Illuminiertes Heldentum

Der éclat du héros in der französischen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts

Nikolas Immer

Andreas Gelz, Der Glanz des Helden: über das Heroische in der französischen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts. Figurationen des Heroischen 2 (Göttingen: Wallstein, 2016), 120 S..

Wer sich Heldenfiguren nähert, darf nicht lichtempfindlich sein. Schließlich strahlen sie traditionellerweise einen intensiven Glanz aus, der ihre exzeptionelle Disposition erst sichtbar werden lässt. Diesem éclat du héros widmet sich Andreas Gelz in seinem monographischen Essay, der auf die französische Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts bezogen ist. Seine Studie gliedert sich in sechs thematische Abschnitte und in einen resümierenden Schlussteil, in denen „die Geschichte des Helden als Lichtgestalt selbst […] in Form von Schlaglichtern und Momentaufnahmen erzählt“ (12–3) wird. Andreas Gelz ist Leiter des Teilprojekts „Der ‚éclat‘ des Helden – Formen auratischer Repräsentation des Helden in Frankreich vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“, das im Freiburger Sonderforschungsbereichs 948 Helden – Heroisierungen – Heroismen angesiedelt ist und in dessen Publikationsreihe Figurationen des Heroischen die vorliegende Arbeit als zweiter Band erschienen ist.

Im einleitenden ersten Abschnitt beschäftigt sich Gelz mit dem „Auftritt des Helden“ und differenziert zwischen verschiedenen Bedeutungsperspektiven des Begriffs éclat. Kennzeichnet dieser Glanz einerseits die gleichsam transzendentale Herkunft des Helden, indiziert er andererseits die enge Bindung zwischen leuchtendem Held und beleuchtetem Publikum. Dass der „vieldeutige Begriff“ (10) mit dieser Unterscheidung aber noch nicht vollständig erfasst ist, verdeutlicht der etymologische Hinweis auf die zusätzlichen Bedeutungsvarianten von ‚Aufsehen‘ und ‚Skandal‘ (9). Ferner unterstreicht Gelz, dass die für die Heldendarstellung charakteristische Lichtmetaphorik nicht allein das kriegerische, sondern auch das erotische und religiöse Heldentum charakterisiert.

Der zweite Abschnitt, in dem die „Apotheose des Helden“ behandelt wird, ist auf die Konturierung von Heldenbildern in der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts bezogen. Dabei findet die heroische Lichtmetaphorik ihren zentralen Ausdruck in der Rede von der „solarité du héros“ (14), die wiederum in erster Linie mit den Strategien der „Autoheroisierung Ludwigs XIV.“ (18) verbunden ist. Gleichwohl bleibt der Begriff des éclat nicht allein auf den französischen König beschränkt, sondern wird im Rahmen der Hofmannstraktate grundsätzlich „zur normativen Beschreibung der absolutistischen Ordnung herangezogen“ (17). Dass jedoch schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts begonnen wird, diese Heroisierungslogik in Frage zu stellen, legt Gelz anhand Mme de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves dar. Am Beispiel einer komplexen Konstellation wechselseitigen Beobachtens auf der Figurenebene wird die schwierige und zugleich unsichere Position des Helden „zwischen Heroisierung und Deheroisierung“ (24) herausgestellt.

Dass diese aufkeimende Kritik an den tradierten Heldenvorstellungen zunächst in der Moralistik aufgegriffen und in der Aufklärung radikalisiert wird, erläutert Gelz im dritten Abschnitt über „Aufklärung und Heldentum“. Er macht darauf aufmerksam, wie sich ein intellektuelles Heldentum formiert, das seinen Ausdruck in der – zunächst vor allem von Voltaire verfochtenen – Vorstellung vom grand homme findet. Trotz der unmittelbaren Ablehnung kriegerischer Heldentaten, an deren Stelle nun die „herausragenden Handlungen ziviler Natur“ (28) treten, halten auch die Aufklärer am Leitbegriff des éclat fest. Während Bernardin de Saint-Pierre diesen Terminus auf den Schriftsteller selbst perspektiviert, dessen Arbeit er „als eine Art Fortführung heroischer Praxis unter aufklärerischen Vorzeichen“ (38) begreift, flexibilisiert Diderot den Geltungsbereich des éclat. Indem er den Begriff in seinen Salons gezielt deheroisiert, rückt er die „Produktions- und Reproduktionsmechanismen des Heroischen“ (45) in den Fokus.

