universität Nanterre gelehrt.
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Im vorliegenden Buch geht es indes weniger um intellektuelle als um politische Beziehungen. Die werden dann auch sehr kenntnisreich hinsichtlich von Mitterands ‚Sozialismus des Südens‘ dargestellt. Kernpunkt des Streites zwischen der von Mitterand angeführten PS und der SPD war das Verhältnis zur Kommunistischen Partei. Die französischen Sozialisten und ihre Genossen des ‚Südens‘ waren zu einer Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei bereit, was die SPD strikte ablehnte. Man wird hier nicht vergessen, dass die KPF durch ihr Engagement im Widerstand an Legitimität gewonnen hatte, war sie doch 1945 mit 26 Prozent der angegebenen Stimmen zur stärksten Partei Frankreichs geworden. Die Bundesrepublik befand sich an der Nahtstelle zum Ostblock und die 1968 gegründete KPD war eine Kleinpartei, die nicht über 0,3 Prozent der Stimmen hinaus kam. Die Kommunistischen Parteien Frankreichs, Spaniens und Italiens hatten sich überdies erneuert und lehnten den Führungsanspruch der Sowjetischen KP ab16, was bei der DKP nicht der Fall war. Mitterand verfolgte wohl der KPF gegenüber eine ähnliche Strategie wie de Gaulle, der auch Vertreter der KPF in seine erste Nachkriegsregierung aufgenommen hatte: „Il faut les noyer dans le pouvoir.“
Die geopolitische Situation hatte sich nach 1989 radikal verändert. Das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland beruhte vorher im Gleichgewicht zwischen der ökonomischen Vormacht Deutschlands und der politischen Führungsrolle Frankreichs. Nun verschob sich das Zentrum Europas gegen Osten und das vereinte Deutschland übernahm die politische Führungsrolle. Für Lepenies war es bezeichnend, dass Bernard-Henry Lévy in der ersten Nummer seiner 1990 gegründeten Zeitschrift La Règle du Jeu unter dem Titel „L’Empire Latin“ einen Teilabdruck von Kojèves Memorandum von 1945 brachte, das kritisch kommentiert wurde.17 Nach Alain Minc konnte nur eine ‚Lateinische Föderation‘ eine Antwort auf ein von Deutschland bestimmtes Kontinentaleuropa sein.
Wenn schon Mitterand und Chirac daran dachten, die Mittelmeerpolitik Frankreichs zu verstärken, so versuchte erst Sarkozy, dieser Südpolitik einen institutionellen Rahmen in Gestalt einer Mittelmeerunion zu geben. Die Kraftlinien dieses Projektes werden im Buch detailliert vorgestellt. In einer Rede des Präsidentschaftskandidaten in Toulon im Februar 2007 stimmte dieser eine Hymne auf den Mittelmeerraum an als dem Scharnier unterschiedlicher Kulturen. Auffallend sei der große Raum gewesen, den er der arabischen Zivilisation und dem Islam gab, indem er die Europäer „Kinder Córdobas und Granadas nannte, Kinder der arabischen Gelehrten, die uns das Erbe des antiken Griechenlands übermittelt und es bereichert haben“ (72). Nicht nur die Vergangenheit, auch die Zukunft Europas liege im Süden. Sarkozy sei es dabei auch im die Stimmen der Algerienfranzosen gegangen. Die Idee der Mittelmeerunion stammte von seinem Berater Henri Guaino, einem Links-Gaullisten, der aus dem Süden stammte.
Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Sarkozy mit Patrick Buisson auch einen rechten, ja sehr rechten ‚Schutzengel‘ hatte, ein Bewunderer von Maurras, der für eine vereinte Rechte unter Einschluss des Front National plädierte. Von diesem stammte ein anderes Projekt von Sarkozy, das zum ersteren im Widerspruch stand, das Vorhaben, ein Ministerium der Einwanderung und der nationalen Identität zu schaffen.18 Sarkozy instrumentalisierte in geschickter Weise das Konzept der nationalen Identität, das er mit Beispielen aus der Vergangenheit unterfütterte, für eine Strategie einer gelenkten Einwanderung. Die nationale Identität sah er gleichzeitig gefährdet durch die ‚clandestins‘ und durch den Kommunitarismus. Die negativen Beispiele, die nicht mit der ‚nationalen Identität‘ vereinbar seien, bezogen sich in seinen Reden ausschließlich auf Praktiken der islamischen Religion. Die Schaffung eines „Ministère de l’Immigration et de l’Identité nationale“ wurde wohl von 88 Prozent der Wähler des Front National gutgeheißen, jedoch nur ein Prozent der Wähler, die sich zum Islam bekannten, gab an, für Sarkozy gestimmt zu haben. Das war weit weg von Loblied auf die „Kinder Córdobas“.
Die Ambitionen, die Sarkozy außenpolitisch mit der Mittelmeerunion verband, waren kühn. Sie sollten zu den Friedenbemühungen zwischen Israel und den Palästinensern beitragen.19 Deutschland widersetzte sich dem Plan, die Union nur den Anrainern des Mittelmeers vorzubehalten. Aus der geplanten Parallelinstitution der EU wurde eine ‚Union für das Mittelmeer‘ unter der Ägide der EU. Das Konzept einer ‚variablen Geometrie‘ innerhalb der EU, für das Schäuble und Lamers plädiert hatten, sei so „von einer CDU-Kanzlerin zu Fall gebracht“ worden (80). „Warum also mussten alle EU-Länder Mitglieder der Mittelmeerunion werden?“, fragt Lepenies mit Bedauern über das Scheitern der Initiative. „Warum konnte diese Initiative nicht vertrauensvoll den Südländern überlassen werden?“ (80).
Lepenies sieht als intellektuellen Hintergrund der Mittelmeerorientierung Sarkozys Braudels magistrales Werk La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II (1949), das die Geschichtsschreibung verändert und ein Bild vom Mittelmeer geprägt hat, das bis heute wirksam ist. Es wird darauf hingewiesen, dass Braudel wohl aus Lothringen stammte, aber neun Jahre in Algier lehrte. Wichtig war aber auch sein Aufenthalt in Brasilien. Die Erfahrung dieses immensen Landes trug dazu bei, wie er sagte, „die Zeit in Raum“ zu verwandeln. Entscheidend war auch die Begegnung mit Lucien Febvre auf dem Schiff, das die beiden 1937 aus Lateinamerika zurückbrachte; Febvre schlug dann auch die entscheidenden Vorgaben zu Braudels Mittelmeerbuch vor. Das Werk realisierte das Projekt einer „géo-histoire“, die zwischen drei Zeitlichkeiten unterschied, zunächst die geographische Zeit, eine fast stillstehende Geschichte des Milieus und der wiederkehrenden Phänomene, dann die soziale Zeit der ökonomischen Entwicklung, die Geschichte der Staaten und der Kontakte zwischen den Zivilisationen und schließlich, „an der Oberfläche“, die Ereignisgeschichte. Braudel antwortete so auch dem Vorwurf von Lévi-Strauss, die Geschichtswissenschaft sei unfähig, die Tiefenstrukturen zu erfassen, die eine Gesellschaft letztlich bestimmten. Die Historiker überwand mit seinem Konzept der „longue durée“ die Kluft zwischen Sozial- und Geschichtswissenschaften.20 Über die Strukturgeschichte war der Raum zu einer neuen wichtigen Kategorie geworden, was vielleicht auch die Resonanz erklärt, die das Konzept des Mittelmeers als Raum nun fand.
