Die Internationalisierung des Lehramts – eine Quadratur des Kreises?

Zu Chancen und Grenzen eines grenzüberschreitenden Paradigmas der Lehrerbildung am Beispiel des Masterstudiengangs MEEF/LINT (Lehramt International) Nizza-Regensburg

Jochen Mecke, Christine Schmider und Katja Zaki

1. Einleitung: Internationales Lehramt – ein akademisches Oxymoron?

Aus der Perspektive der traditionellen Konzeption eines grundständigen Lehramts muss das Bestreben einer Internationalisierung zunächst wie ein zum akademischen Programm erhobenes Oxymoron erscheinen. Ist die Lehrerbildung nicht von jeher Hoheitsaufgabe des Staates, also beispielsweise Frankreichs oder Deutschlands? Und sind die Anforderungen an Europas Lehrer/innen in den einzelnen Bildungskulturen und Schulsystemen nicht ohnehin so unterschiedlich, dass sich die Konzeption eines internationalen Lehramtsstudiums von vornherein verbietet? Was kann eine Internationalisierung des Lehramts unter diesen Auspizien überhaupt mehr sein als eine Utopie Brüsseler Eurotechnokraten?

Aus deutscher Sicht gelten all diese Bedenken sicherlich a fortiori, da das Prinzip der Kulturhoheit der Länder bekanntlich bereits zwischen Flensburg und München für beträchtliche Unterschiede und Inkompatibilitäten in der Lehrerausbildung sorgt. Wenn es für Schüler/innen wie Lehrer/innen bisweilen leichter sein kann, von Nordrhein-Westfalen in die Niederlande zu wechseln als nach Bayern, so mag es vermessen erscheinen, strukturelle Unterschiede und bildungspolitische Grenzen zugunsten einer größeren Idee überwinden zu wollen. Vielleicht erhält das Bestreben einer Internationalisierung dadurch aber auch und gerade in Bayern umso mehr Berechtigung und Antrieb. Den nicht von der Hand zu weisenden Einwänden lassen sich schließlich eine Reihe von Argumenten entgegensetzen, die grenzenüberschreitende Wege in der Lehrerbildung gangbar und sinnvoll erscheinen lassen – nicht im Gegensatz zu gewachsenen Traditionen, sondern im Bewusstsein ihrer Weiterentwicklung. Gänzlich unproblematisch stellt sich schließlich auch das nationale bzw. regionale Lehramt nicht mehr dar, während binationale Kooperationen Chancen und Synergien entstehen lassen können, die es ohne sie kaum gäbe.

2. Der Kontext: eine neue Lehrerbildung für eine veränderte Gesellschaft

2.1. Neue gesellschaftliche Kontexte der Lehrerbildung

Universitäre Strukturen und individuelle Berufsbiographien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert – in Bayern nicht weniger als an der Côte d’Azur. Viel zitierte Phänomene der Globalisierung haben durch die fortschreitende Digitalisierung eine Beschleunigung erfahren, die Mobilität neu definiert, sowohl hinsichtlich ihrer Dimensionen und Möglichkeiten als auch bezüglich der Wissensbestände und Fähigkeiten, die Lehrende und Lernende heute mitbringen müssen, um sich selbst zurechtzufinden und anderen Orientierung zu bieten.1 Dadurch haben auch die Kontexte und Vorstellungen von „Bildung“ einen Wandel erfahren, der von weitreichenden Konsequenzen für unsere Ausbildungssysteme begleitet ist.

In einer Welt, die immer mehr zusammenwächst und gleichzeitig auseinander driftet, wird eine nationale Bildungspraxis zudem auch aus anderen Gründen problematisch. Wenn Europa trotz diverser Herausforderungen als gelebte Realität wahrgenommen werden soll, muss es in den Vorstellungen der Bürger schließlich anders gesehen bzw. neu gedacht werden. Wenn Europa eine Chance haben soll, so müssen auch die intellektuellen Voraussetzungen für eine gemeinsame Bildungs- und Geisteskultur geschaffen werden. – Aber wie sollte dies früher und nachhaltiger geschehen als durch eine internationale Öffnung und gesamteuropäische Ansätze im Bereich der Bildung? Und warum sollte dann gerade die Ausbildung unserer Lehrer/innen einem vornehmlich national definierten hoheitlichen Maßstab folgen? Welchen Anspruch kann dieser erheben gegenüber einer international konzipierten Professionalisierung, deren Mehrwert im Spiegel aktueller Entwicklungen täglich sichtbar wird? Durch die Dynamik einer neuen Vielfalt werden schließlich auch unsere Schulen von einer Heterogenität geprägt, die neue Formen interkultureller Sensibilität erfordert, welche wohl von kaum jemand besser vermittelt wird als von Lehrkräften, die Interkulturalität im Studium nicht nur theoretisch reflektiert, sondern berufsfeldbezogen erlebt haben. – Ist, so fragt man sich, gegenwärtig nicht eher die nationale Bildungskultur das wahre Oxymoron bzw. ein Widerspruch in sich? Wir können nicht länger in der Wirtschaft und Politik von Globalisierung reden und gleichzeitig eine regionale und lokale Bildungspolitik betreiben, und uns dann über eine mangelnde europäische Gemeinschaft beschweren.

2.2. Bildungspolitische Kontexte einer europäischen Lehrerbildung

In der Agenda Education and Training 2020 betont die EU Kommission einmal mehr, wie die neuen Herausforderungen unserer Zeit von neuen Chancen der Vernetzung begleitet und nur von neuen Formen der Kooperation erfolgreich bewältigt werden können – vor allem, wenn es um die Lehrerausbildung geht, der sie eine Schlüsselrolle zuschreibt. Der Ruf nach mündigen Bürgern sowie qualifizierten Fachkräften impliziere nicht zuletzt die Forderung nach gut qualifizierten Lehrkräften, um Europas Schüler/innen auf hohem Niveau auszubilden. Von besonderer Wichtigkeit sei dabei die erste Phase der Lehrerausbildung an den Universitäten, um durch eine kohärente Professionalisierung ein umfassendes Professionswissen, vor allem aber auch ein vertieftes Professionsverständnis angehender Lehrkräfte auszubilden.2 Europas Lehrer/innen sollten sich schließlich nicht nur als Spezialisten ihres Fachs, sondern auch als Berater, Schulentwickler, Forscher bzw. lebenslang forschend Lehrende und Lernende begreifen.3

Die Frage, was nun „gute“ Lehrkräfte ausmache, ist allerdings weder eine einfache noch eine neue und hat bereits ebenso viele Antworten wie relativierende Gegenantworten gefunden. Übereinstimmend werden oft Professionswissen bzw. -bewusstheit sowie Kollegialität, Differenz-, Reflexions- und Diskursfähigkeit als Kernelemente der Lehrprofessionalität hervorgehoben4 – Kompetenzen und Fähigkeiten also, die nicht allein theoretisch reflektiert, sondern erfahrbar werden sollten. Und auch hier setzen Internationalisierungsbestrebungen an: Eine binationale Ausbildung ermöglicht durch die ständige Begegnung und Auseinandersetzung mit Sprache, Kultur und Bildungssystem des Ziellandes schließlich fast „nebenbei“ eine Förderung von reflexiven Kompetenzen, die im nationalen Lehramtsstudium selten so umfassend erlebbar werden.

