Tagungsbericht: „Dante 2015: 750 Jahre eines europäischen Dichters“

Lea Akkermann

Italienisches Kulturinstitut Köln

Nach der Begrüßung durch den Direktor des Italienischen Kulturinstituts Köln, Lucio Izzo, und Ulrich Forster, Präsident der Bonner Società Dante Alighieri, gab Riccardo Bruscagli (Florenz), der als Ideengeber für die Tagung und das Programm vorgestellt wurde, Einblick in die Bedingungen für das Erzählen in der Commedia. Seinen Vortrag mit dem Titel „Tre condizioni del racconto dantesco nella Commedia“ beschrieb Bruscagli als „rimeditazione”, als Nachdenken über die Entstehungsbedingungen der drei Cantiche. Diese erörterte er anhand von Forschungstendenzen, mit denen er sich kritisch auseinandersetzte. Für Inferno wurde auf die beiden Aspekte „orrore“ und „pietà“ eingegangen, denen Bruscagli im Gegensatz zu Robert Hollander eine strukturierende Funktion zuwies. Er kritisierte die Forschungen Hollanders, die die „compassione“ als Zeichen für ein Zögern Dantes werteten; Bruscagli wies darauf hin, dass der Diskurs in der Commedia nicht eindeutig sei, denn es gelte vor allem die Emotivität Dantes als Zeichen der Menschlichkeit zu akzeptieren, was er anhand der Ugolino-Sequenz illustrierte. Für Purgatorio setzte sich Bruscagli unter anderem mit den Studien von Jacques Le Goff auseinander. Dabei lag Bruscaglis Fokus auf der „preghiera“ in der Commedia als einziger Möglichkeit der Erlösung. Er bezeichnete das „regime degli affetti“ als die Instanz, die diese Erlösung steuere, und sprach in diesem Zusammenhang von einer „condizione radicale“ der zweiten Cantica. Für die dritte Cantica analysierte Bruscagli die Art und Weise der Darstellung des Paradiso. Er wies darauf hin, dass hier – im Gegensatz zu Inferno und Purgatorio – keine fiktive Landschaft beschrieben werde, die Dante durchwandere. Es handele sich vielmehr um eine geistige Landschaft, die von Dante produziert werde; damit komme der Darstellung des Paradiso und der dort beschriebenen Hierarchie eine eminent didaktische Funktion zu. Insbesondere die Zeitstruktur sei dafür ein Indiz. Sie sei so angelegt, dass eine Vision dessen präsentiert werde, was noch gar nicht passiert sei – Bruscagli sprach daher von einem „paradiso provvisorio“. Das „paradiso vero“ sehe er dort beginnen, wo die Commedia ende.

Michael Schwarze (Konstanz) beschrieb die Commedia als Buch der Begegnungen. In seinem Vortrag knüpfte Schwarze an neuere Forschungen an, die sich mit der praxeologischen Dimension und der binnenpragmatischen Funktion der kommunikativen Situationen auseinandersetzen. Er fragte nach dem Nutzen, den die Dialogpartner aus dem Gespräch ziehen. Sie ließen sich als Tauschgeschäft mit beiderseitigem Nutzen beschreiben und liefen nach folgendem Schema ab: Zu Beginn stehe die Nennung des Namens, gefolgt von der Herkunftsbeschreibung und in einem letzten Schritt würden die Umstände für den Verbleib im Jenseits erläutert. Es bilde sich hierbei ein kommunikatives Muster, bei dem im Text die Funktion Dantes zunächst darin bestehe, für den Nachruf der Seelen einzustehen. Besonders deutlich werde dies neben anderen Beispielen in der Bocca degli Abati-Passage (Inf. XXXII, 91–93), in der Dante das Selbstverständnis vermittele, über den Ruf der Personen im Diesseits entscheiden zu können. Für die dritte Cantica lasse sich allerdings eine Änderung in den Strukturen beobachten. Im Gegensatz zur ersten und zweiten Cantica, in dem der beiderseitige Nutzen im Tauschgeschäft begründet liege, sei das Paradiso von asymmetrischer Kommunikation geprägt, da die Heiligen und Seligen, die Dante treffe, schon wüssten, was er denke und fragen wolle. Der Nutzen für „Dante-poeta“, das lyrische Ich, werde zunächst nicht genannt, man könne sein Verhalten auf den ersten Blick als altruistisch einstufen. Bei genauerer Betrachtung lasse sich jedoch erkennen, dass er durch die kommunikativen Situationen, die im Text inszeniert werden, überhaupt erst zu seinem Stoff komme. Sie seien ein entscheidender Anteil der Selbstkonstruktion des Ich, denn mithilfe der Textstrategie werde die Selbstrede überhaupt erst ermöglicht. Mit Verweis auf Dantes Convivio und die dortigen Ausführungen zur Ich-bezogenen Rede stellte Schwarze den autoritätsstiftenden Wert dar, der einem Text zukommen könne, und vertrat abschließend die These, die literarische Autorität in Dantes Commedia verwirkliche sich über Textstrategien, in denen eine verschleierte Selbstautorisierung identifiziert werden könne. Auf diese Weise werde die heilsgeschichtliche und zugleich die literarische Autorität gestiftet. Schwarze endete seinen Vortrag mit einer Vermutung in Frageform, ob das „Gattungswagnis“ Dantes vielleicht einer Legitimation bedurft habe und sich dadurch die multiplen Autorisierungsstrategien erklären ließen.