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Nach der Beschreibung der aktuellen Mittelmeervisionen geht Lepenies zurück auf die historischen Ursprünge der Valorisierungen der Räume, die durch Himmelsrichtungen bestimmt werden. Hier stellt er die klimatheoretische Dichotomie (Nord/Süd) vor, die Montesquieu in seinem Werk L’Esprit des lois (1748) entwarf. Der Autor ging von einem klimatischen Determinismus aus: das Klima beeinflusse die Physiologie und die Physiologie präge die unterschiedlichen Mentalitäten. Tugenden charakterisierten die Menschen des Nordens, Laster diejenigen des Südens. Es lohnt sich, diese Klima-‚Theorie‘ historisch zu vertiefen, wie das Gonthier-Louis Fink in seiner Studie „De Bouhours à Herder: la théorie française des climats et sa réception outre-Rhin“ getan hat.21 Fink betont, dass für die universalistische Anthropologie der Klassik das Klima noch kaum eine Rolle spielte („le bon sens et la raison [sont] les mêmes dans tous les siècles“, Racine, Iphigénie en Taulide); mit der Reiseliteratur und dem Bekanntwerden anderer Zivilisationen suchte man die Diversität zu erklären, unter anderem durch das unterschiedliche Klima. Sehr häufig ging man von einer Dreiteilung der Klimazonen aus: zwischen den Extremen des Nordens und des Südens situierte man eine gemäßigte Zone, die Exzesse vermeide und in dieser Zone situierte man Frankreich, eine Situierung, die man auch in so noch in Rivarols Schrift De l’Universalité de la langue française (1784) finden wird. In seinem Essai sur les causes qui peuvent affecter les esprits et les caractères vertrat Montesquieu noch die These, geistige Faktoren bestimmten den Charakter einer Nation mehr als die physischen („les causes morales forment plus le caractère général d’une nation et décident plus de la qualité de son esprit que les causes physiques“22). In L’Esprit des lois vertritt er indes eine letztinstanzliche Determination der Sitten und Mentalitäten durch das Klima. Er deutet das übliche (eher negative) Bild des Nordens völlig um und betrachtet den Norden als „source de la liberté en Europe“, während im heißen Süden der Despotismus dominiere. Diese Umpolung der üblichen Zuschreibungen erklärt sich aus der politischen Theorie Montesquieus. In seinen Augen war die konstitutionelle Monarchie die ideale Staatsform; diese müsse sich auf die „pouvoirs intermédiaires“ des Adels stützen, der so ein Abgleiten der Monarchie in den Despotismus verhindere (was auch eine implizite Kritik an Louis XIV war, der den Adel teilweise entmachtete hatte). Montesquieu widersetzte sich der These von Abbé Du Bos hinsichtlich des römischen Ursprungs der Aristokratie und er zählte zur ‚germanistischen‘ Fraktion, die den Ursprung des Adel von den fränkischen Erobern ableitete. In seinen Augen verdankte die alte französische Monarchie ihre vorbildhafte Verfassung der Eroberung des romanisierten Galliens durch die freiheitsliebenden Franken.23
Montesquieus Theorie fand wohl große Resonanz; es wurde ihr aber auch widersprochen. Helvétius kritisierte den Autor, weil er in der Folge von Tacitus den alten Mythos der Überlegenheit der Völker des Nordens wieder aufgewärmt habe. Man könne den Despotismus nicht von den Umweltbedingungen ableiten, sondern von einer geschichtlichen Entwicklung. Die Geschichte ist für Helvétius die eigentliche Erklärungsinstanz. So hätten Griechenland und Rom Größe und Niedergang gekannt, obwohl sich das Klima kaum verändert habe. Auch Voltaire relativiert in seinem Essais sur les mœurs den Einfluss des Klimas, ebenso einflussreich erscheint ihm die jeweilige Regierungsform und die Religion.
Die Klimatheorie war so kaum eine Theorie, sondern eher eine Konstruktion, um Interessen oder Vorurteile zu legitimieren.
Il s’agissait moins d’une tentative sincère et sérieuse de mieux comprendre le génie des autres peuples et des autres races que de donner à des préjugés nationaux ou raciaux un semblant de justification grâce à un lien apparent avec les sciences de la nature.24
Ähnlich ist die Einschätzung von Pierre Bourdieu in seinem Aufsatz „Le Nord et le Midi“25, den Lepenies mehrmals zitiert. Es handelt sich beim Nord/Süd Opposition bei Montesquieu, nach Bourdieu, um eine in sich kohärente Mythologie, die einen Komplex sexueller und sozialer Phantasmen darstelle, die dann durch eine scheinbar wissenschaftliche ‚Argumentation‘ legitimiert werden. Mit dem ‚Montesquieu-Effekt‘ meint Bourdieu nicht die ‚Nord-Süd‘-Antithese im Besonderen, sondern generell Verfahren, die Vorteilsstrukturen den Schein von Wissenschaftlichkeit zu geben versuchen.26
Ich denke nicht, dass die These des Nord-Süd-Gegensatz so sehr verinnerlicht wurde, dass „für viele französische Autoren die Angelsachsen und die Deutschen eine zukunftsträchtige Vitalität verkörperten, während Frankreich in Passivität und Dekadenz versank“ (94). Das mag vielleicht für Autoren des Fin de siècle zutreffen, die aber of den Begriff der ‚décadence‘ auch positiv werteten, im Sinne, dass politische Endzeiten noch einmal zu einem kulturellen Aufschwung animierten. Für das Jahrhundert der Aufklärung traf das sicher nicht zu. Das Klischee der ‚vie facile‘ war nicht so sehr eine Selbstzuschreibung; in der Literatur des 18. Jahrhunderts wird der Müßiggang, gerade auch bei Montesquieu, vielmehr den Spaniern zugeschrieben, die so als Negativ-Folie für die neue Wertschätzung der Arbeit durch die Aufklärer dienten.27
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Wenn im 18. Jahrhundert vor allem anthropo-geographische Nord/Süd-Ideen debattiert wurden, so stand im folgenden Jahrhundert mehr eine Mittelmeer-Politik im Vordergrund, die vor allem von den Saint-Simonisten artikuliert wurde. Über diesen nicht so bekannten Aspekt informiert Lepenies Buch ausführlich. Saint-Simon und Augustin Thierry hatten schon nach dem Wiener Kongress für die Einheit Europas und letztlich für eine Weltgesellschaft plädiert, die nicht durch Kriege, sondern durch die Fortschritte der Industrie geschaffen werden sollte. Die Saint-Simonisten waren der Auffassung, dass wirtschaftlicher Aufstieg auch sozialen Fortschritt bedeute und dass Arbeiter und Unternehmer als ‚classe industrielle‘ letztlich gemeinsam Interessen hätten, die sie gegen die parasitären Aristokraten und Großgrundbesitzer durchzusetzen hätten. Der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Michel Chevalier war seit den 1830er Jahren einer der führenden Köpfe des Saint-Simonismus, ab 1831 als Chefredakteur der Zeitung Le Globe.28 Als Instrument des wirtschaftlichen Fortschritts waren für die Saint-Simonisten die Verkehrswege wichtig. In seinen Aufsätzen über das ‚Mittelmeersystem‘ plädierte Chevalier für einen Aufbau des Schienennetzes als Bedingung für die Industrialisierung. Von der Regierung übernahm er den Auftrag, die Verkehrsnetze der Vereinigten Staaten zu erforschen, bereiste auch Mexiko und Kuba und erreichte mit seinen Lettres sur l’Amérique du Nord (1836) große Resonanz. Es erstaunt nicht, dass sich die Saint-Simonisten für den Bau des Suez-Kanals einsetzten, aber auch für eine Verbindung von Atlantik und Pazifik in Zentralamerika plädierten. So veröffentlichte Michel Chevalier in der Revue des deux mondes vom 1. Januar 1844 einen umfangreichen Aufsatz „L’Isthme de Panama“, in dem er ausführte, es läge im allgemeinen Interesse des Welthandels, nicht nur den Suez-Kanal zu bauen, sondern auch den Isthmus von Panama zu durchbrechen – eine Gemeinschaftsaufgabe für die beiden mächtigsten Nationen der Welt, Frankreich und England, das er als Friedensprojekt präsentierte: „le moyen d’aimer la paix et d’en perpétuer le règne, c’est de la montrer non seulement féconde, mais pleine de majesté et même d’audace.“
Diese Interessen Chevaliers trafen sich mit denen Louis Napoléon Bonapartes, der 1846 im Auftrag der Regierung von Nicaragua in einer Schrift zum Bau eines inter-ozeanischen Kanals aufrief,29 wo er schon die Vision eines amerikanischen Konstantinopels entwarf und eine bedeutende, auf dem wirtschaftlichen Aufstieg beruhende politische Entwicklung Zentralamerikas voraussah: ein großes Nationalgefühl werde sich im sich im spanischen Amerika entwickeln, um die Übergriffe des Nordens einzudämmen. So lässt sich hier durchaus eine Konvergenz zwischen den Auffassungen Napoleons III. und denjenigen der Saint-Simonisten feststellen. Es überrascht auch nicht, dass eine ganze Reihe ehemaliger Vertreter der saint-simonistischen Schule die expansionistische Wirtschaftspolitik des Second Empire unterstützten. Michel Chevalier, dessen Freihandelsideen von Napoleon III. geteilt wurden, vertrat dabei eine pan-lateinische Außenpolitik: während England den angelsächsischen, Russland den slawischen Block anführen sollte, sah er für Frankreich die Führungsrolle innerhalb des ‚lateinischen Europa‘ vor, dessen Einheit für ihn auf dem Latein als Ursprungssprache sowie dem römischen Katholizismus beruhte. Lepenies charakterisiert die Politik Napoleon III. zu Recht als eine „Politik im Zeichen der Latinität“ (112). Chevalier begrüßte Napoleons Intervention in Mexiko (1861–67) als eine Verteidigung der lateinischen Interessen in der Neuen Welt; die Instabilität Mexikos wecke bloß die weiteren Expansionsgelüste der USA.30
Bei der Begründung der französischen Intervention in Mexiko betonte Chevalier die Führungsrolle seines Landes innerhalb der ‚lateinischen Rassen‘. Er hob vor allem die Interesseneinheit der lateinischen Nationen und Frankreichs hervor. Das Land sei seit Ludwig XIV. die Beschützerin dieser Länder. Im Kontext dieser panlateinischen Idee31 – als ideologischer Rechtfertigung einer intendierten französischen Vormachtstellung, die durch saint-simonistische Ideen unterstützt wurde, entstand der Begriff der ‚Amérique latine‘. J.L. Phelan32 fand die erste Belegstelle für den Ausdruck bezeichnenderweise zu Beginn der französischen Intervention in Mexiko in einer Zeitschrift, die der panlateinischen Idee verpflichtet war: in der Revue des races latines (Januar 1861).33 Dann sprach auch Abbé Emmanuel Domenech 1867 in seinem Buch Le Mexique tel qu’il est, wo er die Gefahr einer Erdrückung der lateinischen Welt durch den Yankee-Expansionismus und den Pan-Slawismus beschwor, von der „Amérique latine“.
