Portugal und Spanien – 30 Jahre Europa
Teresa Pinheiro
Am 1. Januar 2016 jährte sich die Mitgliedschaft Portugals und Spaniens im Europäischen Klub zum 30. Mal. Im Unterschied zu vergangenen runden Jubiläen war diesmal die feierliche Stimmung verhalten. Auf der einen Seite verlassen beide Länder nur langsam die Talsohle einer wirtschaftlichen Rezession, die Zweifel ob der Richtigkeit der Aufnahme in die Euro-Zone aufkommen ließ; auf der anderen Seite hat die Europäische Union selbst wenig Anlass, mit Genugtuung auf die Vergangenheit zurückzublicken, zu sehr fordern Flüchtlingskrise, Terrorgefahr und Eurokrise den Staatenbund. Europa – die Grande Dame des 20. Jahrhunderts, die noch 2012 mit dem Friedensnobelpreis honoriert wurde – plagt eine Midlife-Crisis.
Dabei hilft gerade in Krisenzeiten der Blick zurück, um das Bewusstsein für den historischen Prozess der europäischen Integration zu schärfen. Der vorliegende Artikel lädt ein, in die Vergangenheit zurückzugehen, um Portugals und Spaniens Weg nach Europa nachzuvollziehen. Der Süderweiterung lagen bereits Jahrzehnte der zaghaften Annäherung zwischen den iberischen Staaten und den in der Nachkriegszeit entstandenen europäischen Institutionen zugrunde. Die erste Sektion des Beitrags – Iberien und Europa: Erste Annäherungen – zeichnet diesen Annäherungsprozess zwischen den iberischen Staaten und Europa nach, der von gegenseitigem Misstrauen geprägt war. Und auch mit Beginn der Beitrittsverhandlungen 1977 endete das Misstrauen nicht. Im Gegenteil: Die Gewissheit, dass nun Spanien und Portugal früher oder später die volle Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften erlangen würden, führte zu langwierigen und verhärteten Verhandlungen mit den zehn Mitgliedsstaaten, bis schließlich am 12. Juni 1985 beide Länder parallel den Beitrittsvertrag unterzeichneten. Den Mäandern dieses Prozesses ist die zweite Sektion – Zehrende Verhandlungen – gewidmet. Eine dritte Sektion – Bilanz – blickt auf 30 Jahre EU-Mitgliedschaft Portugals und Spaniens zurück. Der Rückblick verdeutlicht, dass der erfolgreiche Demokratisierungs- und Modernisierungsprozess, den beide Staaten in den vergangenen drei Jahrzehnten durchliefen, zu einem großen Teil ihrer zunehmenden Integration in die europäischen und internationalen Institutionen zu verdanken ist. Dies vermag zu erklären, warum in den iberischen Staaten vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Beitritt das europäische Projekt mit großer Akzeptanz aufgenommen wurde.1
Iberia und Europa: Erste Annäherungen
Als 1977 die Europäischen Gemeinschaften bilaterale Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal aufnahmen, waren beide Staaten für das Europa nördlich der Pyrenäen keine völligen Unbekannten. Auf gesellschaftlicher Ebene fand vor allem ab den 1960er Jahren ein reger Austausch dies- und jenseits der Pyrenäen statt. Allein zwischen 1960 und 1973 sind jeweils etwa eine Million spanische und portugiesische Arbeitnehmer nach Frankreich, Luxemburg, Deutschland und in andere industrialisierte Länder Europas ausgewandert, wo sie zum Aufbau der Wohlstandsgesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg beitrugen; umgekehrt folgten mittel- und nordeuropäische Urlauber den Kampagnen vor allem seitens des spanischen Tourismusministeriums und entdeckten die Iberische Halbinsel als exotisches Urlaubsziel.2
Ebenfalls auf politischer Ebene waren Portugal und Spanien weit weniger von den westlichen Institutionen isoliert als oft angenommen. Das Verhältnis zwischen den iberischen Diktaturen und den westlichen Institutionen zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nelkenrevolution entfaltete sich entlang einer Gratwanderung zwischen gegenseitiger ideologischer Ablehnung und geostrategischer Notwendigkeit. Freilich beharrte António de Oliveira Salazar, Premier-Minister Portugals von 1932 bis 1968 und Ideologe der Diktatur des Estado Novo, auf der atlantischen Bestimmung Portugals und meinte damit eine Autarkie, die im kolonialen Besitz in Afrika, Indien und Osttimor eine ihrer ideologischen Säulen hatte und in der Neutralitätspolitik während des Zweiten Weltkriegs ihren tagespolitischen Ausdruck fand. Freilich verfolgte ebenfalls Francisco Franco, der Spanien vom Ende des Bürgerkriegs 1939 bis zu seinem Tod 1975 autoritär regierte, vor allem im ersten Jahrzehnt der Diktatur eine Autarkiepolitik. Dennoch sorgten der Kontext des Kalten Kriegs auf der einen und die wirtschaftliche Not in beiden iberischen Staaten auf der anderen Seite für realpolitische Annäherungsversuche an Europa und den Westen.