Alberto Casadei (Pisa) setzte sich in seinem Vortrag mit den fehlenden Hinweisen für den Titel der Commedia auseinander. Im Zentrum seines Vortrags mit dem in Frageform formulierten Thema „Un poema senza titolo?“ stand die historische Rekonstruktion der Überlieferungstradition der Commedia. Zunächst war Dantes Text nicht in seiner Vollständigkeit im Umlauf. Hier lasse sich der Grund dafür sehen, dass zunächst kein übergeordneter Titel notwendig gewesen sei, die drei Cantiche hätten jeweils als Inferno, Purgatorio und Paradiso zirkuliert. Erst der Zusammenschluss aller Teile habe einen Titel erforderlich gemacht. Mithilfe von Textpassagen aus der Commedia, aber auch anhand der Epistola an Cangrande della Scala sowie Kommentaren von Dantes Sohn Iacopo, zeichnete Casadei die Diskussion über den Titel von Dantes Werk nach. Der Fokus lag dabei insbesondere auf der Unterscheidung von Genre bzw. Stil auf der einen und einem Titel auf der anderen Seite, die ausgelöst werde durch die Verwendung der Bezeichnung „Comedia“ durch Dante selbst.

Winfried Wehle (Eichstätt/Bonn) schloss mit seinem Vortrag an die Frage nach der Commedia als Sprachproblem an und bot einen Überblick über die Anthropologie jenseitigen Sprechens. In diesem vierten und letzten literaturwissenschaftlichen Beitrag des ersten Konferenztages ging Wehle der Thematik des Menschen als Glückssucher und damit der Diskussion über die Problematik der menschlichen Doppelnatur von Geist und Körper auf den Grund. Dantes abendländisches Menschheitsepos widme sich dieser Problematik und gehe auch auf das unterste Seelenvermögen des menschlichen Wesens, auf die „anima vegetativa“ ein. Auf anschauliche und gelehrte Weise verdeutliche die Commedia so die machtvollste abendländische Wegbeschreibung zum Seelenglück. Damit hob Wehle, wie schon Bruscagli in seinem Vortrag, die didaktische Dimension des Textes hervor. Dantes Rhetorik beschreibe die Gemütsbewegungen und versprachliche auf eine verlockende Weise das, was mit Worten nicht beschrieben werden könne: das Jenseits. Ausgehend von der „selva oscura“ führe der Weg exemplarisch zur emporgeläuterten „divina foresta“ des Irdischen Paradieses und lasse den Tod als Ankunft erscheinen. Wehle zufolge behandele Dante genau jenes Sprachproblem der Offenbarung, das eines der bedeutendsten Themen der scholastischen Philosophie ausmache. Dies könne nicht zuletzt auch ein Grund dafür sein, dass die Commedia unmittelbar auf den Index gesetzt worden sei.

