Cursus Intégré: ein Beitrag zur Europäisierung

Olivier Mentz und Karin Dietrich-Chénel

„Der Rhein trennt und verbindet die Menschen am Oberrhein in gleicher Weise“ – so begann Denk seine Ausführungen über Grenzüberschreitungen im Bereich der Lehrerbildung für ein „Europa der Regionen“1. In der Tat bietet das Oberrheingebiet in vielfacher Hinsicht eine hervorragende Grundlage für grenzüberschreitende Entwicklungen – und die Lehrerbildung ist seit 1998 Bestandteil dieser Aktivitäten. Im Wintersemester 1998/99 wurde zwischen der Pädagogischen Hochschule Freiburg (im Folgenden: PH) und der Université de Haute-Alsace Mulhouse (im Folgenden: UHA) ein gemeinsamer Lehramtsstudiengang ins Leben gerufen, der seit diesem Zeitpunkt stetig weiter entwickelt werden konnte und bis heute eine hohe Attraktivität für seine Studierenden und Absolvent/innen besitzt. Der Studiengang wird von der Deutsch-Französischen Hochschule unterstützt.

Ziel der Entwicklung dieses Studiengangs war von Beginn an, dass die „künftigen Lehrkräfte […] am Oberrhein einen erweiterten Arbeitsmarkt auf der Grundlage gemeinsamer kultureller Grundlagen vorfinden“2 sollten. Vorangegangen waren ab 1996 politische Diskussionen innerhalb der Oberrheinkonferenz um die Notwendigkeit und die Möglichkeit, für Deutschland und Frankreich Modelle für eine grenzüberschreitende Lehrerbildung zu entwickeln.

Im Rahmen des Studiengangs kooperieren heute die folgenden Institutionen miteinander: die PH und die UHA, die Ecole Supérieure du Professorat et de l’Éducation der Académie de Strasbourg (im Folgenden: ESPE), die Staatlichen Seminare für Didaktik und Lehrerbildung (Grundschulen) in Lörrach und Offenburg (im Folgenden: Staatliche Seminare). Alle beteiligten Institutionen, sowie die zuständigen administrativen Behörden für die Lehrämter (die Académie de Strasbourg auf französischer Seite sowie das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg) haben bereits sehr früh in der Geschichte des Studiengangs eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet (im Folgenden AG Cursus Intégré genannt), in der Vertreter/innen aller Institutionen versammelt sind und die sich zweimal im Jahr trifft, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen und den Studiengang kontinuierlich weiter zu entwickeln.

Die Grundstruktur des Studiengangs basiert auf dem Wunsch der Programmverantwortlichen, die Studierenden als gemeinsame Kohorte so umfassend wie möglich studieren zu lassen. Dabei war es den Programmverantwortlichen von Beginn an wichtig, dass alle Studierenden während der Studienzeit (also vor Beginn der eigentlichen Praxisphase) mindestens zwei Jahre an der Partnerhochschule verbringen, weil sonst das Verständnis für das jeweils andere Bildungssystem nicht ausreichend vorhanden ist, um auf dem dortigen Arbeitsmarkt erfolgreich bestehen zu können. Grundlegendes Prinzip ist auch eine möglichst großzügige gegenseitige Anerkennung von Prüfungsleistungen; dies dient einerseits dazu, den Studierenden keinen unnötig hohen Prüfungsaufwand zumuten zu müssen, andererseits aber auch – basierend auf einer Analyse der im jeweiligen System (und als unabdingbar definierten) notwendigen Kompetenzen – dazu, im einen System fehlende Ausbildungsinhalte einzubinden, ohne damit zwangsläufig auch zusätzliche Prüfungselemente zu verbinden. De facto basiert die Grundstruktur auf einem hohen Vertrauen zwischen den beteiligten Institutionen und Programmverantwortlichen.

1. Der strukturelle Aufbau des Studiengangs

Der Studiengang wurde in den 16 Jahren seines Bestehens immer wieder neu strukturiert und damit den sich verändernden Gegebenheiten beiderseits des Rheins regelmäßig angepasst. Der hier aufgezeigte Aufbau basiert auf den aktuellsten Anpassungen, die durch die Reform der Lehrerbildung in Baden-Württemberg notwendig wurden und mit Beginn des Wintersemesters 2015/16 in Kraft getreten sind. Ausgehend von der Auswahl der Studierenden wird in gebotener Kürze aufgezeigt wie die gemeinsamen Studienjahre an den diversen Institutionen strukturiert sind.

