Mehr als ARTE und Asterix

Populärkultur im deutsch-französischen Kontext

Christoph Vatter

Dietmar Hüser und Ulrich Pfeil, Hrsg., Populärkultur und deutsch-französische Mittler: Akteure, Medien, Ausdrucksformen = Culture de masse et médiateurs franco-allemands: acteurs, médias, articulations, Jahrbuch des Frankeichzentrums der Universität des Saarlandes 14 (Bielefeld: transcript, 2015).

Die Populärkultur hat es immer noch schwer in der aktuellen Frankreichforschung. Trotz zahlreicher Verflechtungen und der Vielfalt deutsch-französischer Transfers in der massenmedialen Kultur besteht in der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Feldes der deutsch-französischen Beziehungen jenseits von Literatur und Film erheblicher Nachholbedarf, denn gerade im Vergleich mit Anglistik und Amerikanistik sind in der Frankoromanistik Impulse zur Beschäftigung mit Phänomenen der Pop- und Massenkultur im Sinne der cultural studies bislang nur zögerlich aufgegriffen worden. Der von den Historikern Dietmar Hüser und Ulrich Pfeil, beide durch einschlägige Arbeiten als Kenner der deutsch-französischen Beziehungen wohl bekannt, nun vorgelegte Schwerpunkt im Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes nimmt sich dieses Gebiets an und unterstreicht den Erkenntniswert populärkultureller Studien. Hervorgegangen aus einem deutsch-französischen interdisziplinären Workshop vereint der Band elf Fallstudien, die nach Medientypen („Gedrucktes“ – „Gehörtes“ – „Gesehenes & Gehörtes“ – „Decodiertes“) grob in Gruppen organisiert sind. Sie werfen einen Blick auf Mittlerpersönlichkeiten, die z.T. zwar – wie Louis de Funès – wohl bekannt sind, aber nur selten unter diesem Blickwinkel beleuchtet wurden, und fragen nach Transferprozessen und der Wahrnehmung populärkultureller Phänomene aus dem Nachbarland.

In ihrer sehr lesenswerten und fundierten Einleitung (15–50) führen die Herausgeber überzeugend die Relevanz der Erforschung populärkultureller und massenmedialer Kulturtransferprozesse und Mittlerfiguren im deutsch-französischen Kontext (und darüber hinaus) vor Augen, die bislang nur wenig Berücksichtigung fanden, nicht nur in der Zeitgeschichte, in der viele Beiträge des Bandes zu verorten sind. Im Anschluss an Überlegungen von Nicole Colin und Joachim Umlauf zur Erweiterung des Mittlerbegriffs1 plädieren auch Hüser und Pfeil dafür, neben Mittlerfiguren und -institutionen, die sich der deutsch-französischen Annäherung und der Intensivierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern explizit verschreiben haben, auch sog. nicht-intentionale Mittler in den Fokus zu nehmen. Dazu können zahlreiche Akteure aus dem populärkulturellen Bereich, wie z.B. Musik oder Film, gezählt werden, die häufig eine große (massenmediale) Präsenz in der anderen Kultur hatten und haben. Die Revision des Mittlerbegriffs in diesem Sinne erschließt in Verbindung mit populärkulturellen und massenmedialen Phänomenen einen fruchtbaren Raum interkultureller Verflechtungen in Europa mit spezifischen Transfer- und Fremdwahrnehmungsprozessen. Populärkultur ist, so die Herausgeber, von großer lebensweltlicher Relevanz für große Bevölkerungsgruppen und wurde bisher zu Unrecht recht stiefmütterlich betrachtet. Denn in Medien wie Comics oder auch Chansons lassen sich „Muster des Politischen im Populären“ (27) nachweisen, die – wie die Fallstudien des Sammelbandes zeigen – am Beispiel Deutschlands und Frankreichs die Untersuchung „asymmetrischer Interdependenzen“ (23) vielfältiger Art im interkulturellen Transfer und Austausch ermöglichen. Diese zeigen auch Perspektiven über dominante Betrachtungsweisen des Populären unter dem Paradigma der Amerikanisierung hinaus auf, die gerade im Hinblick auf die kulturellen Beziehungen zwischen (west-)europäischen Kulturen produktiv sein können. Die Einleitung des Bandes, deren Bibliographie zur Vertiefung dieser Aspekte einlädt, legt damit eine gelungene Basis für die folgenden empirischen Studien.