Ulrich Forster (Bonn) gab eine Einführung in Salvador Dalís Dante-Zyklus, der anlässlich des 700. Geburtstags des Dichters vom italienischen Kultusministerium in Auftrag gegeben wurde. Eine Auswahl der hochwertigen Reproduktionen der 100 Aquarelle Dalís, teilweise handsignierte sogenannte Farbxylographien, die als Leihgabe der Erzdiözese Köln zur Verfügung gestellt wurden, konnten vor Ort im Foyer des Kulturinstituts betrachtet werden. Zunächst gab Forster einen Überblick über die breite und traditionsreiche Rezeption des Werks von Dante in der Malerei. Für Dalí möge es einen gewissen Anreiz geboten haben, sich in eine so lange und prominente Tradition zu stellen. Die sprachliche Ausgestaltung der Divina Commedia, die geradezu dazu einlade, sie bildlich in Szene zu setzen, habe viele Künstler angezogen. Dalí übersetze Dantes Text mit den Möglichkeiten der Zeichnung, was Forster anhand des ersten Bildes des Zyklus veranschaulichte, das die Situation des Verlustes des rechten Weges in der Mitte des Lebens illustriert. Dazu verglich er dieses Bild mit einem motivähnlichen Bild von Gustave Doré und zeigte auf, dass es Dalí, im Gegensatz zu Doré, um die Vorgeschichte des in der Divina Commedia Dargestellten gegangen sei. Sein Bild zeige eine schlafwandlerische Figur, die noch gar nicht in die „selva oscura“ eingetreten sei. Inhaltlich hielt Forster es für das durchdachteste Bild des Zyklus. Hier sehe er auch das Abweichen, die Verirrung, als Voraussetzung des künstlerischen Tuns, die Dalí so sehr an Dantes Werk geschätzt habe – obgleich der Künstler im Nachhinein behauptet habe, Dantes Werk nie gelesen zu haben.

Einen auf den musikalischen Teil des Programms vorbereitenden Beitrag bot der Musikwissenschaftler Wolfram Steinbeck (Köln). In seinem Vortrag beleuchtete er die musikalische Rezeption von Dantes Werk. Es lasse sich feststellen, dass Dante lange Zeit das Schlusslicht der meistvertonten Dichter gewesen sei. Dies möge unter anderem daran gelegen haben, dass Form und Inhalt der Commedia im Gegensatz zu anderen literarischen Vorlagen, wie etwa im Fall von Texten Petrarcas, nicht unbedingt zur Vertonung eingeladen hätten. Steinbeck zeigte, dass sich in der Musik erst ab den 1820er Jahren eine verstärkte Besinnung auf Dante bemerkbar mache, die sich vor allem in einem Boom bei der Vertonung des Francesca-Stoffes in der Oper äußere. Das Hauptaugenmerk legte Steinbeck auf Liszts Dante, insbesondere auf die Sonate „Après une Lecture du Dante. Fantasia quasi Sonata“ (1849 überarbeitet), die am späteren Abend von der Pianistin Yili Niu interpretiert wurde. Die Besonderheit Liszts liege in dem Anspruch, die gesamte Komödie zur Vorlage zu nehmen. Bei der Umsetzung der motivischen Dichte habe Liszt „musikalische Vokabeln“ benutzt, die sich auf bestimmte Sujets beziehen, wie etwa der Tritonus („diabolus in musica“). Damit habe er Dantes Commedia als Erster zum Sujet reiner Instrumentalmusik gemacht. Im Anschluss an diesen ersten Konferenztag folgte ein Konzertabend mit Darbietungen verschiedener Klavierstücke durch Pianisten der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Der Schauspieler Bernt Hahn las dazu verschiedene Gesänge der Commedia in deutscher Übersetzung.

Senatssaal der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Paolo Trovato (Ferrara) eröffnete den zweiten Konferenztag mit einem Beitrag zu dem Projekt einer neuen Ausgabe der Commedia, das er gemeinsam mit Kollegen seit 2002 verfolge. In seinem Vortrag mit dem Titel „Per una nuova edizione della Commedia“ gab er Einblicke in die philologische Problematik der dichten Überlieferungstradition von Dantes Werk. Dazu führte er zunächst das Vorgehen von Giorgio Petrocchi (1966–1967) und Federico Sanguineti (2001) bei der Erstellung der kommentierten Ausgaben vor, um in einem zweiten Schritt die eigene Herangehensweise zu schildern. Sanguineti habe für seine kommentierte Ausgabe nur wenige Quellen konsultiert und dann auf die restlichen Manuskripte einer Tradition geschlossen. Trovato bezeichnete dies als „scorciatoia pericolosissima“ und wies darauf hin, dass sein Projekt die 400 von Petrocchi konsultierten Handschriften durch viele weitere ergänzt habe, um so eine möglichst genaue Rekonstruktion der Tradition zu ermöglichen. Als entscheidende Erkenntnis habe sich dabei die unterschiedliche Ausgestaltung zwischen den Handschriften aus dem Norden erwiesen, die – im Gegensatz zu denjenigen, die in der Toskana kopiert wurden – die „fiorentinismi d’autore“ konserviert haben. Ziel des Projekts sei es, durch die Rekonstruktion der „lezione buona“ der Stemmata Varianten in zwei bis drei Prozent des Textes der Commedia aufzuzeigen und zu emendieren.

