Zwischen Kulturtransfer und Spracherwerb
Walter Kuhfuß‘ Kulturgeschichte des Französischunterrichts
Johanna Wolf
Walter Kuhfuß, Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit (Göttingen: V&R unipress, 2014), 741 S.
„Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.“ Dieses Zitat aus Goethes Aus Kunst und Altertum stellt Walter Kuhfuß seiner Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit voran und verweist so auf das (doppelte) Ziel, das seiner Studie eingeschrieben ist: Einerseits soll die historische Verortung des Gegenstands als legimatorischer Akt der Selbstvergewisserung zu einer Schärfung des Profils des Französischunterrichts führen und denjenigen, die diese Sprache unterrichten (oder unterrichten wollen) zu einer Metareflexion über das eigene Tun verhelfen. Andererseits kann über die Auseinandersetzung mit der historischen und soziokulturellen Entwicklung des Französischunterrichts ein kollektives Bewusstsein konstruiert werden, das die Identifikation mit dem gewählten Unterrichtsgegenstand stärkt und gleichzeitig als Bezugsrahmen zur Bewertung und Kategorisierung zeitgenössischer Strömungen und Fragestellungen dienen kann.
Neben diesen übergeordneten Zielen verrät dieses Zitat zusätzlich, dass es sich bei dem vorliegenden Projekt um eine Herzensangelegenheit des Autors handelt und so liest sich Walter Kuhfuß‘ Kulturgeschichte auch als ein Bekenntnis zu einem komplexen Bildungsbegriff, der in aktuellen Debatten um Methoden und Ziele des Fremdsprachenunterrichts oft nur noch eine marginale Rolle zu spielen und nur oberflächlich unter dem Stichwort „Interkulturalität“ als leere Worthülse den status quo zu bedienen scheint: Alteritätserfahrung als Möglichkeit der Persönlichkeitsausbildung. Dieser Leitgedanke zieht sich durch Kuhfuß‘ Studie, indem er ausgehend vom Mittelalter als Keimzelle des Interesses an der französischen Sprache über die frühe Neuzeit, den Dreißigjährigen Krieg bis zum Wiener Kongress 1815 den Französischunterricht als einen Raum des Kulturtransfers beschreibt und stets die kulturgeschichtlichen Bezüge als Kategorien für Entwicklungen in Zielsetzung, Unterrichtsprogrammen und Methodenentwicklung benutzt.
Zu Recht situiert Kuhfuß seinen Gegenstand an der Schnittstelle von „Kultur-, Sprach-, Sozial-, Didaktik- und Bildungsgeschichte“ (21) und etabliert so, in Anlehnung an Lüsebrinks Modell1 eine mehrdimensionale Spurrinne für seine Analysen, die den Französischunterricht unter dem Blickwinkel des Kulturtransfers betrachten und hier vor allem Selektions-, Vermittlungs- und Rezeptionsprozesse als Möglichkeit der Partizipation an Diskurswelten beleuchten. Diese Perspektive dient als Folie für den stärker die Unterrichtsrealitäten der jeweiligen Epoche fokussierenden Blick, der das Quellenmaterial im Hinblick auf die unterschiedlichen Motive für die Beschäftigung mit der fremden Sprache untersucht: Kuhfuß unterscheidet hier „Bildung“, „Nützlichkeit“ und „Distinktion“ (30) als die drei hauptsächlichen Antriebsarten. Im Rückgriff auf Piagets Theorie des Zusammenspiels von Assimilation und Akkommodation analysiert Kuhfuß hier stärker das entwicklungspsychologische Moment des Fremdsprachenunterrichts, über das die Lernenden Interpretationsmuster erwerben (erlernen?) und so in die Lage versetzt werden, den sozialen Raum des jeweils „Anderen“ auf Gemeinsames und Ungleiches auszudeuten.
Hinsichtlich der Quellenlage sowie der Korpusbeschaffenheit wird eine Unterteilung in drei Ebenen vorgenommen, die sich an klassischen Analyserastern zur Beurteilung von Lehrbüchern aus einer historischen Perspektive orientiert: Die fachdidaktischen Reflexion, die sich in Vorworten und allgemeineren Beschreibungen der Lehrwerke niederschlägt, bildet dabei die Makroebene, auf der sich die theoretische Fundierung der Methoden befindet (approach). Die Mesoebene bilden Instruktionen, Curricula und die Lehrbücher selbst, die das jeweilige design des Unterrichts abbilden. Die konkrete Umsetzung in Form von Übungsformaten, Prüfungsverfahren etc. als sogenannte procedures ist dann Analysegegenstand der Mikroebene.