Im Falle Portugals hat vor allem die geostrategische Bedeutung der Azoren im Kontext des Ost-West-Konflikts dazu beigetragen, dass das Land den Anschluss an die Institutionen des demokratischen Westens fand. So beantragte Portugal nach anfänglichem Zögern im September 1948 Zuwendungen aus dem Marshall-Plan.3 Genau im selben Jahr unterzeichneten die USA und Portugal das Lajes-Abkommen, das den USA die Nutzung der portugiesischen Militärbasis von Lajes auf der Insel Terceira, Azoren, ermöglichte. Diese Kooperation ebnete Portugals Integration in das westliche Verteidigungssystem, so dass es 1949 als eines von zwölf Mitgliedern der Gründung der NATO zustimmte.4 In Übereinstimmung mit der militärischen und wirtschaftlichen Kooperation mit den USA auf der Basis des Lajes-Abkommens und des Marshall-Plans war Portugal ebenfalls Gründungsmitglied der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (1948), der Europäische Zahlungsunion (1950), des Europäischen Währungsabkommens (1955) und der Europäischen Freihandelsassoziation (1960); zudem wurde es 1955 in die Vereinten Nationen, 1960 in den Internationalen Währungsfonds und 1962 ins Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen aufgenommen.5 Über die geostrategische Bedeutung hinaus trug auch die ideologische Verhärtung des Ost-West-Konflikts dazu bei, dass Portugal trotz des undemokratischen Charakters des Estado Novo in die westliche Welt aufgenommen wurde, schließlich machte der Antikommunismus das rechtskonservative autoritäre Regime von Salazar anschlussfähig an den Westblock.
Portugals Eingliederung in die internationalen Institutionen blieb jedoch nicht immer frei von Konflikten. Hierbei spielte weniger der undemokratische Charakter des Estado Novo eine Rolle als vielmehr die Tatsache, dass Salazar keine Anstrengungen unternahm, die Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Im Gegenteil: Als die Nachricht über erste Widerstandsaktionen seitens der Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonien das Mutterland erreichte, antwortete die portugiesische Führung mit militärischer Gewalt. Von 1961 bis 1974 führte die mittlerweile älteste Kolonialmacht Europas einen Krieg an drei Fronten in Afrika: Angola, Mosambik und Guinea-Bissau. Die koloniale Frage überschattete Portugals Präsenz vor allem bei den Vereinten Nationen. Zwar wurde das Land bereits 1955 (mit der Gegenstimme der UdSSR) aufgenommen, doch trugen vor allem die Aufnahme von siebzehn neu gegründeten afrikanischen Staaten in die UNO im Jahre 1960 sowie der Beginn des Kolonialkriegs ein Jahr später zum offenen Konflikt zwischen einer Mehrheit der Mitgliedstaaten und Portugal bei. Der Konflikt entfachte sich um Artikel 73 der Charta der Vereinten Nationen und damit um die Legitimation Portugals, die Territorien in Afrika zu unterhalten.6 Für die NATO-Mitglieder, allen voran die USA der Ära Kennedy, wurde die koloniale Frage zu einer verhängnisvollen Angelegenheit, da Portugals Verbleib im Atlantischen Pakt angesichts des Ost-West-Konflikts Priorität hatte. So blieben die Sanktionen auf öffentliche Verurteilungen und wenig effektive Embargos beschränkt.7
Ähnlich ambivalent gestaltete sich die Annäherung Portugals an die europäischen Institutionen stricto sensu, die ab den 1950er Jahren entstanden. Portugal wurde weder in die Montanunion (1951) noch in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (1957) aufgenommen; auch bei der Planung der später gescheiterten Europäischen Politischen Gemeinschaft und Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wurde Portugal nicht einbezogen. Dies beruhte auf einer gegenseitigen Ablehnungshaltung: Zum einen erfüllte Portugal weder politisch noch wirtschaftlich die Voraussetzungen für eine europäische Integration; zum anderen stand Salazar der Entstehung einer europäischen wirtschaftlichen und vor allem politischen Gemeinschaft skeptisch gegenüber. In einem an die Botschaften gesandten Papier vom 6. März 1953 machte Salazar deutlich, dass eine politische Föderation auf europäischer Ebene nicht nur unwahrscheinlich sei, sondern auch für Portugal nicht von Interesse sein könne, da es für das Land vielmehr in einer lusophonen Gemeinschaft mit Afrika und Brasilien zukünftige Kooperationsmöglichkeiten gebe.8 Gleichwohl ignorierte Salazar die Entwicklungen auf dem europäischen Tableau keineswegs. In dem erwähnten Schreiben an die Botschaften lässt sich diese ambivalente Haltung zwischen Ablehnung und Abwarten herauslesen:
„Por felicidade, os Pirinéus são geograficamente um elemento de tanto relevo que permite à Península não ser absorvida ou decisivamente influenciada pelo peso da nova organização, mas aguardar e ver.“9
Als Ausdruck dieser politischen Haltung des Abwartens lässt sich Portugals überraschender Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) als Gründungsmitglied im Jahre 1960 betrachten. Die Verhandlungen über eine Freihandelszone in Europa kamen zu einer Zeit, in der Portugals wirtschaftliche Autarkie an ihre Grenzen gestoßen war, denn spätestens mit Beginn des Afrikakriegs war der koloniale Absatzmarkt gestört.10 Die Entstehung einer Freihandelszone auf europäischer Ebene versprach eine willkommene Alternative hierzu. Die dazu notwendige marktorientierte Anpassung der Wirtschaft hatte bereits in den 1950er Jahren eingesetzt: Zwischen 1953 und 1964 führte Salazar zwei wirtschaftliche Entwicklungspläne zur Liberalisierung der portugiesischen Wirtschaft ein, die zur Öffnung des Landes für ausländische Investoren beitragen sollten. Da Europa ohnehin den Hauptexportraum der portugiesischen Industrie ausmachte, unternahm die portugiesische Diplomatie große Anstrengungen, um in die Freie Handelszone einbezogen zu werden, was schließlich durch die Unterstützung des alten Alliierten Großbritanniens glückte.11 Portugals überraschende Aufnahme in die EFTA als Mitglied der ersten Stunde brachte eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums für das Land.12
Die Dynamik der EG-EFTA-Konkurrenz und Großbritanniens Rolle darin beeinflussten Portugals nächsten Annäherungsschritt an Europa, der 1972 mit der Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit den Europäischen Gemeinschaften kulminierte. Der Antrag Großbritanniens auf Beitritt in die EG 1961 stellte Portugal unter Zugzwang. Doch das französische Veto gegen den Beitritt Großbritanniens vereitelte die ohnehin geringen Chancen Portugals auf Aufnahme in die EG. Erst mit der erneuten Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen den EG und Großbritannien in der Haager Gipfelkonferenz 1969 nahm Portugal die Gespräche mit den Europäischen Gemeinschaften wieder auf. Da ein Beitritt aufgrund des undemokratischen und kolonialistischen Charakters des portugiesischen Regimes ausgeschlossen erschien, Portugal aber bereits EFTA-Mitglied war, konnte 1972 ein Freihandelsabkommen mit den Europäischen Gemeinschaften unterzeichnet werden. Das Freihandelsabkommen entsprach auch eher der Linie von Marcelo Caetano, Salazars Nachfolger ab 1968, der ebenfalls die wirtschaftliche Öffnung des Landes zum europäischen Markt befürwortete, ohne jedoch die notwendigen politischen Konzessionen machen zu müssen, die für eine volle Mitgliedschaft notwendig gewesen wären. Es wurde sowohl für die Regierung als auch für die Opposition deutlich, dass eine volle Mitgliedschaft in den EG nur unter der Bedingung der Demokratisierung und der Dekolonisierung stattfinden könnte.
