Die Gedichte Alfons Tuors: einige Einblicke
Renzo Caduff
Einleitung
Alfons Tuor (1871–1904) ist neben Giacun Hasper Muoth wohl der bekannteste Lyriker und Satiriker der Surselva. Seine Gedichte Allas steilas (An die Sterne) und Il semnader (Der Sämann) gehören zu den meistzitierten bündnerromanischen Texten überhaupt. Einige seiner Gedichte wurden zudem vielfach vertont und gehören bis heute zum Kanon der bündnerromanischen populären Gesangskultur. So ist das Gedicht Allas steilas vor allem als Vertonung mit der Melodie des Komponisten Tumasch Dolf bekannt geworden. In Allas steilas sucht ein lyrisches Ich nach dem Sinn des kurzen Erdenlebens und fragt auf eindringliche Art danach, weshalb man auf Erden so sehr leiden müsse. Alfons Tuor hat Zeit seines Lebens selbst unter körperlichen Schmerzen gelitten. Neben dem Attribut des Leidens wurden Tuor weitere Attribute zugeschrieben so jenes eines Heimwehsängers oder eines „Cantadur de Nossadunna“, eines Muttergottesverehrers1. Dies, da Alfons Tuor in den beiden Gedichtbänden Magnificat (1897 und 1900) Lieder zu Ruhm und Ehren der Muttergottes publizierte.
Der folgende Beitrag möchte der Biografie des Autors folgend einige Aspekte des lyrischen Schaffens dieses zumindest für das Surselvische bedeutenden Lyrikers vorstellen. Ausgangspunkt ist die 2015 erschienene textkritische und kommentierte Neuausgabe seines lyrischen Gesamtwerks2.
Übersetzungen, nicht zuletzt auch im Sinne des Spracherhalts
Bereits während seiner Zeit an der Bündner Kantonsschule in Chur begann Alfons Tuor – durch seine dichtenden Lehrer Gion Antoni Bühler (1825–1897) und Giacun Hasper Muoth (1844–1906) ermuntert –, patriotische Volks- und Studentenlieder aus dem Deutschen ins Romanische zu übersetzen. Seine Übersetzungen veröffentlichte Tuor 1891 in seinen ersten beiden Gedichtbändchen Poësias romonschas 1 und 2. Mit seinen Liedübersetzungen bezweckte Tuor in erster Linie, den zur damaligen Zeit zahlreich aufkommenden romanischen Chören Lieder mit einem romanischen Text zur Verfügung zu stellen. So äußerte er sich im Avis zu den Poësias romonschas 1 folgendermaßen: „Dau caschun tier quell’ovretta ha la munconza d’adatadas canzuns per il pievel romonsch“, „zu diesem kleinen Werk Anlass gegeben hat das Fehlen geeigneter Lieder für das romanische Volk“3. Modelle waren u.a. die weitverbreiteten Sammlungen von Volksgesängen von Ignaz Heim und Gustav Weber. So finden sich in den ersten beiden Gedichtbänden neben Übersetzungen von Studentenliedern und politisch-patriotischen Liedern wie Die Wacht am Rhein = La guardia dil Rhein („Es braust ein Ruf wie Donnerhall“) auch romanische Übertragungen von bekannten Liedern wie Goethes Sah ein Knab’ ein Röslein stehn (La ros’ alpina), Eichendorffs In einem kühlen Grunde (Lamentischun), Hoffmann von Fallerslebens Abendlied (Pasch vespertina) oder Gaudenz von Salis-Seewis Das Grab (La fossa).
P. Maurus Carnot (1865–1935), ein mit Alfons Tuor befreundeter Dichter, legt diesem in einem mit ihm imaginierten Dialog folgende Worte in den Mund: „ich wollte in Uebersetzungen zeigen, dass man in unsere liebe Sprache alles, alles übersetzen kann“4. Dass es Tuor in manchen Fällen um mehr als eine wörtliche Übersetzung ging, verdeutlicht das Studentenlied Die Lindenwirtin. Der Vergleich der ersten und letzten Strophe dieses sechsstrophigen Gedichts zeigt, wie Alfons Tuor bei seiner Übertragung das Gedicht inhaltlich dem bündnerromanisch-patriotischen Kontext anpasst.
Die Lindenwirtin
Keinen Tropfen im Becher mehr
Und der Beutel schlaff und leer,
Lechzend Herz und Zunge,
Angetan hat’s mir dein Wein,
Deiner Äuglein heller Schein
Lindenwirtin, du junge![…]
Der dies neue Lied erdacht,
Sang’s in einer Sommernacht
Lustig in die Winde.
Vor ihm stand ein volles Glas,
Neben ihm Frau Wirtin saß
Unter der blühenden Linde.5
L’ustiera digl ischi
Il pocal ei gia tut vids,
Il sac de danèrs tut trits:
Seit ha cor e lieunga.
Quei tut mo per tiu bien vin,
Per tiu bi êglett carin,
Bial’ ustiera, meunca! (V. 1–6)[…]
Quel che la canzun ha fatg,
Giu ha ’l Trun en siu pertratg
E la giuvna plonta.