1.1 Studienjahr 1 – Auswahl der Studierenden

Das erste Studienjahr erfolgt vollständig an der Heimathochschule. Dies ermöglicht den Studierenden, sich im universitären System des „Heimatlandes“ zu akklimatisieren und vertiefte Informationen über den Studiengang erhalten zu können. Aus diesem Grund erfolgt die Auswahl der Studierenden auch erst zu Beginn des zweiten Studienhalbjahres an der jeweiligen Heimathochschule. Die Auswahl erfolgt durch eine binationale Auswahlkommission (bestehend aus Vertreter/innen aller oben genannten am Studiengang beteiligten Institutionen) vor dem Hintergrund von drei klaren Kriterien: Sprachkompetenz in der jeweiligen Partnersprache, Motivation (in einem entsprechenden Anschreiben dargestellt sowie durch Fragen im Interview hinterfragt), Vorstellungsgespräch. Da der Studiengang von jeher dadurch geprägt ist, dass das jeweilige Lebensumfeld durch den jährlich notwendigen Wechsel des Aufenthaltslandes sich regelmäßig verändert und daher stets Anpassungen an die neue Umgebung notwendig werden, ist insbesondere die Frage der Motivation nicht unerheblich für die Auswahl der potentiellen Studierenden.

Der Studiengang besitzt je Studienjahr bis zu 30 Studienplätze (15 Studienplätze je Hochschule). Obwohl das Interesse an dem Studiengang recht hoch ist, wurden meist nie alle Studienplätze vergeben, weil das Ziel der Programmverantwortlichen nicht ist, jedes Jahr um jeden Preis alle Interessierten zuzulassen und damit komplette Kohorten zu haben, sondern die potentiell „richtigen“ Kandidat/innen in den Studiengang aufzunehmen. Die im Vergleich zu anderen Studiengängen von Beginn an äußerst geringe Zahl an Studienabbrecher/innen scheint diese Auswahlpolitik zu bestärken.

1.2 Studienjahr 2 – gemeinsam starten und studieren an der Pädagogischen Hochschule Freiburg

Die so ausgewählten Studierenden werden bereits im Laufe des ersten Studienjahres in spezifischen Informationsveranstaltungen auf ihre bevorstehende gemeinsame Studienzeit vorbereitet. Dazu gehört auch, dass sie eine vorbereitende Aufgabe für das Einführungsseminar im Studienhaus Wiesneck erhalten. Dieses auch Oktobermodul genannte Seminar findet bewusst an einem Drittort statt, weil ein wichtiges Ziel des Moduls das gemeinsame intensive Kennenlernen und die gemeinsame Arbeit an einem Thema ist. Das Studienhaus Wiesneck, am Rande des Schwarzwaldes gelegen, bietet hierfür optimale Rahmenbedingungen: es liegt günstig für die Anreise und doch dezentral genug, um keinerlei externe Störung zuzulassen; es bietet komfortable Räumlichkeiten (mit der notwendigen medialen Ausstattung) und ein angenehmes Ambiente. Die Durchführung an einem abgelegenen Drittort ermöglicht neben der intensiven inhaltlichen Arbeit ein strukturiertes Programm zum Kennenlernen, was – sicherlich gemeinsam mit anderen Faktoren – zu einem gemeinsamen Verständnis des Studiengangs und auch zu einem größeren Zusammenhalt führt als es in anderen, mononationalen Studiengängen an den beiden Hochschulen der Fall ist. Inhaltlich beschäftigt sich das Oktobermodul von Beginn an mit den deutsch-französischen Beziehungen: Die Studierenden beschäftigen sich mit den drei großen deutsch-französischen Kriegen (1871/71, 1914–1918, 1939–45) und mit den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich seit Ende des zweiten Weltkrieges.

Um alle Studierenden im Laufe ihres Studiums im Integrierten Studiengang sprachlich optimal zu begleiten, erhalten sie an ihrer Heimathochschule jeweils eine entsprechende Sprachbegleitung und an der Partnerhochschule intensive Sprachkurse. Darüber hinaus arbeiten sie in den Studienjahren 2 und 3 in begleiteten Tandems.3

Das erste gemeinsame Studienjahr ist geprägt von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Für die französischen Studierenden gilt es im ersten Halbjahr die Grundlagen für ein Bestehen im deutschen System zu legen. Hierfür besuchen sie Lehrveranstaltungen, die von den deutschen Studierenden meist bereits im ersten Studienjahr belegt wurden. Daher arbeitet die Kohorte im ersten Halbjahr weitgehend getrennt.

