Die Donau und ihre Bedeutung für die Balkanromania
Bericht zum 12. Balkanromanistentag in Regensburg
Carola Heinrich und Thede Kahl
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Die Donau ist nach der Wolga der längste und größte Fluss Europas und fließt von ihrer Quelle im Schwarzwald durch zehn Länder und vier Hauptstädte, bis sie ins Schwarze Meer mündet. Sie verbindet Kulturen, trennt als Staatsgrenze Länder und bildet den amphibischen Lebensraum des Donaudeltas. 16 Vortragende unterschiedlicher Disziplinen aus den Kultur-, Sprach-, Literatur- und Geschichtswissenschaften sowie der Geographie und Ethnologie diskutierten an drei Tagen über die Bedeutung der Donau für die Balkanromania.
Eröffnet wurde die Tagung mit der Sektion „Die Donau als Raum“, in der Johannes Kramer (Trier) die Darstellung der Walachei in der Weltchronik des Nürnbergers Hartmut Schedel (1493) vorstellte. Kramer stellte heraus, dass es sich bei den Eintragungen zur Walachei um eine wortwörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen von Enea Silvio Piccolomini, dem späteren Papst Pius II., handelt. Auch einige fehlerhafte Informationen, wie die falsche Etymologie der Bezeichnung Walachia, abgeleitet vom römischen Eroberer Flaccus, als auch die Verwechslung von Danern und Dakern wurden dabei ohne weitere Recherche schlichtweg übernommen. Sebastian Münzer wiederum übernahm diese Beschreibung in Form einer gekürzten Zusammenfassung in seiner Cosmographia (1544). Die Abschriften erlangten allerdings wissenschaftliche Bedeutung als Überlieferungen, da der Wissensstand sonst verloren gegangen wäre.
Peter Mario Kreuter (Regensburg) schloss daran an und analysierte anhand dreier Textbeispiele österreichische Beschreibungen der Walachei zwischen 1698 und 1718 und die Bedeutung, die der Donau darin zugeschrieben wurde: Während 1698 vor den Friedensverhandlungen mit den Osmanen die Donau als Marschrute galt, mit dem Langzeitziel ihrer kompletten Eroberung, spielte die Donau 1722 während des großen Krieges gegen die Osmanen (1714–1718) nur eine untergeordnete Rolle, und man widmete sich ausführlich der Landesbeschreibung der kleinen Walachei; 1718 schließlich wurde einerseits mit der kleinen Walachei abgerechnet, andererseits erfuhr die Donau aber einen Bedeutungswandel von einem Transportfluss zu einer Grenze, die für die Habsburgermonarchie gesichert werden sollte.
Entfallen mussten die geplanten Vorträge von Edda Binder-Ijima (Heidelberg) zur „Donau als Raumkonstruktion politischer Einigungsbestrebungen“ und von Corinna Leschber (Berlin) über „Etymologisches zum Bedeutungsfeld ‚Fischen‘ im Rumänischen“. Deshalb musste die zweite Sektion „Auf und in der Donau“ von Wolfgang Dahmen (Jena) und Victoria Popovici (Jena) allein bestritten werden. Sie zeichneten eine Etymologie der rumänischen Bezeichnungen der Donaufische nach, um daraus Schlüsse über die Kontinuität der Rumänen an der Donau ziehen zu können. Ihre Untersuchung ergab, dass slawische Bezeichnungen überwiegen und nur sehr wenige Fischnamen lateinischer Herkunft sind. Eine Existenz oder Nicht-Existenz der Rumänen an der Donau kann daher anhand der Ichthyonyme nicht nachgewiesen werden. Als mögliche Erklärung dafür führten sie die starke Besiedlung der Täler und Flussufer durch die Slawen an, während die Rumänen, die als genuines Hirtenvolk weniger vom Süßwasserfischfang lebten, überwiegend die Berge bewohnten.
Die Sektion „Literatur und Film“ eröffnete Carola Heinrich (Wien) mit der Analyse der Darstellung der Donau im rumänischen Film anhand von vier Beispielen: Die filmische Inszenierung des Flusses als Kriegsgebiet in Liviu Ciuleis Valurile Dunării (1959) und umkämpfte Grenze zur Verteidigung des Nationalen in Sergiu Nicolaescus Dacii (1967) weicht in Cătălin Mitulescus Cum mi-am petrecut sfârşitul lumii (2006) einem Lebensraum, dessen Grenzen als Abschottung und Einschränkung empfunden wurden und die in Sabin Dorohois Calea Dunării (2013) zugunsten einer Verbindung geöffnet wurden. Sie las diese Entwicklung als Ausdruck eines Wandels von einer nationalen Selbstbestimmung und Abgrenzung hin zu einer Integration in Westeuropa und damit einem transnationalen Selbstverständnis.