Ergänzend dazu wäre zu sagen, dass der Begriff ‚Lateinamerika‘, der so eindeutig mit dem Trachten Frankreichs nach der Vormachtstellung innerhalb der ‚lateinischen‘ Welt verbunden war, auch nach dem kläglichen Scheitern der Intervention Napoleons in Mexiko (1867) weiterverwendet wurde, und zwar nicht mehr bloß als Fremd-, sondern auch als Selbstbezeichnung in Mittel- und Südamerika. Der Ausdruck fand nicht trotz, sondern wegen des Scheiterns der französischen Intervention neue Verwendung. Denn die Intervention wurde bloß dem 1870 gestürzten Napoleon zugeschrieben, nicht aber dem französischen Volk. Wenn der Begriff ‚Lateinamerika‘ gerade in Mexiko aufgegriffen wurde, dann auch, weil hier die Bedrohung durch die Expansionspolitik der Vereinigten Staaten als reale Gefahr empfunden wurde. Der Lateinamerika-Begriff setzte sich nun auch deshalb durch, weil die Tendenzen des französischen Geisteslebens auf dem Subkontinent intensiv rezipiert wurden und andererseits der Abgrenzungscharakter gegenüber den USA noch stärker in die Bezeichnung einfloss. So war auch in Mexiko der Einfluss der französischen Kultur sehr stark, weil diese nun nicht mehr mit unmittelbaren politischen Expansionsintentionen in Verbindung gebracht wurde. Die Latinitäts-Idee verlor jetzt ihre ursprüngliche klerikal-konservative Dimension, wurde zu einem Bestandteil der laizistisch-republikanischen Ideologie und bezog sich nicht mehr nur auf Mexiko, sondern auf das gesamte luso-hispanische Amerika.34
Nach Lepenies unterschätzen indes französische Intellektuelle, die glaubten, mit dem Schlagwort ‚Latinität‘ politische Koalitionen schmieden zu können, den Widerstand, den große Teile der Spanisch sprechenden Welt derartigen Versuchen entgegensetzten. José Martí habe mit dem Begriff ‚Unser Amerika‘ nicht an ein lateinisches, sondern an ein hispanisches Amerika gedacht (160). Sicher wurde ein politisches Konzept der Latinität unter der Führung Frankreichs abgelehnt, nicht aber die kulturelle Orientierung. Wenn der uruguayische Schriftsteller J.-E. Rodó in seinem Essay Ariel (1900), der in Lateinamerika auf sehr große Resonanz stieß, dem Pragmatismus des Nordens das arielistische Ideal des Primats geistiger Werte entgegensetzte, dann bezog er sich stark auf die griechisch-lateinisch-französische Tradition. So verweist er in seinem Essay an dreizehn Stellen auf lateinisch-griechische Autoren, an neunundachtzig Stellen auf französische und nur sieben Mal auf spanisch-sprachige Autoren. Er rechtfertigte sich Unamuno gegenüber als „muy latino, muy meridional“ und er begrüßte 1909 Anatole France begeistert in Montevideo als Vertreter der Latinität, verstanden als Plädoyer für Idealismus vs. Utilitarismus. Für Rodó war die Latinität, die Rückbesinnung auf ein lateinisches Kulturideal, die geistige Basis für die Einheit Lateinamerikas.35 Zweifellos verstärkte sich vor allem nach 1898, nach einer Phase der Betonung der Unabhängigkeit in Lateinamerika, wieder mehr die Verbindung mit Madrid, ohne dass dadurch die kulturelle Orientierung an Frankreich aufgegeben worden wäre.36
Die Träume von Napoleon III. waren indes mit der Niederlage Frankreichs im preußisch-französischen Krieg von 1870–71 ausgeträumt. Französische Intellektuelle sahen in der Niederlage auch ein „Ende der lateinischen Welt“ (129), was deutsche Vertreter wie Gregorovius, aus anderer Perspektive, auch so sahen: „Die lateinische Welt sinkt, die germanische steigt nach langer Pause wieder empor“ (130). Gleichzeitig bildete sich das Stereotyp der Deutschen als gebildete Barbaren aus: „Offiziere […] die Sanskrit können und […] die Ihnen ihre Uhr stehlen“, so Flaubert (130). 1871 war jedoch für Renan, wie Lepenies schreibt, ein Jahr der Abrechnung, nicht mit Preußen, sondern mit Frankreich. Die Schrift La Réforme intellectuelle et morale de la France sei eine „bittere, in manchen hasserfüllte Kritik Renans an der Republik“ (132) gewesen. Zweifellos vertrat Renan die elitäre Ansicht, nur eine aristokratische Organisation, die die ‚naturgemäße‘ Überlegenheiten anerkenne, könne eine starke Gesellschaft begründen. Gleichzeitig müsste man auch an die Debatte erinnern, die Renan ab Juli 1870 mit dem deutschen Theologen David Friedrich Strauß führte. Hier widersetzte er sich entschieden dem deutschen Konzept der Nation, die durch Kriterien der ‚Rasse‘ und der Sprache bestimmt werde und er plädierte für das Selbstbestimmungsrecht der Bürger, indem er die Nation einerseits durch die Tradition, andererseits die Zustimmung der Bürger definierte und hier schon seine Ausführungen von 1882 im Vortrag an der Sorbonne „Qu’est-ce qu’une nation?“ („un plébiscite de tous les jours“) vorwegnahm. In ähnlicher Weise hatte Fustel de Coulanges gegenüber Mommsen argumentiert, der in drei Offenen Briefen „Agli Italiani“ wohl auch die Intervention Italiens, der „lateinischen Schwester“, an Seiten Frankreichs zu verhindern trachtete und die Annexion von Elsass und Lothringen durch moralische, kulturelle und ethnische ‚Argumente‘ zu legitimieren versuchte. „Ce qui distingue les nations, ce n’est ni la race, ni la langue“, entgegnete ihm Fustel de Coulanges. „Il se peut que l’Alsace soit allemande par la race et par le langage; mais par la nationalité et le sentiment de la patrie elle est française.“37 Indem sowohl Fustel de Coulanges als Renan die Fundierung der Nation auf dem Prinzip der Sprache ablehnten, stellten sie in einem gewissen Sinne auch die Begründung einer politischen Allianz auf dem Fundament der Latinität zumindest implizit in Frage.
Richtig aber ist sicher, dass Renan mit anderen Intellektuellen den Stand der Wissenschaft und der Universitäten in Deutschland bewunderte. Claude Digeon hatte die Krise nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 in einem berühmten Buch von 1959 als „la crise allemande de la pensée française“ bezeichnet. Er fasste die damals vorherrschende Stimmung so zusammen:
L’Allemagne a matériellement triomphé, croit-on, parce qu’elle était spirituellement mieux armée; en particulier ses universités, justement célèbres, ont réussi à lui donner, avec la gloire de l’esprit, la grandeur politique et militaire.38
In der Tat gingen nun auserlesene junge französische Forscher nach Deutschland und stellten in ihren Berichten ihre Erfahrung dar.39 Das französische Hochschulwesen wurde reorganisiert, wobei man sich auch an der deutschen Universität orientierte. In diesem Zusammenhang kann man auch an die Übernahme das wissenschaftliche Modell der Philologie erinnern. Gaston Paris, der eigentliche Begründer der Romanischen Philologie in Frankreich, wies im Dezember 1870 darauf hin, dass die Deutschen ihr Nationalgefühl dank der Arbeit ihrer Philologen wie Jacob Grimm und ihrer Dichter wiedergefunden hätten, was für die Franzosen hinsichtlich der Suche nach ihrer Tradition durchaus vorbildlich sein könnte.40
Die Gründerväter der Romanischen Philologie in Frankreich, Gaston Paris und Paul Meyer, riefen 1872 die wissenschaftliche Zeitschrift Romania ins Leben nach dem Modell der deutschen Zeitschrift Germania. Im Einleitungsartikel der Zeitschrift sprach Gaston Paris von einer „nationalité romaine“, die aus der sukzessiven Fusion mehrer Ethnien entstanden sei, die er unorganisierten Masse germanischer Stämme entgegensetzt.41 Das römische Imperium wird als eine ‚organische‘ Nation vorgestellt, als ein ‚Vaterland‘, das die Identität der verschiedenen Völker, die es umfasste, sicherte. Gaston Paris betont die Fähigkeit der Gallo-Romanen, das germanische Element materiell und geistig zu absorbieren und er kommt dann zur Feststellung: „La civilisation de l’Europe est essentiellement fille de la civilisation romaine.“42 Wenn Gaston Paris 1872 – nach dem deutsch-französischen Krieg – sehr stark die Antithese zwischen romanischer und germanischer Welt betonte, so kam er später stärker auf den nicht zu leugnenden germanischen Anteil der französischen Identität zurück.