Quella tegn el ault e car,
Quella vul el carezar
Cun olm’ inflammonta! (V. 31–6)6
Bereits im Titel wird aus der „Lindenwirtin“ eine „Ahornwirtin“. Der Ahorn wird im romanischen Metadiskurs neben der Arve gerne als Sinnbild für die romanische Sprache gebraucht7. Gemeint ist hier der geschichtsträchtige Ahorn in Trun, unter dem im Jahr 1424 der Graue Bund geschlossen wurde. 1870 einem Sturm zum Opfer gefallen, wurde er durch einen jüngeren Ahorn ersetzt. Die Liebe für diesen in der letzten Strophe vom Dichter explizit angesprochenen jungen Ahorn kann an dieser Stelle sinnbildlich für die in dieser Zeit erstarkende rätoromanische Spracherhaltungsbewegung verstanden werden, zu der Tuor mit seinem sprachlichen Wirken verschiedenes beigetragen hat. Aus der profanen Liebe zur schönen Lindenwirtin wird in Tuors Übertragung also die Liebe zur romanischen Sprache.
Insbesondere als Mitbegründer des romanischen Chors der Bündner Kantonsschule setzte Tuor sich bereits als junger Gymnasiast dafür ein, dass auf Romanisch gesungen wurde. Der damalige sprachkämpferische Geist kommt besonders in den Sprachgedichten Tuors zum Ausdruck. So in den Gedichten Il cant raeto-romonsch (Der rätoromanische Gesang), Als romonschs (Den Romanen) oder in O vus Sursilvans! (Oh, ihr Bündner Oberländer!), eines der wenigen originalen Gedichte der ersten Schaffensperiode Tuors:
Tgei s’intressesch’ il Sursilvan
De siu lungatg matern?
Schvanir dil mund sto tut mundan,
Nuot ei gie sempitern!
Dei ins ver interess
De quella bagatella!
Perir – ei gl’ei in stess –
Sa dil romonsch favella!!8
Nach der Frage, was sich der Bündner Oberländer überhaupt für seine Muttersprache interessiere, zählt Alfons Tuor mögliche Gründe für das Desinteresse seiner Landsleute9 auf und kommt zur ironischen Schlussfolgerung, dass es einerlei sei, ob die „Sprache des Rätoromanen“ zu Grunde gehe. Anschaulich wird die dem Gedicht innewohnende Ironie dabei besonders im Reim „bagatella : favella“, bzw. in der Bezeichnung der romanischen Sprache („favella“) als Bagatelle.
Sozialkritik und Satire
Nach einer ersten Schaffensphase, in der Alfons Tuor hauptsächlich Liedtexte aus dem Deutschen ins Romanische übertragen hat, folgen Studienjahre in Zürich, Paris und England (1891–1893). Die während dieser Zeit gemachten Erfahrungen finden später ihren Niederschlag in Gedichten mit gesellschaftskritischen Themen wie Danès (Geld), Il pauper (Der Arme) oder London, wo es u.a. heißt:
Sils tetgs tes mellis de tgamins
Brav spidan fém giu sils vischins;
Sin veia s’ei in bugliadétsch,
Schi prigulus, aschi camétsch –
O tgei hardumbel da carstgeuns,
Da cars ed omnibus e tgeuns! (V. 7–12)10
Ein unermesslich Schornsteinheer
Speit Rauch in deine Lüfte schwer;
Ob dem Getümmel, dem Gewühl,
Dem Wagenrasseln wird mir schwül;
Der Menschen Zahl, der Hunde Schar,
Die Rosse dräu’n mir mit Gefahr.11
In einer vier Jahre früher erschienenen Fassung hatte das Gedicht noch eine zusätzliche Strophe, in der die Anklage der sozialen Missstände in London, noch expliziter war:
La veta gaudan cheu ils lords
Ch’han bia rihezi’ e bunas sorts;
Che san manar entuorn sco scavs
Bia mellis e milliuns de sclavs –
O teidla, London, monster grond,
Jeu viel dir a ti mo tont: (V. 13–8)12
Ob einer solchen Wahrnehmung der Großstadt erstaunt es schließlich nicht, dass sich der „Älpler“ – in der Übersetzung Anna Theobalds (1863–1915) – nach „Des Rheingau’s blauer Himmelsstrahl, | Der Häuschen Holz im Heimatthal“13 zurücksehnt.
Neben der Anklage sozialer Missstände nimmt Tuor auch die menschlichen Schwächen seiner Mitmenschen ins Visier, so etwa in Il ranverun (Der Geizhals), Ils fauls amitg (Der falsche Freund) oder Las paterlieras (Die Klatschweiber). Insbesondere letzteres Gedicht zeichnet sich zudem durch satirische Momente aus, die aus literarischer Sicht durchaus ihre Attraktivität haben:
Tgei strias tschatschras, strias fieras,
Fan en in vitg las paterlieras,
Cu duas ne treis ensemen statan
E dals vischins la bucca datan!Co ei san ord muschins far vaccas
E dir sin quels e tschels pulaccas!