Bestärkt werden die aktuellen Tendenzen zudem durch frühere Impulse: Vor allem die PISA-Studie, deren Ergebnisse in Deutschland zu einer grundlegenden Infragestellung der Schul- und Lehrerbildung führten, sowie die Bologna-Reform markierten bereits vor der Jahrtausendwende Zäsuren: Neue Rahmendaten und veränderte Erwartungen an das Berufsbild des Lehrers führten länderübergreifend zu einem Umdenken und motivierten Überlegungen hinsichtlich einer kompetenzorientierten Professionalisierung. – Die Antworten auf die neuen Forderungen waren allerdings keineswegs allerorts ähnlich.5 Die Bestrebungen riefen vielmehr unterschiedliche Reaktionen hervor, die binationale Kooperationen derzeit einfacher erscheinen lassen als vor einigen Jahrzehnten, sie aber doch auch mit andauernden bildungspolitischen Unterschieden konfrontieren. Während Frankreich beispielsweise mit einer umfassenden strukturellen Reform, einer Masterisation des Concours, auf Bologna reagierte, hält man in Bayern auch heute weiterhin am Staatsexamen fest.

Die 2012 in Frankreich initiierte Reform des Zugangs zum Lehramt hat die französische Lehrerbildung grundlegend verändert. Das 2013 verabschiedete Gesetz zur „Refondation de l’école de la République“ begründete die Einführung der ESPE (Ecole Supérieure du Professorat et de l’Education) als zentrales Lehrerbildungszentrum einer Region, das seitdem für die Aus- und Weiterbildung von Lehrer/innen zuständig sind. Die formation initiale besteht nun aus den neu konzipierten Master „MEEF“ (Métiers de l’Enseignement, de l’Education et de la Formation)-Studiengängen, die auf den Concours vorbereiten, aber zugleich – und darin liegt die bedeutsame Neuerung, die das französische System näher an andere europäische Lehrerbildungssysteme heranrückt – die fachwissenschaftliche Ausbildung im Sinne eines stärkeren Berufsfeldbezugs durch ein Angebot an bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Studieninhalten ergänzen.6

Während die Reform des Lehramts in Frankreich nach einer Verbindung von national gewachsenen und neuen europäischen Strukturen sucht und so eine internationale Öffnung begünstigt, erfolgt die Internationalisierung des Lehramts in Bayern hingegen trotz einer im Bereich der Lehrerbildung eher schleppenden Umsetzung von Bachelor- und Masterstrukturen. So hält Bayern weiterhin am Staatsexamen als unabdingbarer Voraussetzung für den Zugang zum Referendariat fest, was über die Ländergrenzen hinaus von Relevanz ist.7 Eine Internationalisierung kann hier demnach weniger durch Aufbrechen denn durch Weiterentwicklung und Ergänzung traditioneller Studiengänge erreicht werden. Master of Education Studiengänge können das bayerische Staatsexamen gegenwärtig nicht ersetzen, aber parallel zu ihm angeboten werden, so dass Studierende diese als studienbegleitende und komplementäre Studiengänge absolvieren können.

2.3. Was heißt also Internationalisierung des Lehramts?

Nehmen wir also an, eine zunehmend transnational strukturierte Gesellschaft lässt die Internationalisierung des Lehramts als wichtige Option erscheinen, die jedoch in verschiedenen Ecken Europas auf unterschiedliche Voraussetzungen und Möglichkeiten trifft. In welcher Form und mit welchen Leitlinien sollte sie dann verfolgt werden? Wo liegt das richtige Maß zwischen Vereinheitlichung und Vielfalt – und was definiert am Ende die richtige Mischung: die Menge der Anteile, ihre Komplementarität, ihre Passung? Es versteht sich, dass sich die Lehrerbildung in Europa einer Öffnung verschließt, solange einzelne Staaten in einer Art bildungspolitischem Solipsismus verharren, ohne auf die Perspektiven und Alternativen jenseits nationaler Grenzen zu blicken. Auf der anderen Seite kann eine Internationalisierung des Lehramts aber auch nicht bedeuten, kulturelle Differenzen im Sinne eines globalen Modells zu nivellieren. Nur ein internationales Studienkonzept, das die Unterschiede und Besonderheiten verschiedener Bildungskulturen erkennt und schätzt, wird schließlich einen sichtbaren Vorsprung gegenüber rein nationalen Ausbildungsformen haben.8

Dies verändert die Perspektive auf die oft zitierten Probleme der Internationalisierung allerdings radikal. Denn im Unterschied zu Auffassungen, die in internationalen Kooperationen vor allem Hindernisse sehen – sei es auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation, der Studienstrukturen, der Lehr- und Lernkulturen –, geht der hier vertretende Ansatz davon aus, dass ein binationaler Studiengang nicht mehr Probleme bereitet als er überwindet, sondern einen kaum zu messenden Mehrwert bereithält. Das Potential ergibt sich nicht zuletzt durch eine Vielfalt, die weniger als Gefahr denn als Chance gesehen wird, indem ein einheitlicher Ansatz durch Komplementarität und Integrität umgesetzt wird. Man könnte aus dieser Perspektive die eingangs skizzierten Einwände gegen eine Internationalisierung von Studiengängen also geradezu umkehren: Die nationale oder auf ein Bundesland bezogene Konzeption des Lehramts ist das Problem, die Internationalisierung des Lehramts ist dessen Lösung!

3. Die Ausgangsbasis: Internationalisierung in Nizza und Regensburg

3.1. Internationale Studiengänge in Regensburg

Die Chancen einer bi- bzw. internationalen Ausbildung erschöpfen sich nicht im Lehramt. Oft kann das Lehramt im Hinblick auf eine internationale Öffnung gerade von anderen, staatlich weniger reglementierten Ausbildungsbereichen Impulse aufnehmen. So war es im Rahmen der Kooperation Regensburg-Nizza zunächst der Bereich der Geisteswissenschaften, in dem die beiden Universitäten die Relativierung lokaler Perspektiven durch internationale Kooperationen als Chance begriffen. An der Universität Nizza initiierte die Germanistik mit der Universität Kassel den Studiengang „Berufsbezogene Mehrsprachigkeit“, später mit der Universität Regensburg den interdisziplinären Studiengang „Deutsch-Französische Studien/DFS“. In Regensburg begann der Lehrstuhl für Romanische Philologie II bereits Ende der 1990er Jahre, integrierte, interdisziplinäre Bachelor- und Masterstudiengänge mit Doppeldiplom zu entwickeln, die dann von der Deutsch-Französischen Hochschule geprüft und gefördert wurden. Später kamen Kooperationen mit Spanien und Italien hinzu, für die der DAAD die Förderung nach einer eingehenden Evaluation übernahm.