Paul Geyer (Bonn) unternahm in seinem Beitrag eine Dekonstruktion von Dantes Welt. Ausgehend von den zwei großen Vorbildern, der Aeneis Vergils und Thomas von Aquins Summa Theologica, wies er auf die Problematik hin, dass das poetologische Programm der Aeneis zu Dantes Zeiten nicht mehr umsetzbar gewesen sei. Es lasse sich in der Commedia eine Polemik gegen eine von Dekadenz geprägte Gesellschaft des 13. Jahrhunderts erkennen, für die das Klagen Dantes und seiner Dialogpartner während der Jenseitswanderung spreche. Dantes gesellschaftliches Ideal, wie er es in seinem Traktat De Monarchia entwickelt habe, sei ein Machtgleichgewicht und die diesseitig-jenseitige Gewaltenteilung zwischen römischem Kaiser und römischem Papst. Anhand der Cacciaguida-Passage (Par. XV–XVII) der Commedia rekonstruierte Geyer dieses gesellschaftliche Ideal. Die wirtschaftlichen Entwicklungen zu Dantes Zeit, insbesondere die der Handels- und Geldwirtschaft („maladetto fiore“, Par. IX, 130), die symbolisch für den Verlust der Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit stünden, könnten jedoch zugleich als Bedingung für die Freisetzung des Einzelnen und eben auch Dantes aus ursprünglicheren, geschlosseneren Gesellschaften gedeutet werden, was Dante aber nicht habe wahrhaben können oder wollen. Anhand der Rechtsverhältnisse im 13. Jahrhundert erörterte Geyer, dass die Ausbildung einer Privatrechtssphäre im Spiegel einer Ausbildung der Privatsphäre des Individuums gelesen werden könne. Diese Tatsache lasse sich aber nicht problemlos in die Struktur eines epischen Weltgedichts umsetzen und müsse Dante dazu veranlasst haben, nach einer anderen Architektur für sein Werk zu suchen. Fündig geworden sei er bei der Summa Teologica, der er eine poetische Summe des mittelalterlichen Menschen- und Weltbildes gegenübergestellt habe. Das prekäre Gleichgewicht zwischen der strengen Ordnung der scholastischen Sünden- und Erlösungstheologie auf der einen und der komplexen architektonischen und stilistischen Ordnung der Jenseitsreiche auf der anderen Seite zeige allerdings Risse, unter anderem im Hinblick auf Dantes „pietà“-Verständnis und seine bzw. die Thomasische Seelenlehre. Geyer sah die „pietà“ als Vermittlungsinstanz zwischen Schuld und Unschuld. In Dantes Seelenlehre ihrerseits ließen sich erste Auflösungserscheinungen des christlichen Wertekosmos im Sinne einer Aufwertung subjektiver Einmaligkeit erkennen. Insgesamt könne die Commedia auch als Traktat über das Problem des Freiheitsbegriffs gelesen werden. Thomas und Dante stellten im Prozess der Herausbildung des modernen Subjekts und seines Begriffs einen Wendepunkt dar, wobei sie allerdings selbst die Konsequenzen ihrer Einsichten zu überblicken (noch) nicht in der Lage gewesen seien. Der letzte Teil des Vortrags widmete sich Dantes Selbstbewusstsein als Dichter und Denker. Das Dichter-Ich gewinne in der Commedia so stark an Gewicht, dass es in ein offenes Spannungsverhältnis zu den Wahrheiten von Theologie und Philosophie gerate; Geyer sprach hier von einem Triumphzug Dantes insofern, als seine Jenseitswanderung zunächst als Bußübung eingeführt werde, das dichterische Ich sich jedoch im Verlauf immer weiter von dieser Ausgangsposition entferne. Es zeige sich ein Bewusstsein der Auserwähltheit, das sich im Verlauf zunehmend mit dem Topos eines Retters der Menschheit verbinde und schließlich in einem an „superbia“ grenzenden Selbstbewusstsein eines Genies gipfele.

