Intermedialität als Grundsatzdiskussion

Zum Sammelband Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern

Angela Oster

Lena Bader, Georges Didi-Huberman und Johannes Grave, Hrsg., Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern: Studien zum Wechselverhältnis von Bild und Sprache, Passagen 46 (Berlin und München: Deutscher Kunstverlag, 2014).

An Publikationen über das Wechselverhältnis von Text und Bild bestand in den letzten Jahrzehnten kein Mangel. Im Gegenteil, die diesbezüglichen Publikationen, die den viel beschworenen iconic turn diskutiert haben, sind kaum mehr überschaubar. Umso erstaunter mag man zunächst sein, wenn die Herausgeber in ihre Einleitung1 keinen Forschungsbericht zum aktuellen Stand der vielfältig erfolgten Diskussionen integrieren. Warum bspw. aus den hunderten, ja wahrscheinlich tausenden Beiträgen zum Bild/Text-Austausch ausgerechnet dann diejenigen überschaubaren Beispiele in der Einleitung bzw. derem Anmerkungsapparat ausgewählt worden sind, könnte so besehen willkürlich anmuten. Gleichwohl ist Bader und Grave durchaus zuzustimmen, wenn sie schreiben:

Die Grundfrage nach dem Verhältnis von Bild und Text ist von unveränderter Aktualität. Trotz intensiver Forschungen zur Intermedialität, trotz anspruchsvoller Versuche, eine gemeinsame semiotische Grundlage für Sprache und Bilder zu entwickeln, bleibt die Relation von Bild und Wort umstritten, so dass sie zuletzt in bildwissenschaftlichen Debatten erneut zum Gegenstand grundsätzlicher Auseinandersetzungen werden konnte. Charakteristisch für diese Ansätze ist die Tendenz, das Bild gerade in der Abgrenzung von der Sprache rehabilitieren zu wollen. (4–5)

Wahrscheinlich steht zum einen zwischenzeitlich der Aufwand eines komplexeren Forschungsabrisses in keinerlei Verhältnis zu den tatsächlichen Ergebnissen, welche die wortreichen Bildforschungen der vergangenen Jahrzehnte offeriert haben. Zum anderen hat der von Bader, Grave sowie Didi-Huberman herausgegebe Band seinerseits respektables Innovationspotential aufzuweisen, das sich vom Stand der Forschung abheben möchte und sich deshalb vielleicht sinnvollerweise nicht mit Forschungsabrissen belastet.

Der Sammelband resümiert die Ergebnisse des Jahreskongresses des Deutschen Forums für Kunstgeschichte im Jahr 2010/11, der – so Andreas Beyer im „Vorwort“ (IX) – „Forschung im Verbund“ betrieben hat, was in den Geisteswissenschaften, so räsoniert Beyer zutreffend weiter, durchaus nicht immer der Fall sei (ebd.). Der interdisziplinäre Ansatz wird in der Folge von Bader und Grave in ihrer Einleitung weiter ausgefaltet. Sie beginnen zunächst mit einem eher traditionell anmutenden Sujet: Den unzähligen Darstellungen der Verkündigung in der westlichen Ikonographie. Diese, so merken die beiden Herausgeber selbst an, seien immer schon als objet théorique behandelt worden: „verbindet sich in ihnen doch Darstellung mit Reflexion“ (1). Aus der Fülle der Repräsentationen wird Fra Angelicos „Verkündigung“ (1433/34) herausgegriffen und vor allem in Hinblick auf die drei goldenen Schriftzüge im Gemälde analysiert, die den Bruch zwischen Altem und Neuem Bund ankündigen. Maria hält das überkommene Gesetz in Form eines aufgeschlagenen Buchs auf den Knien, während die Worte, welche der Engel und Maria austauschen, frei im Raum schweben, in einem Zwischenraum ohne (Blatt)Träger. Die Antwort Marias befindet sich mittig zwischen den beiden Zeilen des Engels, was zum einen die Abfolge des Textes in der Bibel aufbreche. Und zum anderen müsse der Texts Marias seitenverkehrt von rechts nach links gelesen werden, da er auf dem Kopf stehend abgebildet sei. Auch fehlen aus dem Originalbibeltext die Worte Marias „fiat mihi secundum“ bzw. genauer: diese Ellipse scheint sich hinter der Säule zu verbergen. Mit diesen Kunstgriffen werde die materielle Beschaffenheit der Schrift betont, welche sich programmatisch auf dem Bildträger – und nicht auf einer Buchseite – in Szene setze: „Die Schrift durchkreuzt mithin den Realitätseffekt des Bildes und macht auf dessen Artifizialität aufmerksam.“ (3) Und weiter:

Die Schrift fungiert dabei weder als bloßes Beiwerk noch als Gegenspieler des Bildes, der es seiner Wirkung oder seines faszinierenden Reichtums an Konnotationen beraubt. Vielmehr ist es in diesem Fall erst der Einsatz der Schrift, der ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Dargestelltem und Darstellungsmitteln eröffnet und auf diese Weise das Bild selbst um ein reflexives Potenzial bereichert. (4)

Im Anschluss stellen Bader und Grave den Stellenwert des Sprachlichen für die Bildwissenschaften heraus, ergänzen diesen geläufigen Ansatz jedoch um das „Interesse an nicht-propositionalen Wissensformen sowie mit neueren Versuchen, die Kulturwissenschaften jenseits des Paradigmas der Sprache weiterzuentwickeln“ (5). Der linguistic turn mit seinem globalen Textverständnis habe in der Vergangenheit immer wieder verdeckt, dass es womöglich auch einen Logos jenseits des gängigen Sprachbegriffs gebe. Bader und Grave plädieren für einen nicht-martialischen Umgang im Austausch der Künste, jenseits der agonalen Behauptung von Herrschaftsgebieten. Es seien vielmehr die Reibung des Bilds an der Sprache, die Grenzgebiete der Verschränkung und Rückkoppelung, welche es allererst zu ergründen gelte – und nicht mehr Parallelen und Abgrenzungen im Sinne der überkommenen Paragone- oder Laokoon-Diskurse. Hinter dieser Differenzierung verbirgt sich keinesfalls nur eine Spielerei in der Nomenklatur seitens der Herausgeber. Es geht um einen Wechsel der Programmatik und der Denkrichtung im intermedialen Bereich, ja um mehr noch: um eine neue Auffassung dessen, was Wissenschaftlichkeit ist oder sein könnte und wie Erkenntnis funktioniert. Das ist mehr als nur eine steile These. Es geht um eine heuristische Grundsatzdiskussion. Für den Bereich der Kunstwissenschaften werden historische Vorläufer (Cusanus, Springer, Wölfflin) aufgerufen, die dem „dichotomen Antagonismus“ (12) widersprochen und den Rezeptionsvorgang in der Bildwissenschaft hervorgehoben hätten: „jenseits materiell fixierter Bilder“ (12). Hier bricht der Analyseteil der Einleitung abrupt ab, ohne dass die interessanten, sich dem Agon entziehenden Eigendynamiken der Verschränkungen von Sprache und Bilder weiter ergründet werden würden. Dies sollte wahrscheinlich – was ebenfalls eine sinnvolle, konzeptuelle Vorgehensweise ist – den konkreten Analysen der einzelnen Aufsätze überlassen bleiben. Die folgenden 15 Aufsätzen sind in drei große Rubriken unterteilt: 1. Zur Sprache kommen, 2. Sprechende Bilder, 3. An den Grenzen der Differenz von Sprache und Bild. Die Aufsätze sind in französischer und deutscher Sprache geschrieben.