All diese Studiengänge waren nach dem gleichen Prinzip konstruiert: Die fachlichen, nationalen und kulturellen Besonderheiten wurden nicht als Problem, sondern als Chance begriffen, die Stärken der einzelnen Fachkulturen in Nizza, Clermont-Ferrand, Madrid, Triest, Ferrara und Regensburg konsequent genutzt, um den bi- bzw. trinationalen Kooperationen einen deutlichen Mehrwert zu verleihen. Warum solle dieses Prinzip nicht auch die Lehrerausbildung bereichern? Dass man sich dennoch erst später an den Versuch einer Internalisierung wagte, hing vor allem mit der beschriebenen staatlichen Zuständigkeit der Lehrerausbildung zusammen sowie mit damit verbundenen strukturellen Hürden. Relativiert wurden diese Bedenken schließlich durch internationale Impulse rechtlicher, bildungspolitischer und -wissenschaftlicher Art, durch die Masterisation in Frankreich sowie durch eine simple Maßgabe im Kontext einer europäischen Idee: „Jump out of your box. And join the JoMiTE-group.“ Worum geht es dabei?

3.2. Von europäischen Kooperationen zu einem binationalen Master-Projekt

Erste Ansätze einer internationalisierten Lehrerausbildung entstanden in Regensburg als Teil eines Netzwerks aus anfangs neun Universitäten und assoziierten Sekundarschulen, die im Rahmen von JoMiTE (Joint Master in Teacher Education) das Ziel verfolgten, ein kompetenzorientiertes Rahmencurriculum sowie neue Formen einer inter- bzw. transnationalen Vernetzung im Bereich der Lehrerbildung zu entwickeln. JoMiTE als ein Projekt zu bezeichnen, wäre dabei allerdings nicht wirklich zutreffend, handelte es sich doch eher um ein Dachkonzept, das mit zwei grundlegenden Projekten begann (JoCiTE; SPriTE) und durch Folgeprojekte ausdifferenziert wurde (InNoTE; SoNetTE).9 Die Mitgliedsstaaten waren in den unterschiedlichen Teilprojekten mit interdisziplinären Teams vertreten10, die in fachspezifischen als auch fachübergreifenden Arbeitsgruppen zunächst an den Strukturen und Standards des gemeinsamen Rahmenkonzepts arbeiteten. Auf diese Weise sollte der Gegensatz zwischen „globalen“ und „nationalen“ Perspektiven aufgehoben werden und durch einen Dialog ersetzt wurden.11 Die Umsetzbarkeit der entwickelten Konzepte war dabei allerdings häufig ebenso kontextuell geprägt wie ihre Entstehung. Kurz gesagt: Was in Finnland oder Frankreich überzeugte, musste in Portugal nicht unbedingt funktionieren und konnte in Bayern sogar auf Ablehnung stoßen.12 Darüber hinaus zeigte sich, dass gerade transnationale Initiativen und Innovationen auf verlässliche Netzwerkstrukturen angewiesen sind, die eine Kooperation unterstützen und tragen.13

JoMiTE stand und steht also für eine gemeinsame europäische Idee, die in den einzelnen Partnerinstitutionen auf unterschiedliche Weise umgesetzt und weiterentwickelt wurde. In Regensburg mündeten die verschiedenen Ansätze beispielsweise in das Studienprogramm „LINT“ (Lehramt International), ein internationales – v.a. deutsch-französisches und deutsch-spanisches – Netzwerk, in dem sowohl Auslandspraktika als auch ein Bachelor of Arts mit Lehramtsoption und zwei internationale Master of Education-Studiengänge angesiedelt sind. Von besonderer Tragweite war dabei von Beginn an die Kooperation mit Nizza: Während die Internationalisierung des Lehramts in Bayern anfangs eher einer Graswurzelbewegung glich, hatte man in Nizza schließlich einen Kooperationspartner für das Lehramt gefunden, der nicht nur über ähnliche Ziele, sondern auch über den rechtlichen und politischen Rückhalt verfügte, um die JoMiTE- bzw. LINT-Impulse aufzugreifen, um im Rahmen der französischen Masterisation das ambitionierte Projekt einer Lehramtsausbildung gemeinsam in Angriff zu nehmen.

4. Die Quadratur des Kreises: der binationale MEEF/LINT Nizza-Regensburg

4.1. Ein Kurzportrait: Prinzipien und konzeptionelle Prämissen

Durch die sehr positiven Erfahrungen der Internationalisierung in Regensburg motiviert und aufbauend auf die Reform des CAPES in Frankreich ging der binationale Master MEEF/LINT 2012 in Planung und startete zum Wintersemester 2014/15 schließlich mit dem ersten Pilotjahrgang. Um in beiden Ländern akkreditiert und auch von der Deutsch-Französischen Hochschule als förderungswürdig eingestuft zu werden, musste er davor sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite sowie vor allem auch unter dem Aspekt eines binationalen Mehrwertes verschiedenste Kriterien erfüllen: Aus formaler Sicht umfasst er als konsekutiver Master 120 ECTS, die auf fachwissenschaftliche, fachdidaktische, bildungswissenschaftliche und schulpraktische Elemente entfallen und von besonderen flankierenden Maßnahmen ergänzt werden, um den speziellen Voraussetzungen, Erfordernissen und Möglichkeiten eines binationalen Programms und seiner Studierenden gerecht zu werden. Zu den zuletzt genannten Maßnahmen zählen differenzierte Angebote innerhalb des Pflichtstudiums (Propädeutika, Wahlpflichtbereiche) ebenso wie fakultative Orientierungs- und Sprachangebote, Tandems und eine spezifische Form der Prüfungsvorbereitung, um den „Mehraufwand“ des binationalen Studiums durch ein engmaschiges Netz an Unterstützungs- und Betreuungsangeboten abzufedern. Zudem sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um Formen von (virtueller) Mobilität zu ermöglichen, von der sowohl die Programmstudierenden als auch deren Kommilitonen profitieren könnten. Das Ergebnis war schließlich der gemeinsame MEEF allemand/LINT Deutsch-Französisch im Sinne eines double degree, dessen Aufbau vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Ziele, konzeptionellen Überlegungen und curricularen bzw. modularen Strukturen in der Folge skizziert werden soll.