Anders als Portugal blieb Spanien insbesondere bis Ende der 1950er Jahre im internationalen Kontext isoliert, was in erster Linie ein Ergebnis der Sanktionspolitik als Reaktion auf die repressive Politik des Franquismus in den Jahren nach dem Bürgerkrieg war. Als Francos Truppen am 1. April 1939 in Madrid einzogen, war der Spanische Bürgerkrieg nur offiziell zu Ende. De facto setzte mit der Etablierung des Franquismus eine Zeit der Durchsetzung der Macht ein, geprägt von Verfolgung und Hinrichtung derjenigen, die auf der Seite der Volksfront im Konflikt gekämpft hatten.13 Zwar verstieß die franquistische Diktatur nach dem Zweiten Weltkrieg gegen das sich im Westen durchsetzende Modell der Demokratie genauso wie der portugiesische Estado Novo; Spanien geriet jedoch stärker ins Visier der internationalen Diplomatie aufgrund der offensichtlichen Missachtung der Menschenrechte in den ersten zehn Jahren nach Ende des Bürgerkriegs. Außerdem wurde Spaniens Unterstützung der Achse im Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis in der Neuordnung des Westens in der Nachkriegszeit. So lehnte die UNO nicht nur eine Mitgliedschaft Spaniens ab, sondern verurteilte das Regime mit einer Resolution von 1946 offiziell und empfahl Spaniens Ausgrenzung aus den internationalen Organisationen.14 Mit Ausnahme des Heiligen Stuhls, Portugals, Argentiniens und der Schweiz brachen alle Staaten die diplomatischen Beziehungen mit Spanien ab.15
Auch die spanische Wirtschaft bekam die internationale Isolation zu spüren. Obwohl das Land nach dem zerstörerischen Bürgerkrieg auf fremde Subventionen angewiesen gewesen wäre, erhielt Spanien keine Zuwendungen aus dem Marshall-Plan.16 Ohne erwähnenswerte ausländische Hilfen und Investitionen fristete die Wirtschaft eine bescheidene Existenz mit zaghaften Industrialisierungsschüben auf der Basis von niedrigen Löhnen.17 Dieser erzwungenen Isolation entsprach auch eine ideologische Distanzierung Spaniens gegenüber den Entwicklungen auf europäischer Ebene. Ähnlich wie Salazar rechnete die spanische Führung der Gründung der europäischen Institutionen keine Zukunft an.18 Aber ähnlich wie in Portugal bedeutete die offizielle Geringschätzung für den Prozess europäischer Integration auch in Spanien nicht, dass die Regierung nicht durchaus aufmerksam beobachtete, wie sich das europäische Projekt entwickelte. Die voranschreitende Schaffung eines europäischen Binnenmarkts gepaart mit dem weiteren Verlust wirtschaftlicher Kraft Spaniens durch die internationale Isolation machte eine Annäherung an Europa unumgänglich. Ab den 1950er Jahren entspannte sich die internationale Isolation Spaniens: 1953 konnte ein Abkommen mit den USA zur Benutzung militärischer Basen in Spanien abgeschlossen werden und 1955 wurde das Land zusammen mit Portugal in die Vereinten Nationen aufgenommen.19
Um eine stärkere Einbindung Spaniens in die internationalen Märkte voranzutreiben, setzte Franco ab den 1950er Jahren eine Gruppe von Politikern in Schlüsselministerien ein, die zwar ideologisch konservativ waren, wirtschaftlich jedoch eine liberale Politik betrieben. Diese sogenannten Technokraten brachten – ähnlich wie in Portugal zur gleichen Zeit – eine Anpassung der spanischen Wirtschaft an marktwirtschaftliche Standards und ihre Öffnung für ausländische Investoren. Ein Plan zur Neuordnung der Wirtschaft – bekannt als Stabilisierungsplan – sorgte ab 1959 für die Umsetzung wirtschaftsliberalisierender Maßnahmen. Im Kontext dieser Liberalisierungsbestrebungen trat Spanien 1958 der OEEC und dem IWF bei.20 Diese Reformen brachten ein enormes Wachstum für die spanische Wirtschaft: Ähnlich wie Portugal verzeichnete die spanische Wirtschaft ein Wachstum von jährlich sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts.21
Der folgerichtige Schritt einer Integration Spaniens in den europäischen Binnenmarkt wäre der Beitritt zur EFTA gewesen. Da die EFTA ein rein wirtschaftlicher Verbund war, hätte Spanien die Beitrittskriterien leichter erfüllen können als bei den Europäischen Gemeinschaften, deren Beitritt auch an politische Kriterien gekoppelt war. Doch sprach aus spanischer Sicht vor allem ein Faktor dafür, dass die Mitgliedschaft in den EG attraktiver war, nämlich die Agrarpolitik. Während die EFTA den Freihandel auf Industrieerzeugnisse beschränkte, war die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik innerhalb der EG bereits bei der Gründung vereinbart worden und trat 1962 in Kraft. Für Spanien, dessen Wirtschaft trotz des Industrialisierungschubs der 1960er Jahre immer noch hauptsächlich auf den Export von landwirtschaftlichen Produkten angewiesen war, hätte ein Ausschluss aus dem europäischen Agrarmarkt verheerende Folgen mit sich gebracht. In der Folge