Co ei lur nauschas lieungas giézan
E sin tuts meuns lur tissi sprézan!Perfin il farrer sin parvenda
Sto ver enquala greva menda,
E pauc ne bia a tuts ei meunca,
A tuts vischins en la vischneunca!14
Nicht einmal der „farrer“, wie der Ortsgeistliche damals noch genannt wurde15, bleibt verschont, da auch er nach Ansicht der Klatschweiber „einige große Mängel haben muss“. In der deutschen Übertragung von Anna Theobald heißt es:
Verwünschtes Wort aus losem Munde
In uns’rem Dorfe macht die Runde;
Mit Wortgeschwirr die Mäuler gehen,
Wo zwei bis drei der Weiber stehen.Manch schlechter Witz hier sinnt auf Tücke,
Ein Elephant wird aus der Mücke;
O seht, wie sich die Zungen spitzen
Und eitel Otterngift verspritzen.Der Pfarrer selbst, vielleicht ein Hehler,
Hat sicherlich ganz schlimme Fehler
Und all die andern der Gemeine
Nicht retten sich mit gutem Scheine.16
Besonders spürbar ist die angesprochene gesellschaftskritische Seite Alfons Tuors im Gedichtband Poesias romonschas 3 (1894).
Nach seiner Rückkehr aus England unterrichtet Alfons Tuor ein Jahr lang (1894–1895) an einer Privatschule in Stäfa (Kanton Zürich), muss dann jedoch krankheitsbedingt aufhören. Im Sommer 1895 wird er mehrmals an der Hüfte operiert und leidet seitdem bis zu seinem frühen Tod 1904 an chronischen Hüftschmerzen. Die Jahre nach den chirurgischen Eingriffen sind gekennzeichnet durch eine lange Genesung, eine erfolglose Stellensuche, die Wiederaufnahme des Literaturstudiums in Fribourg und nicht zuletzt durch einen unermüdlichen Einsatz für den Erhalt und die Förderung seiner Muttersprache.17 Davon zeugen seine vielen Veröffentlichungen, die neben dem lyrischen Werk mehrere sozialkritische Dramen und Komödien sowie wissenschaftliche Arbeiten unter anderem zum Wortschatz des Lugnez (Il romontsch della Lumenzia, 1903) umfassen.
Ausbau des Formenreichtums
Insbesondere für die letzten beiden lyrischen Veröffentlichungen Tuors – Poesias sursilvanas (1898) und Fluras alpinas (1901) – lässt sich ein großer Formenreichtum feststellen. Folgende einleitende Bemerkung zu den Fluras alpinas lässt zudem vermuten, dass Tuor eine formale Vielseitigkeit bei seinen Gedichten anstrebte: „Las poesias suondontas ein u en fuorma ne metrum tuttas differentas ina da l’autra. Pliras fuormas ein cheu applicadas per l’emprema gada el lungatg sursilvan“18. Aus diesem Zitat spricht einerseits wohl ein gewisser Stolz, der erste zu sein, der diese Formen im Romanischen verwendet hat, andererseits mag es auch Tuors Anspruch gewesen sein, die bündnerromanische Klein- bzw. Regionalliteratur an den großen Literaturen partizipieren zu lassen, indem er den in anderen Literaturen vorhandenen formalen Reichtum an Gedicht-, Strophenformen und Versmaßen (z.B. den Alexandriner) für seine Surselvischen Gedichte nutzte. Wie sehr sich Tuor für Gedicht- und Strophenformen interessierte, zeigt auch die Tatsache, dass er als einer der ersten bündnerromanischen Dichter autoreferenzielle Gedichte verfasste (Sonnet sil sonnet; Rondeau sil rondeau) und im Surselvischen kaum oder gar unbekannte Gedichtformen verwendete wie das Triolett, die Sonderform des Shakespeare-Sonetts19 oder das Rondeau.
Rondeau sil rondeau
En nies romonsch schi maltractau
Ha mai eunc in rondô tunau,
Quei veramein uss mei vilenta!
Otg vers sin „au“ e tschun sin „enta“
Drov’ ei per far in tut en grau.
Tschun massen buca mal a prau;
Uss pli che miez ei schon gartiau,
Sch’ins vid gl’otgavel vers mo renta:
En nies romonsch!Schi gleiti sco jeu hai anflau
Tschun auters vers che van culau,
Sco quei presentamein daventa –
Sche hai jeu mo cun pintga stenta
In ver rondô cheu fabriccau,
En nies romonsch!20
Alfons Tuor erfüllt hier auf spielerische Art und Weise die formalen Vorgaben dieser lyrischen Kurzform21, indem er Aufbau und Gliederung metasprachlich kommentiert und gleichzeitig das erste und bis heute wohl einzige bündnerromanische Rondeau verfasst.
Sagenstoffe in Gedichtform
Ein weiterer Aspekt, der Tuors Lyrik auszeichnet, ist die Umwandlung von volkstümlichen Sagenstoffen in Gedichtform. Bekannt wurden – neben Il schnec de Medel (Die Medelser Schnecke) und La talpa sentenziada (Der verurteilte Maulwurf) – insbesondere die beiden Balladen Il tiran de Cartatscha (Der Schlossherr zu Cartatscha) und La méta de fein (Das Heuweib). Dank Anna Theobald liegen für beide Balladen „musterhafte Uebertragungen“22 ins Deutsche vor, wie einige Strophen aus Il tiran de Cartatscha bezeugen sollen:
Cartatscha sin il tgiembel, gl’uccleun sisu gl’ischi,
Eunc muoss’ alla vallada miraglia d’in casti;
Miraglia ferm’ e grossa, cun sfoss da mintga vart,
Mai inimitg pudeva intrar en quei rampart.Von tschentanès viveva cheu in tiran pussent,
Garmadi, nausch, crudeivel, a tuts in ver sterment,
Entoch’ in pur de vaglia, in pur de gnierv grischun
De viver ha sur ura mussau a quei paltrun.La neiv ei gia stulida. Oz ar’ il pur siu êr.