Im zweiten Studienhalbjahr findet dann für alle gemeinsam das Integrierte Semesterpraktikum (ISP) statt. Die deutschen und französischen Studierenden sind hierfür in gemischten Gruppen an diversen Grundschulen im Großraum Freiburg aufgeteilt, hospitieren dort und machen auch erste eigene Unterrichtsversuche. Zusätzlich zum Praktikum, das in der Regel die Vormittage ausfüllt, besuchen die Studierenden ebenfalls gemeinsam an manchen Nachmittagen das ISP begleitenden, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Lehrveranstaltungen an der PH.

1.3 Studienjahr 3 – gemeinsam die Licence bestehen

Das dritte Studienjahr4 findet an der UHA in Mulhouse statt. Auch dieses Studienjahr beginnt mit einem vorgelagerten Modul, welches aufgrund der Terminierung auch als Septembermodul bezeichnet wird. Dieses Modul hat einerseits zum Ziel, den deutschen Studierenden den Einstieg in das französische System zu erleichtern5; andererseits führt es den interkulturellen Gedanken des Oktobermoduls in Wiesneck fort und trägt zu einem weiteren Ausbau interkultureller Kompetenzen bei.

Das Studienjahr ist geprägt von der Tatsache, dass am Ende des Jahres die Prüfungen zur Licence d’allemand. Parcours Cursus Intégré pour la Formation Transfrontalière des Enseignants (CIFTE) anstehen, die von allen Studierenden des Studiengangs absolviert werden.

1.4 Die Studienjahre 4 bis 6 – gemeinsam den Master und den Concours meistern sowie den Vorbereitungsdienst durchlaufen

Das dritte und vierte gemeinsame Studienjahr finden ebenfalls im Wechsel zwischen Freiburg und der ESPE (Standort Colmar) statt. Im ersten der beiden Jahre sind die Studierenden in Freiburg und absolvieren die notwendigen Master-Kurse auf deutscher Seite. Im darauf folgenden Jahr bereiten sie den Concours vor und führen diesen auch durch.

Parallel erfolgt im Frühjahr die Vereidigung in den baden-württembergischen Vorbereitungsdienst.6 Im sechsten Ausbildungsjahr (und damit dem fünften gemeinsamen Jahr) sind alle Absolvent/innen im baden-württembergischen Vorbereitungsdienst.

2. Chancen für eine europäische Öffnung der Lehrerbildung

Lehrerbildung ist per se traditionell an national definierten Standards orientiert und öffnet sich nur sehr schwer internationalen Tendenzen. Wenn auch die diversen Studien zu den Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler weltweit dazu geführt haben, dass sich Bildungsverantwortliche das ein oder andere Bildungssystem näher angeschaut und von diesen Aspekte für das eigene Bildungssystem als interessant erkannt haben, so hat dies doch nicht dazu geführt, dass eine sichtbare Internationalisierung der Lehrerbildung erfolgt sei.7

In den nunmehr 16 Jahren des Bestehens des Studiengangs gab es daher auch zwei größere Herausforderungen, die man hervorheben sollte.

2.1 Ein kleiner Schritt

Wenn auch – gerade in Deutschland und Frankreich – regionale oder nationale Behörden darüber entscheiden, wer als Lehrkraft eine Stelle erhält oder nicht, so ist trotzdem zumindest ein Teil der Lehrerbildung weitgehend „frei“ von hoheitlicher Aufsicht – nämlich die Ausgestaltung der universitären Lehre an den beteiligten Hochschulen. Dieser Teil wird zwar auch staatlich kontrolliert, insofern der Staat festlegt, welche Ausbildung dafür zugrunde gelegt wird, damit jemand eine Chance auf eine Einstellung erhält (in Frankreich z.B. durch die Anforderungen des Concours, in Deutschland durch das Staatsexamen). Trotzdem haben die Hochschulen für die Ausgestaltung des Studiums weitgehende Freiheit.