Mit einem der Kronzeugen der kunstkritischen Rezeptionsästhetik wird der Auftakt zur ersten Rubrik getätigt. Beate Söntgen widmet sich einem ‚Klassiker‘ auf dem Gebiet: Denis Diderot.2 Diderots Kunstkritiken vor allem zu Jean-Baptiste Greuze und Jean-Baptiste Siméon Chardin dienen Vf.in dazu, den emphatischen Anteil an Diderots Analysen herauszustellen. Im Fokus des rezeptions-orientierten Ansatzes Söntgens stehen die dramatischen, exklamativen und schauspielerischen Anteile in den Texten Diderots, welche auf Affektübertragung zielen. Das ist sicherlich richtig beobachtet, doch ob man die Faktur der Texte Diderots – mithin seine ‚Schrift‘ – tatsächlich gegenüber dem ‚Schreiben‘ derart stark in den Hintergrund treten lassen kann, wie es Vf.in praktiziert, muss denn doch bezweifelt werden. Eventuell ist es auch die Arbeit mit deutschen Übersetzungen anstatt mit den französischen Originalen, welche Söntgen an manchen Pointen der Texte Diderots vorbeilesen lässt. Die Stärken des Aufsatzes liegen hingegen auf einem anderen Gebiet und sind durchaus beachtlich. Vf.in schließt sich aktuelleren Forschungspositionen an, welche die moderne Ansicht, nach der Erkenntnis allein über logische Analyse und distanzierte Beobachtung erzielbar sei, in Frage stellt. Dass es dazu auch eine Alternative gibt, nämlich eine Rhetorik des Pathos, der Illusion, der Verführung und der Begeisterung, erläutert Söntgen mit anregenden Beispielen, wobei sich allerdings auch hier die genuinen Textbefunde in überschaubaren Grenzen halten.

Rüdiger Campe3 schreibt über Caspar David Friedrichs „Der Mönch am Meer“. Campe weist auf die enargeia des Bildes hin, welche jedem Urteil vorausgehe oder es doch zumindest initiiere. Während Autoren wie Brentano und von Arnim die Diskrepanz zwischen Erscheinung im Bild und Erfahrung derselben narrativieren und damit die Brechung auszugleichen bemüht seien, habe Kleist das ‚Betrachterwerden‘ thematisiert, und zwar mittels einer Rhetorik des Vor-Augen-Stellens. Campes luzide Ausführungen werden lediglich durch folgenden Umstand ein klein wenig getrübt: Die ‚kämpferische‘ Gegenüberstellung der Texte Brentanos/Arnims und Kleists mutet zum einen deshalb überraschend an, als die Programmatik des Bandes ja ausgerechnet diesem agonalen Wissenschaftsduktus entsagen wollte. Und zum anderen zeigt ausgerechnet der Campe direkt folgende Aufsatz auf, dass die Autorschaft des ersten Textes nur partiell Brentano/Arnim zugeschrieben werde könne, da mindestens der zweite Teil von dem Herausgeber Kleist korrumpiert worden war. Es handelt sich um den Aufsatz von Gwendolin Julia Schneider4. Sie rekurriert ebenfalls vor allem auf Kleist und zieht Panofsky hinzu, um das parergonale Verhältnis zwischen Bild und Text und den Wandel des ästhetischen zum wissenschaftlichen Sprachgebrauch ab dem 18. Jahrhundert zu untersuchen. Andreas Beyer5 und Georges Didi-Huberman6 verfolgen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen die Frage, inwiefern Sprachen und Sprechen über Bilder Verbalisierungsstrategien von Fachkulturen darstellen. Dabei wird dem Topos des Unsagbaren, aber auch der Stummheit ein besonderer Stellenwert eingeräumt, von denen aus ‚andere‘ Sprechkulturen buchstäblich sichtbar werden: „essayer dire“, koinè, nichtaxiomatische Erkenntnisweisen.