Kuhfuß unterteilt seine detailreiche und mit zahlreichen Quellenbeispielen illustrierte Studie in neun Kapitel, wobei Kapitel 1 und 9 als Einleitung respektive Schlussbetrachtung dienen. Die sieben restlichen Kapitel bilden dann in chronologischer Reihenfolge den Untersuchungsgegenstand, den Französischunterricht im gewählten Zeitrahmen, ab.
Die Reise durch die Kulturgeschichte des Französischunterrichts beginnt als Spurensuche im Mittelalter. Trotz der Dominanz des Lateins im distanzsprachlichen Bereich finden sich „Vorformen des Französischunterrichts“ (41). Kuhfuß meint hiermit vor allem die Autodidakten, die Französisch im Selbststudium erlernen, um als Kaufleute kommunikationsfähig zu sein. Hier dient vor allem Nützlichkeit als Motivation. Distinktion hingegen findet sich als Antrieb des Fremdspracherwerbs bereits in der Oberschicht. Dies wertet Kuhfuß als Indiz für die sich anbahnende Übernahme der höfischen Kultur sowie als Abgrenzungsmöglichkeit der adligen Oberschicht. Damit finden sich bereits zwei wirkmächtige Traditionslinien im Mittelalter begründet. Ebenfalls vorhanden, allerdings weniger klar konturiert, ist die dritte Traditionslinie, die sich in den akademischen Schichten, im Mittelalter vorwiegend dem Klerus zugehörig, findet und der das Motiv der Bildung zugeordnet wird.
Mit dem dritten und vierten Kapitel beginnt dann die eigentliche Geschichte des Französischunterrichts, in der dieser von den „wilden und selbstregulierten“ (58) Formen in Unterrichtsrealitäten überführt wird, die eher unserem heutigen Verständnis eines gesteuerten Fremdsprachenunterrichts entsprechen. Kuhfuß bemüht sich hier deutlich um adäquate Bezeichnungen für die entstehenden Lehr- und Lernformen. Dies gelingt nur teilweise, da die Übernahme der aktuell gültigen Terminologie bisweilen unpassend scheint und den Anschein erweckt, der Autor würde differente Konzepte wie beispielsweise Erwerb versus Erlernen oder auch ungesteuerte und gesteuerte Erwerbsformen nicht präzise genug unterscheiden. Die anachronistische Handhabung aktuell gültiger Terminologien bildet jedoch stets einen Problembereich für Studien, deren dezidiertes Anliegen die Herausarbeitung von Traditionslinien darstellt und ist im Hinblick auf Kuhfuß‘ Arbeit in den Augen der Rezensentin ein nur marginaler und somit vernachlässigbarer Kritikpunkt.
Kuhfuß schildert zunächst die soziokulturellen Bedingungen, die eine Entstehung früher Unterrichtsformen ermöglichen. In Anlehnung an Reinhard Kosellecks Bestimmung einer Übergangsepoche als „Sattelzeit“ definiert Kuhfuß den Epochenumbruch um 1600 ebenso als eine solche, vor allem im Hinblick auf das Bildungswesen. Besondere Aufmerksamkeit erhält das Vorbild des humanistischen Lateinunterrichts, ergeben sich doch aus ihm die Leitstrukturen für den Unterricht des Französischen. So ziehen methodische Formen in den Unterricht der modernen Sprachen ein, die auch in aktuellen Methodendiskussionen, wenn auch unter anderem Namen und leicht veränderter Konzeption, noch eine Rolle spielen: der Dialog als wichtiges Instrument des Fremdspracherwerbs und die Konzentration auf die grammatische Struktur der Zielsprache.