Der erste Block „Gedrucktes – Magazine, Comics & Karikaturen“ umfasst drei Beiträge zu Karikatur und Bande dessinée. Nicole Colins Analyse2 der Comic-Reihe Amours fragiles (P. Richelle/J.-M. Beuriot, 2001–13), die eine deutsch-französische Geschichte aus der Zeit des zweiten Weltkriegs mit einem Wehrmachtsoffizier als Protagonisten erzählt, zeigt auf, wie im Medium der B.D. trotz einer genre-spezifischen Tendenz zur Stereotypisierung auch Positionen entgegen dominanten Narrativen in der Erinnerungskultur entfaltet werden können – gerade aufgrund der spezifischen medialen Bedingungen. Gleichzeitig wird mit dem deutschen Besatzer auch ein Beispiel für ambivalente Mittlerfiguren in Kriegszeiten vorgestellt. Anhand des auch in Deutschland bekannten Le Monde-Zeichners Plantu zeigt der Aufsatz von Sandra Schmidt3 Repräsentationen der deutsch-französischen Beziehungen sowie interkulturelle Transferprozesse auf dem Gebiet der politischen Karikatur auf, während der diese Gruppe beschließende Beitrag von Ingeborg Rabenstein-Michel4 auf die Comic-Zeichnerin Claire Brétecher (Les Frustrés, 1975–80) und die Rezeption ihres gesellschaftskritischen und feministischen Werks in Deutschland eingeht. Sie verweist außerdem auf Asymmetrien in den populärkulturellen deutsch-französischen Transfers, denn die ähnlich orientierten deutschen Autoren Chlodwig Poth oder Franziska Becker wurden in Frankreich nicht rezipiert.

Die beiden Aufsätze im Kapitel „Gehörtes – Populäre Lied(ermach)er“ gehen der Entstehung und Erfolgsgeschichte von Barbaras berühmtem Chanson „Göttingen“ (Corine Defrance)5 sowie der Rolle von berühmten Chansonniers und Chansonnières wie Edith Piaf und Yves Montand im Rahmen der ré-éducation in der französischen Besatzungszeit unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs (Andreas Linsenmann)6 nach. Am Beispiel von Barbara werden dabei sowohl eine individuelle Entwicklung der Künstlerin von einer anfänglich ambivalenten Haltung zur Annahme einer aktiv-intentionalen Mittlerrolle als auch die Karriere ihres Chansons im Dienste eines offiziellen deutsch-französischen Versöhnungsdiskurses deutlich, während Linsenmanns interessanter Beitrag den Blick auf die schon damals diskutierte Frage nach dem Prestige populärkultureller Darbietungen für die französische Kulturpolitik in den Nachkriegsjahren lenkt.

Unter der Überschrift „Gesehenes & Gehörtes – Radio, Kino & Fernsehen“ sind die folgenden drei Beiträge den audiovisuellen Medien gewidmet. Sara Wlodarczyk7 interessiert sich für die deutsch-französische Radiokooperation in den Jahren 1948–52. Sie zeigt auf, wie sich – lange vor der Gründung der deutsch-französischen Hörfunkkommission 1963 – nicht nur eine kulturpolitische Einbahnstraße der Ausstrahlung französischer Radioprogramme im Rahmen der Kulturpolitik in der Besatzungszone, sondern schon früh ein veritabler Dialog im damals wichtigsten Unterhaltungsmedium etablieren konnte. Die Wahrnehmung des Komikers Louis de Funès als Repräsentant der französischen Kultur in Ost- wie in Westdeutschland stellt der Aufsatz von Laurence Guillon8 vor – eines von zahlreichen Beispielen für nicht-intentionale Mittler im Bereich des Films. Christoph Oliver Mayer schließlich zieht in seiner pointierten Untersuchung9 zum Grand Prix de la Chanson de l’Eurovision im Hinblick auf deutsch-französische Verständigung und Kulturvermittlung eine negative Bilanz, die auch die Präsenz, Repräsentation und Wahrnehmung der französischen Sprache im Wettbewerb betrifft.