stellte die spanische Regierung einen Antrag auf Aufnahme von Gesprächen, um das Verhältnis zwischen Spanien und den EG zu formalisieren. Wie im Falle Portugals geriet auch Spaniens Gesuch in den Trubel des französischen Vetos gegen den EG-Beitritt Großbritanniens im Jahre 1963. Erst 1964 wurden die Gespräche aufgenommen und im Sommer 1966 abgeschlossen. Das Ergebnis blieb weit entfernt von Spaniens Ambitionen: Das erwünschte Assoziierungsabkommen mit Aussicht auf volle Mitgliedschaft scheiterte an den undemokratischen Strukturen des franquistischen Regimes. Stattdessen eröffnete die Kommission Aussichten auf Verhandlungen über ein Präferenzabkommen. Die Verhandlungen waren zäh, was hauptsächlich daran lag, dass Spanien den Abbau von Zollschranken nicht nur für Industrieerzeugnisse sondern auch für landwirtschaftliche Produkte wünschte, die EG ihrerseits die Konkurrenz der günstigen und qualitativ hochwertigen Agrarprodukte aus Spanien fürchteten – ein Konflikt, der später ebenfalls die Beitrittsverhandlungen überschatten würde. Am Ende gelang ein komplexes und differenziertes Abkommen, das für die Mitglieder der EG die Zufuhr spanischer Produkte behutsam abfederte und für Spanien hauptsächlich den Vorteil brachte, das Regime durch die Angliederung an die EG politisch zu legitimieren. Das Präferenzabkommen zwischen Spanien und den EG trat am 1. Oktober 1970 in Kraft.22
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Zwischen 1945 und dem Ende der iberischen Diktaturen 1974/75 hatte sich die Welt geändert und die iberischen Staaten passten sich gewollt oder ungewollt diesen Veränderungen an. Der europäische Integrationsprozess hatte zaghaft mit der Gründung der Montanunion 1951 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 begonnen. Die erste Erweiterung der EG 1973 machte deutlich, dass der Prozess einer wirtschaftlichen und politischen Integration unaufhaltsam war. Für Spanien und Portugal bedeutet dies die Notwendigkeit eines stetigen Taktierens, das beide Länder vor der wirtschaftlichen Isolation angesichts des wachsenden europäischen gemeinsamen Markts bewahren sollte, sie zugleich aber nicht politisch in die Enge trieb. Dass Portugal nur ein Freihandelsabkommen erreichte, Spanien sogar nur bis zum Präferenzabkommen gelangte, machte deutlich, dass eine weitere Annäherung an Europa nur unter Erfüllung des politischen acquis communautaire zu erreichen war und das bedeutete: Demokratisierung und – im Falle Portugals – Dekolonisierung.
Die Tatsache, dass die Waagschale in beiden Ländern in Richtung Demokratisierung neigte, zeigt auch, inwiefern das Unterfangen einer wirtschaftlichen Liberalisierung unter Wahrung der autoritären Strukturen der Diktaturen eine Gratwanderung war, die nicht lange anhalten konnte. Denn sowohl die Öffnung für ausländische Investoren und für den Tourismus als auch die Auswanderungswelle der 1960er Jahre brachten für die iberischen Staaten nicht nur Wirtschaftswachstum. Der Kontakt mit den demokratischen Wohlstandsgesellschaften nördlich der Pyrenäen sorgten für – wie Stefan Musto treffend anmerkt –
„[…] die Änderung der Mentalität und der gesellschaftlichen Bewußtseinslage. Die offiziellen Versuche, die sozialen Verhältnisse unter den Bedingungen des rapiden ökonomischen Wandels zu konservieren, konnten schon aus diesem Grund nicht mehr in vollem Maße gelingen.“23
Die Ereignisse der 1970er Jahre zeigten, wie sehr Salazar irrte in seinem Urteil, die Pyrenäen seien geographisch bedeutsam genug, dass der Einfluss Europas abperlen würde.
Zehrende Verhandlungen
Die Betrachtung der Europa-Politik Spaniens und Portugals während der Diktaturen in Sektion 1 verdeutlicht, dass die iberischen Staaten nicht in völliger Autarkie und Abkehr von Europa verweilt haben. In erster Linie die wirtschaftliche Notwendigkeit, den Anschluss an den entstehenden Binnenmarkt zu erlangen, aber auch die politische Legitimierung, die aus einer wie auch immer gestalteten Annäherung an die europäischen Institutionen entstehen könnte, sorgten dafür, dass in den Regierungen in Lissabon und Madrid trotz aller Distanz zu den demokratischen Staaten nördlich der Pyrenäen vor allem ab den 1960er Jahren so etwas wie eine Europa-Politik entstanden ist.
Mit Spaniens Präferenzabkommen von 1970 und Portugals Freihandelsabkommen von 1972 waren vermutlich alle Freiräume ausgeschöpft, die zwischen den iberischen Staaten und den europäischen Institutionen existierten. Eine Aufnahme in den Europarat und eine volle Mitgliedschaft in die EG setzten eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen voraus. Diese Veränderungen setzten in Portugal mit der Nelkenrevolution am 25. April 1974 und in Spanien mit dem Tod Francisco Francos am 20. November 1975 ein.