Il criec gienetschas tillan, in ferm e svelti pêr.
Il bab las crutschas regia, il mat empeil’ ils bos,
E dunn’ e féglia cuntschan, tagliont ragischs e cos.
Cartatscha auf dem Hügel ob unserm Ahorn stand,
Sein wunderbar Gemäuer gebrochen ragt ins Land;
Ins Felsenerdreich senkten zwei Gräben tief sich ein –
Kein Feindesfuß vermochte zu schleichen sich hinein.Vor mehr als hundert Jahren ein Zwingherr lebte hier;
Der war gar frech und grausam und von verwegner Gier,
Bis einst ein wackrer Bauer, ein Mann von Bündnermark,
Den feigen Wicht geschlagen mit Armen heldenstark.Der Schnee war kaum zerronnen; der Bauer pflügte da
Mit schnellen, starken Tieren; der Bub zum Joche sah,
Der Vater zu der Gabel, und war das Erdreich wund,
Da ebneten die Mutter und Tochter noch den Grund.
Das damals beliebte Motiv des gierigen Landvogts, der seine Untergebenen skrupellos ausnützt und bedrängt, war auch in anderen Gegenden der Schweiz verbreitet23. Als dieser dem pflügenden Bauern befiehlt, das Rinderpaar auszuspannen und zur Burg hinaufzuführen, wird er vom listigen Bauern geköpft. In der expressiven Übersetzung Theobalds hört sich dies folgendermaßen an:
Der Bauer hatt’ inzwischen die Pflugschar losgemacht
Und schwang das schwere Eisen, geschärft mit Vorbedacht:
Er trennt das Haupt vom Rumpfe mit einem mächtigen Schlag,
Dass blutig auf der Scholle das Haupt des Räubers lag.Gleich der gefällten Tanne zu Boden stürzt’ der Wicht;
Kein Wort hat er gesprochen, doch vor dem Angesicht
Der Mutter und der Tochter fast war es schwarz vor Grau’n,
So grässlich war da unten das Totenhaupt zu schaun.24
Das von Tuor gewählte Versmaß – ein jambisch-zäsurierter Sechsheber bestehend aus zwei dreihebigen Halbversen, dessen erster mit einer klingenden Kadenz endet – wird ebenfalls in bekannten deutschen Balladen verwendet, so u. a. in Chamissos Die versunkene Burg: „Es ragt, umkrönt von Türmen, empor aus dunklem Forst | Ein steiler luft’ger Felsen, das ist der Raubherrn Horst“25. Dasselbe Versmaß findet ferner in einer Ballade Giacun Hasper Muoths Verwendung. Hatte Tuor mit dem Gebrauch der oben erwähnten Kurzformen eines Rondeaus oder Trioletts im Bündnerromanischen Neuland betreten, so war es Muoth, der die Form der historischen Ballade im Surselvischen etabliert hatte. So sind die Balladen Las valerusas femnas de Lungneza (Die tapferen Lugnetzerinnen) und La dertgira nauscha de Vallendau (Das Strafgericht von Valendas) in den damaligen Schulbüchern erschienen. Dass von den circa zehn Balladen Muoths nur Il tirann Victor das gleiche Versmaß wie Tuors Il tiran de Cartatscha aufweist, scheint dabei mehr als zufällig zu sein.
Sil crest de Caverdiras ei stau in vegl casti;
Negin che seregorda, gnianc d’ina muschna pli.
La crappa hag’ il pievel duvrau de baghiar
Al niebel sogn Antoni in petschen sanctuar.26
An dieser Stelle drängt sich der Verdacht auf, Alfons Tuor habe seinen Lehrer, Mentor und Vorbild herausfordern und den Beweis erbringen wollen, dass auch er fähig sei, eine ähnliche Ballade zu verfassen. Ein Kommentar aus dem Nachlass zeigt zudem, dass Tuor Muoths Ballade des Tirann Victor gut kannte. Bei der Herausgabe eines religiösen Lieds wird er vom Lektor schriftlich darauf hingewiesen, dass er statt „sanctuar“ (geweihte Stätte) „sanctuari“ zu schreiben habe. Tuor seinerseits entgegnet darauf, dass Muoth die verkürzte Form in seiner Ballade Il tirann Victor (V. 4) verwende27. Das Beispiel der Ballade Il tiran de Cartatscha verdeutlicht also, wie Tuor volkstümliche Sagenstoffe in Gedichtform umwandelt und sich dabei gleichzeitig auch an literarischen Vorbildern misst.