Die Rahmenbedingungen für die Curricula in der Lehrerbildung haben sich in den 16 Jahren des Bestehens des Studiengangs permanent geändert. Die diversen Reformen der Lehrerbildung wie auch der lehrerbildenden Institutionen konnten nicht spurlos vorüber gehen an einem Studiengang, der, wie oben beschrieben, darauf angelegt ist, dass jeweils mindestens zwei Jahre im anderen System absolviert werden. Daher waren die Programmverantwortlichen stets gefordert, die jeweils neuen Entwicklungen frühzeitig vorausschauend8 in die Gesamtplanung und Weiterentwicklung des Studiengangs einzubinden. Jedes Mal, wenn die Struktur aufgrund einer Reform auf der einen Seite des Rheins geändert worden war, zeichnete sich eine baldige Reform auf der anderen Seite des Rheins ab.9 Aufgrund der so stets sich verändernden Rahmenbedingungen war es regelmäßig notwendig, die Anerkennungsmodalitäten zwischen den Hochschulen den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen und die gewünschten und für eine optimale Lehrerbildung relevanten Lehrveranstaltungen bereitzuhalten. Dies führte dazu, dass es sowohl an der PH als auch an der UHA Lehrveranstaltungen gab (und noch immer gibt), die ausschließlich für die jeweilige Kohorte des Studiengangs angeboten wurden.

Die Komplexität der notwendigen Anpassungen soll hier nicht weiter ausgeführt werden, denn wenn zwei Hochschulen die Hoheit über ihre Examina – oder zumindest über weite Teile davon – haben, dann kann die Frage der gegenseitigen Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen eigentlich kein größeres Problem darstellen. In der Tat haben beide Hochschulen immer einen Weg gefunden, wie die Frage der Anerkennung von Leistungen möglichst pragmatisch und großzügig gehandhabt werden kann. Grundlegend dabei war stets die Frage, welche der Lehrveranstaltungen die Studierenden unabdingbar benötigen, um im jeweiligen System bestehen zu können – und zwar nicht nur während des Studiums, sondern gerade auch im späteren Lehreralltag. Da die Entscheidungen hierfür ausschließlich bei den Hochschulen liegt, bezeichnen wir diese Art der Internationalisierung als einen kleinen Schritt hin zu einer europäischen Öffnung der Lehrerbildung.

2.2 Erweiterte Lehrerbildung im europäischen Kontext

Was für die meisten anderen Studiengänge kein Problem darstellt, weil die Berufsfähigkeit nach dem universitären Abschluss gegeben ist und mit diesem Zeitpunkt die Arbeitssuche (in beiden Ländern) beginnen kann, ist gerade im Lehramt – wieder zumindest für Deutschland und Frankreich – nicht ganz unproblematisch. Dies liegt daran, dass der französische Staat bzw. die deutschen Bundesländer eine Hürde eingebaut haben, die es zu bewältigen gilt: in Deutschland handelt es sich um den Vorbereitungsdienst mit dem Staatsexamen, in Frankreich um den Concours, der den Zugang zum Lehrerberuf definiert. Somit können Hochschulen zwar den primären Abschluss miteinander absprechen und möglichst umfassende gegenseitige Anerkennungspraktiken beschließen( siehe 2.1) – allein, die Zulassung selbst zum Lehrerberuf kann nur mit Einbindung der jeweiligen Schulbehörden erfolgen.

Von Beginn an, war angedacht, dass die Studierenden des Studiengangs die Lehrbefähigungen für beide Länder erhalten sollten, war doch auf beiden Seiten des Rheins der Bedarf an Lehrkräften für Deutsch bzw. Französisch gerade im Grundschulbereich sehr hoch. Daher war es äußerst relevant für die PH und die UHA, von Beginn an die zuständigen Stellen an der Académie de Strasbourg bzw. im baden-württembergischen Kultusministerium in die Planungen und Weiterentwicklungen einzubinden und die AG Cursus Intégré regelmäßig tagen zu lassen. Den regelmäßigen Sitzungen der AG Cursus Intégré ist es zu verdanken, dass einerseits sich abzeichnende Reformen auf beiden Seiten des Rheins frühzeitig thematisiert und in ihren Konsequenzen diskutiert werden konnten, und andererseits die jeweiligen Kultusbehörden rechtzeitig anmahnen konnten, wenn angedachte Lösungen aus deren Sicht nicht funktionsfähig waren.