Die deutliche Distanzierung vom kriegerischen Heldentum in der Aufklärung führt im 19. Jahrhundert zur „Rückkehr des Helden“, die Gelz im vierten Abschnitt seiner Arbeit behandelt. Es wird gezeigt, wie schon Mme de Staël beginnt, den éclat als geschichtsphilosophische Kategorie zu werten, die den Rückblick auf eine heroische Vergangenheit ermöglicht. Am Beispiel von Honoré de Balzacs Roman Le Colonel Chabert demonstriert Gelz, wie sehr die Heimkehrer aus den napoleonischen Kriegen ein inzwischen obsolet gewordenes Heldenmodell verkörpern. Konkret wird der Auftritt des Colonel zwar „mit dem éclat eines glänzenden Spiegels verglichen“, zugleich aber wird Chabert im Hinblick auf die grande armée als einer ihrer „schönen Überreste“ (53) ausgewiesen. Diese Ambivalenz von einstiger Heroisierung und gegenwärtiger Deheroisierung vergegenwärtigt Gelz auch anhand der Darstellung Napoleons in François-René de Chateaubriands Mémoires d’outre-tombe. Darin entwickelt er eine variantenreiche „Licht- und Glanzmetaphorik“ (56), mit der noch einmal Napoleons exzeptioneller Heldenstatus unterstrichen wird. Gleichzeitig inszeniert sich Chateaubriand aber auch durch eine gezielte Autoheroisierung als dessen „Gegenspieler und Herausforderer“ (57). Der Ausblick auf Victor Hugos Les Misérables erlaubt es schließlich, den éclat als eine Reflexionsfigur geschichtlicher Erkenntnis zu kennzeichnen.

Mit der Frage nach der „Modernität des Helden“ ist der fünfte Abschnitt überschrieben, in dem Gelz herausarbeitet, wie die heroischen Aspekte des éclat zunehmend auf die bürgerliche Sphäre übertragen werden. Nachweisen lässt sich dieses Phänomen insbesondere in Balzacs Comédie Humaine, wo etwa wirtschaftliche Prozesse mit dem Vokabular des traditionellen Kriegsheldentums dargestellt werden. Mit dieser Heroisierung der Ökonomie geht die Etablierung neuer „Heroisierungsinstanzen“ (72) einher, wie Gelz mit Blick auf das Pressewesen darlegt. Der éclat, so pointiert Gelz, „ist für Balzac […] der sichtbare Ausdruck der Lebensenergie seiner Protagonisten und […] der bürgerlichen Gesellschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt“ (73). Nach einem Seitenblick auf Alexis de Tocquevilles Analysen der amerikanischen Demokratie profiliert Gelz die Figur des Dandy, die Charles Baudelaire zum Heros der modernen Gesellschaft stilisiert. Es wird herausgestellt, wie der Dandy zu einer Synthesefigur avanciert, in der Heldentum und Künstlertum verschmelzen. An die Stelle der vormaligen heroischen Projektionsfigur ist nun der Dandy getreten, der bewusst seine gesellschaftliche Ausnahmestellung behauptet.

Im vorletzten sechsten Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen „Ästhetik und Heldentum“ entfaltet, wie er vor allem in den Werken der Parnasse-Dichter zu beobachten ist. Gelz stellt fest, dass die heroische Selbstbeschreibung dieser Dichter einerseits über das Thema des Exils und andererseits über die Orientierung an klassischen Heldenfiguren wie Herakles realisiert wird. Dabei trage der Begriff des éclat konstitutiv zur Stärkung des künstlerischen Selbstbewusstseins bei: „Der Glanz des Helden bzw. des Heroischen und seine Darstellung durch den Künstler gibt diesem nicht nur die Möglichkeit, im Licht des Helden zu scheinen, sondern auch die eigene künstlerische Leistung als Heldentat zu begreifen.“ (95) Letztlich perspektiviert Gelz den éclat auf die moderne Kunst selbst, deren heroischer Gehalt darin bestehe, sich ‚kämpferisch‘ gegenüber historisch obsoleten Kunstformen durchzusetzen.

Wie im Schlussabschnitt nochmals überzeugend bestätigt wird, bildet der ‚Glanz des Helden‘ eine essentielle Kategorie, um historische Entwicklungen und Transformationen im Bereich des Heroischen beschreiben zu können. In seinem anregenden Überblick gelingt es Gelz, den Begriffswandel des éclat von „einer Figur kulturellen Orientierungswissens“ hin zu „eine[r] Reflexionsfigur“ (100) zu kennzeichnen. Dass dabei nur ausgewählte literarische Werke der französischen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts genannt und behandelt werden konnten, versteht sich von selbst. Wie Gelz zudem anmerkt, hätte ebenso unter „gender-Gesichtspunkten“ […] eine eigene Linie verfolgt werden können“ (101–2). Dabei ist allerdings zu fragen, ob eine solche Untersuchung nicht abweichende Resultate gezeitigt hätte. Ein wenig bedauerlich bleibt schließlich, dass im Rahmen dieses monographischen Essays kaum Bezüge zu benachbarten Künsten oder anderen Nationalliteraturen hergestellt wurden. Vor allem die Malerei hätte sich angeboten, um verschiedene Vergleiche mit der bildkünstlerischen Darstellung des éclat zu ziehen (vgl. z.B. Jean-August-Dominique Ingres’ Gemälde Napoléon I. von 1806). Möglicherweise ist das aber ein Ansatz, der im kunstgeschichtlichen Teilprojekt des Freiburger Sonderforschungsbereichs verfolgt werden kann.





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