Die letzten beiden Texte im Buchdossier zur Populärkultur widmen sich den Erzählungen expatriierter Deutscher und Franzosen im jeweils anderen Land sowie der Rolle des Fußballs als interkulturellem Mittler. Dana Martin10 stellt anhand eines Korpus von Unterhaltungsliteratur, aber auch Blogs mit Alltagsbeobachtungen und -erlebnissen im anderen Land eine vor allem in Deutschland prosperierende Gattung vor, der sicherlich auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht noch weiter nachgegangen werden sollte. Albrecht Sonntag und Davis Ranc11 rücken schließlich zurecht den Bereich des Sports, hier den Fußball, in den Kontext der deutsch-französischen Kulturbeziehungen, wo er vor allem auch im Jugendaustausch und in Städtepartnerschaften einen herausragenden Platz einnimmt. Sie zeigen dabei auf, dass gerade Profi-Fußballer, die im anderen Land tätig sind, kaum die Rolle eines Vermittlers zwischen den Kulturen wahrnehmen, während Länderbegegnungen und internationale Turniere einen privilegierten Raum für Fremdwahrnehmungsprozesse darstellen und gleichzeitig eine voranschreitende Europäisierung des Sports festzustellen ist.

Neben diesen Beiträgen zur Rolle der Populärkultur in den deutsch-französischen Beziehungen, die den thematischen Schwerpunkt dieses Jahrbuchs des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes bilden, enthält der Band einige Berichte über Aktivitäten des Frankreichzentrums, u.a. die Dokumentation einer Vortragsreihe zum „Arabischen Frühling“ sowie einen umfassenden, informativen Rezensionsteil, vorwiegend zu Publikationen mit deutsch-französischen Themen, aber auch zu anderen frankophonen Kulturräumen, von denen viele mit dem inhaltlichen Schwerpunkt des Bandes verwandte Themen behandeln.

Mit dem Dossier zu Populärkultur und deutsch-französischen Mittlern erschließt der sorgfältig lektorierte Band ein spannendes, bislang noch unzureichend untersuchtes Forschungsfeld der deutsch-französischen Beziehungen. Die Einzelbeiträge decken zwar sehr verschiedene Themenfelder mit unterschiedlichen Untersuchungsmaßstäben ab, weisen aber durch den Fokus auf die Frage der Mittler einen gelungenen gemeinsamen Rahmen auf und werden durch die Einführung in übergeordnete, theoretische Bezüge eingebettet, so dass sie als Aufruf zu weiteren Fallstudien in diesem Bereich verstanden werden können. Die meisten der Autorinnen und Autoren sind Historiker oder Vertreter der französischen Deutschlandstudien, doch ist die Fragestellung auch für die Frankoromanistik von hoher Relevanz, kann sie doch nur in interdisziplinärer Perspektive unter Berücksichtigung von geschichts-, kultur- sowie literatur- und medienwissenschaftlichen Ansätzen weiter erschlossen werden.


  1. Nicole Colin und Joachim Umlauf, „Eine Frage des Selbstverständnisses? Akteure im deutsch-französischen champ culturel. Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff“, in Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, hrsg. von Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf (Tübingen: Narr, 2013), 69–80.

  2. Nicole Colin, „Triviale Einsichten? Die Darstellung brisanter deutsch-französischer Themen in der Graphic Novel“, 53–72.

  3. Sandra Schmidt, „Der Pressezeichner Plantu: ein Mittler in den deutsch-französischen Beziehungen“, 73–86.

  4. Ingeborg Rabenstein-Michel, „Petite sociologie de la frustration chez Claire Bretécher, ou: la médiation franco-allemande par la BD“, 87–99

  5. Corine Defrance, „Barbara, Göttingen et la ‚réconciliation‘ franco-allemande“, 101–12.

  6. Andreas Linsenmann, „Edith Piaf, Yves Montand und Un peu de Paris: der Zielkonflikt zwischen Popularität und Prestige bei kulturellen Begegnungen der Nachkriegsjahre“, 113–24.

  7. Sara Wlodarczyk, „La Radiodiffusion Française et le Südwestfunk: aspects de l’émergence d’un dialogue radiophonique franco-allemand après 1945“, 127–38.

  8. Laurence Guillon, „Louis de Funès, ambassadeur de la culture populaire française en Allemagne et acteur d’une réconciliation… à ‚piti piti pas‘?“, 139–52.

  9. Christoph Oliver Mayer, „Die deutsch-französische Freundschaft und der Grand Prix de la Chanson de l’Eurovision“, 153–66.

  10. Dana Martin, „Histoires d’expat’: des auteurs et des blogueurs racontent leur quotidien en France et en Allemagne“, 169–84.

  11. Albrecht Sonntag und Davis Ranc, „Entre indifférence mutuelle et inspiration réciproque: le football, un médiateur culturel tardif entre la France et l’Allemagne“, 185–200.





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