In der zweiten Rubik finden sich Aufsätze von Andreas Josef Vater7 und Dimitri Lorrain8 zu spannenden frühneuzeitlichen Fragestellungen (Strategien der Evidenzerzeugung, so bspw. Formen des Bilderrätsels sowie magisches Denken zwischen Lyrik und Bildern), die von Beiträgen zur Gegenwartsliteratur9 flankiert werden. Während Apel die Taktik der Verzögerung bei Toussaint (Entzug, Entschleunigung) analysiert, widmet sich Kuhn der dem Roman Perecs eigentümlichen Bildlichkeit und dem anamorphotisierenden Blick des Betrachters (bzw. Lesers). Cornelia Ortlieb komplementiert die zweite Abteilung mit einem Beitrag zur ‚klassischen Moderne‘10. Lyrische Bildsprache, Metaphysik des Weißen, Papierobjekte und ihre Bezüge zu Tinte und Papier werden facettenreich von Ortlieb interpretiert und die Materialgebundenheit überzeugend nachgewiesen. Mallarmé geht es, so Ortlieb, um ein mehrsprachiges Sprechen über und in Bildern. Ortliebs Aufsatz gehört insofern zu den Höhepunkten des Bandes, als er solide, ‚greifbare‘ Materialbefunde liefert, während sich im Vergleich dazu die anderen, vorwiegend rezeptionsästhetisch gelagerten Beiträge des Bandes in schwieriger nachvollziehbaren Argumentationszusammenhängen bewegen. Es ist und bleibt die Herausforderung jeder Rezeptionsästhetik, sei sie hermeutisch-mental-subjektiv orientiert oder dekonstruktiv-textuell-objektiv versiert, ihre Thesen über die jeweiligen Horizonte hinaus plausibel zu vermitteln bzw. zu belegen. Dieser Herausforderung haben sich wiederum fast alle Beiträge des Bandes ohne Zweifel bravourös gestellt, so auch die der abschließenden dritten Rubrik.

Diese wird mit einem Aufsatz von Jean-Claude Monod eröffnet: „Métaphore absolue et art non-mimétique. Quelques réflexions à partir de Blumenberg“. Dort stehen konzeptueller und metaphorischer Logos im Zentrum der Ausführungen sowie die Überlegung, inwiefern ein Sprechen über Bilder Kritik am Paradigma der Mimesis impliziert. Paul Klees „Hauptweg und Nebenwege“ fungiert dabei als anschauliches Pendant zur Philosophie Blumenbergs. Sigrid Weigel11 erörtert das Bilddenken (Denkbild und dialektisches Bild) Benjamins anhand der im Titel genannten Phänomene. Mythologie und Kunstgeschichte werden im Fokus der Technik und deren ‚blitzhaftem‘ Potential in ein innovatives Licht der Zeiterfahrung gerückt. Bernard Vouilloux12, Stéphane Lojkine13 und Muriel van Vliet14 runden den Band ab, indem sie weitere Möglichkeiten einer Alternative im Bild/Sprache-Diskurs erörtern. Vouilloux präsentiert einen wissenschaftshistorischen Parcours, um die gewohnte Rhetorik zu hinterfragen, wobei u.a. Lessing und Warburg als zentrale Bezugspunkte dienen. Lojkine konzentriert sich auf Lotto und Greuze, um die geläufigen Schemata der Repräsentation neu zu durchdenken, und van Vliet versucht, im Kontext von Theorien zur Symbolik die Grammatik im Sprechen über Bilder neu zu reflektieren.

Die zuletzt genannten Beiträge erwecken nun beim Leser insofern besondere Erwartungen, als sie das in der Einleitung programmatisch Formulierte – die intermediale Erprobung von nicht-propositionalen Wissensformen jenseits des Paradigmas der Sprache – einem Härtetest unterziehen, nämlich der Untersuchung des wissenschaftlichen ‚Mediums‘ selbst, der „lingua franca de la spécialité“15 bzw. der „dits établis“16. Sie erörtern „die Grenzen“, „das Vage der Repräsentation“ und die „stille Grammatik“. Nun ist die Fragwürdigkeit des vermittelnden Sprachlichen in Hinblick auf das anschaulich Evidente immer schon eine Problemstellung in der Geistesgeschichte gewesen, angefangen bei der Sprachphilosophie in Platons Kratylos, über die Scholastik des Mittelalters sowie deren philologische Variante der questione della lingua in der Renaissance bis zur kritischen Moderne, für die hier stellvertretend nur der ‚verstummte‘ Rimbaud oder der sogenannte Chandos-Brief Hofmannsthals genannt seien. Allen genannten historischen Etappen (die im Band in den verschiedenen Aufsätzen auch partiell aufgegriffen werden) ist gemein, dass Sprache nie anders als mittels Sprache kritisiert werden kann. Aus diesem Dilemma scheinen Bilder aufgrund ihrer Anschaulichkeit auf der ontischen Ebene einen Ausweg zu weisen. Doch wie verhält es sich mit der ontologischen Ebene, welche nicht das Kunstphänomen an sich indiziert, sondern den wissenschaftlichen ‚Umgang‘ mit diesem? Denn auf diese seins-logische Ebene richtet sich ja das zentrale Erkenntnisinteresses des Sammelbandes, der eine Alternative zur Proposition aufzeigen möchte.