Der Nachklang des Gedichts Il semnader
Bis heute am bekanntesten sind Alfons Tuors Gedichte Allas steilas (An die Sterne) und Il semnader (Der Sämann). Immer wieder wurde z.B. auf die Vollkommenheit des Gedichts Il semnader hingewiesen, dabei wurde mit dem Lob oft nicht gegeizt. So bezeichnet der Engadiner Gian Mohr, damaliger Chefredaktor des Freien Rätiers, Tuors Il semnader als „das grösste Meisterwerk, das die romanische Sprache in allen Jahrhunderten ihres Bestehens hervorgebracht“28 habe: „Wir haben vergeblich in allen Gedichten Muoths geblättert und ein Pendant zum Semnader von Alphons Tuor gesucht. In diesem Gedicht Tuors offenbart sich der wahre Dichter und große Künstler; welche Kraft der Sprache, welche Anschaulichkeit des eines Millet oder Segantini würdigen Bildes, welche Musik der Verse, welch’ edle Form!“29. Auch P. Maurus Carnot, von dem die bis heute einzige deutsche Übersetzung von Tuors Il semnader stammt, bezeichnet das Gedicht als eines „seiner schönsten, formvollendeten Lieder“30. Die Verse des Sämanns, der gedankenversunken über die Ackerfurchen schreitet, hallen denn auch bei bündnerromanischen Autorinnen und Autoren bis in jüngster Zeit nach, so z.B. bei Tresa Rüthers-Seeli (2009) oder bei Lothar Deplazes (2013)31.
Il semnader
Pertgei, mi declara, fa gl’um che leu semna
Cun levzas palidas, tremblontas, ses pass?
Pertgei quella fatscha seriusa, solemna,
Sco sch’el sur misteris trasô patertgass?Ti vesas co ’l semna, ti vesas co ’l passa
Suls zuolcs videneu cun penibel quitau;
Ti vesas co ’l aulza, ti vesas co ’l sbassa
Encunter il tschiel e la tiara siu tgau.Vid neivs e saleps e purgin’ e garniala
El forsa pertratga cun tem’ e sgarschur:
Tenent enta meun la tremblonta capiala
El ditg recommonda siu êr al Signur.El sez ha luvrau el cun melli fadigias,
Mo gaud’ el er’ sez la lavur de siu meun?
Fors’ auters che medan e rimnan las spigias,
Che scudan e vonan e drovan il greun!Duront la raccolta negin pli ch’empiara
Suenter ils pass e las stentas digl um –
El forsa schon dorma, ruaussa sut tiara,
Che maglia siu tgierp e stizenta siu num.Pertgei, mi declara, fa gl’um che leu semna
Cun levzas palidas, tremblontas, ses pass?
Pertgei quella fatscha seriusa, solemna,
Sco sch’el sur mistéris trasô patertgass?32
Der Sämann
O sieh dort den Sämann, die Schritte lenkend!
Es beben die Lippen, die Lippen so bleich;
O sage, warum ist das Antlitz nachdenkend,
So feierlich und so geheimnisreich?Du siehst, wie er säet, du siehst ihn schreiten
So sorgenvoll auf den Furchen daher,
Du siehst sein Auge zum Himmel auf gleiten
Und wieder zur Erde so sorgenschwer.Vor Schneefall, Gewürm und Hagelgewittern
Und Reif ist dem Sämann angst und bang;
Den Hut in den Händen, die Hände ihm zittern,
Er fleht für den Acker imbrünstig und lang.Er selbst hat geackert mit tausend Beschwerden;
Doch wird ihm die Mühe zum segnenden Born?
Ob and’re die Ähren einsammeln werden,
Und dreschen und schwingen und brauchen das Korn?Des Sämanns Schritte und seine Beschwerden,
Wer denkt an sie, wenn’s zur Ernte geht?
Er schlummert vielleicht schon unter der Erden,
Sein Körper zerfällt und sein Name verweht.O sieh dort den Sämann, die Schritte lenkend!
Es beben die Lippen, die Lippen so bleich;
O sage, warum ist das Antlitz nachdenkend,
So feierlich und so geheimnisreich? –33
Der dem Gedicht zugrunde liegende Kerngedanke dürfte das bekannte biblische Sprichwort aus dem Johannesevangelium „Einer sät, und ein anderer erntet.“ (Joh 4, 37) sein. Einer der Gründe für das rasche Bekanntwerden des Semnader liegt wohl in der Verknüpfung des Memento mori-Motivs mit der Thematik des Säens. Alfons Tuor selbst war als Sohn einer Bauernfamilie mit der Arbeit des Säens vertraut, wie aus einem Brief vom 29. April 1896 an seinen Bruder Alois Tuor hervorgeht:
La pumera flurescha buc eung, schegie ch’ei gl’ei gleiti matg. Nus vein entschiet ad arar jer e munglassen saver ir bauld a misès, pertgei il fein va alla fin.
Die Obstbäume blühen noch nicht, obschon es bald Mai ist. Wir haben gestern zu pflügen begonnen und müssten früh aufs Maiensäss gehen, denn das Heu geht zu Ende34.
Dank der genauen Kenntnis der bäuerlichen Arbeit gelingt Alfons Tuor eine sehr plastische Schilderung, die er zudem in die passende Versform zu bringen vermag, siehe z.B. die Verse „Fors’ auters che medan e rimnan las spigias, | Che scudan e vonan e drovan il greun!“ (15–6). Gedrängt werden hier die einzelnen Arbeitsschritte bei der Kornernte polysyndetisch aneinander gefügt: das Korn schneiden und sammeln, dreschen, schwingen und verbrauchen.