Anhand des Beispiels, wie Kurfürst Friedrich iii. (1463–1525) in Französisch unterrichtet wird, illustriert Kuhfuß die Rolle der didaktisierten Texte und das Entstehen eines Lektüreprogramms, was in der Folgezeit die Grundlage für weitere wichtige Lern- und Übungsformen bilden wird: Übersetzung und Imitation als Erwerbsstrategien, die einen Gegenpol zu explizit-instruktiven Methoden bilden. So lassen sich bereits zu Beginn des sich konsolidierenden Französischunterrichts zwei didaktische Strömungen erkennen, die auch heute in theoretischen Auseinandersetzungen im Bereich des Fremdsprachenlernens eine bedeutsame Rolle spielen: Erwerb versus Lernen und den damit verbundenen Konzepten des impliziten und expliziten Wissens. Kuhfuß belegt anhand einer stringenten Analyse der Lehrmethoden aus dieser Zeit, dass sowohl usage-based Ansätze als auch focus-on-form Ansätze auf eine bis in die frühe Neuzeit zurückreichende Traditionslinie zurückblicken können (117).
Das vierte Kapitel schildert dann die Entwicklungen im Französischunterricht am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Einen großen Schritt im Rahmen einer Institutionalisierung des Fremdsprachenunterrichts bildet sicherlich das Entstehen sogenannter Ritterakademien, zunächst noch Hofschulen genannt, die zum Zweck der standesgemäßen Ausbildung der jungen Adligen errichtet wurden. An den Beispielen der Hofschulen in Kassel und Tübingen schildert Kuhfuß den Übergang vom Privatunterricht zum Schulfach, so findet der Französischunterricht am Collegium Mauritianum in Kassel im Jahre 1602 eine erste Erwähnung als „öffentliche Unterrichtsveranstaltung“ (160). Besonders hervorgehoben wird in diesem Kapitel auch die mehrsprachige Tradition des Französischunterrichts, dessen Methodik sich von Anbeginn in einer Trias der drei Sprachen Latein – Französisch – Deutsch aufspannt. Stark geprägt ist der Unterricht auch von der Vorstellung, dass sich der Lerner die französische Kultur als die überlegene Kultur über die Beschäftigung mit dem fremden Gegenstand aneignet und auf diese Weise zu einem „geistreichen und gesitteten Franzosen“ wird. Diese Vorstellung einer Kulturhegemonie wird nach dem Dreißigjährigen Krieg die Ideale des Französischunterrichts allerdings noch stärker prägen. Insgesamt zeichnet sich diese Zeit durch eine quantitative wie qualitative Zunahme sowohl im Bereich der Institutionalisierung als auch im Bereich der fachdidaktischen Methoden aus. Ars und usus bestimmen weiterhin das Kontinuum der Lehr- und Lernformen, ein Anwachsen der Lehrbücher in Form von didaktisierter Lektüre, Grammatiken, Wörterbüchern und Dialogsammlungen ist zu beobachten. Noch sind sie stark geprägt von calvinistischem Gedankengut – ein Einfluss, der erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und der rechtlichen Gleichstellung der drei großen christlichen Glaubensbekenntnisse nachlässt. Insgesamt aber war der Boden gut bestellt, um auch über die Zäsur durch den Dreißigjährigen Krieg zu „einer tieferen Verankerung“ des Französischunterrichts in soziokultureller Hinsicht und zu „einer differenzierteren Institutionalisierung“ zu gelangen (240).
Kapitel fünf beschreibt dann die Zäsur durch den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), dessen politische Krisen natürlich auch den Französischunterricht betrafen. So kommt es beispielsweise zu einem Einbruch in der Publikation französischsprachiger (Lehr)Werke. Dennoch finden zwei Gestalten Erwähnung, deren Wirkung für den Fremdsprachenunterricht sowie das Bildungsideal bedeutsam waren: Wolfgang Ratke (1571–1635) und der wohl noch bekanntere Johann Amos Comenius (1592–1670). Comenius‘ Stufenplan prägte die curricularen Vorstellungen der Epoche nachhaltig und wurde zum Vorbild der Bildungspläne. Seine Überlegungen führen zur Konzeption von aufeinander aufbauenden Lehrbüchern und zu einer Stärkung der expliziten Instruktion.