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Wenn die Reform des Bildungswesens in Frankreich eine interne Antwort auf die Niederlage von 1871 war, so gab es auch eine externe Antwort: die Kolonialexpansion. Eine ganze Reihe von Politikern sah darin eine Art Kompensation. Diese Idee wurde vor allem vom bekannten Nationalökonomen Paul Leroy-Beaulieu, dem Nachfolger von Michel Chevalier auf dem Lehrstuhl am Collège de France, in seinem Buch De la colonisation chez les peuples modernes (1874) zum Ausdruck gebracht, ein Buch, das seine nachhaltige Wirkung auf das französische Kolonialdenken ausübte. Für ihn war der Erwerb eines Kolonialreiches eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit ein Land der Dekadenz entgeht und sich die ‚Virilität‘ seiner Gesellschaft erhält: die Kolonien sind in seinen Augen die beste Garantie für Wohlstand, Fortschritt und inneren Frieden im Mutterland.43 Der kompensatorische Charakter der Kolonialexpansion nach der Niederlage von 1870 äußerte sich auch in der Tatsache, dass eine große Anzahl von Personen aus den annektierten Provinzen Elsass und Lothringen sich in Algerien niederließen. Lepenies behandelt diesen Aspekt im Kapitel „Lateinafrika“ (162–9). Er zitiert in diesem Zusammenhang auch einen Artikel von Marius-Ary Leblond44, „Les Latins d’Afrique“, der es begrüßte, dass sich im Maghreb die lateinischen ‚Schwesterrassen‘ vermischten und sich so an der Herabildung einer neuen „lateinischen Rasse“ beteiligten (163).45
Die systematische Ausweitung des französischen Kolonialreiches war vor allem das Werk des Ministerpräsidenten Jules Ferry. Als Präsident des Ministerrates errichtete er 1881 das Protektorat über Tunesien und nahm zwischen 1883 und 1885 Annam und Tonkin in Vietnam in Besitz; er etablierte dann die französische Herrschaft über den Kongo und intervenierte aktiv auf Madagaskar. Jules Ferry stützte sich auf die Thesen von Leroy-Beaulieu und vertrat wie dieser die Interessen der neuen Mittelklasse, die der Großbourgeoisie die Macht streitig gemacht hatte. Ferry entwickelte eine eigentliche Kolonialdoktrin, die die Übersee-Expansion durch ökonomische, politische und zivilisatorische Motive rechtfertigen sollte. Er erklärte zunächst, dass das europäische Wirtschaftssystem, das auf Konkurrenz und Expansion beruhte, den Export erfordere. Was durch den Protektionismus an Absatzmärkten in Europa verloren ging, sollte durch die koloniale Expansion kompensiert werden. Ferry rechtfertigte dann die koloniale Expansion durch die ‚zivilisatorische‘ Mission Frankreichs als Pflicht, was den Unterschied der französischen Kolonisation zur schlichten Eroberung der Spanier ausmache Die ‚Zivilisierung‘ war sicher nicht das eigentliche Ziel der Expansion, sondern bloß ein ideologischer Vorwand, der die Macht-Expansion rechtfertigen sollte. Die Übersee-Expansion sollte schließlich – das war das politische Argument, das Ferry vorbrachte –, für Frankreich das Fundament für eine neue Großmachtstellung sein. Frankreich dürfe sich in diesem Bereich nicht durch andere Nationen überrunden lassen. Die koloniale Eroberung widersprach indes radikal dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker, auf das man in Bezug auf Elsass und Lothringen so intensiv gepocht hatte.
Es erstaunt nicht, das die Politik der Kolonialexpansion, die von der Regierung von Jules Ferry zwischen 1880 und 1900 ins Werk gesetzt wurde, sowohl von der radikalen Linken als auch von der konservativen Rechten infrage gestellt wurde. Die Argumente der Opposition waren politischer Natur: Ein durch den Krieg geschwächtes Land werde durch das Kolonialunternehmen sowohl materiell wie militärisch noch mehr geschwächt. Die wichtige Verteidigung der Grenzen des Mutterlandes werde so vernachlässigt. Es sei kein Zufall, wenn Bismarck der französischen Kolonialexpansion positiv gegenüberstehe. Wenn man sich in Afrika engagiere, dann bedeutete das in den Augen der Rechten, sich von der „blauen Linie der Vogesen“ abzuwenden und sich von der Idee einer Revanche gegenüber Deutschland, das französische Provinzen annektiert habe, zu verabschieden.
Die französische Kolonialexpansion fand auch ihren Ausdruck in der französischen Literatur. Die Afrika-Romane des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts schrieben sich vor allem in die Richtung des Exotismus ein. Man denke vor allem an den berühmten Roman d’un spahi (1881) von Pierre Loti, in dem sich der moderne Afrika-Mythos für lange Zeit kristallisierte. Das Bild von Afrika erscheint hier in negativen Farben als „terre de soleil et de mort“. Es wäre verfehlt, den exotischen Afrikaroman als bloßen Transmissionsriemen der offiziellen Kolonialdoktrin zu betrachten. Es gab auch einen pessimistischen Exotismus, der Ausdruck einer antikolonialistischen Haltung war.46 So findet man in den Afrikaromanen von Vignée d’Octon eine offene Kritik der französischen Kolonialpolitik. Das war eigentlich auch, wenn auch implizit, der Fall bei Loti. Sein Held, der Spahi, der Kolonialsoldat, ist weit davon entfernt, ein triumphierender Kolonisator zu sein. Fern von der Heimat geht er dem sicheren Tod entgegen. Diese Schilderung der fatalen Folgen der Existenz in den Kolonien geht einher mit einem negativen Bild der Afrikaner, die als ein Epiphänomen der zerstörerischen Natur erscheinen.
Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der pessimistische Exotismus abgelöst von der Richtung, die sich nun offen ‚roman colonial‘ nannte. Durch die ‚Entente cordiale‘ von 1904 war der Kolonialkonflikt mit England beigelegt worden; gemäß diesem Vertrag wurde Ägypten der britischen Interessensphäre zugerechnet und Marokko der französischen, was allerdings die Animosität Deutschlands wecket (165). In diesem Kontext einte nun die Opposition gegen Deutschland die beiden Fraktionen des Nationalismus, den kontinentalen Nationalismus und den Imperialismus der kolonialen Expansion. Diese neue Geisteshaltung äußerte sich auf der literarischen Ebene im Manifest der auf La Réunion geborenen Brüder Leblond „Après l’exotisme, le roman colonial“, das die beiden 1900 in der Zeitschrift La Grande France veröffentlichten. Lepenies bezieht sich auch auf die Ausführungen der Brüder Leblond, die sich als „Latins d’Afrique“ definierten. Nicht zu Unrecht schreibt er, die ‚Latinité‘ habe vor allem in der „Ausbeutung und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung mit Hilfe der Fremdenlegion“ (165) bestanden. Bezeichnend für die neue Haltung war ein Roman von Ernest Psichari, der Enkel von Renan (!), der selber in der Kolonialartillerie gedient hatte: Terres de soleil et de sommeil (1908). In diesem Werk lässt sich sehr gut der Übergang vom pessimistischen zum optimistischen Afrika-Mythos feststellen. Afrika erscheint nun als der Ort der Regeneration Frankreichs. „L’Afrique est un des derniers refuges de l’énergie nationale“47, schrieb Psichari. Eine positive Würdigung des Kolonialunternehmens fand dann den vollendeten Ausdruck in einem späteren Werk von Psichari, Le voyage du centurion (1916), in dem die französische Kolonialexpansion in direkter Nachfolge der Kolonisierung Nordafrikas durch das Römische Imperium situiert wird – eine Idee, die der Schriftsteller Louis Bertrand noch intensiver verfolgen wird, dem Lepenies mehrere Seiten widmet (166–9).
Dass der interne Nord-Süd-Antagonismus, oder besser gesagt die Stereotypen über den Süden Frankreichs selbst während der Union sacrée des ErstenWeltkrieges präsent war, entdeckte Lepenies 2014 in einer Ausstellung über die Affäre des XV. Armeekorps in Aix-en-Provence („La Faute au Midi: soldats héroïques et diffamés“). Hier erinnerte man an den genannten Armeekorps, der vor allem aus Soldaten der Provence bestand. Nachdem im August 1914 dieser Corps wegen eines Fehlers von Foch zurückweichen musste, wurde dieser Fehler den provenzalischen Soldaten zugeschrieben, die Hasenfüße seien – ein Vorfall, der in gängigen Darstellungen zum Ersten Weltkrieg nicht erwähnt wird48, wohl auch weil die verleumdeten Soldaten aus dem Süden nie rehabilitiert wurden. Straßennahmen in Städten des Südens erinnern immerhin an sie.
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Hinsichtlich der Präsenz der Latinitätsidee in Frankreich vor und noch mehr nach dem Ersten Weltkrieg, bezieht sich Lepenies immer wieder auf politische Denker wie Charles Maurras, Léon Daudet und Henri Massis. Die Autoren verdienten es, an ihrem (rechtsextremen) politischen ‚Ort‘ situiert zu werden, innerhalb der 1899 gegründeten Action française, einer außerparlamentarischen, neo-royalistischen Liga, die außer einer kurzen Periode nach dem Ersten Weltkrieg nicht im Parlament präsent war, die sich einem ‚nationalisme intégral‘ verpflichtet wusste, der in eine Restauration der Monarchie münden sollte.49 Die Liga wirkte durch ihre Tageszeitung und die Schriften ihrer Führer, ohne die jedoch die Politik unmittelbar zu beeinflussen. Das gelang ihr erst im Vichy-Regime, das viele Ideen der Action française zu realisieren versuchte. Frankreich hatte in den Augen der Action française eine führende Aufgabe, jedoch nicht um eine universelle Botschaft der Freiheit zu propagieren, sondern um eine Ordnung zu verteidigen, die auf dem doppelten Erbe der griechisch-römischen Zivilisation und des Katholizismus beruhte.