Auch die auf verschiedenen Ebenen deutliche rhetorische Artikulation dürfte ausschlaggebend gewesen sein für die Eingängigkeit und der damit verbundenen raschen Beliebtheit von Tuors sechsstrophigem Gedicht. Auf Strophenebene ist die Wiederaufnahme der Anfangsstrophe am Schluss des Gedichts auffällig, die durch ihren zirkulären Verweis auch inhaltlich auf den im Gedicht angesprochenen Kreislauf des Werdens und Vergehens verweist. Tuor schafft es, die im Gedicht angesprochenen Ebenen des Irdischen (bäuerliche Arbeit) und der höheren Macht Gottes formal mit Hilfe zahlreicher wiederholender Verfahren im Gleichgewicht darzustellen. In der ersten Strophe wird das Abschreiten der Ackerfurchen des in Gedanken versunkenen Sämanns mithilfe zweier anaphorischer Fragesätze („Pertgei“) unterstrichen. In der zweiten Strophe werden die irdische und religiöse Ebene ferner durch anaphorische und parallelistische Wiederholung ineinander verschränkt:
Ti vesas co ’l semna, ti vesas co ’l passa
Suls zuolcs videneu cun penibel quitau;
Ti vesas co ’l aulza, ti vesas co ’l sbassa
Encunter il tschiel e la tiara siu tgau. (V. 5–8)
Neben der Anwendung dieses rhetorischen Verfahrens wird hier die ausgewogene Darstellung durch den vollen Kreuzreim (abab) und durch das jambisch-anapästische (oder sind es etwa vier Amphibrachys?) Versmaß35, welches eine rhythmische Zweiteilung des Verses ermöglicht (v-vv-v v-vv-v), noch zusätzlich unterstützt.
Dass eine solche Ausgewogenheit nicht von Anfang an vorlag, verdeutlicht der Vergleich mit der einzigen Handschrift.
Igl um che leu semna, sur zuolc e zuolc passa
E mira cun tema beinduras ad ault
Encunter il tschiel ed il tgau el lu sbassa
E vî mira bauld ed enneu mira bauld. (Ms. V. 5–8)36
Im Vergleich zum Manuskript lassen sich deutliche stilistische wie auch inhaltliche Verbesserungen feststellen. So verschwindet die wenig elegante Wiederholung des „bald Hin- und bald Herschauens“ (Ms., V. 8), dadurch tritt die vertikale, Erde und Himmel verbindende Kopfbewegung (V. 7–8) noch deutlicher hervor. Auch erscheint in der letzten Fassung das in diesem Zusammenhang wichtige Wort „tgau“ (Kopf) in Reimposition. Und schließlich ist die letzte Fassung weniger explizit bezüglich der ausgesprochenen Furcht des Sämanns („E mira cun tema“, Ms., V. 6), diese wird nunmehr nur mittelbar durch den Parallelismus „Ti vesas co ’l aulza, ti vesas co ’l sbassa“ usw. ausgedrückt.
Wie so häufig bei bekannten Gedichten diente auch Tuors Il semnader als Vorlage für diverse Imitationen und Variationen37. Nachklänge finden sich an zahlreichen Stellen in der bündnerromanischen Literatur, so z.B. in der Wiederholung charakteristischer Verbindungen wie „mi declara“38 oder „seriusas, solemnas“. Auf erstere spielt Lothar Deplazes in seinem Gedicht Striegn dil resun | Zauberklang an, das im Untertitel als ‚Hommage für Alfons Tuor‘ bezeichnet wird: „Mo pertgei, mi declara, | era tia tristezia schi biala? | Secumblidavas enqual’uriala | el striegn dil resun?“, „Doch warum, sag’s mir, | war deine Traurigkeit so schön? | Warst du zuweilen süchtig | nach dem Zauberklang?“39.
Eine wirkungsvolle Parodie des Semnader von Alfons Tuor stammt von Leo Tuor, der in seinem „Hirtenroman“ Giacumbert Nau (1988) einige Verse zitiert, verändert und anders kontextualisiert. Anstatt vom säenden Bauern ist nun vom Hirten Giacumbert Nau die Rede, der auf der Greina Hochebene seine Schafe hütet.
Tgei has grad studiau, Giacumbert?
Vid neivs e turists e purgin’ e garniala
El forsa patratga cun tem’ e sgarschur,
Tenend enta maun la tremblonta capiala
El ditg recamonda ses tiers al signur.Was studierst du, Giacumbert?
An Schnee, Touristen, Hagel und Donner
Denkt er vielleicht voller Bangen und Qual
Den Hut in der Hand, mit grossem Kummer
Betend, die Tiere verschone der Strahl.40
Während – wie Riatsch festhält – die Ersetzung des Ackers „siu èr“ durch seine Tiere „ses tiers“ als „eher harmlose Anpassung an den neuen Kontext“41 betrachtet werden könne, sei die Ersetzung der Heuschrecken „saleps“ durch Touristen („turists“) „genuin parodistisch“, da hier der Tourist polemisch zum gefräßigen Insekten herabgesetzt werde42. Dieses Beispiel soll stellvertretend für eine ganze Reihe anderer Texte stehen, die auf denselben Hypotext Bezug nehmen.