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges hat sich die kulturelle Hegemonie Frankreichs innerhalb Europas endgültig durchgesetzt. Kuhfuß zeichnet in diesem sechsten Kapitel den Aufstieg des Französischen als „Sprache der Oberschichten, Sprache des Hofes“ (347) sowie als dominierende Sprache im gesamten distanzsprachlichen Bereich (Literatur, Handel und Wissenschaft) nach. Dies sorgt auch für einen Aufschwung des Französischunterrichts und damit auch für eine rasch fortschreitende Differenzierung der Lehr- und Lernformen. Rasch kristallisiert sich dabei eine Entwicklung innerhalb des Lektürekanons heraus, die die sogenannte Höhenkammliteratur in den Mittelpunkt der Textarbeit rückt. Es ist dies auch die Zeit der Salons als Gelehrten- und Intellektuellentreffpunkt, deren Gäste die Gewandtheit in der französischen Sprache voraussetzten. Dass das deutsche Gelehrtentum allerdings vornehmlich in Fähigkeiten bewandert war, die an die Schriftkultur gebunden waren (Lesen und Schreiben) und nicht in der Kunst des Parlierens, zeigen die kleinen Anekdoten, die sich um den Deutschlandbesuch Germaine de Staëls ranken. Die Einflechtung solcher kleiner Geschichten macht die Lektüre der sehr umfangreichen und informativen Studie zu einem durchaus vergnüglichen Unternehmen und sorgt für eine Verlebendigung der Sachverhalte. Dabei verzeiht der Leser dem Autor die bisweilen etwas oberflächlich erscheinende Verknüpfung des Bildungsbegriffes mit anderen wirkmächtigen Diskursen der Zeit wie etwa dem Sprachbegriff, dessen Wandel ja mit Wandelerscheinungen im Bildungsideal, vor allem in der Epoche des Neuhumanismus, untrennbar verbunden ist. Hier hätte man sich hier und da eine noch profundere Reflexion über die Verflechtung der Diskurse über Sprache, Bildung und Unterricht gewünscht.
An dieses Kapitel schließen sich dann das siebte und achte als substantiellste Kapitel an, in denen Kuhfuß kenntnisreich und stilsicher die Ausdifferenzierung des Französischunterrichts von einem Unterrichtsfach für eine privilegierte Schicht hin zu einem eigenständigen Schulfach, das seinen festen Platz in den Staatsschulen gefunden hat, darstellt. Lässt sich die Zeit von 1648 bis 1770 als eine Zeit beschreiben, in der sich das Französische vornehmlich über das Kriterium der Nützlichkeit etabliert und sich vor allem im Bereich der Alltagssituationen als wichtigstes Kommunikationsmittel konsolidierte, so ist die Epoche ab 1770 vor allem durch den Einfluss des neuhumanistischen Bildungsbegriff geprägt, der dafür sorgen wird, dass das Französische in Konkurrenz zum Unterricht in den alten Sprachen treten und Gegenstand der staatlichen höheren Bildung werden wird. Vor allem in der Beschreibung der neu hinzutretenden Zielgruppen zeigt sich der Antrieb über die Nützlichkeit: Der Französischunterricht innerhalb der Mädchenbildung kann als ein typisches Phänomen der Zeit zwischen 1648 und 1770 beschrieben werden. Es gehört zum guten Ton für eine junge Dame der Gesellschaft, dass sie Konversation auf Französisch betreiben könne, „ʽdas ist/ lieblich und freundlich“ (450). Neben den Mädchen rückt jedoch noch eine Zielgruppe in den Blick, die Kuhfuß als „Generation 50 plus“ (454) beschreibt. Kuhfuß stellt die Pädagogik dieser Zeit als eine menschenfreundliche Pädagogik des Herzens dar und illustriert diese Richtung am Beispiel Johanna Schopenhauers, deren Biographie ihm als typisch für eine höhere Tochter erscheint. Bisweilen wirken die Beschreibungen der verschiedenen Strömungen innerhalb des Französischunterrichts ein wenig unzusammenhängend, was sicherlich der Disparatheit des umfangreichen Quellenmaterials, das der Autor für diese Zeit gesichtet hat, geschuldet ist. Daher erleichtert die Synopse am Ende des siebten Kapitels die Zusammenführung der unterschiedlichen Domänen, in denen der Französischunterricht nun Fuß gefasst hat, und verdeutlicht deren jeweilige Gewichtung für den weiteren Verlauf.