Angesichts der Tatsache, dass Portugal und Spanien Mitte der 1970er Jahre auf einen bereits langen Prozess der Annäherung an Europa zurückblickten, erscheint die Zeitspanne zwischen Beginn des Demokratisierungsprozesses 1974/75 und der Unterzeichnung des gemeinsamen Beitrittsvertrags im Juni 1985 als recht lang. Die Gründe hierfür sind auf zweierlei Ebenen zu finden: Zum einen in der Tatsache, dass die Demokratisierungsprozesse weder in Portugal noch in Spanien linear verliefen, was die europäischen Institutionen lange Zeit in eine abwartende Haltung zwang; zum anderen in der Tatsache, dass sich nicht nur die iberischen Staaten im Wandel befanden, sondern auch die EG in den 1980er und 1990er Jahre selbst große Veränderungen durchlief – die wiederum zum Teil auf die Süderweiterung zurückgingen.
In Portugal setzte ein Putsch der sogenannten Bewegung der Streitkräfte der Diktatur ein Ende. Nach anfänglicher Unsicherheit zeichnete sich bald ab, dass das Programm der Bewegung sowohl eine Demokratisierung als auch das sofortige Ende des Kolonialkriegs und die bedingungslose Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit vorsah. Die ersten Reaktionen der europäischen Institutionen waren deshalb durchweg positiv: Die EG garantierten wirtschaftliche Hilfen; der Europarat zeigte sich ebenfalls offen für Verhandlungen, koppelte diese aber zugleich an die Erfüllung der politischen Kriterien. Da jedoch mit der Radikalisierung der Politik während der Revolutionären Periode (1974-76) nicht auszuschließen war, dass Portugal den Weg einer Volksrepublik sowjetischen Zuschnitts einschlagen könnte, hielten sich beide Institutionen bis zur Verabschiedung der demokratischen Verfassung und der Abhaltung der ersten freien Parlamentswahlen zurück. Erst mit der ersten konstitutionellen Regierung unter dem Sozialisten und Verfechter des europäischen Gedankens Mário Soares waren die Bedingungen für eine weitere Annäherung gegeben: Im August 1976 beantragte die portugiesische Regierung die Mitgliedschaft beim Europarat, der im September desselben Jahres stattgegeben wurde.24 Am 28. März 1977 stellte Portugal den Antrag auf Beitritt in die EG,25 woraufhin die Kommission im Mai 1978 eine günstige Evaluation des Antrags verabschiedete – der Weg war nun frei für die Beitrittsverhandlungen, die im Oktober desselben Jahres begannen.
In Spanien gestaltete sich der Demokratisierungsprozess anders als in Portugal. Anstatt einer Transition durch Ruptur wie im Nachbarland setzte der Transitionsprozess in Spanien durch einen paktierten Übergang zwischen dem politischen Etablissement des Franquismus und den progressiven Kräften ein. Trotz des Bekenntnisses zu einer demokratischen Verfassung, die der König Juan Carlos I. in seiner Inthronisierungsrede am 22. November 1975 ablegte, blieben die europäischen Institutionen in abwartender Haltung bis zur Etablierung demokratischer Institutionen. So konnte Adolfo Suárez erst am 28. Juli 1977 – ein Monat nach den ersten freien Wahlen – einen Antrag auf Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stellen. Im November 1978 gab die Kommission dem Antrag statt.26
Im Herbst 1978 war also klar, dass die EG im Begriff waren, zusätzlich zu Griechenland, das 1981 aufgenommen wurde, zwei weitere strukturschwache Mitgliedstaaten aufzunehmen. Mit Portugal und Spanien führte die Kommission von nun an parallele Beitrittsverhandlungen mit dem Ziel einer gleichzeitigen Aufnahme der beiden iberischen Staaten. Noch sieben Jahre intensive und zum Teil verhärtete Verhandlungen trennten die beiden Kandidaten vom ersehnten Beitrittsvertrag. Die Faktoren, die dazu beitrugen, dass sich die Verhandlungen in die Länge zogen, sind in der Spezifität des jeweiligen Landes und in den daraus entstehenden spezifischen Synergien mit den zehn Mitgliedsstaaten zu finden.