In Deutschland hatten sich Autoren wie Thomas Mann oder Oswald Spengler gegen die Hegemonieansprüche im Namen der Latinität verwehrt, der erstere vor allem in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen. Lepenies zeichnete indes differenziert die Entwicklung von Thomas Mann nach, der sich nach seinem Parisbesuch beeindruckt vom „aristokratischen Reiz der humanistischen Zivilisation des Westens (226) äußerte. Anfang der dreißiger Jahre schien auch die Nord-Süd-Differenz zwischen Heinrich und Thomas Mann vergessen zu sein.
Die französischen Nationalisten konstruierten indes eher einen West-Ost-Antagonismus. Der ‚Osten‘ war nun der Bolschewismus. Diesem setzten sie nicht die Idee Europas entgegen – „Quelle communauté de vues peut-on supposer entre un Hollandais qui cultive ses tulipes et un Macédonien perdu dans ses rochers?“, fragte Maurras –, sondern jene des ‚Abendlandes‘ (‚l’Occident‘). Léon Daudet, Louis Bertrand und Bainville teilten die Idee, die Massis in seiner Défense de l’Occident (1927) entwickelt hatte, dass das Abendland durch die aufsteigende Macht des ‚Ostens‘ bedroht werde. Aber das Abendland reduzierte sich bei Massis auf einen kleinen Raum; die Ostgrenze des ‚Abendlandes‘ bildete für ihn der Rhein; der ‚Osten‘ begriff entgegen jeder geographischen Logik auch England mit ein. Zur ‚asiatischen‘ Philosophie, die die griechisch-römische Zivilisation zerstört habe, zählte Massis Autoren wie Browning, Blake, Nietzsche und Dostojevski. Er warf vor allem den Vertretern einer deutschen Kulturpsychologie wie Spengler und Keyserling vor, den Weg nach Osten geöffnet zu haben. Gegen diesen Vorwurf lancierte Malraux seine kleine Schrift La tentation de l’Occident. Lepenies stellt in diesem Zusammenhang fest, Malraux ironisiere die Warnungen vor der ‚asiatischen Gefahr‘ ebenso wie die Propagierung des Katholizismus als alleinseligmachendes Heilmittel für Europa. Massis verteidige letztlich den Westen nicht, sondern lasse ihn im Stich (234).
Gefährlicher als Malraux’ Ironie musste Massis jedoch nach Lepenies der Versuch eines deutschen Autors erscheinen, der das „dominante Lateinertum“ in Frage stellte und bei jungen französische Autoren selber anti-rationalistische Züge ausmachte, die mit dem ‚deutschen Geist‘ im Einklang standen: Curtius in seinen literarischen Wegbereitern des neuen Frankreich (1919), der hier Gide, Roman Rolland, Claudel, André Suarès und Péguy vorstellte; die Autoren seien offen etwa für slawische Schriftsteller wie Dostojevski und Tolstoi. Der neue französische Geist zerbrach, so Curtius, „die Tafeln der lateinischen Tradition und weckte die von ihr verdeckten in ihm angelegten Kräfte mit der Musik der germanischen und slawischen Seele“ (zitiert 235). Die Wegbereiter waren auch als kulturkundliches Werk gedacht, um ein anderes Frankreich als das der Dekadenz und des brillanten Esprit vorzustellen. Allerdings war Curtius‘ Vorstellung nicht frei von völkerpsychologischen Klischees, wenn er etwa schrieb, Frankreich sei in einem festen, Deutschland in einem flüssigen Aggregatszustand. Er nahm, so in seinem Buch Die französische Kultur (1930) Frankreich als „nationale Kollektivperson“ wahr und sprach von einem „deutschen Wesen“. Er bestimmte Frankreich in einer in einem gewissen Sinne essentialistischer Weise über die Kategorien des Form- und Ordnungswillens, die er auf die Latinität zurückführte, von der nach ihm noch Spuren in dem von ihm konstruierten Kulturraum „südlich des Limes“ vorhanden sein mussten.50 1921 schrieb er vor allem in Bezug auf deutsche Romanisten: „Nicht nur Katholizität, sondern Romanität, Latinität verstehen unsere Romanisten nicht. Dass Ordnung und Tiefe, Klarheit und Glut vereint sein können – und dass dies unsagbar beglückend ist; das wissen die Deutschen nicht und wollen es nicht wissen. Sie machen aus der Not ihrer Formlosigkeit eine Tugend: Unendliches Werden.“51 Curtius versuchte die von ihm so bestimmte Fremdkultur zu verstehen; er ist von ihr fasziniert, aber er identifiziert sich letztlich mit dem, was er als Konstituens seiner eigenen Kultur betrachtet, deren Unabgeschlossenheit das Verstehen ermögliche: „Ich will die Romanen lieben, möchte aber um keinen Preis einer sein. Als Deutscher mache ich vom Privileg des deutschen Geistes Gebrauch, im nachfühlenden Verständnis auch das Fremde zu umfassen: die grandiose Starrheit des römisch-romanischen Ordnungswillens.“52
Curtius sah in den Wegebereitern Autoren, die dem deutschen Selbstbild – des Werdenden – entgegenkamen; er glaubte bei ihnen ein Wertgefühl zu entdecken, das, wie er schreibt, „mit unserem ein gemeinsames Maß“ hat; er hob bei ihnen die Kategorien der Lebens- und Erlebnisintensität hervor. Am subjektiven Vermittlungs-Willen von Curtius ist nicht zu zweifeln. Zu fragen ist allerdings, ob ein Dialog nicht eher möglich ist auf der Basis der Anerkennung historisch gewachsener Alterität als auf derjenigen einer postulierten – und vereinnahmenden – lebensphilosophischen Gemeinsamkeit. Dass er den Dialog suchte, belegen nicht nur seine Beziehungen mit einer ganzen Zahl von französischen Schriftstellern und seine Teilnahme an den Gesprächen von Pontigny, sondern auch ein interessanter, bisher kaum bekannter Brief an Massis, den Lepenies zitiert. Curtius betonte in dem Brief, er habe seine Zuneigung zu Frankreich nie verloren, verwehrte sich aber gegen eine enge Reduktion des ‚Abendland’-Begriffes, der Deutschland ausschließe: „Das Abendland auf den Katholizismus und die Latinität zu beschränken, kommt mir unpolitisch vor“ so Curtius. Er betonte gleichzeitig, auch er könnte „nicht antibolschewistischer“ eingestellt sein; realistischer wäre es darum sich „so weit wie möglich mit den germanischen Kräften zu verbinden“. „Ist es nicht der gleiche Humanismus, den wir verteidigen müssen?“ (238).
Die Action française war indes von einer viszeralen Germanophobie geprägt; ihre politischen Denker vertraten eine essentialistische Sicht von Deutschland. Maurras veröffentlichte bezeichnenderweise ein Buch mit dem Titel Devant l’Allemagne éternelle (1937). In ihren Augen hatte sich Deutschland, dem die griechisch-römische Zivilisation fremd geblieben sei, nicht gewandelt. „Il y a une essence allemande“, behauptete Léon Daudet, „qui ferme l’Allemand à la pitié […], à l’espérance, à l’amitié, à la confiance.“53 Die Action française vertrat auch nicht die These der „deux Allemagnes“. Nach ihr war der preußische Militarismus nicht ein Sonderfall, sondern wesenshafter Ausdruck Deutschlands. Die Action française bezeichnete darum schon 1930 den Nationalsozialismus als eine der größten Gefahren für Frankreich.54 Eine negativer Nationalismus, die Germanophobie, waren indes nicht die geeigneten Waffen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
Andererseits stand die Action française den ‚lateinischen‘ Diktaturen relativ wohlwollend gegenüber. Lepenies widmet diesem Aspekt ein umfangreiches Kapitel (241–75). Für Maurras und die Action française war die Errichtung autoritärer Regime die Voraussetzung für die Bildung eines Blocks lateinischer Nationen. Wenn die ideologische Ausrichtung der autoritären Regime mit Mussolini in Italien, Salazar in Portugal, Franco in Spanien und dann Pétain in Frankreich ähnlich war, so führte das aber doch nicht zu einer ‚Lateinischen Union‘. Es gab zahlreiche Affinitäten zwischen dem italienischen Faschismus und der Bewegung von Maurras, namentlich die antidemokratische Ausrichtung; es bestand aber ein großer Dissens hinsichtlich der Rolle des Staates, den die restaurative Action française flach halten wollte. Auf der Ebene der Staaten wurde klar, dass das faschistische Italien „seine territorialen Ambitionen und kolonialen Interessen nicht der Solidarität mit den Lateinern opfern würde“ (254). Die Unterschiede zwischen den lateinischen Nationen waren zu groß, die Konflikte zu tiefgreifend, als dass „es zu einer Union der großen lateinischen Länder im Zeichen des Autoritarismus und der Diktatur hätte kommen können“. (261).