Aurelia Merlan (München) untersuchte die Funktionen, die der Donau in der rumänischen Volksdichtung zugeschrieben wurden. Vor allem in historischen, anti-osmanischen Balladen und Haiduckenliedern tritt die Donau als Erzählort in Form eines Wegs auf, enthält aber auch die Symbolik eines Grabes, sei es für Ertrunkene auf der Flucht oder für religiös motivierte Selbstmörder. Dem steht die personifizierte Donau als Helferin der naturverbundenen Rumänen gegenüber, die sie beschützt. Das Wasser der Donau wird daher häufiger als dunkel und trüb beschrieben und nur selten als klar und frisch. Außerdem kann der Fluss die Funktion einer Grenze übernehmen, einerseits zwischen dem Heimatland und der Fremde, andererseits als schwer überwindbares Hindernis.
Anke Pfeifer (Berlin) untersucht farbliche Raumkonstruktionen der Donau in Literatur und Film in Rumänien. Die grellgrüne und blaue imaginäre Donaulandschaft in Mircea Cărtărescus Ada-Kaleh (2012) wirkt als verheißendes, schützendes Faszinosum identitätsstiftend, weicht aber mit dem Verschwinden der Insel einem tiefen Schwarz als Farbe der Trauer. Diese Ambivalenz findet sich auch im blanken, wunderbar glitzernden Fluss in Orbitor: aripa stângă (1996), für den aber Opfer gebracht werden müssen, symbolisiert durch bläuliches Blut. Auch in Anca Miruna Lăzărescus Film Apele tac (2011) steht das monochrome Schwarz der Nacht und der Donau für Verlust, Opfer und tödliche Bedrohung wobei das Grau in Sabin Dorohois Calea Dunării (2013) als innere Landschaft Ausdruck von Einsamkeit ist.
Christina Vogel (Zürich) las Alexander Vlahuţăs Reisebericht Pe Dunăre (1901) als national-patriotischen Beitrag zur Konstruktion einer ethnischen Identität, bei dem die Beschreibung subjektiver Reiseimpressionen in den Hintergrund tritt. Es handelt sich weniger um einen Bericht als um die märchenhafte Evokation der Donau als Erinnerungsort, anhand derer die rumänische Geschichte als Sukzession zusammenhängender Ereignisse über die Metapher des Palimpsests geschildert wird: Das rumänische Königreich entsteht aus und auf den Ruinen des römischen Kaiserreichs. Zugleich Fluss und Symbol, erlaubt die Donau als patriotisches Narrativ, die eigene kulturelle Identität als Konstante aufzuwerten und dabei auch als Grenze und Demarkationslinie zu wirken.
In der Sektion „Onomastisches im Fluss“ widmete sich Jürgen Kristophson (Hamburg) dem Namen der Donau. Während im Süden die Bezeichnung Ister üblich war, verwendete man im Norden den Namen Danuvius, der sich schließlich auch durchsetzte. Danuvius gilt als der keltische Name der Stromanwohner, der von den Römern übernommen wurde, Istros hingegen schreibt man den Thrakern zu. Ungeklärt bleibt die Herkunft des Suffixes -re im Rumänischen, das nicht wissenschaftlich erklärt werden kann und zu dem nur Vermutungen kursieren.
Anschließend sprach Robert Lukenda (Mainz/Saarbrücken) zu Magris’ Danubio (1986). Mit dieser autobiografischen, essayistischen Reiseliteratur über die Donaukulturen reagierte Magris nicht zuletzt auf die Vereinfachung des Habsburgmythos in der Diskussion seiner berühmt gewordenen Doktorarbeit Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna (1963). In einer perspektivischen Erweiterung seines Habsburgbuches wirkt die Donau als gleichweise realer und imaginierter Raum: die multiethnische und vielsprachige Donau ist in Danubio nicht nur das Gegenbild zum rein germanischen Rhein. Lukenda wies die Reise und den Fluss als Metaphern für die räumliche Verortung und die Fluidität der Identität aus. Die Reise entlang der Donau steht dabei vor allem auch im Zeichen einer Spurensuche des Ich-Erzählers, der den tiefen kulturellen Wurzeln seiner Identität (erinnernd) nachspürt, sondern präsentiert sich zugleich auch als Reise zu Völkern und ethnischen Gruppen, die (nicht-vergessend) Konflikte der Vergangenheit und wechselseitige Animositäten kultivieren und unter einer erdrückenden Präsenz von Geschichte leiden, die laut Magris nicht nur ein literarisches Erbe Mitteleuropas, sondern auch gelebte Realität ist.
Ioana Nechiti (Wien) eröffnete die Sektion „Menschen an der Donau“ mit einem Beitrag zu Angel Pulido Fernández’ Schiffsreise auf der Donau, auf der er zum ersten Mal mit dem Judenspanischen in Berührung kam, und der in Folge von ihm begründeten Bewegung des Philosephardismus. Er bezeichnete die spanischen Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben wurden, als ‚Spanier ohne Vaterland‘. Pulidos Kampagne hatte die Einbürgerung, nicht aber die Einwanderung zum Ziel. Durch spanischsprachige Schulen und Lehrstühle an den Universitäten sollte die Situation der Sepharden in ihren neuen Heimatländern verbessert und die Verbindung zum spanischen Vaterland aufrechterhalten werden.