Als die Verhandlungen mit Portugal begannen, waren die bewegten Zeiten der Revolutionären Periode vorbei. Dennoch übte diese Zeit noch einen bedeutenden Einfluss auf die portugiesische politische Agenda aus. Die Maßnahmen, die zwischen 1974 und 1976 zur Institutionalisierung eines sozialistischen Regimes ergriffen worden waren – allen voran die Verstaatlichung der Banken und der Produktionsmittel, die Agrarreform und die Gründung eines Revolutionsrates, der über diesen Prozess wachte –, wurden nur teilweise abgeschafft und hinterließen Steine auf dem Wege nach Europa. So führten die Verstaatlichungsmaßnahmen zu einer Abwanderung des Kapitals und der wirtschaftlichen Eliten ins Ausland, was das Land in eine gravierende wirtschaftliche Rezession zurückwarf.27 Mühsam musste der Weg einer marktwirtschaftlichen Orientierung des Landes wieder aufgegriffen werden. Darüber hinaus war die Verfassung von 1976 ein Dorn im Auge der europäischen Partner. Abgesehen von der Präambel, die das erklärte Ziel einer sozialistischen, klassenlosen Gesellschaft enthielt,28 war der Revolutionsrat im Rechtstext verankert. Somit war die portugiesische Verfassung zwar demokratisch, doch erlangte die militärische Institution des Revolutionsrats eine übergeordnete Macht über die politischen Institutionen. Es wundert deshalb kaum, dass erst die Verfassungsrevision von 1982, die den Revolutionsrat abschaffte, den Weg zum Beitritt ebnete. Abgesehen von der Verabschiedung vom Erbe der revolutionären Vergangenheit stellte Portugal im Vergleich zu Spanien keine nennenswerte Herausforderung für die europäischen Partner dar. Zum einen blickte Portugal auf eine längere und intensivere Anbindung zumindest an die wirtschaftlichen Organisationen im europäischen Bund; zum anderen schürte Portugal mit einer schwachen Wirtschaft keine Konkurrenzängste innerhalb der Gemeinschaft.29 Ende 1984 waren 14 der 18 Verhandlungskapitel bereits abgeschlossen und auch bei den vier noch offenen Kapiteln – Landwirtschaft, Fischerei, Soziales und Institutionelles – herrschte ein breiter Konsens. Der Versuch der portugiesischen Delegation, getrennte Beitrittsverträge für Spanien und Portugal zu unterzeichnen, um Portugal einen baldigen Beitritt zu ermöglichen, fruchtete nicht, weshalb sich Portugal auf eine längere Wartezeit einstellen musste.30
Denn die Verhandlungen mit Spanien gestalteten sich komplexer. Dies lag hauptsächlich an den deutlichen Veränderungen der Agrarpolitik, die Spanien mit seinen großen Agrarflächen verursachen könnte. Die Gemeinsame Agrarpolitik zählte auch damals zu den wichtigsten Politikfeldern der Europäischen Gemeinschaften. Sie vereinnahmte nicht nur zwei Drittel des EG-Etats, sondern war auch der Bereich, der am stärksten reglementiert war. Es war zu erwarten, dass Spaniens Beitritt in erhöhtem Maße zur Produktion von Überschüssen (insbesondere von Obst, Wein und Gemüse) führen würde. Zudem stellten die niedrigen Produktionskosten der spanischen Landwirtschaft eine Konkurrenz zu den stark subventionierten Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Altmitglieder dar.31 Besonders davon betroffen waren Frankreich und Italien, weshalb es auch der französische Präsident Giscard d’Estaing war, der eine Vertagung der Verhandlungen mit Spanien durchsetzte, unter dem Vorwand, die Gemeinsame Agrarpolitik müsse vor einer neuen Erweiterungsrunde reformiert werden. Es war schließlich der versuchte Staatsstreich von Antonio Tejero am 23. Februar 1981, der die Gemeinschaft dazu veranlasste, die Verhandlungsblockade aufzulösen. Die Wahl des überzeugten Europäisten Felipe González der PSOE zum Ministerpräsidenten Spaniens im Jahre 1982 setzte ebenfalls neue Impulse für die Konversationen. Bis 1985 einigten sich die Verhandlungspartner auf ein detailliertes und differenziertes Regelwerk für eine schrittweise Integration Spaniens. Die Einführung von Sonderregeln für sensible Produkte und die Aushandlung von langen Übergangszeiten von sieben Jahren für die Industrie und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und zehn Jahren für die Landwirtschaft vermochten am Ende, dass ein Kompromiss erreicht wurde.32
Dass zu Zeiten des Ost-West-Konflikts die EG-Mitgliedschaft aufs Engste mit der Aufnahme in den Atlantikpakt verbunden war, musste ausgerechnet der Europa-Enthusiast Felipe González noch während der Verhandlungsperiode schmerzhaft verspüren. 1981 hatte González’ Vorgänger als Regierungspräsident Leopoldo Calvo-Sotelo von der Mitte-Rechts-Koalition UCD Spaniens NATO-Beitritt unterzeichnet. Weite Teile der spanischen Gesellschaft – vor allem die linksliberalen progressiven Kräfte, die in der sozialistischen Partei versammelt waren – nahmen den NATO-Beitritt mit Vorbehalt auf. Felipe González nutzte diese Unzufriedenheit in der Wahlkampagne und stellte ein Referendum zu Spaniens Verbleib in der NATO als ein Wahlversprechen in Aussicht. Doch kaum in Funktion vollzog González – zum Teil unter Einfluss der besorgten US-Administration – eine radikale Wende in seiner NATO-Politik. Ab 1983 vertrat er öffentlich Spaniens NATO-Beitritt. Dadurch konnte er die spanischen Wähler umstimmen, die beim NATO-Referendum am 12. März 1986 – da war Spanien bereits EG-Mitglied – mit 52% für den Verbleib stimmten.33 So konsolidierte sich auch in Spanien der politische Konsens der Zugehörigkeit zu Europa und zur westlichen Gemeinschaft.34
Bilanz
Wie aus Sektion 2 hervorgeht, waren die EG-Beitrittsverhandlungen der iberischen Staaten angesichts der Tatsache, dass bereits in der späten Phase der Diktaturen Anstrengungen in Richtung einer Liberalisierung der Wirtschaft und einer Annäherung an den europäischen Binnenmarkt unternommen worden waren, langwierig. Als Hauptgründe für die lange Dauer der Verhandlung galten die Konsolidierung der demokratischen Strukturen auf der Iberischen Halbinsel, aber auch Interessenkonflikte zwischen den Altmitgliedern und vor allem Spanien. Als am 12. Juni 1985 Mário Soares im Hieronymitenkloster in Lissabon und Felipe González im Königspalast in Madrid den EG-Beitrittsvertrag unterzeichneten, blickten beide Staaten nicht nur auf eine lange Geschichte der Annäherung an die europäischen Institutionen zurück, sondern auch auf eine lange Phase zehrender und ernüchternder Verhandlungen, in denen das Solidaritätsprinzip zuweilen den Partikularinteressen einzelner Mitgliedstaaten weichen musste.