Einer der aber trotz allem an die Möglichkeit einer Lateinischen Union glaubte, war Henri Massis. Mussolini, der eher schlechte Erinnerungen an die Action française hatte,55 empfing im September 1933 Massis zum Gespräch, dessen Inhalt er erst 1937 in einer Broschüre publik machte. Der Diktator habe die Idee, dass nun die Deutschen das imperiale Konzept Roms übernommen hätte, als „falsche Analogie“ bezeichnet. Massis glaubte, Mussolini werde zusammen mit Franco und Salazar alles versuchte, um durch Distanz zum nationalsozialistischen Deutschland dessen kriegerische Ambitionen zu dämpfen. Darum hielt Massis es für verhängnisvoll, dass der Völkerbund 1935 auf Drängen Frankreichs und Englands nach dem Überfall auf Äthiopien Sanktionen gegen Italien beschloss. Massis legitimierte den brutalen Überfall, bei dem die Italiener die Luftwaffe und Giftgas einsetzten, als „Verteidigung des Abendlandes“ in einem Manifest, das 64 französische Intellektuelle unterzeichneten. Das Manifest ging von einer klaren Hierarchisierung der Völker aus – Äthiopien wurde als Konglomerat „ungebildeter Stämme“ bezeichnet; man hielt die Idee der absoluten Gleichheit aller Nationen für gefährlich und erhob sich gegen einen „juristischen Universalismus, der den Über- und den Untergeordneten, den Zivilisierten und den Barbaren auf dieselbe Stufe stellt.“ Die Intellektuellen müssten mit Italien die Kultur verteidigen und dürften keinen Konflikt mit dem Nachbarland riskieren. Zu den Unterzeichnern des Manifests zählten 16 Mitglieder der Académie française, unter anderem Mgr. Baudrillart, Henry Bordeaux, Henri de Régnier, die Action française-Leute Maurras, Daudet, Gaxotte und die jungen Faschisten Brasillach und Drieu la Rochelle.
Hinzufügen müsste man, dass linke Intellektuelle unmittelbar auf das Äthiopien-Manifest in der Zeitung L’œuvre am 3. Oktober 1935 antworteten. In der Antwort wurde unterstrichen, dass die Unterzeichner des Massis-Textes nicht die Gesamtheit der Intellektuellen verträten. Im Massis-Manifest werde die Friedensidee missbraucht, um den schlimmsten Angriffskrieg zu legitimieren. Die Idee einer Rechtsungleichheit widerspreche der französischen Tradition. Zu den Unterzeichnern zählten die prominentesten Vertreter der antifaschistischen Front: Gide, Romain Rolland, Aragon, Malraux, Nizan, aber auch Mounier und Schlumberger. Zu den kollektiven Unterzeichnern zählte auch das Comité de vigilance des intellectuels antifascistes (CVIA) mit seinen 8500 Mitgliedern.
Es folgte dann das „Manifeste pour la justice et la paix“, das am 18. Oktober 1935 in der christlichen-demokratischen Zeitung L’Aube veröffentlicht wurde. Hier wies man auf den Skandal hin, eine zivilisatorische Mission mit Bomben und Massaker wahrnehmen zu wollen. Das Manifest war von Jacques Maritain verfasst worden, der 1926 die Action française verlassen hatte, wurde aber auch von Emmanuel Mounier und Georges Bidault unterzeichnet. Das war der Beleg, dass sich katholische Intellektuelle seit der Verurteilung der Action française durch den Papst (1926) nicht mehr vorbehaltlos dem konservativen Lager verpflichtet fühlten.56
Lepenies geht dann auch auf das Mittelmeer-Konzept von Valéry ein, der sich zwei Mal mit Mussolini traf und der die Diktatur angesichts der Krise der Demokratie „verstand“. Wenn bei ihm das räumliche Konzept des Mittelmeers im Vordergrund stand, dann stand das auch im Zusammenhang mit seiner Skepsis gegenüber dem Konzept der Geschichte, das Malraux als einen spezifischen Zug der Generation der zwanziger Jahre bezeichnete. „C’est bien contre l’intelligibilité apportée par l’Histoire à l’aventure de l’humanité, que s’insurgera Valéry, ami de Gide.“57
Ein letzter Abschnitt des Buches gilt dem Mittelmeer-Denken eines anderen großen Schriftstellers Frankreichs, Albert Camus (289–312). Hingewiesen wird auf die ersten Reportagen von Camus über das Elend der Kabylei, die von der französischen Kolonialverwaltung vernachlässigt werde. Das Mittelmeer habe aber Camus nicht zur Schwärmerei verleitet. Seine Ausführungen blieben von Nüchternheit gekennzeichnet. Meer und Sonne, Licht und Wärme betrachtete er als ein Privileg. Er folgte aber gar nicht der imperialen Mittelmeervorstellung von Psichari und Louis Bertrand. Man dürfe Mittelmeer und Latinität nicht gleichsetzen, der Ursprung der Mittelmeer-Zivilisation liege vielmehr in Athen, dessen Zivilisation eine permanente Größe bleibe: „Das Mittelmeer behauptet sich gegenüber den Doktrinen, es verändert sie, bleibt selbst aber unverändert.“ (300). Das Erbe Griechenlands ist für ihn geprägt „von einer Kultur des Maßes, die der Rationalität wie dem Glauben Platz ließ“ (305). Den mittelmeerischen Geist stellte er der deutschen Ideologie entgegen als Antagonismus zwischen Maß und Unmaß, Natur vs. Geschichte. In dieser Betrachtung der Geschichte als negative Größe, die er mit Valéry teilte, bestand auch eine gewisse Schwäche Camus’. Lepenies spricht darum nicht zu Unrecht, das Lob der ‚pensée de midi‘ sei bei Camus „von einer manichäischen Rigorosität“ (308) geprägt. Für Horst Hina ist Camus’ ‚griechisch’-mediteraner Seinsbegriff eine der philosophischen Reflexion im Grunde nicht zugängliche ‚mythische Größe‘.58
Lepenies betont aber auch, dass sich kaum jemand so sehr für die Annäherung Europas und Nordafrikas eingesetzt habe und mit seinem Algerien-Engagement Leib und Leben riskierte als Camus. Mit seiner Ablehnung der Folterpraxis der französischen Armee und den Terroranschlägen des FLN und seinem Eintreten für die bescheidene Schicht der Algerienfranzosen, aus der er stammt, hatte er sich „zwischen alle Stühle“ (291) gesetzt. In seinem letzten Roman Le Premier Homme beschwor er noch einmal diese Welt seiner Familie, „la mémoire des pauvres“; die Gewalttätigeit der Kolonisatoren und der Aufständischen werden indes über einen Mythos, den von Kain, verrechnet, und nicht mit der Geschichte.59
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Im Nachwort kommt Lepenies noch einmal auf Henri Massis zurück, vor allem auf sein 1949 veröffentlichtes Buch Allemagne d’hier et d’après-demain. Man kann erstaunt sein, dass diesem Autor auch für die Nachkriegszeit so viel Platz eingeräumt wird. Massis, der in Vichy eine wichtige Funktion einnahm und noch die letzte Rede von Pétain entwarf, blieb seinen Überzeugungen auch nach 1945 treu, repräsentierte eigentlich nur noch sich selbst oder eine kleine Gruppe von ‚Ewiggestrigen‘.
Man begrüßt indes, dass Lepenies im Nachwort die Perspektive erweitert auf die Zukunft der Beziehungen zwischen Europa und Afrika. Massive Exportsubventionen hätten es der europäischen Landwirtschaft erlaubt, den afrikanischen Markt auf Kosten der einheimischen Produzenten zu erobern. Nur zustimmen kann man seinem Schluss-Plädoyer für eine neue EU-Afrikapolitik, für die sich Frankreich und Deutschland zu Vorreitern machen sollten, der „ein fairer Interessenausgleich beider Kontinente zugrunde liegt und das Mittelmeer tatsächlich zu einem ‚Meer der gerechten Mitte‘ macht.“ (324).
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Wolf Lepenies hat mit seinem Buch Die Macht am Mittelmeer in sehr umfassender Weise einen Subtext der französischen Geschichte sichtbar gemacht, der letztlich nie so dominant war, dass er in eine Allianz der lateinischen Länder Südeuropas mündete, der aber als historisches Unbewusstes immer wieder auftaucht. Es handelt sich hier um ein äußerst komplexes Phänomen, einerseits um die räumlich bestimmte Mittelmeer-Idee, die von den geographischen Bedingungen her eine Gemeinsamkeit ableitet, die sich in analogen agri-kulturellen und kulturellen Praktiken in einem weiteren Sinn manifestiert60, und gleichzeitig geopolitische Strategien anregen kann, andererseits geht es um die Latinitätsidee, die mit dem Katholizismus in Verbindung gebracht wird, die nur eine Minderheit der Anrainerstaaten des Mittelmeers bestimmt (hat). Beide Phänomene manifestierten sich in verschiedenster Form als Stereotypen, als Zuschreibungen, als Konstrukte, aber auch als systematische Reflexionen und politische Strategien. Diese komplexe Gemengelage aufgezeigt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst des Buches von Wolf Lepenies.