Alexandru Nicolae Cizek (Münster) beschrieb das Leben an der Donaumündung anhand der komparatistischen Lektüre zweier Romane: Jean Barts Europolis (1931), welches das Leben in der kosmopolitischen Stadt Sulina erzählt und Der Strom ohne Ende von Oscar Walter Cisek (1937), das in Chilia (ukrain. Kilija) am breitesten und nördlichen Donauarm in der heutigen Ukraine spielt. Im Vergleich wirken die beiden Romane als Antipode: Sulina ist ein wichtiger Fluss- und Seehafen und Sitz der Europäischen Donaukommission und wird als weltoffene, von zahlreichen Minderheiten bevölkerte Kulturstadt gezeichnet. Dem steht die düstere Beschreibung der unzivilisierten und gewalttätigen Fischer von Chilia gegenüber, deren Leben sich allein um die Störjagd dreht. Der Roman Ciseks zeichnet sich sowohl durch stupende Natur- und Landschaftsbeschreibungen als auch durch anschaulich-suggestive, expressionistisch anmutende Schilderungen der dramatischen Ereignisse, die in der Erzählung viel Platz einnehmen; ebenso wichtig ist die psychologische Analyse der für die Donaudelta typischen Charaktere.
An diese Beschreibung schloss Thede Kahl (Jena) mit einem bildreichen Beitrag über Land und Leute im Donaudelta an. Der Vortrag gliederte sich in die Abschnitte Raum, Fauna und Flora, ethnisch/konfessionelle Struktur und Wirtschaft im Donaudelta. Einer Darstellung der räumlichen Entwicklung und der verschiedenen Biotope aus physiogeographischer Sicht folgten zoologische Erläuterungen, vor allem zu den endemischen Vogelarten. Den Abschluss bildete die Beschreibung des interkulturellen Zusammenlebens der verschiedenen Ethnien, allen voran der altgläubigen Russen (Lipowaner) und der stärker rumänisierten Ukrainer (Hoholi), zu denen er eigene Feldforschungsaufnahmen (Audio, Video) präsentierte.
Der letzte Konferenztag begann mit Holger Wocheles (Wien) Vortrag zur Genuszuweisung bei Flussnamen im Rumänischen im Vergleich mit anderen romanischen Sprachen. Die Flussnamen sind im Rumänischen hauptsächlich männlich bzw. neutrum und werden nur im Singular verwendet. Im Gegensatz zu den anderen Sprachen gibt es kein festes referentielles Genus, die Genuszugehörigkeit wird häufig phonetisch bestimmt. Im Vergleich zu den anderen Sprachen ist der Gebrauch des Definitartikels mit Flussnamen schwankend.
In der letzten Sektion „Mythen und Legenden“ analysierte Ilina Gregori (Berlin) die Beschreibungen der Donau als poetischen Traum oder als symbolischen Ort. Vier Autoren aus vier aufeinander folgenden Generationen sollen exemplarisch sowohl die wesensmäßige Verwurzelung der Donau-imagines in der rumänischen Identitätsproblematik als auch die Vielfalt der Diskursformen zeigen, die dabei beansprucht werden. Während in Mircea Cărtărescus Orbitor (Aripa stângă, 1996) die Donauüberquerung die mythische Geburtsstunde der Badislav-Sippe bildet, beschreibt Ştefan Bănulescu mit Metopolis (Cartea de la Metopolis, 1977) das absurde, groteske Treiben in einer Stadt an der unteren Donau, die paradoxerweise aufgrund ihrer erhabenen, byzantinischen Aszendenz dem Untergang geweiht ist. Eine Überschwemmung der Donau beschwört bei Ana Blandiana (Sertarul cu aplauze, 1992) die Vision einer finsteren Apokalypse herauf, bei der Rumänien samt seinen Identitätsentwürfen im wütenden Fluss versinkt. Mit Matila Ghyka wird man dagegen Zeuge einer abenteuerlichen Donauschifffahrt von vier rumänischen Torpedobooten auf dem Weg von London nach Galaţi – eine Premiere in der europäischen Schifffahrt zu Beginn des vorigen Jahrhunderts (Couleur du monde, Bd. 1, Escales de ma jeunesse, 1956).
Den Abschluss der Konferenz bildete Silvia Irina Zimmermanns (Neuwied) Beitrag zu Rheintochters Donaufahrt/Pe Dunăre (1905) von Carmen Sylva, der Königin Elisabeth von Rumänien. Zimmermann las auch auf Grundlage der Korrespondenz der Königin, den Reisebericht als Ausdruck des Thronfolgerkonflikts, der sie in ein dreijähriges Exil zwang. Sylva glorifiziert darin ihren Gatten Carol I. von Rumänien, während der von ihr missachtete Thronfolger Ferdinand komplett ausgeblendet wird. Gleichzeitig richtet sie ihren Fokus auf Ferdinands Sohn Carol II., den sie als Hoffnung für das Fürstenhaus hochstilisiert.
Die Ergebnisse der Tagung werden in der Reihe „Forum: Rumänien“ (hrsg. von Thede Kahl und Larisa Schippel) im Verlag Frank & Timme erscheinen.
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