Nun ist die Proposition bekanntlich eine linguistische Kategorie, die mit Wahrheitswerten operiert. In den Literaturwissenschaften ist die Proposition hingegen letztlich nur in einer kurzen Phase in den siebziger Jahren prominent gewesen, vor allem als Gegenbewegung gegen Strömungen der Dekonstruktion, welche auf die Krise der formalen Semantik bzw. den „logocentrisme“17 mit Nachdruck aufmerksam gemacht hatte. In diesem dekonstruktiven Kontext wurde auf ein ‚anderes‘ Propositionsverständnis aufmerksam gemacht, das sich mit Verve gegen die Hermeneutik richtete, aber gleichwohl weiterhin in den Bahnen der subjektiven Rezeption lavierte. Es waren in der Folge Autoren wie Roland Barthes oder Michel Foucault, die diesem ‚Subjektivismus‘ mit der Ausrufung des ‚Tods des Autors‘ begegnet sind und stattdessen die Archive und den Text in ihrer ‚objektiven‘ Qualität betonten.

Dass auch diese Stoßrichtung ihre Tücken hatte, darauf macht der vorliegende Sammelband völlig zu Recht aufmerksam. Gerade aus der Perspektive der Bildwissenschaften muss ein globalisierender Textbegriff auf Dauer unbefriedigend sein, da er den ‚vor‘- oder ‚anders‘-sprachlichen Zonen eines Kunstgegenstands nur ungenügend gerecht wird. Ob es hingegen eine erneute Forcierung der Rezeptionsästhetik ist, die dem interartialen Austausch nachhaltige innovative Impulse verleihen könnte, ist diskussionswürdig. Nachdem es über lange Zeiten hinweg zunächst die Produktionsästhetik, dann die Rezeptionsästhetik und schließlich die Textästhetik gewesen sind, die den Zugang zur Kunst reglementiert haben, wäre es vielleicht tatsächlich an der Zeit, die gewohnten Bahnen derart konsequent zu verlassen, wie es die Einleitung des Bandes proklamiert hat. Wenn der Weg mittels des objet théorique erforscht werden soll, dann ist das vorsprachliche Objekt in der Tat etwas, was genau dort aufscheint, wo es sich an der Sprache ‚reibt‘. Hartnäckige Reibungen können bekanntlich nicht nur Funken, sondern lodernde, helle Feuer entfachen – und es ist unbestritten das Verdienst des Bandes, auf dieses Potential nachhaltig aufmerksam zu machen. Aus dem üblichen intermedialen Einerlei hebt sich das Buch wohltuend hervor und bietet dem Leser sowohl eine Fülle von Informationen als auch seinerseits vielfältige Reibungsflächen. Kurzum: Der (im Übrigen sorgfältig redaktionierte) Band ist ein Lesevergnügen, sodass die abschließenden Nachfragen lediglich als eben solche und keinesfalls als Infragestellung des Projekts aufzufassen sind.