Schluss
Wie die besprochenen Gedichtbeispiele zeigen, ist das lyrische Werk Alfons Tuors durch unterschiedliche Aspekte gekennzeichnet.
Die ersten Gedichtbände beinhalten v.a. Übersetzungen und Nachahmungen patriotischer und studentischer Lieder, wobei die Übersetzungen selbst einerseits als sprachliche Übungen verstanden werden können, andererseits aber vor allem als Möglichkeit, den damals aufkommenden romanischen Chören Lieder mit einem romanischen Text bereitzustellen. Dass diese Arbeit neben dem praktischen Nutzen auch eine ideelle sprachkämpferische Komponente enthielt, verdeutlicht die ‚freie‘ Umgestaltung des Studentenlieds Die Lindenwirtin.
Neben diesem ausgeprägten sprachkämpferischen Geist für die Erhaltung seiner Muttersprache verfasste Tuor in den Jahren danach, unter dem Eindruck seiner Studienjahre im Ausland, auch sozial- (London) und gesellschaftskritisch-satirische Gedichte (Las paterlieras).
Ein weiterer Aspekt des lyrischen Werks Alfons Tuors ist sein Anspruch, den in den großen Literaturen vorhandenen Formenreichtum an Gedicht-, Strophenformen und Versmaßen auszuprobieren und ihn für eine Kleinliteratur wie jener des Bündnerromanischen nutzbar zu machen. Als Beispiele einer solchen Erweiterung der lyrischen Formenvielfalt sind das Rondeau, das Triolett oder das Shakespeare-Sonett zu nennen.
In seinen Umwandlungen von Sagenstoffen wird ferner Tuors Bestreben, mündliche Traditionen in gebundener Rede für die nachfolgenden Generationen festzuhalten, sichtbar. Dabei scheut er die Herausforderung nicht, mit bereits etablierten Formen zu arbeiten, wie das Beispiel der Ballade Il tiran de Cartatscha zeigt. Dasselbe Versmaß hatte bereits Tuors Vorbild Giacun Hasper Muoth in seinem Gedicht Il tirann Victor verwendet.
Schließlich wurde am Beispiel von Il semnader ein Gedicht vorgestellt, das dank einer glücklichen Verbindung von Form und Inhalt zu den bekanntesten Gedichten Tuors gehört, bis heute nachklingt und als Hypotext immer wieder von bündnerromanischen Autorinnen und Autoren für unterschiedliche Verfahren des Zitierens und Umformens verwendet wird.
Carli Fry, La canzun de Nossadunna, in Ovras da Alfons Tuor, hrsg. von Gion Cahannes (Glion: Romania, 1935), 2–38, hier: 38. Eine Kurzbiografie des in diesem Beitrag besprochenen Autors ist unter www.hls-dhs-dss.ch, s.v. „Tuor, Alfons“ zu finden.↩
Alfons Tuor, Poesias, hrsg. von Renzo Caduff (Cuera: Chasa Editura Rumantscha, 2015). Dieser Gesamtausgabe werden auch alle im Beitrag besprochenen Gedicht- und Textbeispiele Tuors entnommen.↩
Tuor, Poesias, 54.↩
P. Maurus Carnot, Im Lande der Rätoromanen (Zürich: Polygraphischer Verlag, 1934), 118.↩
Unter http://ingeb.org, s.v. „Die Lindenwirtin“ (abgerufen am 12.1.2016).↩
Tuor, Poesias, 71 und 74. Wörtliche Übersetzung der letzten Strophe: „Der, der dieses Lied erdacht hat, | In Gedanken hatte er Trun | Und den jungen Baum. | Diesen hält er hoch und teuer, | Diesen will er lieben, | Mit begeisterter Seele.“↩
Für einen Überblick über die „naturalisierende Metaphorisierung bündnerromanischer Existenz, Tradition, Sprache und Geschichte“ siehe Renata Coray, Von der Mumma Romontscha zum Retortenbaby Rumantsch Grischun: rätoromanische Sprachmythen (Chur: Institut für Kulturforschung Graubünden, 2008), 284–7.↩
Tuor, Poesias, 105.↩
Für eine offene Anklage des Gymnasiasten Tuor gegen die Gleichgültigkeit seiner Landsleute ihrer romanischen Muttersprache gegenüber und seinen Aufruf für diese einzustehen vgl. auch Tuor, Poesias, 14.↩
Tuor, Poesias, 226.↩
Tuor, Poesias, 429. Freie Übersetzung von Anna Theobald.↩
Tuor, Poesias, 138. Wörtliche Übersetzung: „Das Leben genießen hier die Lords, | Die viel Reichtum und ein gutes Los haben; | Die Abertausende und Millionen Sklaven | Wie Garnhaspeln herumdrehen können – | Oh, höre, London, großes Ungeheuer, | Ich will dir nur so viel sagen:“↩
Tuor, Poesias, 429.↩
Tuor, Poesias, 219.↩
Vgl. Dicziunari Rumantsch Grischun (6, 135). Heute wird statt des deutschen Lehnworts „far(r)er“ die lateinisch hergeleitete Zusammensetzung „augsegner“ (lat. *aucu für avicus + senior) als Bezeichnung für den katholischen Pfarrer verwendet.↩