Allerdings hat es lange gedauert, bis die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen wurden bzw. geschaffen werden konnten10, eben weil mit einer Europa-kompatiblen Lehrerbildung auch Souveränität an ein anderes System abgegeben wird. Inzwischen ist der Studiengang so weit, dass mit dem bestandenen Vorbereitungsdienst und einem vierwöchigen Praktikum im Elsass (mit Unterrichtsbesuchen der zuständigen Inspection académique) auch das obligatorische Praktikumsjahr in Frankreich als erfolgreich absolviert anerkannt wird.11 Diese Praxis wurde auf der Grundlage des Arrêté vom 22. August 2014 legalisiert:

Article 3: Les professeurs des écoles stagiaires peuvent accomplir tout ou partie du stage dans un organisme ou un établissement d’éducation, d’enseignement ou de formation ou dans une administration compétente dans ces domaines d’un autre Etat membre de l’Union européenne ou d’un autre Etat partie à l’accord sur l’Espace économique européen, sous réserve de leur accord et selon des modalités définies par convention conclue entre le recteur de l’académie d’affectation du stagiaire, l’autorité compétente de l’Etat d’accueil et les établissements d’enseignement supérieur concernés.12

Dieser dritte Artikel des Arrêté lässt „für die bisher sehr stringent national regulierte Lehrerausbildung ein völliges Novum“13 entstehen. Mit diesem Ergebnis wird ein Stück europäischer Einigungsgeschichte geschrieben. Der Elysée-Vertrag von 1963 hat somit 50 Jahre nach seiner Unterzeichnung eine Realität am Oberrhein, die soweit geht, dass erstmals – und europaweit einmalig – eine grenzüberschreitende Lehrerbildung nicht nur davon geprägt wird, dass während der Ausbildung (und eventuell auch später noch) ein Austausch, eine Mobilität stattfindet, sondern auch dadurch, dass die nationale Souveränität zum Teil aufgegeben wird.

3. Fazit

Auch wenn es vermutlich nicht das Ziel sein kann, den unterschiedlichen nationalen Systemen der Lehrerbildung ein übergreifendes und grenzüberschreitendes System aufzuoktroyieren14, so bestehen in einem grenzüberschreitenden Studiengang im Bereich der Lehrämter enorme Chancen zu einer Europäisierung der Lehrerbildung – vorausgesetzt, die Politik und die höheren schulischen Verwaltungsebenen unterstützen diese Vorgehensweise. Selbst wenn am Ende doch einige der Absolvent/innen aus den unterschiedlichsten Gründen in ihrem ursprünglichen System verbleiben, so kommen sie mit einem anderen kulturellen und pädagogischen Verständnis in ihren Beruf – Kompetenzen, die gerade in der heutigen Zeit diverser Krisen und Migrationen als besonders wertvoll angesehen werden können.

Im Jahre 2006 wurde der Studiengang mit dem Prix Bartholdi ausgezeichnet15. Für die Lehrerbildung in Baden-Württemberg hatte die Zuerkennung des Preises in mehrfacher Hinsicht eine besondere Bedeutung: Zum einen wurde damit zum ersten Mal ein deutsch-französisches Projekt ausgezeichnet, an dem über mehrere Jahre hinweg alle beteiligten Institutionen mit den Schulen „vor Ort“ gemeinschaftlich Lehrpersonen ausgebildet haben, die nach ihrer Ausbildung sowohl in Elsass als auch in Baden an den Grundschulen die Sprache ihres Nachbarn unterrichten. Zum anderen bedeutete der Preis eine Ermunterung für alle Beteiligten, den Weg einer gelingenden Kooperation in Richtung einer grenzüberschreitenden Lehrerbildung fortzusetzen.

Sicherlich ist es im Rahmen des hier beschriebenen Studiengangs ein geographisches Privileg, dass die beiden universitären Einrichtungen nur knapp 70 Kilometer voneinander entfernt situiert sind16 und dadurch eine extrem schnelle Kommunikation „vor Ort“ immer möglich ist. Nichtsdestotrotz – der Erfolg wird dadurch zwar begünstigt, ist aber nur durch das hohe Engagement aller beteiligten Personen und durch die wohlwollende Unterstützung aller beteiligten Institutionen sowohl im universitären wie auch gerade im schulverwaltenden Bereich möglich.