4.2. Mehrwert und Ziele der binationalen Konzeption

4.2.1. Doppel- bzw. Mehrfachabschluss und berufliche Perspektiven

Im Rahmen der binationalen Kooperation wollten die Architekten der Studiengänge Elemente der französischen und deutschen Lehrerbildung verbinden und den Studierenden sowohl einen doppelten Abschluss als auch erweiterte Qualifikationen und berufliche Perspektiven bieten. Der integrierte Studiengang sollte n Regensburg zum Master LINT Dt.-Frz. und in Nizza zum französischen Master MEEF führen, auf den Concours des CAPES d’Allemand vorbereiten sowie den Studierenden (optional studienbegleitend oder im Anschluss) den Abschluss des Bayerischen Staatsexamens ermöglichen – ein Unterfangen, das bislang wohl zu Recht als eine akademische Quadratur des Kreises gelten konnte.

Ein wichtiger Beweggrund des mehrfachen Abschlusses war es dabei von Beginn an, den Studierenden Alternativen zu den beruflichen Perspektiven im eigenen Land zu erschließen – sei es, weil sie später gerne im Ausland arbeiten möchten oder weil sie zuhause keine Chance auf Einstellung hätten, während anderswo Lehrermangel besteht.14 Gerade im Lehramt erscheint diese Option besonders wichtig, treten hier doch immer wieder strukturelle Probleme bei der Einstellung auf. In Bayern etwa schwankten die Einstellungsquoten für Fächerverbindungen mit Französisch in den vergangenen Jahren zwischen beinahe 100 und null Prozent; die vom Ministerium veröffentlichten Prognosen zum Lehrerbedarf zeigten kürzlich noch bis 2025 ein düsteres Bild.15 Die Auswirkungen auf die Neuimmatrikulationen sind bereits spürbar. Schließlich nimmt die Aleatorik der Einstellungspraxis den Studierenden jegliche Planungssicherheit; sie macht das Lehramtsstudium zu einem akademischen Vabanque-Spiel. Noch problematischer ist zudem die Aleatorik der Einstellungsgrenznoten: In den letzten Jahren oszillierten diese im Fach Französisch zwischen 1,2 und 3,5. Dies entspricht nicht gerade einer Einstellungspraxis, die sich an nachhaltigen Qualitätskriterien ausrichtet. Auch Leistungsgerechtigkeit lässt sie gänzlich vermissen.16

Schwankungen in der Einstellungspraxis gibt es auch in Frankreich; sie orientieren sich hier vornehmlich an der Zahl der zur Verfügung gestellten Plätze im Concours. Da die Kurven der Einstellungsquoten in Frankreich und Deutschland jedoch nie deckungsgleich sind, ergibt sich durch binationale Kooperationen die Möglichkeit, den Einstellungsstopp in einem Land durch das Stellenangebot im anderen bzw. auch in Resteuropa zu kompensieren. Die gegenwärtige Einstellungspraxis bestätigt dies: Den düsteren Prognosen in Bayern steht in Frankreich im Fach Deutsch momentan ein Lehrermangel entgegen – und selbst die zeitweise drohende Schließung der classes bi-langues dürfte vorerst nichts an dieser Konjunktur ändern. Zudem werden auch Länder wie die Niederlande oder Schottland bei der Suche nach qualifizierten Lehrkräften nicht zuletzt auf Bewerber/innen zurückgreifen, die im Rahmen ihrer Ausbildung eine interkulturelle Kompetenz erworben haben.

4.2.2.Qualifikationen und Schlüsselkompetenzen

Aber einen binationalen Studiengang schafft man nicht allein der Abschlüsse und Berufsperspektiven wegen. Den Initiatoren von MEEF/LINT ging es auch darum, Qualifikationsziele in den Fokus zu nehmen, die sich in einer innovativen, integrativen Lehrerbildung oft anders und nachhaltiger verfolgen lassen als in nationalen Studiengängen. Dazu gehört neben dem Erwerb fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Studienanteile die Förderung von Schlüsselkompetenzen wie Flexibilität, Mobilität, Selbstrelativierung und interkultureller Sensibilität, die schon heute eine zunehmend große Rolle spielen – eine Entwicklung, die wiederum mit dem aktuellen Wandel der Kontexte und Funktionen von Bildung zusammenhängt.17

Während Lehrer/innen früher oft über homogenere Lernendengruppen und ein Wissensreservoir mit „langen Halbzeitwerten“ verfügten, verfällt die Gültigkeit des angeeigneten Wissens gegenwärtig so rasch, dass die Rede vom lebenslangen Lernen weder eine luftige Metapher noch ein ethisches Postulat ist, sondern schlicht eine auferlegte Relevanz. Zudem müssen Lehrkräfte tagtäglich in der Lage sein, sich auf andere Menschen einzustellen, abweichende Denkweisen zu erfassen, Verständnis- und Verständigungsprobleme zu erkennen sowie ihre eigenen Formen der Auffassung zu relativieren und überdies die Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst mit dem Blick des Anderen zu betrachten. Was könnte hierfür förderlicher sein als ein integriertes Studium, das die Erfahrung der Selbstrelativierung sowie der In-Frage-Stellung all dessen, was einem selbstverständlich erscheint, kontinuierlich mit sich bringt? Dabei tritt neben den Erwerb interkultureller Kompetenz gerade für Fremdsprachenstudierende eine hohe Sprachkompetenz durch die regelmäßige Begegnung mit der Sprache und Kultur des Ziellandes, durch die sie zu authentischen Mittlern einer Fremdsprache werden, die sie nicht nur „gelernt“, sondern in der sie auch und die sie auch gelebt haben.

4.3. Studienstruktur und Mobilitäten

Studienverlauf und Mobilitätsphasen

Das Studienprogramm des binationalen Masters LINT/MEEF sollte die Studierenden durch eine berufsfeldbezogene Professionalisierung in Regensburg und Nizza auf das Arbeitsfeld des Fremdsprachenlehrens vorbereiten, wobei stets eine Balance zwischen universitären, studiengangtechnischen Anforderungen und ministeriellen Auflagen gefunden werden musste – und dies gleich zweimal, auf deutscher (bayerischer) und französischer Seite. Die Berücksichtigung der Eigenheiten beider System und das Bestreben, den binationalen Master mit den staatlichen Vorgaben zu harmonisieren, stellten alle Beteiligten vor beträchtliche Herausforderungen.

Die Tücken der Studiengangskonzeption lauerten dabei nicht nur in Details, sondern auch in sehr grundlegenden Fragen zur Studienstruktur, den Mobilitätsphasen oder der Entscheidung für einen Ein- oder Zwei-Fach-Master: Während in Bayern beispielweise ein zweiteiliges Staatsexamen den Zugang zum Schuldienst ermöglicht, wird dieser in Frankreich bekanntlich über das Bestehen des CAPES geregelt. Letzteres wird in einem Fach abgelegt, während das Staatsexamen mindestens zwei Fächer erfordert. Diese und weitere Konfigurationen machten immer wieder grundlegende konzeptionelle Entscheidungen notwendig, die in bestimmten Punkten Kompromisse und pragmatische Lösungen erforderten, wie beispielsweise hinsichtlich der Frage eines Ein- oder Zweifachstudiums: hier steht dem Zwei-Fach-Master auf deutscher Seite (Master LINT Deutsch-Französisch) in Nizza die Verleihung des auf das französische Ein-Fach-Studium zugeschnittene MEEF allemand gegenüber.18 Aus diesen Rahmenbedingungen ergibt sich die Struktur des Studiengangs.