Wenn man die Rezeptionsästhetik derart stark in den Vordergrund stellt, wie es der Sammelband praktiziert, dann ist es verwunderlich, dass ausgerechnet auf Anregungen der aktuellen Kognitionspsychologie verzichtet wird, welche sich gerade auch auf dem Feld der Ästhetik zu Wort gemeldet hat. Die kognitive Funktion von Bildern als Erfahrungswert wird in der ästhetischen Psychologie als alternative Form der Verständlichkeit konturiert, welche sich auf eben diejenigen Zonen der Grenze und Reibung richtet, um die es Bader, Grave und Didi-Huberman unter anderem geht. Die Taxonomie bildlicher und graphischer Codes wird ausgehend von der Kognitionspsychologie dem Monopol der Semiotik entzogen. Gerade dort, wo sich das Bildverständnis der gewohnten Logik entzieht – so wie von Bader und Grave in der „Einleitung“ ausgezeichnet (und eben: alles andere als ‚traditionell‘) am Beispiel des Gemäldes Fra Angelicos gezeigt –, entsteht ein Entfaltungsspielraum für den indikatorischen Verstehensmodus. Dieser wird eben dann stimuliert, wenn die gewohnte Hermeneutik irritiert und eine alternative Reflexion mobilisiert wird. Dabei muss man sich keinesfalls mit der neuronalen Fachspezifik im visuellen Cortex u.ä.m. beschäftigen – dies ist mit dem hier vorgetragenen Hinweis nicht gemeint. Es sind gerade die Autoren und Künstler der Romania, dies führt der Sammelband überzeugend vor Augen, die bereits in früheren Jahrhunderten – auch ohne das Spezialwissen der modernen Naturwissenschaften – um die Binnendifferenzierungen zwischen den Künsten wussten. Historisch übergreifend gab es immer schon Autoren und Künstler, die sich für die „Übergängigkeit (als) eine dritte Form der Bildbetrachtung zwischen Ekphrase und Urteil“18 interessiert haben. Und methodisch (also auf der Metaebene der aktuellen Behandlung der historischen Phänomene) gibt es einen Autor, der diese dritte Form im Modus des ‚Rauschens des Sprache‘, des Neutrums, des ‚punctums‘ gerade auch in Hinblick auf die Bildenden Künste besonders eindringlich zu Wort gebracht hat. Die Rede ist von Roland Barthes, der in dem französisch-deutschen Sammelband eigenartigerweise nicht berücksichtigt wird.

Bei den neuen Übergängigkeiten geht es nun durchaus nicht um ein Wissen, das allein nur der Sprache schwer zugänglich ist. Es handelt sich tatsächlich um einen „pli du verbal et du visuel“19, also um die Übergängigkeiten von Faltenstrukturen sowohl im Verbalen als auch Visuellen, den es genauer zu erforschen gilt. Diese stellen für den gewohnten Blick in der Tat paradoxe Phänomene vor. So sind Diderots vielleicht brillanteste Texte zum Verhältnis von Sprache und Bild seine Briefe über Blinde und Taubstumme (Lettre sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient; Lettre sur les sourds et muets à l’usage de ceux qui entendent et qui parlent), welche – ausgerechnet – die Sehenden und Hörenden (und nicht die Blinden und Taubstummen) bestens zu instruieren beabsichtigen. Die materialistische Position, die Diderot hier entfaltet (und die auch in den von Söntgen schön nachgezeichneten Kunstkritiken des Autors greift) ist keineswegs derart rezeptionsfixiert, wie es die moderneren Lesarten der Texte Diderots immer wieder suggerieren. Dass die Materie ihrerseits (!) sensibel sei (parallel zur materiellen Substanz der Seele), ist eine von Diderots Grundüberzeugungen. Eben diese Dimension von Kunstwerken kommt in dem Sammelband (mit Ausnahme des Beitrags von Ortlieb) wenig zur Sprache, der statt dessen den Fokus auf das „dire quelque chose du rapport à l’objet“20 legt. Dass aber auch die Interdependenzen der Rezeption wiederum wesentlich durch eine Bindung an technische Trägermedien und Erzeugungsmittel funktionieren, hat Diderot in vielen experimentellen Artikeln seiner Encyclopédie demonstriert.