Mit dem EG-Beitritt begann auf der Iberischen Halbinsel ein Transformationsprozess, der viele Bereiche der Gesellschaften beeinflusste. Portugal und Spanien wurden zu den wichtigsten Nutznießern der europäischen Kohäsionspolitik und holten die überfällige Modernisierung der Transport- und Kommunikationsinfrastruktur nach, die sie in einen Prozess der zunehmenden Konvergenz mit den europäischen Standards versetzte. Das etwa ein Jahrzehnt andauernde Wirtschaftswachstum gepaart mit dem Ausbau des Sozialstaats führte zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des Bildungs- und Gesundheitssystems. Ein sozialer und kultureller Wandel begleitete das Wirtschaftswachstum und brachte beide Länder bei Indikatoren wie Chancen- und Gendergleichheit zunehmend an europäische Werte und Normen heran. Der gewaltige wirtschaftliche und soziale Wandel, der mit der Demokratisierung und Europäisierung einsetzte, brachte typische Phänomene der Industriestaaten mit sich: Der Wandel zu Einwanderungsländern zählt hierzu genauso wie die Alterung der Bevölkerung.
Aber auch Europa änderte sich mit der Süderweiterung. Es waren zum Teil die antizipierten Anpassungsschwierigkeiten in der Landwirtschaft und Fischerei, die mit dem Beitritt Portugals und Spaniens zu erwarten waren, die zu einer Reform der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik führte. Wichtige Anstöße gab die Süderweiterung ebenfalls zum Ausbau der europäischen Regional- und Kohäsionspolitik. Sie bereitete wichtige Schritte in Richtung der Erweiterung der Union um weitere Mitglieder und in Richtung der Vertiefung des politischen Integrationsprozesses.
30 Jahre nach dem Beitritt der iberischen Staaten zu den Europäischen Gemeinschaften sind aus Portugal und Spanien solide rechtsstaatliche Demokratien und Wohlstandsgesellschaften geworden. Aus der Wirtschaftsgemeinschaft der 1950er Jahre ist die Europäische Union mit weitreichenden Befugnissen geworden. Spanien und Portugal waren aktive Gestalter des Einigungsprozesses: Von 1999 bis 2009 war Javier Solana Generalsekretär des Rates der Europäischen Union und Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; von 2004 bis 2014 war José Manuel Barroso Präsident der Europäischen Kommission; der Vertrag von Lissabon wurde unter portugiesischer Ratspräsidentschaft unterzeichnet; beide Länder spielten eine aktive Rolle in der Konstruktion des europäischen Projekts in den Verhandlungen zu den Verträgen von Amsterdam, Nizza und Lissabon; schließlich waren beide Gründungsmitglieder der Eurozone.
Gegenwärtig steckt Europa in einer Legitimitätskrise. Die Finanzkrise ließ Zweifel darüber aufkommen, ob der EU die Rolle eines Motors wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands zukommt, die ihre Gründung zum Teil motiviert hatte; sowohl die Erweiterung der Union als auch die Intransparenz der politischen Entscheidungen stimmen nicht nur einzelne Mitgliedstaaten sondern auch weite Teile der Bevölkerung gegen Europa, wovon das Nein zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine im niederländischen Referendum vom April 2016 nur ein Beispiel ist.
Die Länder der dritten Welle der Demokratisierung35 und der Süderweiterung – Griechenland, Portugal und Spanien – gehören zu denjenigen, die am härtesten von der Finanzkrise betroffen waren. Dennoch scheint die große Akzeptanz des EG-Beitritts, die weite Teile der iberischen Gesellschaften damals teilten, ungebrochen. Auch wenn die Europa-Euphorie der 1980er und 1990er Jahre in den letzten Jahre abgekühlt ist, weisen Portugal und Spanien noch immer hohe Zustimmungswerte zu Europa im europäischen Vergleich auf.36 Dies mag an dem noch bei weiten Teilen der Gesellschaft vorhandenen Bewusstsein für die Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte liegen, die hier skizziert wurden. Auch wenn bereits während der Diktaturen eine wirtschaftliche Orientierung zum europäischen Binnenmarkt festzustellen war, so war das Novum der demokratischen Transitionen das politische Bekenntnis zu Europa. Europa wurde nun mehr als eine Zollunion. Es stand für einen Wertewandel weg von Autoritarismus, Kolonialismus und Isolierung hin zu Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Dieser Wandel kam zwar aus der Mitte der iberischen Gesellschaften, er wäre aber ohne die europäische Integration um einiges erschwert gewesen. Das Bewusstsein darüber ist bei aller Kritik der europäischen Integration in beiden iberischen Staaten noch tief verankert.