Die Studiengangskonzeption unterscheidet sich zunächst nicht wesentlich von anderen europäischen Master of Education-Studiengängen: Sie umfassen fachwissenschaftliche (Content Knowledge), fachdidaktische (Pedagogical Content Knowledge) und bildungswissenschaftliche (Pedagogical Knowledge) Elemente ebenso wie schulpraktische und forschungsorientierte Bestandteile.

Eine Herausforderung, die sich unmittelbar aus der Struktur des Studiengangs ergibt, stellte die Regelung der Mobilitätsphasen dar. Das durch mehrere Ortswechsel geprägte Studium verlangt den Studierenden schließlich ein großes Maß an Organisation und Disziplin ab, sodass unterstützende Strukturen und differenzierende Angebote unabdingbar sind, wie in der Folge an einigen ausgewählten Beispielen illustriert werden soll.

4.4. Zentrale Bestandteile und flankierende Maßnahmen

4.4.1. Orientierungswoche

Eine „doppelte Mobilität“ im ersten Masterjahr erfordert in gewisser Weise auch eine „doppelte Vorbereitung“, welche die Studierenden zu Beginn ihres Studiums sowohl auf die sie erwartenden Aufgaben in Regensburg als auch auf die Anforderungen der CAPES-Prüfung einstimmt. Die Studierenden werden zu Studienbeginn deshalb nicht nur in organisatorischen Angelegenheiten unterstützt (Immatrikulation, Vorbereitung auf die DSH-Prüfung, Stundenplanerstellung u.ä.), sondern auch inhaltlich, sprachlich und kulturell auf die Besonderheiten des jeweils anderen Bildungssystems vorbereitet. Auch der CAPES-Vorbereitung werden bereits mehrere Tage gewidmet. Ein vielfältiges Rahmenprogramm rundet die Orientierungstage ab.

4.4.2. Fachdidaktisches Propädeutikum und Differenzierung

Bereits die Orientierungstage sind geprägt von einem differenzierten Vorgehen, was insbesondere mit den verschiedenen Abschlüssen zusammenhängt, mit denen sich Studierende für den Master MEEF/LINT bewerben. Als konsekutiver Master wurde er bislang sowohl von Staatsexamensabsolventen als auch von Studierenden mit einem Bachelor of Education oder Bachelor of Arts gewählt. Ein Propädeutikum für Studierende mit einem nicht lehramtsbezogenen ersten Abschluss19 sowie ein Wahlpflichtsystem ermöglichen individuelle bzw. gruppenspezifische Schwerpunktsetzungen im Rahmen einer grundsätzlich binationalen Kohorte. Diese Differenzierung ist nicht nur für die Absolventen der Bachelor of Arts-Studiengänge wichtig, sondern auch und gerade für Examensabsolventen, die während des Masters bereits auf ein mögliches Referendariat in Bayern mit vorbereitetet werden können. Im Fall eines erfolgreich abgeschlossenen Master MEEF/LINT lässt sich das Referendariat für diese Gruppe schließlich in der Regel um ein Jahr verkürzen. Grundsätzlich gemeinsam belegt werden der fachwissenschaftliche Teil sowie die CAPES-Vorbereitung.

4.4.3. CAPES-Vorbereitung und Prüfung

Aufgrund der Unterschiede zwischen deutschen und französischen Prüfungskulturen, zwischen Staatsexamen und CAPES, wird der Concours vornehmlich auf französischer Seite vorbereitet, von den deutschen Kolleginnen und Kollegen aber – zumindest partiell – in der eigenen Kursplanung berücksichtigt. So kann ein binationaler Studiengang schließlich nur dann funktionieren, wenn die Wertschätzung der Komplementarität kein leeres Versprechen bleibt, sondern neben die Akzeptanz der Vielfalt auch eine informierte Kenntnis der jeweiligen Unterschiede tritt, um mögliche Fragen und Probleme auf Seiten der Studierenden frühzeitig zu antizipieren, zu erkennen und zu lösen.

4.4.4. Berufsfeldbezug und Praktika in beiden Ländern

Die Kenntnis des jeweils anderen Systems sowie eine reflektierte Einordnung der Unterschiede sind auch im Hinblick auf die schulpraktischen Elemente des Studiengangs von zentraler Bedeutung. Eine wichtige Säule des gemeinsamen Masters stellen schließlich die universitär und schulisch begleiteten Praxisphasen in beiden Ländern dar: Während des ersten Masterjahres in Regensburg absolvieren die Studierenden ein einjähriges Praktikum20 im Fach Französisch, das durch die Übernahme von Schülerpatenschaften und Intensivierungsstunden im Bereich Deutsch als Fremdsprache ergänzt wird,21 wodurch Schulen und Studierende gleichermaßen profitieren. Die Zusammenarbeit ermöglicht so nicht nur punktuelle Praxiseinblicke, sondern auch längerfristige Kooperationen.22 Das Praktikum im zweiten Masterjahr erlaubt den Studierenden im Falle eines bestandenen Concours dann bereits als Beamte auf Probe zu unterrichten und sämtliche, für das französische Schulsystem spezifischen Phänomene kennenzulernen. Anders als in Regensburg macht der Praxisteil nun den Hauptteil des zweiten Masterjahres aus, wird dabei aber durch eine begleitende universitäre Ausbildung ergänzt. Auch für die deutschen Studierenden ist die für sie ungewohnte Verschränkung der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung interessant und gewinnbringend.23 Von besonderer Bedeutung waren auch hier wiederum die bleibenden Kooperationen mit verschiedenen Schulen, die für die Beteiligten auch für die Zukunft eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit in der schulischen Praxis ermöglichen, die über den Studiengang hinausreicht.

4.4.5. Strukturen von Gemeinschaft und neue communities of practice

Die Verbindungen, die unter anderem im Rahmen der Schulpraktika auf beiden Seiten gewachsen sind, zeigen, dass der wohl wichtigste Mehrwert binationaler Kooperationen jene Strukturen sind, die ab einem gewissen Zeitpunkt vielleicht vielmehr als trans- denn als binational zu bezeichnen sind. Eine bi- bzw. transnationale Kohorte, die nicht nur voneinander, sondern auch miteinander lernt, bildet schließlich eine interkulturelle Empathie, Sensibilität und Kooperationsfähigkeit aus, die sie auch als spätere Lehrende und Multiplikatoren prägen wird. Darüber hinaus sind diese sozialen Strukturen auch für den Studienerfolg von großem Nutzen: So hilft das engmaschige Netzwerk den Studierenden gerade auch bei den akademischen und persönlichen Herausforderungen des alltäglichen Studienalltags.