Wolf Lepenies, Die drei Kulturen: Soziologie zwischen Literatur und Gesellschaft (München: Carl Hanser, 1985).↩
Wolf Lepenies, Sainte-Beuve: auf der Schwelle zur Moderne (München: Carl Hanser, 1997).↩
So etwa unlängst der Hinweis auf den Ökonomen Jacques Sapir, der eine Anti-Europa-Front in Frankreich vorschlug, die die radikale Linke und die äußerste Rechte umfassen sollte, Die Welt, 12. September 2015.↩
„Opfer des eigenen Erfolgs: Wolf Lepenies über die verblassende deutsch-französische Freundschaft“, Die Woche, 6. August 1999, 8.↩
Giorgio Agamben, „Que l’Empire latin contre-attaque!“, Libération, 24. März 2013.↩
„Giorgio Agamben im Gespräch: Die endlose Krise ist ein Machtinstrument“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Mai 2013.↩
Ebenda. Agamben, der von Hause aus Jurist ist kritisierte gleichzeitig die mangelnde legitime Fundierung der EU, die nicht auf einer Verfassung beruhe. Unlängst kritisierte er auch die Verlängerung des Ausnahmezustandes in Frankreich. Giorgio Agamben, „De l’Etat de droit à l’Etat de sécurité“, Le Monde, 23. Dezember 2015.↩
Auch Karlheinz Stierle kam in seinem Vortrag anlässlich des Romanistentages 2013 auf Agambens Intervention zurück. So problematisch dessen Thesen im einzelnen sein mögen, so führte er aus, „sie treffen sich mit einer romanistischen Grundüberzeugung von der tiefgreifenden Einheit der romanischen Welt. Dass auch das kulturelle Deutschland nicht ohne Zusammenhang mit dieser romanischen Welt gedacht werden kann und dass ihrer Vermittlung eine wesentliche politische Aufgabe liegt, gehört zu ihren Grundüberzeugungen.“ Karlheinz Stierle, „Romanistik als Passion“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. September 2013.↩
René Rémond, „Continuité, rupture ou nouveauté: la place de ces années dans l’histoire générale des relations entre la France et l’Allemagne“, Cahiers de l’Institut d’Histoire du temps présent 13–14 (Dezember 1989–Januar 1990): 305.↩
Pierrre Mailland, „La politique du Général de Gaulle à l’égard de l’Allemagne 1945–1965) – continuité et discontinuité“, in Joseph Jurt, Hrsg., Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation (Freiburg: Rombach, 1993), 56–7; siehe dazu auch Pierre Maillard, De Gaulle et l’Allemagne: le rêve inachevé (Paris: Plon, 1990).↩
Frank R. Pfetsch, „Die französische Verfassungspolitik in Deutschland nach 1945“, in Joseph Jurt, Hrsg., Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation (Freiburg: Rombach, 1993), 88–109.↩
Rainer Hudemann, „Die Besatzungsmächte und die Entstehung des Landes Baden-Württemberg“, in Baden-Württemberg und der Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland (1949–1989), hrsg. von Meinrad Schaab und Gregor Richter (Stuttgart: Kohlhammer, 1991), 7; zum Engagement der Intellektuellen für ein ‚neues Deutschland‘ siehe Martin Strickmann, ‚L’Allemagne nouvelle contre l’Allemagne éternelle‘: die französischen Intellektuellen und die deutsch-französische Verständigung 1944–1950 (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2004), 382–6.↩
Nach Markus Göldner soll indes die blaue Europa-Fahne mit dem Sternenkranz einer marianischen Symbolik entsprechen (Markus Göldner, Politische Symbole der europäischen Integration (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1988).↩
Siehe dazu Joseph Jurt, „Bernanos au Brésil et la France libre“, in Monique Gosselin-Noat, Hrsg., Bernanos et le Brésil (Lille: Roman 20–50, 2007), 11–28.↩
Siehe dazu Joseph Jurt, „Le Brésil: un Etat-nation à construire. Le rôle des symboles nationaux: de l’empire à la république”, Actes de la recherché en sciences sociales, Nr. 201–202, März 2014), 44–57. Zu den Beziehungen zwischen Frankreich und Brasilien äußert sich Lepenies 157–158 in seinem Buch.↩
Siehe dazu Adolf Kimmel, Hrsg., Eurokommunismus (Köln und Wien: Böhlau, 1989.↩
Man darf allerdings die Zeitschrift und auch BHL nicht überbewerten. La Règle du Jeu spielt in den intellektuellen Debatten nicht eine große Rolle; sie wird in Jacques Julliard und Michel Winock, Dictionnaire des intellectuels français (Paris: Seuil 1997) nicht einmal aufgeführt. Zu BHL siehe Jan Christoph Sutrup, Formenwandel der französischen Intellektuellen. Eine Analyse ihrer gesellschaftlichen Debatten von der Libération bis zur Gegenwart (Berlin: LIT Verlag, 2010), 372–82: „‚BHL‘ – neuer Malraux oder ‚Rambo-Rimbaud‘?“↩
Siehe dazu Gérard Noiriel, A quoi sert ‚l’identité nationale‘ (Marseille: Agone, 2007), 81–114.↩
Sehr aufschlussreich sind in diesem Kontext die im Buch vorgestellten, wenig bekannten Hinweise von Hannah Arendt auf das Projekt einer Mittelmeerföderation als einer Art Commonwealth als Rahmen für die Lösung der Palästinafrage (81–7).↩
Fernand Braudel, „Histoire et sciences sociales: la longue durée“, Annales 13 (1958): 725–53.↩
Gonthier-Louis Fink, „De Bouhours à Herder: la théorie française des climats et sa réception outre-Rhin“, Recherches germaniques 15 (1985): 3–62.↩
Zit. in Fink, „De Bouhours à Herder“, 20.↩
Dieser räumliche Determinismus wird zur Zeit der Französischen Revolution durch eine Argumentation abgelöst, die sich mehr an der Zeit-Achse orientiert und die die Valorisierung umkehrt; das Volk wird mit Gallien assoziiert und der Adel mit der fränkischen ‚Fremdherrschaft‘. Wenn die ‚barbarie féodale‘ beanspruchte, die Nation zu sein, so führte Abbé Sieyès aus, während der dritte Stand für nichts gelte, so erklärte er nun den dritten Stand als die überwiegende Mehrheit des Landes, als die Nation. Die ehemals privilegierten Stände sollten sich mit den ‚droits de simples citoyens‘ zufrieden geben oder sich in die fränkischen Wälder zurückziehen, aus denen ihre Vorfahren angeblich gekommen seien.↩
Gonthier-Louis Fink, „De Bouhours à Herder“, 29.↩
Pierre Bourdieu, „Le Nord et le Midi: contribution à une analyse de l’effet Montesquieu“, Actes de la recherche en sciences sociales 35 (November 1980): 21–5.↩
Bourdieu spricht vom „effet d’imposition symbolique tout à fait spécial que l’on produit en surimposant aux projections du fantasme social ou aux préconstructions du préjugé l’apparence de science qui s’obtient par le transfert des méthodes ou des opérations d’une science plus accomplie ou plus prestigieuse.“ Bourdieu, „Le Nord et le Midi“, 25.↩
Siehe dazu auch Joseph Jurt, „L’image de l’Espagne en France au siècle des Lumières“, in Gonthier-Louis Fink, Hrsg., Cosmopolitisme, Patriotisme et Xénophobie en Europe au Siècle des Lumières (Straßburg: Univ. des Sciences Humaines, 1987), 29–41.↩
Goethe war seit 1826 ein eifriger Leser der Zeitung Le Globe gewesen, nachdem die Zeitung selber mit ihm in Kontakt getreten war und ihm die Jahrgangsbände ab 1824 überreicht hatte. Im Kontakt mit der Zeitung entwickelte er das Konzept der ‚Weltlitertatur‘. Seit der Übernahme des Organs durch die Saint-Simonisten gab Goethe indes die Lektüre der Zeitung auf. Dazu Heinz Hamm, Goethe und die französische Zeitschrift ‚Le Globe‘: eine Lektüre im Zeitalter der Weltliteratur (Weimar: Böhlau, 1998).↩
Louis Napoléon Bonaparte, Canal of Nicaragua, or, a project to connect the Atlantic and Pacific Oceans by means of a canal (London, 1846).↩
Michel Chevalier, „L’Expédition du Mexique“, La Revue des deux mondes, 1. April 1862.↩
Die Intervention Napoleons in Mexiko wurde auch in der öffentlichen Meinung in Frankreich mit der panlateinischen Idee in Verbindung gebracht; so konnte man in der Grande Encyclopédie du xixe siècle, Bd. XXIII, 89, Folgendes lesen: „Napoléon III rêvait de fonder au Mexique un empire latin qui contrebalancerait l’influence des Etats-Unis et poursuivait ce projet d’accord avec le parti conservateur clérical“; siehe dazu auch Guy Martinière, „L’Expédition mexicaine de Napoléon III dans l’historiographie française”, Revue d’histoire moderne et contemporaine XXI (Januar–März 1974).↩
J.L. Phelan, „Pan-Latinism: French Intervention in Mexico (1861–1867) and the Genesis of the idea of Latin America“, in Juan Ortega y Medina, Hrsg., Conciencia y autenticidad históricas (Mexico: Univ. Nacional Autónoma de México, 1968), 279–98; dazu auch Joseph Jurt, „Entstehung und Entwicklung der Lateinamerika-Idee“, lendemains 27 (1982): 17–26.↩
Nach Lepenies gab es den Begriff ‚América latina‘ jedoch schon 1856 in einem Gedicht des Kolumbianers José Maria Torres Caicedo. Aber erst Michel Chevalier habe dem Terminus sein politisches Gewicht gegeben (119).↩
