Im Gespräch mit den Dante-Beständen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

Florian Mehltretter

Dante: ein offenes Buch, hrsg. von Edoardo Costadura und Karl Philipp Ellerbrock im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar/Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2015), 216 S.

Anlässlich des 750. Geburtstages von Dante Alighieri und verbunden mit der (Rück-)Verlegung des Sitzes der Deutschen Dante-Gesellschaft nach Weimar veranstaltete die Anna-Amalia-Bibliothek eine Ausstellung ihrer Dante-Bestände, deren Katalog die hier zu besprechende Publikation ist.

Aber sie ist mehr als ein Katalog: Sie ist auch ein überaus schönes und nützliches Buch. Es besteht aus drei Hauptteilen: Nach dem Vorwort von Michael Knoche und dem Geleit des Vorsitzenden der DDG, Rainer Stillers, präsentiert die erste Sektion vier gewichtige Aufsätze; danach folgen der eigentliche Katalog und verschiedene Anhänge.

Von den Artikeln ist der erste, „Dante neu aufschlagen“ (11–27) von den beiden Herausgebern, ein sehr lesbar geschriebener Einführungstext, der der Rolle des Buches und der Lektüre in der Paolo-und Francesca-Episode und ihren Reperkussionen bei Goethe (Werther) und anderen nachgeht. Der Aufsatz öffnet den Horizont auf die Ausstellung insgesamt und auf die größere Thematik der Dante-Rezeption. Der Artikel von Stefan Matuschek, „Dante als deutscher Klassiker?“ (29–45) verfolgt Linien von Dante zu Goethe, Perspektiven auf Dante-Bildnisse und Rezeptionsdokumente, die von dem Bemühen zeugen, Dante für die deutsche Literatur in gewisser Weise zu ‚vereinnahmen‘. Der topische Vergleich zwischen Dante und Goethe, der vom 19. Jahrhundert bis ins ‚Dritte Reich‘ immer wieder bemüht wird, erweist sich als inhaltlich letztlich unbegründet und nur dem Versuch der „Setzung absoluter Größe“ (37), die beiden zukommen soll, geschuldet. Durch diese Setzung wird Dante für die deutsche Kultur quasi ‚beschlagnahmt‘ (wie schon Victor Klemperer erkannte). Aber ist dadurch Dantes Text als solcher auch in Deutschland eingebürgert? Matuschek zeigt, dass jedenfalls keine der zahlreichen Übersetzungen kanonisiert worden ist: „Die Vielzahl der Übersetzungen spricht gegen den Erfolg jeder einzelnen“ (39). Das Interesse an Dante ist eher strategischer Natur, von den „antiklassizistischen Interessen“ des späten 18. Jahrhunderts über die „romantische Annäherung“ (wie sie auch andernorts stattfand; 39) bis zu der schon erwähnten Deklaration einer nicht näher mit Inhalten gefüllten ‚Größe‘ Dantes.

Die Übersetzungs-Kritik, die in Matuscheks Artikel anklingt, wird sodann von Brigitte Heymann („Dante für Liebhaber und Gelehrte“; 47–57) detaillierter ausgearbeitet; hier kommt vor allem dem Kreis um König Johann von Sachsen größere Bedeutung zu, auch im Hinblick auf das Aufkommen wissenschaftlicher Beschäftigung und philologischen Kommentarwesens. Friederike Wille schließlich verfolgt noch genauer die Thematik der Dantebildnisse, erweitert auf „Dante in der bildenden Kunst“ (59–73) ganz allgemein, einschließlich der Illustrationstraditionen.

Die zweite Sektion bildet 60 Exponate der Ausstellung ab und stellt jedem davon einen kenntnisreich geschriebenen, knapp auf den springenden Punkt ausgerichteten Kommentar gegenüber, von der Aldina der Commedia von 1502 bis zum Protokoll der Weimarer Versammlung der DDG 1921. Hier wird schwerpunktmäßig gezeigt, wie Dante in Weimar und vor allem in der Goethezeit wahrgenommen wurde. Sechs nützliche Anhänge (Dante-Chronologie, Schlegels Dante-Übersetzung aus den Horen von 1795, Bibliographie, Register und genauer Abbildungsnachweis) bilden den letzten Teil.

Was dieses Buch auch über den unmittelbaren Kontext der Ausstellung hinaus verwendbar und höchst genießbar macht, ist die damit umrissene vorbildliche Text-Bild-Komplementarität: Die Bücher, die in einer Ausstellung notwendig auf eine Ansicht, ein Bild reduziert sind, erhalten ihre Stimme zurück und kommen ins Gespräch mit den Leserinnen.





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