Der Netzwerkgedanke beschränkt sich im MEEF/LINT Deutsch-Französisch nicht auf informelle Wege der Kommunikation, sondern umfasst auch ein gemeinsames bi- bzw. multinationales Kursangebot (z.B. im Rahmen der CAPES-Vorbereitung) sowie die Organisation gemeinsamer Veranstaltungen. Exemplarisch sei hier das DAAD-Kolloquium „Du défi d’être un bon enseignant à l’ère de la globalisation – savoirs et compétences aujourd’hui et demain“ zur deutsch-französischen Lehrerbildung genannt, welches im September 2015 in Nizza stattfand und von MEEF-Studierenden sowohl mitorganisiert als auch durch eigene Beiträge bereichert wurde.24 Die Vernetzung von Studierenden, aber auch anderen Akteuren der deutsch-französischen und gesamteuropäischen Lehrerbildung ist dabei als wichtiger Motor transnationaler communities of practice zu sehen, die für die Weiterentwicklung einer bi- und internationalen Lehrerbildung wichtige Impulse und Ideen liefern können. Auch durch eine bedachte Nutzung digitaler Unterstützungsstrukturen ergeben sich dabei vielfältige Möglichkeiten der Kooperation – sowohl auf Seiten der Studierenden als auch unter Lehrenden und Verantwortlichen, um auch auf verschiedenen Ebenen von- bzw. miteinander zu lernen und Synergien zu nutzen.

4.4.6. Bedingungsfaktoren und Stützstrukturen binationaler Studiengänge

Integrierte Studiengänge bestehen nicht nur aus einer wohlüberlegten Studien- und Prüfungsordnung. Ein großer Teil des Gelingens hängt von Kontextfaktoren wie rechtlichen und politischen Vorgaben, dem infrastrukturellen Rahmen sowie personellen und finanziellen Kapazitäten der Hochschulen ab. Nicht zu unterschätzen ist auch die Funktion von institutionellen Unterstützungsstrukturen. Auf französischer Seite ist hier zunächst das Rectorat zu nennen sowie die ESPE: Denn nur mit Hilfe der ESPE können innerhalb des enggesteckten Rahmens der vom Ministerium vorgegebenen Maquettes pädagogische Spielräume und administrative Lösungsmöglichkeiten gefunden werden. Auch die Unterstützung durch das Rectorat bzw. die Inspection Académique und régionale ist dabei unabdingbar.25 Der Rückhalt durch die verantwortlichen Stellen war auch aus Regensburger Sicht von entscheidender Bedeutung. Wie sollte man schließlich sonst in einem Bundesland, das im Unterschied zur Mehrheit aller deutschen Bundesländer nach wie vor ein Staatsexamen für die Lehrereinstellung vorsieht, einen Master of Education einrichten, der nicht vornehmlich den Vorgaben der bayerischen LPO, sondern einem binationalen und interkulturellen Paradigma folgt?26

Mindestens ebenso wichtig wie die nationalen und lokalen Unterstützungsstrukturen sind jedoch auch inter- und binationale Institutionen, wie die Deutsch-Französische Hochschule (DFH), das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW), der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) oder auch das Bayerisch-Französische Hochschulzentrum (BFHZ), die in sehr entscheidendem Maße für die besondere Bedeutung und Tragfähigkeit deutsch-französischer Kooperationen verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Deutsch-Französischen Hochschule eine wichtige Schlüsselrolle zu, da sie durch eine umfassende ideelle, finanzielle Förderung die Einführung des Studiengangs in seiner aktuellen Form überhaupt erst ermöglichte und kontinuierlich unterstützte. Durch den Kontakt zu anderen binationalen Lehramtsstudiengängen in Deutschland eröffnet sie zudem über die Arbeitsgruppe Lehramt ein wichtiges Forum des Austauschs, um ähnliche Herausforderungen gemeinsam anzugehen, Synergien zu nutzen und auch über die individuellen Studiengänge hinaus Impulse für die deutsch-französische Lehrerbildung zu entwickeln.

5. Ausblick: Chancen und Herausforderungen des internationalen Lehramts

Bereits im zweiten Jahr des Bestehens Bilanz zu ziehen und Aussagen über die Chancen und Herausforderungen eines Studienganges zu treffen, ist schwierig. Ist der binationale Master MEEF/LINT nun eher ein Problem? Oder ist er der Versuch einer Lösung? In Frankreich? In Bayern? Für Bayern? Trotz Bayern? – Die Antworten auf diese Fragen sind derzeit so wenig vorherzusehen wie allein von den Initiatoren zu beeinflussen. Die Entwicklung und das Bestehen, der Erfolg oder Misserfolg, das Potential und die Problematik binationaler Kooperationen hängen schließlich von einer Vielzahl von Faktoren ab, die nur teilweise in Einfluss- und Entscheidungsbereich der Verantwortlichen liegen.

Fragen wir zunächst nach dem Potential des binationalen Masters of Education MEEF/LINT Deutsch-Französisch, so scheint dies gerade gegenwärtig vielversprechend. Die Herausforderungen der europäischen Gesellschaft(en) und ihrer Bildungssysteme sind im Wandel begriffen. Europäische Lehrerinnen und Lehrer sehen sich mit vielfältigen Verantwortungen und veränderten Aufgabenbereichen konfrontiert, während traditionelle Rollen und Formen der Wissensvermittlung verblassen. Neue Bildungskontexte erfordern gegenwärtig nicht zuletzt auch neue Wege im Bereich der Lehrerbildung – sie erfordern vor allem transnationale und interkulturelle Ansätze, die eine größere europäische (bzw. internationale) Perspektive ermöglichen und transportieren.

Gerade Deutschland und Frankreich kommt dabei eine besondere Verantwortung zu – und eine große Chance. Aufgrund der bewegten gemeinsamen Geschichte sollte es gerade hier ein Anliegen sein, bildungspolitische Grenzen zu überschreiten und binationale sowie auch gesamteuropäische Zeichen zu setzten. Die historischen Erinnerungen, geteilte Werte und Überzeugungen, aber auch die vielfältigen bestehenden Kooperationen zwischen beiden Ländern können Motor, Motivation und Auftrag sein. Insbesondere die wertvollen ideellen wie infrastrukturellen und finanziellen Stützstrukturen bi- und internationaler Institutionen tragen schließlich nicht nur dazu bei, bestehende Ansätze zu fördern und zu festigen, sondern auch neue Foren und Formen des Dialogs zu eröffnen, welche die binationale Zusammenarbeit im Bereich des Lehramts auf eine breitere Basis stellen und verstetigen.