Mit dem Cursus Intégré existiert seit 16 Jahren eine innovative Lehrer/innenbildung, die in einem Europa der Regionen ein kleines Stück erlebtes Europa verwirklicht – und damit die engen Grenzen nationaler Lehrerbildungssysteme zum Besten der Schülerinnen und Schüler und ihrer zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer sinnvoll erweitert.

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Weiterführende Informationen zum Studiengang finden sich unter: www.ph-freiburg.de/its/startseite.html.


  1. Denk, Rudolf. „Wege nach Europa: Grenzüberschreitende Studiengänge und Europalehrämter an den Pädagogischen Hochschulen.“ In Perspektiven der Lehrerbildung – das Modell Baden-Württemberg: 40 Jahre Pädagogische Hochschulen, hrsg. von Hartmut Melenk, Karlheinz Fingerhut, Matthias Rath und Gerd Schweizer (Freiburg im Breisgau: Fillibach Verlag, 2002), 230.

  2. Denk, „Wege nach Europa“, 230.

  3. Insgesamt bietet der integrierte Studiengang allen (deutschen und französischen) Studierenden Sprachkurse bis zum Niveau C1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (mit entsprechender Zertifizierung).

  4. = das zweite gemeinsame Studienjahr der Gesamtkohorte

  5. So werden die Studierenden dort u.a. auch in administrativen und bürokratischen Belangen unterstützt.

  6. Im Rahmen des Vorbereitungsdienstes bestehen einige Sonderregelungen für den Integrierten Studiengang, deren Ausführung hier in Gänze zu weit führen würde. Es ist lediglich anzumerken, dass in diesem Zusammenhang beide verantwortlichen Schulbehörden sehr viel Offenheit für eine gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsphasen zeigen.

  7. Selbstverständlich könnte man anmerken, dass durch eine hohe Mobilität der Studierenden während ihrer Studienzeit durchaus Aspekte einer Internationalisierung beinhalten. Allerdings beruht diese Art der Internationalisierung eher auf dem Zufall der jeweiligen Entscheidung der Studierenden.

  8. Das bedeutet in der Regel mindestens ein bis zwei Jahre im Voraus.

  9. Hier soll dabei nicht die Rede von grundlegenden Unterschieden in der Lehrerausbildung thematisiert werden wie z.B. studierte Fächerzahl etc. (obwohl dies gelegentlich auch eine Herausforderung darstellte).

  10. Zur Entwicklung der verschiedenen Herausforderungen mit den entsprechenden Lösungsmöglichkeiten siehe: Bodenbender, Verena Raïssa und Dietrich-Chénel, Karin. „15 ans de formation franco-allemande de professeurs dans la région du Rhin supérieur: la traversée des frontières et ses limites.“ In Synergies. Pays germanophones. Nr. 6: Régions transfrontlières. Langues des voisins et l’Europe. Hrsg. von Albert Raasch und Gérald Schlemminger (Hamburg: Avinius Verlag, 2013), 83–93.

  11. Zur vollständigen Anerkennung des Vorbereitungsdienstes als Stage de titularisation machen die Studierenden gegen Ende des Vorbereitungsdienstes (nach den Prüfungen zum Staatsexamen) ein vierwöchiges Praktikum an einer elsässischen Grundschule.

  12. Ministère de l’éducation nationale, de l’enseignement supérieur et de la recherche und Ministère de la décentralisation et de la fonction publique. „Arrêté du 22 août 2014 fixant les modalités de stage, d’évaluation et de titularisation des professeurs des écoles stagiaires. – Article 3“ www.legifrance.gouv.fr/eli/arrete/2014/8/22/MENH1411672A/jo/article_3, Zugr. am 28.09.2015. Für die vollständige Fassung des Arrêtés: www.legifrance.gouv.fr/eli/arrete/2014/8/22/MENH1411672A/jo/texte, Zugr. am 28.09.2015.

  13. Bodenbender, Verena Raissa. „Rückkehr zur alternierenden Lehrerbildung in Frankreich. Das Jahr 1 nach der „Reform der mastérisation“.“ Beiträge zur Femdsprachenvermittlung 55 (2015): 70.

  14. Siehe hierzu auch: Denk, „Wege nach Europa“, 229–36.

  15. Im Jahre 2009 erhielt der Studiengang auch den „Europäischen Preis für Kultur und Kommunikation“ der Europäischen Kulturstiftung.

  16. Und die anderen beteiligten Partnerinstitutionen ebenfalls in diesem Radius liegen.





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