Auf die Frage „Comment sortir de l’Ut pictura poesis?“21 kann man wohl kaum schlüssige oder weitgehend befriedigende Antworten verlangen. Diese Frage überhaupt derart radikal gestellt zu haben, ist dem Sammelband bereits mehr als hoch anzurechnen. Was er unternimmt, ist eine Grundsatzkritik der Intermedialität – auch wenn dies einleitend von den Herausgebern keinesfalls derart provokant so benannt wird. Der zunächst gefällig anmutende Band ist tatsächlich, wie sich im Verlauf der Lektüre auf charmante Weise erweist, äußerst widerspenstig und herausfordernd. Diese Widerspenstigkeit zu zähmen, kann denn auch kaum die Aufgabe einer Rezension sein. Im Gegenteil. Der gelungene Sammelband regt vielmehr zum Nachdenken und Nachhaken an und bietet eine Fülle produktiver Beobachtungen und Konzeptionen, die den Dialog zwischen Bildern und (Text)Sprache – aber auch den interdisziplinären Austausch zwischen Philologien und Kunstwissenschaften – mit neuen Impulsen versehen haben.


  1. Lena Bader und Johannes Grave, „Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern: einleitende Überlegungen“, 1–22.

  2. Beate Söntgen, „Distanz und Leidenschaft: Diderots Auftritte vor dem Bild“, 33–50.

  3. Rüdiger Campe, „Vor dem Bild: Clemens Brentanos, Achim von Arnims und Heinrich von Kleists Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“, 51–72.

  4. Gwendolin Julia Schneider, „Sprechen über Bilder: literarischer Abbruch und wissenschaftlicher Anspruch“, 73–86.

  5. Andreas Beyer, „En quelle langue parler? Sur la ‚koinè‘ scientifique de l’histoire de l’art“, 87–104.

  6. Georges Didi-Huberman, „‚Essayer dire‘, ou l’expérience pour voir“, 105–28, mit besonderer Berücksichtigung der Installationen James Colemans.

  7. Andreas Josef Vater, „Textlücken oder Bildfolge. Zwei illustrierte Flugblätter von 1621: Ein Thema, zwei Bildkonzepte?“, 129–42.

  8. Dimitri Lorrain, „Magie, mélancholie et parole sur l’image chez Michel-Ange“, 159–72.

  9. Friedmar Apel, „Sichtbarkeit und Eigensinn: Aufmerksamkeit in Jean-Philippe Toussaints ‚L’appareil-photo‘“, 173–80; Barbara Kuhn, „‚par un effet d’anamorphose‘: das Kippen der Wahrnehmung oder Schachbrett und Gedächtnisarchitektur in Georges Perecs ‚La Vie mode d’emploi‘“, 181–210.

  10. Cornelia Ortlieb, „Miniaturen und Monogramme: Stéphane Mallarmés Papier-Bilder“, 143–58.

  11. Sigrid Weigel, „Von Blitz, Flamme und Regenbogen: das Sprechen in Bildern als epistemischer Schauplatz bei Walter Benjamin“, 225–40.

  12. Bernard Vouilloux, „Les fins du modèle rhétorique“, 241–54.

  13. Stéphane Lojkine, „Le vague de la représentation“, 255–72.

  14. Muriel van Vliet, „Le phénomène originaire de prégnance symbolique chez Ernst Cassirer, Maurice Merleau-Ponty et Claude Lévi-Strauss: la grammaire silencieuse de l’œuvre d’art“, 273–88.

  15. Diese hat Beyer in wissenschaftshistorischer Perspektive untersucht: „En quelle langue parler?“, 87.

  16. So die Formulierung bei Didi-Huberman, „Essayer dire“, 113; Campe nennt sie „etablierte Deutungsweisen“, „Vor dem Bild“, 56.

  17. Darauf geht der Beitrag von Vouilloux ein: „Les fins du modèle rhétorique“, 244.

  18. Campe, „Vor dem Bild“, 57.

  19. Vouilloux, „Les fins du modele rhetorique“, 241.

  20. Vouilloux, „Les fins du modele rhetorique“, 244; Hervorhebung im Original.

  21. Vouilloux, „Les fins du modele rhetorique“, 246.





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