Fernando Morán, der zwischen 1982 und 1985 Außenminister Spaniens war, sprach sogar vom spanischen Phänomen eines ‚akritischen Europäismus’ (Europeísmo acrítico) und meinte damit, dass Europa für weite Teile der spanischen Gesellschaft und Politik direkt nach dem Beitritt nicht mehr nur eine politische Option war, sondern zu einer regelrechten Ideologie wurde – vgl. Fernando Morán, España en su sítio (Barcelona: Actualidad y Libros, 1990). Zur Akzeptanz Europas in Portugal vgl. Marina Costa Lobo, „Still Second-Order? European Parliament Elections in Portugal“, in Contemporary Portugal: Politics, Society and Culture, hrsg. von António Costa Pinto (New York: Columbia University Press, 2011), 249–73, hier 249.↩
Vgl. Stefan A. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft: der schwierige Weg zur Mitgliedschaft (Bonn: Europa-Union, 1977), 32.↩
Vgl. Maria Fernanda Rollo, „Portugal e o Plano Marschall: história de uma adesão a contra-gosto (1947–52)“, Análise Social 29, Nr. 128 (1994): 841–69, hier 841.↩
Vgl. António Costa Pinto und Nuno Severiano Teixeira, „From Africa to Europe: Portugal and European Integration“, in Southern Europe and the Making of the European Union, hrsg. von António Costa Pinto und Nuno Severiano Teixeira (Boulder, Colo: Social Science Monographs, 2002), 3–40, hier 16; Rui Lourenço Amaral de Almeida, Portugal e a Europa: Ideias, Factos e Desafios (Lisboa: Sílabo, 2005), 270.↩
Vgl. Pinto und Teixeira, „From Africa to Europe“, 8–9.↩
Die Umbenennung des Kolonialbesitzes in der Verfassung von ‚Kolonien’ in ‚Überseeprovinzen’, die mit der Verfassungsänderung von 1951 vollzogen wurde, antizipierte den internationalen Widerstand gegen Portugals Herrschaft in Afrika und Ost-Timor. Die Umbenennung sollte den unzertrennlichen Charakter dieser Territorien als Hoheitsgebiete des portugiesischen Staates verdeutlichen. Als sich der Generalsekretär der UNO im Jahre 1955 bei der portugiesischen Regierung erkundigte, ob Portugal koloniale Territorien im Sinne des Artikels 73 besaß, konnte Salazar die Frage mit Verweis auf die Verfassung verneinen. Vgl. Fernando Rosas, Portugal e o Estado Novo (1930–1960) (Lisboa: Presença, 1990), 115.↩
Vgl. António E. Duarte Silva, „O litígio entre Portugal e a ONU (1960–74)“, Análise Social 30, Nr. 130 (1995): 5–50.↩
Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 10.↩
António de Oliveira Salazar, „Circular confidencial enviada às embaixadas e delegações de Portugal, definindo a posição a seguir em matéria europeia (6 Março 1953)“, in Serviço de Arquivo Histórico-Diplomático (Lisboa: Ministério dos Negócios Estrangeiros, 1953), PEA, 309. Zu Deutsch: „Zum Glück sind die Pyrenäen geographisch bedeutsam genug, als dass die Iberische Halbinsel von den neuen Organisationen weder vereinnahmt, noch entscheidend beeinflusst werden könnte. Aber: abwarten und sehen, was passiert.“, Übersetzung T. P.↩
Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 10.↩
Vgl. Nicolau Andresen-Leitão, „O convidado inesperado: Portugal e a fundação da EFTA, 1956–60“, Análise Social 39, Nr. 171 (2004): 285–312.↩
Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 15.↩
Vgl. Paul Preston, El holocausto españo: Odio y extreminio en la Guerra Civil y después (Barcelona: Debate, 2011), 615.↩
Vgl. Juan Carlos Pereira Castañares und Antonio Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, in Southern Europe, hrsg. von Pinto und Teixeira, 41–80, hier 58.↩
Vgl. Juan Pablo Fusi und Jordi Palafox, España: 1808–1996: El desafío de la modernidad (Madrid: Espasa, 1997), 304.↩
Vgl. Ricardo Martín de la Guardia, „In search of lost Europe: Spain“, in European Union Enlargement: a comparative history, hrsg. von Wolfgang Kaiser und Jürgen Elvert (London: Routledge, 2004), 93–111, hier 101.↩
Vgl. Pereira Castañares und Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, 49.↩
Vgl. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 47.↩
Vgl. de la Guardia, „In search of lost Europe: Spain“, 101.↩
Vgl. Fusi und Palafox, España: 1808–1996, 345; Joaquín Muns Albuixech, „España y el Fondo Monetario Internacional (FMI)“, Economistas 19, Nr. 90 (2001): 20–6, hier 20.↩
Vgl. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 31.↩
Vgl. Miren Etxezarreta, Hrsg., La Reestructuración del capitalismo en España, 1970–1990 (Barcelona: Icaria, 1991), 241.↩
Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 39.↩
Vgl. Almeida, Portugal e a Europa, 270.↩
Vgl. Wigand Ritter und Rasso Ruppert, Portugal im Aufbruch? Eine wirtschaftsgeographische Analyse zum EG-Beitritt (Nürnberg: Gesellschaft für Regionalforschung, 1988), 26.↩
Vgl. Pereira Castañares und Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, 74.↩
Vgl. António Costa Pinto, „The Authoritarian Past and South European Democracies: an Introduction“, South European Society and Politics 15, Nr. 3 (2010): 339–58, hier 349.↩
Vgl. Constituição da República Portuguesa (Amadora: Plátano, 1976).↩
Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 30.↩
Vgl. Miguel Francisco Loureiro de Mattos Chaves, As negociações de adesão de Portugal à Comunidade Económica Europeia, 1977–1985 (Lisboa: Universidade Católica, Instituto de Estudos Políticos, 2012), 232.↩
Claus Leggewie, „Die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft nach Süden“, Leviathan 7, Nr. 2 (1979): 174–98, hier 187.↩
Vgl. Pereira Castañares und Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, 76–7; Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 108–10.↩
Vgl. José Luis Buhigas Viqueira, „Spanish security policy“, in Spain and EC Membership Evaluated, hrsg. von Amparo Almarcha Barbado (London: Pinter, 1993), 114–18, hier 115.↩
Vgl. Fusi und Palafox, España: 1808–1996, 392.↩
Vgl. Samuel P. Huntington, The Third Wave: Democratization in the Late Twentieth Century (Norman: University of Oklahoma Press, 1991), 3.↩
Noch Ende 2015 blickten Spanier und Portugiesen im europäischen Vergleich trotz schwerer Krise überdurchschnittlich optimistisch in die Zukunft der Europäischen Union. Laut dem Eurobarometer zeigten sich 55% der Befragten in Portugal und 51% der Befragten in Spanien „fairly optimistic“ in Bezug auf die Zukunft Europas. In Deutschland, wo sich die Finanz- und Eurokrise kaum bemerkbar machte, lag dieser Wert bei lediglich 43%. Deutschland lag somit unterhalb, Spanien und Portugal oberhalb des EU-Durchschnitts von 47%, vgl. European Commission, Eurobarometer 84, 2015.↩
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