Auch Kooperationen in nicht grenznahen bzw. benachbarten Bereichen sollten vor diesem Hintergrund verstärkt angestoßen und motiviert werden – obwohl oder gerade weil sie zunächst vielleicht nicht so naheliegend erscheinen wie die Zusammenarbeit von buchstäblich verbundenen Nachbarregionen: Weil die Bürger/innen dort nicht automatisch die Sprache und Kultur des jeweils anderen kennen, weil sie sich vielleicht eher mit vermeintlichen Herausforderungen als den Chancen einer neuen Vielfalt konfrontiert sehen, weil diese Vielfalt im und über das Bildungssystem erst noch verstärkt berücksichtigt werden muss, um Europa ausgehend von seinen unterschiedlichsten Regionen und deren Bürger/innen neu zu sehen und vielfältig zu denken.

Dieses Neu- und Umdenken ist allerdings nur möglich, wenn neue Initiativen und Netzwerke nicht nur durch die Überzeugungen ihrer Kerngruppen getragen, sondern auch von elementaren Stützstrukturen stabilisiert und gestärkt werden. Eine Schlüsselrolle, aber eben nicht die alleinige Verantwortung kann hier sicherlich Organisationen wie der gerade erwähnten Deutsch-Französischen Hochschule zugesprochen werden, die durch eine Vielzahl an Förderungsformen entscheidend dazu beigetragen hat, dass der MEEF/LINT Deutsch-Französisch überhaupt entstehen konnte. Der dauerhafte Bestand und Erfolg von Studiengängen kann darüber hinaus allerdings nur gesichert werden, wenn diese auch lokal gewollt und politisch gestärkt werden.

Gerade in einem Bundesland wie Bayern, in dem Tradition und Innovation in vielfältiger Weise Hand in Hand gehen, in anderen Bereichen aber auch in Konflikt miteinander treten, wird das Für oder Wider binationaler Lehramtskooperationen letztendlich wohl auch von einem generellen Bekenntnis zur neuen gesellschaftlichen Vielfalt abhängen: Sieht man diese Vielfalt als Bedrohung, so gilt auch jede Form der Internationalisierung des Lehramts vor allem als Problem. Feiert man die neue Vielfalt ohne Einschränkung, so erfordert sie keine besonderen Reaktionen. Schätzt und relativiert man diese neue Vielfalt allerdings im Bewusstsein der Notwendigkeit eines reflektierten Umgangs, so zeigen sich nicht zuletzt bi- und internationale Kooperationen im Bereich des Lehramts als eine mögliche Lösung: Denn gerade die gegenwärtig so notwendige interkulturelle Sensibilität, Empathie und Ambiguitätstoleranz sowie deren Vermittlung könnten vielleicht einer der wertvollsten Beiträge sein, den internationale Studiengänge wie der MEEF/LINT Dt.-Frz. heute in eine Gesellschaft tragen – nicht nur mit Blick auf einzelne Studierende bzw. Absolventinnen und Absolventen, sondern vor allem auch unter Berücksichtigung ihrer Rolle als Multiplikatoren.

Blickt man abschließend auf den Master LINT/MEEF, so ist interkulturelle Kompetenz zwischen Regensburg und Nizza schließlich nicht nur ein curriculares Qualifikationsziel, sondern alltäglich erfahrbare Realität – während des Studiums wie auch während der Praktika in beiden Ländern. Die Studierenden durchlaufen dafür vorbereitend, studienbegleitend und flankierend ein Programm, das ein ganzheitliches, transnationales Lernen schließlich zu einer prägenden Erfahrung macht. Und die Tatsache, dass unsere Studierenden teilweise schon während des Studiums und des Vorbereitungsdienstes beginnen, diese Erfahrungen in binationalen bzw. europäischen Kooperationen weiterzuentwickeln und an ihre Schülerinnen und Schüler weiterzugeben, zeigt, wie integrierte Studiengänge dazu beitragen, jene Lehrerpersönlichkeit zu bilden, die in zahlreichen Vorgaben und auch den Vorstellungen der Architekten des Studiengangs nicht selten als Idealbild beschworen wird: Lehrende, die neue Perspektiven ins Klassenzimmer tragen, die flexible Lösungen für vermeintliche Probleme aufzeigen, die sich immer auch als Mittler und Multiplikatoren einer reflektierten Begegnung mit dem Anderen verstehen.


  1. Vgl. Wolfgang Hallet, „Kultureller Wandel und Multiplizierung der didaktischen Kompetenzen im 21. Jahrhundert“, in Kulturen der Lehrerbildung: Professionalisierung eines Berufsstands im Wandel, hrsg. von Christian Kraler et al. (Münster: Waxmann, 2012), 73ff.

  2. Vgl. hierzu auch Ewald Terhart, Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland: Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission (Weinheim: Beltz, 2000), 7ff.

  3. European Commission, Directorate-General for Education and Culture, „Schools policy Education & Training 2020: shaping career-long perspectives on teaching: a guide on policies to improve Initial Teacher Education“, http://ec.europa.eu/education/library/reports/initial-teacher-education_en.pdf, Zugr. am 29.03.2016.

  4. Vgl. z.B. das österreichische EPIK-Modell (Entwicklung von Professionalität im Internationalen Kontext): http://epik.schule.at/index.php?option=com_frontpage&Itemid=1, Zugr. am 29.03.2015.

  5. Vgl. Botho von Kopp, „Lehrerbildung im Ausland: aktuelle und innovative Tendenzen der Lehrerbildung in internationaler Perspektive“, in Innovative Ansätze der Lehrerbildung im Ausland, hrsg. von Hans Döbert et al. (Münster: Waxmann, 2014), 23ff.

  6. Vgl. auch die Référentiel des compétences professionnelles des métiers du professorat et de l’éducation, NOR: MENE1215928A, Arrêté du 1-7-2013- JO du 18-7-2013.MEN-DGESCO A3-3.

  7. Zu berücksichtigen gilt es hier, dass der Referendariatszugang jeweils an die Voraussetzungen des Bundeslandes geknüpft bleibt, in dem der entsprechende Abschluss verliehen wurde.

  8. Sebastian Barsch und Myrle Dziak-Mahler, „Blickwechsel: die Zukunft der LehrerInnenbildung international denken“, in Internationalisierung der LehrerInnenbildung: Perspektiven aus Theorie und Praxis, hrsg. von Meike Kricke (Münster: Waxmann, 2015), 9ff.

  9. JoCiTE: Joint Curriculum in Teacher Education, 2007–2010; SPriTE: Shared Practice in Teacher Education, 2007–2009; InNoTE: Induction for Novice Teachers in Europe, 2009–2012; SoNetTe: Social Networks in Teacher Education, 2012–2016.

  10. Für die Universität Regensburg nahm ein interdisziplinäres Projektteam aus Romanistik, Mathematik und Pädagogik teil; schulischer Kooperationspartner war das St. Marien-Gymnasium Regensburg.

  11. Ergänzend versuchen die Initiatoren, SpriTE Standards im Bereich der Unterrichtspraktika zu erarbeiten, vgl. http://eacea.ec.europa.eu/LLp/project_reports/documents/comenius/all/com/mp/133785/sprite.pdf, Zugr. am 19.06.2015. So unterrichteten etwa von 2007 bis 2009 mehr als 50 Studierende während ihres Auslandssemesters an Partnerschulen. Betreut wurden sie durch ein blended learning-Angebot an Begleitkursen und Tandem-Arrangements.