Der Universalismus-Anspruch setzt sich, wie das auch Bourdieu unterstrichen hat, am besten durch, wenn er nicht im politischen Gewand auftritt, wo er als Imperialismus wahrgenommen wird, sondern als Verkörperung einer Kultur, die sich als universell darstellt und auch so rezipiert wird. Pierre Bourdieu, „Deux impérialismes de l’universel“, in Christine Fauré und Tom Bishop, Hrsg., L’Amérique des Français (Paris: Editions François Bourin, 1992), 151.↩
Joseph Jurt, „Literatur und Identitätsfindung in Lateinamerika: J. E. Rodó: ‚Ariel‘“, Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte VII, Nr. 1/2 (1982): 68–95.↩
Helmut Berschin hat die Schlussakte des Hispano-Amerikanischen Kongresses von Madrid von 1900 analysiert und konnte dabei feststellen, dass für das Gesamt der hispanoamerikanischen Republiken folgende vier Begriffe verwendet wurden: América (30 %), Hispanoamerica (24 %), Iberoamérica (14 %) und Latinoamérica (32 %). Die vier Begriffe schienen so als synonym verstanden worden zu sein. Helmut Berschin, „Dos Problemas de denominación: Español o castellano? Hispanoamérica o Latinoamérica?“, in Matthias Perl, Hrsg., Estudios sobre el léxico del español en América (Leipzig und Halle: Verlag Enzyklopädie, 1982), 20.↩
Zu dieser Debatte siehe auch Joseph Jurt, Sprache, Literatur und nationale Identität. Die Debatten über das Universelle und das Partikuläre in Frankreich und Deutschland (Berlin und Boston, De Gruyter, 2014), 199–218.↩
Claude Digeon, La crise allemande de la pensée française (Paris: P.U.F. 1959), 365.↩
Christophe Charle, „Die französische Universität und das deutsche Modell nach 1870“, in Joseph Jurt und Rolf G. Renner, Wahrnehmungsformen und Diskursformen: Deutschland und Frankreich (Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, 2004), 13–44.↩
Siehe dazu die vorbildliche Arbeit von Ursula Bähler, Gaston Paris et la Philologie Romane (Genève: Droz, 2004).↩
Bähler, Gaston Paris et la Philologie Romane, 439–56.↩
Zit. in Bähler, Gaston Paris et la Philologie Romane, 441.↩
Siehe dazu Gilbert Ziebura, „Interne Faktoren des französischen Hochimperialismus 1871–1914“, in Gilbert Ziebura, Hrsg., Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich seit 1789 (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1975), 282–330.↩
Marius-Ary Leblond ist der Schriftstellername der beiden Brüder Marius und Ary Leblond.↩
In einer Fußnote spricht der Autor von der demographischen Konkurrenz Frankreichs mit Deutschland: „Sie ist bis heute wirksam geblieben. Die einzige Kennzahl, mit der Frankreich gegenwärtig Deutschland übertrifft, ist die in die Zukunft projizierte Bevölkerungszahl“ (163). Wenn man am Ton dieser Bemerkung mäkeln mag, so bleibt doch richtig, dass es sich hier schon um ein wichtiges Faktum handelt, das man vertiefen könnte, Frankreich unterschied sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts von den anderen europäischen Ländern durch eine ausgeprägte demographische Stagnation. Das Bevölkerungswachstum in Frankreich zwischen 1900 und 1939 betrug nur 3 % gegenüber 36 % in Deutschland. Die geringen Geburtenraten führten zu einer Überalterung der französischen Gesellschaft und man sprach von einem „Volk ohne Jugend“. Doch ab 1940 konnte man eine Trendwende feststellen. Im Unterschied zum Ersten Weltkrieg, als die Geburtenzahl gewaltig sank, stieg sie nun sehr stark an. Der demographische Aufschwung Frankreichs hält an und das Land weist auch heute die höchste Geburtenzahl der europäischen Länder auf (1,99 Kinder pro Frau im Jahre 2013).↩
Siehe dazu etwa Martin Steins: Das Bild des Schwarzen in der europäischen Kolonialliteratur (Frankfurt a.M.: Thesen Verlag, 1972), 29–31 und Charles-Robert Ageron, L’anticolonialisme en France de 1871 à 1914 (Paris: P.U.F., 1973), 63–4.↩
Ernest Psichari, Terres de soleil et de sommeil (Paris: Conard, 1908), 225.↩
So etwa in Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg (Paderborn u.a.: Schöningh, 2004).↩
Aufgrund dieses restaurativen Charakters kann man die Action française auch nicht, wie das Ernst Nolte versuchte, als französische Variante des Faschismus einstufen (Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche: Action française – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus (München: Piper, 1963), 59–190). Maurras wollte nicht die Staatsallmacht, den ‚Etatismus‘, sondern eine dezentralisierte Monarchie, die ständische Freiheiten schützen sollte. Siehe dazu auch Adolf Kimmel: „Die Action française ist in ihrer Ideologie und ihrer sozialen Zusammensetzung ein Kind des 19. Jahrhunderts, des bürgerlichen Zeitalters. Sie will die Monarchie Heinrichs IV. restaurieren; sie ist, nach Ernst Troeltsch’ paradoxem, doch treffendem Ausdruck eine ‚rückwärtsgewandte Utopie‘. Der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus sind Erscheinungen des 20. Jahrhunderts, des technischen Massenzeitalters, in dem sich Maurras und seine Jünger nicht zurechtfanden.“ Adolf Kimmel, Der Aufstieg des Nationalsozialismus im Spiegel der französischen Presse 1930–1933 (Bonn: Bouvier, 1969), 167.↩
So schrieb er im November 1921 an Carl Schmitt, er fühle sich in Marburg im Exil („in ‚Ponto’“): „Nur südlich des Limes kann man eben leben“ (Zitiert in Rolf Nagel, „Briefe von Ernst Robert Curtius an Carl Schmitt (1921–1922)“, Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 133 (1981): 1–15, hier 2; zu dieser Kulturraumorientierung bei Curtius siehe auch Harald Weinrich, „La boussole européenne d’Ernst Robert Curtius“, in Jeanne Bem und André Guyaux, Hrsg., Ernst Robert Curtius et l’idée de l’Europe (Paris: Champion, 1995), 307–27.↩
Brief an Carl Schmitt vom 25. November 1921; zit. bei Nagel, „Briefe von Ernst Robert Curtius“, 5.↩
Brief vom 6. Dezember 1921, in Nagel, „Briefe von Ernst Robert Curtius“, 7.↩
Léon Daudet, Le drame franco-allemand (Paris: 1940), 142–3.↩
L’Action française, 30. März 1930, zitiert bei Eugen Weber, L’Action française (Paris: Stock, 1962), 314.↩
Siehe Weber, L’Action française, 527.↩
Dazu Joseph Jurt, Frankreichs engagierte Intellektuelle: von Zola bis Bourdieu (Göttingen: Wallstein, 2012), 112–4.↩
André Malraux, „Préface“, in Les Cahiers de la Petite Dame, Bd. I: 1918–1929 (Paris: Gallimard, 1973), XXV. Die Präsenz der Geschichte erscheint Malraux als kennzeichnender Zug seiner Generation: „Ce qui nous distinguait de nos maîtres, à vingt ans, c’était la présence de l’histoire. Pour eux, il ne s’était rien passé. Nous, nous naissions au cœur de l’histoire qui a traversé notre champ comme un char…“, in Jean Lacouture, André Malraux: une vie dans le siècle (Paris: Seuil, 1973), 15.↩
Horst Hina, Nietzsche und Marx bei Malraux (Tübingen: Niemeyer, 1970), 200. Noch weiter ging Walter Heist: „Nicht die Hingabe an die Natur ist darin bemerkenswert und gefährlich, sondern die Art, wie sie zur Grundlage auch philosophischer und politischer Entscheidungen gemacht wird. Man fühlt sich als deutscher Leser an Äußerungen aus der großen Zeit der Jugendbewegung erinnert, wenn man nicht gar das verhängnisvolle Wort von Blut und Boden gebrauchen will […].“ Walter Heist, Genet und andere (Hamburg: Claassen, 1965), 115.↩
Siehe dazu auch Joseph Jurt, „Albert Camus et l’Algérie“, in Joseph Jurt, Hrsg., Algérie – France – Islam (Paris: L’Harmattan, 1997), 97–109.↩
Diese Dimension kommt in dem im Juni 2013 in Marseille eröffneten Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM) zum Ausdruck, bei dem erstmals im Rahmen der Dezentralisierung ein Pariser Museum (das Musée national des Arts et des Traditions populaires) in die ‚Provinz‘ verlagert wurde: „Premier musée du monde à être consacré aux cultures de la Méditerranée, il est unique en son genre: il a pour objectif, à travers ses collections et une riche programmation d’expositions, de rencontres,de colloques, de conférences, de spectacles, de films …, d’interroger notre époque au prisme de la Méditerranée. Lieu de dialogues entre les rives nord et sud, lieu d’expression et de création, le MuCEM croise les regards et les points de vue, les cultures populaires et les cultures savantes, pour montrer comment la Méditerranée participe d’une histoire du monde et comment elle s’en distingue.“ Françoise Bonnefoy, MuCEM: L’esprit du lieu (Marseille: MuCEM, 2013), 9.↩
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