Der Kunsthistoriker Carlo Sisi (Florenz) leitete mit seinen Einblicken in die Bilder und Transfigurationen von Motiven Dantes in der Kunst des 19. Jahrhunderts die kunsthistorische Sektion des zweiten Konferenztages ein. Zunächst bot er einen Überblick über die verschiedenen Phasen der Rezeption. Er zeigte und analysierte in seiner Präsentation Bilder, unter anderem von Sabatelli, Ingres, Géricault, Pinelli, Fontana und Doré. Letzteren bezeichnete er als „massimo interprete della Divina Commedia“. Als beliebtes Motiv lasse sich auch hier die Geschichte von Paolo und Francesca beschreiben, deren häufige Rezeption bereits in den literaturwissenschaftlichen Beiträgen und auch durch den Verweis auf die Vertonung in der Musik hervorgehoben wurde. Sisi schloss seinen Überblick über die Adaption von Motiven Dantes mit einem Hinweis auf eine Ausstellung in Florenz, die 1900 organisiert worden war, um Dante-Motive zu versammeln und damit der Rezeption der Commedia in der Kunst zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Ebenfalls aus kunsthistorischer Perspektive blickte Dieter Blume (Jena) auf die Amor-Bilder und Dantes Vita Nuova. Dabei stellte er vor allem den Wandel der Amor-Figur in Mittelitalien in den Vordergrund. In ihm spiegele sich auch die Diskussion über das Verhältnis von Verstand und Gefühl wider, wodurch sich die Amor-Bilder als „intellektuelle Translatio“ des Diskurses erwiesen. Blume skizzierte eine Zunahme des Austausches zwischen Bild und Text bzw. Poesie ab 1270. Dante nehme mit seiner Vita Nuova an genau jenem Diskurs teil. Ausgehend von einem Gedicht von Folquet de Marseille (ca. 1160–1231), über die Amor-Darstellung bei Guittone d’Arezzo (ca. 1230–94), bis zu der neben Dante als komplexeste Auseinandersetzung mit Amor eingeordneten Darstellung bei Francesco da Barberino (1264–1348) zeichnete Blume die Veränderungsstufen nach und verdeutlichte auf diese Weise den engen Dialog zwischen Wort und Bild. Dante knüpfe mit seiner Vita Nuova an diesen Diskurs an und versuche einen Beitrag zur Debatte zu liefern; vielleicht wolle er den Diskurs sogar dominieren. Dante greife dabei zwar einerseits auf aktuelle Amor-Bilder zurück, ein entscheidender Unterschied sei jedoch, dass Amor bei Dante als Vermittler auftrete, der immerhin den Weg zu Beatrice weise.

Hanna Jacobs (Bonn) analysierte in ihrem Beitrag das Danteporträt von Benozzo Gozzoli in der 1340 errichteten Chorkapelle von San Francesco in Montefalco. Das 1452 entstandene Porträt befindet sich in der Mittelachse der Kapelle im Zentrum, links und rechts flankiert durch Porträts von Petrarca und Giotto. Unter den Bildern wird Petrarca als „laureatus“, Giotto als „pictor“ und Dante als „theologus“ bezeichnet. Dante wird bemerkenswerterweise frontal dargestellt und er hält ein Buch in der Hand, dessen Inschrift den Verseingang der Commedia zeigt. Die Anordnung der Achse mit Dante im Zentrum lasse ihn als vermittelnde Distanz erscheinen, die für die Fähigkeit stehe, Bilder zu evozieren. Damit sei er ein ausgleichendes Bindeglied zwischen Petrarca und Giotto. Jacobs schlug vor, das Porträt als Rezeptionsanweisung für den die Chorkapelle dominierenden Bilder-Zyklus des Heiligen Franziskus zu lesen. Die Franziskus-Bilder zeigten allgemeine Situationen aus dem Leben des Heiligen und schafften so eine Identifikationsfläche für die Franziskaner-Mönche. Auch die Commedia verfahre nach einem ähnlichen Schema und zeichne anagogische Andachtssituationen im Rahmen der Pilgerreise nach.

Die Tagung, die Wissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen aus Italien und Deutschland zusammenführte, setzte in Form der Vorträge den Titel der zwei Konferenztage sehr programmatisch um. Zum einen wurde verdeutlicht, welche Bedeutung Dantes Werk im Jahre 2015 immer noch für uns Europäer hat. Themen, wie etwa die Suche nach dem Glück, die Frage nach einem Freiheitsbegriff oder nach der didaktischen Funktion von Literatur zeugen von größter Aktualität in den „Ver(w)irrungen“ des 21. Jahrhunderts. Zum anderen wurde durch die in den Vorträgen präsentierten Momentaufnahmen aus den vergangenen 750 Jahren ein Überblick über die Rezeption von Dantes Werk in den verschiedenen Künsten gegeben, der zugleich dessen Erfolgsgeschichte dokumentiert.





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