  12. So erschienen Ansätze des peer mentoring oder sharing-Portale im Bereich des InNoTE-Projekts zum Referendariat in Europa z.B. nur umsetzbar, wenn sie auf Systeme trafen, in denen Prozesse karriererechtlicher Selektion (und Konkurrenz) bereits vor dem zweiten Ausbildungsabschnitt stattgefunden hatten.

  13. So haben die Projektträger ein internetgestütztes Portal im Rahmen des SoNetTE-Projekts u.a. die Potentiale des Web 2.0 genutzt, um Lehrende, Studierende, Referendare und erfahrene Lehrer/innen in virtuellen research and study groups zusammenzubringen. Vgl. www.sonette.org, Zugr. am 09.09.2015.

  14. Man kann sich natürlich fragen, ob die beruflichen Perspektiven der Studierenden zu den Aufgabengebieten der Universitäten gehören. Traditionell ist dies sicherlich weniger der Fall. Dass die Universitäten hier besonders in der Pflicht sind, hat mit einer neuen Verantwortung der heutigen Universität zu tun: So bringen veränderte Rahmenbedingungen seit der Bildungsreform der 1960er Jahre auch eine Veränderung der Aufgaben mit sich. Wenn heute ein immer größerer Anteil eines Jahrgangs ein Studium aufnimmt, so wird es zunehmend wichtig, für eine berufsfeldbezogene Ausbildung zu sorgen, die Absolventinnen und Absolventen nach Studienende Berufsperspektiven eröffnet.

  15. Vgl. www.km.bayern.de/lehrer/lehrerausbildung/lehrerbedarfsprognose.html, Zugr. am 09.09.2015.

  16. Nun könnte man hier sicherlich einwenden, dass dies doch für jeden Studiengang gelte. Im Prinzip ist dieser Einwand auch durchaus richtig. Allerdings sind die Alternativen zum Lehramt – gerade in den Sprachen – begrenzt, wodurch die Unwägbarkeiten der Lehrereinstellung hier besonders gravierende, existenzielle Auswirkungen haben.

  17. Vgl. Wolfgang Hallet, „Kultureller Wandel und Multiplizierung der didaktischen Kompetenzen im 21. Jahrhundert“, in Kulturen der Lehrerbildung: Professionalisierung eines Berufsstands im Wandel, hrsg. von Christian Kraler et al. (Münster: Waxmann, 2012), 73ff.

  18. Die französischen Studierenden belegen in Regensburg neben Veranstaltungen in der Germanistik auch fachwissenschaftliche und -didaktische Kurse sowie ein Praktikum des Lehramts Französisch. Aus Gründen der Studierbarkeit eines viersemestrigen Masters wurde jedoch auf ein komplettes integriertes Zwei-Fach-Studium verzichtet, sodass sich die Studierenden während der Concours-Vorbereitung und in M2 auf das Deutsche als Unterrichtsfach konzentrieren.

  19. Das entsprechende Modul „Lehrern und Lernen I“ ist im Fall des Master LINT Frz.-Dt. nicht verpflichtend, was mit der ohnehin dichten Semesterplanung zu tun hat. Es wird allerdings sichergestellt, dass alle Studierenden bis Ende des ersten Semesters zumindest eine fachdidaktische Einführung in Französisch und Deutsch als Fremdsprache, ein erstes Orientierungspraktikum (i.d.R. Französisch und optional Deutsch als Fremdsprache), einen Begleitkurs zu diesem Praktikum, eine Übung zur Unterrichtsplanung sowie einen fachdidaktischen Aufbaukurs in Französisch und Deutsch als Fremdsprache (aufgrund des CAPES liegt der Schwerpunkt hier auf „Zielen und Verfahren der Textarbeit“ und Kulturdidaktik) besuchen.

  20. Das zunächst einsemestrige Praktikum wurde ab dem zweiten Jahrgang auf zwei Semester ausgeweitet, um die Auswirkungen der Unterbrechung des akademischen Jahres in Regensburg durch das Intermezzo in Nizza abzumildern. Das zweisemestrige Praktikum erlaubt eine bessere Integration ins Lehrerkollegium, eine intensivere Begleitung durch die Betreuungslehrer und steigert auch die Motivation der Studierenden.

  21. Eine der LINT-Kooperationsschulen, das Von-Müller-Gymnasium Regensburg unter der Leitung von OStD S. Partenfelder, wurde 2015 zur Stützpunktschule Deutsch für junge Flüchtlinge. Die französischen Studierenden erhielten so die Möglichkeit, Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten.

  22. Wie dies gelingen kann beweisen vielfältige Zeugnisse aus den ersten Jahren von LINT bzw. MEEF/LINT, wie z.B. eine e-twinning-Kooperation und eine Zusammenarbeit im Rahmen des Brigitte-Sauzay-Programms des Deutsch-Französischen Jugendwerks von Marc Hustin (aus dem Pilotjahrgang MEEF/LINT) mit seiner ehemaligen Betreuungslehrerin am Goethe-Gymnasium, Fr. StR Anita Früchtl.

  23. Neben der ausgeprägten Praxiserfahrung und der Besoldung hat das Praxisjahr in Frankreich für sie schließlich zudem den Vorteil, dass es für diejenigen, die neben dem Master auch das Staatsexamen ablegen bzw. abgelegt haben, auf das „Einsatzjahr“ des bayerischen Referendariats angerechnet werden kann.

  24. Ziel des Kolloquiums war es, die Studierenden in einen internationalen Fachdialog einzubinden und über die gegenwärtigen Herausforderungen einer kohärenten Lehrerbildung zu diskutieren. Entsprechend der SoNetTE-Idee trafen sie hier mit Vertretern deutscher, französischer bzw. deutsch-französischer und europäischer Institutionen (DAAD, DFH, ESPE, Universität Nizza, Universität Regensburg, Universität Groningen) zusammen sowie auch mit Schulleitern und Seminarlehrkräften aus Deutschland und Frankreich.

  25. Sämtliche Ansprechpartner der Universität und Académie Nizza haben unseren Studiengang bedingungslos unterstützt und gefördert, wofür ihnen an dieser Stelle nachdrücklich gedankt sei.

  26. Dass dies gelungen ist, verdankt sich neben der von gemeinsamen Überzeugungen getragenen Zusammenarbeit der beteiligten Universitäten in Deutschland und Frankreich schließlich auch der engagierten Mithilfe der zuständigen ministeriellen Vertreter und Vertreterinnen, denen an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Neugier, ihr Interesse, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Engagement gedankt werden soll.





Copyright (c) 2016 Jochen Mecke, Christine Schmider, Katja Zaki

Creative-Commons-Lizenz
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.