Präzise beschreibt Kuhfuß die soziale Umstrukturierung in der Übergangsepoche um 1800. Stets mit Blick auf die Konsequenzen für den Unterricht in den modernen Sprachen analysiert er die Veränderungen in der wissenschaftlichen Praxis (Empirismus), der Lesepraxis wie auch den Wandel innerhalb der Werteskala der Fächer (Erstarken der Naturwissenschaften). Kuhfuß bezeichnet diesen Wandel als einen „Paradigmenwechsel“ (598): An die Stelle des honnête homme mit seiner Fähigkeit zur galanten Unterhaltung tritt nun der Beamte, der sich der Fremdsprachen als einer Notwenigkeit im Berufsalltag bedient. Der Aufstieg des Französischen als abiturrelevantes Unterrichtsfach scheint unaufhaltsam. Allerdings, und dies wird deutlich, ist der Weg zum verpflichtenden Schulfach durchaus keine ungebrochene Erfolgsgeschichte, mit Beginn der Befreiungskriege gerät das Französische als Sprache des Ancien Régime unter Generalverdacht und wird 1814 als Unterrichtsfach auf den Gymnasien verboten.
Insgesamt liegt mit Walter Kuhfuß Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit eine lehrreiche und anschauliche Studie vor, die den Weg des Französischunterrichts von der Sprachunterweisung für eine sehr kleine Elite hin zu einem verstaatlichten Pflichtfach an öffentlichen Schulen auf unterhaltsame Weise darstellt – es entlockt dem Leser durchaus ein Schmunzeln, wenn Kuhfuß von einer Anleitung zum „shopping“ (452) für die höheren Töchter spricht. Die sorgfältigen Analysen des Quellenmaterials überzeugen und über sie gelingt es Kuhfuß ein Panorama von Entwicklungssträngen zu entfalten, das den Französischunterricht nicht nur als einen für die Fachdidaktik interessanten Gegenstand bestimmt, an dem sich Methodenreflexion oder Entwicklung von Lehr- und Lernformen aus historischer Perspektive nachzeichnen und so Traditionslinien und Innovationen herausarbeiten lassen. Es zeigt sich auch klar, dass der Fremdsprachenunterricht stets als Spiegel politischer Entscheidungen fungiert und dadurch auch aus soziologischer Sicht wertvolle Informationen liefert, die die sozio-historische Situierung beider Länder (Deutschland und Frankreich) im europäischen Kontext beleuchtet. Über das Leitkonzept des Kulturtransfers gelingt es dem Autor aber auch, die verschiedenen Perspektiven immer wieder unter dem Aspekt eines sich wandelnden Bildungsbegriffs zu betrachten, der die Möglichkeiten wie auch die Grenzen eines französischen Kulturimportes (650) aufzeigt. In seiner abschließenden Zusammenführung reflektiert Kuhfuß noch einmal die eingangs genannten Motive und Antriebskräfte, die die Entwicklung des Französischunterrichts in der Zeit zwischen ausgehendem Mittelalter bis zum Wiener Kongress 1815 beeinflussen. Als wirkmächtigste Kraft stellt sich dabei neben Nützlichkeit und Bildung die Distinktion heraus, über die die französische Sprache zu einem sozialen Differenzierungskriterium und damit zum Distinktionsmittel schlechthin der Eliten wird. Damit empfiehlt sich die Lektüre der Kulturgeschichte nicht nur als Medium des Informationsgewinns, sondern auch als ein Werk, das Erklärungen für die immer noch gültigen Identifikationsraster des Faches Französisch bietet und somit tatsächlich als Angebot eines „kollektiven Professionsgedächtnis“ (38) einen wertvollen Beitrag zur Selbstvergewisserung des Fachs und seiner Lehrenden (auch der künftigen) gelesen werden kann.
Hans Jürgen Lüsebrink, „Kulturtransfer: neuere Forschungsansätze zu einem interdisziplinären Problemfeld der Kulturwissenschaften“, in: Entgrenzte Räume: kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart, hrsg. von Helga Mitterbauer und Katharina Scherke, Studien zur Moderne 22 (Wien: Passagen, 2005), 23–42.↩
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