Tuor, Poesias, 416. Freie Übersetzung von Anna Theobald.↩
Für weitere Informationen zu Alfons Tuors Biografie vgl. Tuor, Poesias, 9–39.↩
Tuor, Poesias, 272. Wörtliche Übersetzung: „Die folgenden Gedichte unterscheiden sich alle der Form oder dem Versmaß nach voneinander. Mehrere Formen werden hier zum ersten Mal im Surselvischen verwendet.“↩
Dieses gliedert sich in drei Quartette und in ein abschließendes Reimpaar (couplet) und wird von Tuor bei sechs von insgesamt zehn Sonetten verwendet.↩
Tuor, Poesias, 231. Wörtliche Übersetzung: „In unserem so misshandelten Romanisch, | Hat noch nie ein Rondeau geklungen, | Das ärgert mich nun wirklich! | Acht Verse auf „au“ und fünf auf „enta“ | Braucht es, um ein anständiges zu schreiben. | Fünf würden nicht schlecht reimen; | Jetzt ist schon mehr als die Hälfte gelungen, | Wenn man dem achten Vers nur (noch) anbindet: | In unserem Romanisch! || Sobald ich fünf andere Verse gefunden habe, | Die wie gegossen passen, | Wie dies gegenwärtig geschieht – | So habe ich nur mit wenig Mühe | Hier ein echtes Rondeau hergestellt, | In unserem Romanisch!“↩
Das Rondeau bezeichnete im 13. Jahrhundert ein französisches Tanzlied und entwickelte sich später zu einer eigenständigen Gedichtform. Es besteht aus 13 meist acht- oder zehnsilbigen Versen mit folgenden zwei Besonderheiten: Zum einen werden nur zwei Reime verwendet, zum anderen wird der Anfang des ersten Verses nach dem achten und am Ende des Gedichts als Refrain wiederholt. Das Rondeau weist somit eine zirkuläre – zum ursprünglichen Tanzlied passende – Bauform auf: aabba | aabR || aabbaR. Als weitere Schwierigkeit kommt beim Refrain hinzu, dass dieser bei gleichbleibendem Wortlaut Bedeutungsverschiebungen aufweisen sollte. Vgl. Otto Knörrich, Lexikon lyrischer Formen (Stuttgart: Kröner, 2005), 195–6.↩
Carnot, Im Lande der Rätoromanen, 125.↩
Vgl. z.B. für die Innerschweiz: Der untergepflügte Zwingherr, in: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwiz, Unterwalden und Zug (Lucern: Schiffmann, 1862), 431.↩
Tuor, Poesias, 413–4.↩
http://gutenberg.spiegel.de/buch/adelbert-von-chamisso-gedichte-761/37 (abgerufen am 8.2.2016).↩
Giacun Hasper Muoth, Poesias 1, hrsg. von Leo Tuor (Cuera: Octopus, 1997), 69. Eine deutsche Übertragung dieser Strophe findet sich in Carnot, Im Lande der Rätoromanen, 65: „Auf Cavardiras’ Hügel ein Schloss vor alters stand, | Doch niemand hat vom Schlosse ein Steingeröll gekannt; | Das Volk hab’ aus den Steinen, zum sühnenden Entgelt, | Dem edlen Sankt Antoni ein Kirchlein hingestellt.“↩
Tuor, Poesias, 527.↩
Gion Ruduolf Mohr, „Giachen Caspar Muoth (1844–1906)“, in: Bündner Heim. Beilage zu Nr. 176 des ‚Freien Rätiers‘, 29.7.1932.↩
Mohr, „Giachen Caspar Muoth“.↩
P. Maurus Carnot, Im Lande der Rätoromanen, 131.↩
Siehe Tuor, Poesias, 497.↩
Tuor, Poesias, 214–5.↩
Tuor, Poesias, 436–7. Freie Übersetzung von P. Maurus Carnot.↩
Tuor, Poesias, 27.↩
Vgl. in diesem Zusammenhang auch Conrad Ferdinand Meyers Schnitterlied: „Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen, | Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen“, welches das gleiche Versmaß aufweist, http://gutenberg.spiegel.de/buch/conrad-ferdinand-meyer-gedichte-1882/30, abgerufen am 8.2.2016.↩
Tuor, Poesias, 396.↩
Siehe den entsprechenden Kommentar in Tuor, Poesias, 497.↩
Hierbei handelt es sich um den im Surselvischen am Ende des 19. Jahrhunderts bereits nicht mehr üblichen Gebrauch eines Objektpronomens in unbetonter Stellung. Die gewöhnliche Reihenfolge ist: „pertgei declara a mi“.↩
Lothar Deplazes, Umbrivas muentadas = Bewegte Schatten (Turitg: editionmevinapuorger, 2013), 142–3.↩
Leo Tuor, Giacumbert Nau. Aus dem Rätoromanischen von Peter Egloff (Zürich: Limmat, 2012), 96–7.↩
Clà Riatsch, Pathos und Parodie: Inversionslagen in der bündnerromanischen Literatur (Aachen: Shaker, 2015), 206.↩
Riatsch, Pathos und Parodie, 207.↩
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