Zwei Thesen zur Beziehung zwischen Kunst, Sprache und Erkenntnis

Ernst Cassirer und Benedetto Croce

Sarah Dessì Schmid

Einleitung

Entwirft man ein Bild der idealistischen Züge des Geisteslebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa und betrachtet man insbesondere die Reflexion der Beziehung zwischen Sprache, Kunst und Erkenntnis, sind die Portraits Ernst Cassirers und Benedetto Croces unter den ersten und wichtigsten, die dabei zu zeichnen sind. Denn die beiden Denker haben durch den Reichtum und die Originalität ihres geistigen Werks – wenn auch auf je unterschiedliche Weise – ganz wesentlich die kulturelle und politische Geschichte ihrer Heimatländer Deutschland und Italien mitgeprägt.1

Nach einer kurzen Rekonstruktion der Themen und der Stellen des kritischen intellektuellen Dialogs zwischen Cassirer und Croce widmet sich der vorliegende Beitrag in erster Linie einem besonders wichtigen Aspekt dieses Austausches: der Sprache und ihrer Beziehung – der Autonomie oder der Abhängigkeit – zur Kunst. Im Zentrum der Untersuchung wird mit anderen Worten die Diskussion um die Identität oder Trennung von Linguistik und Ästhetik im Denken beider Autoren im Vergleich stehen. Croces und Cassirers Ablehnung einer instrumentalistischen Auffassung der Sprache und deren Interpretation als Aktivität des Geistes verbindet ihr Denken zweifellos. Ein fundamentaler Unterschied – und eines der Hauptargumente ihrer Kritik aneinander – besteht jedoch darin, dass Croce im Rahmen der von ihm genau begrenzten Zahl der Aktivitäten des Geistes die Sprache mit der Kunst identifiziert und ihr unter diesen eine hierarchisch ausgezeichnete Stellung zuweist, während Cassirer Sprache und Kunst als den anderen gleichwertige, autonome Formen aus der unabgeschlossenen Zahl symbolischer Formen ansieht.

Durch eine Vorstellung ihrer philosophischen Denkgebäude – und insbesondere durch die vergleichende Analyse einiger Kernbegriffe, wie dem der ‚Intuition‘ (oder ‚Anschauung‘) und dem des ‚Ausdrucks‘ – wird der Beitrag zeigen, wie gerade ihr verschiedenes Verständnis des Idealismus, des Geistes und der Rolle, die die beiden Autoren der Semiose zuschreiben, die Hauptgründe sind, welche die Sprach- und Kunsttheorien Cassirers und Croces voneinander trennen.

Themen und Stellen der gegenseitigen Kritik

Zwischen Cassirer und Croce entspinnt sich im Laufe der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ein kritischer Dialog, in dem sich die Zeiten des Schweigens ebenso bedeutsam zeigen wie die der Formulierung gegenseitiger scharfer Kritik. Zweifellos handelt es sich um einen indirekten oder – wie Croce ihn nennt – um einen aus der Ferne geführten Dialog;2 dieser kreist nichtsdestoweniger um einige der wesentlichen Kerne des Denkens beider und ist gerade für deren differenzierte Interpretation von größter Bedeutung.

Betrachtet man die wissenschaftlichen Werke Cassirers und Croces, so fallen zunächst mehrere Übereinstimmungen auf: die ungewöhnliche und fachübergreifende Spannweite ihrer – gemeinsamen – Themen und Gegenstände der Untersuchung; ihr unbeirrbarer Widerstand gegen den Positivismus im Namen eines Idealismus, der seinem klassischen Vorläufer im Deutschland des 19. Jahrhunderts sehr verpflichtet ist; ihre intensive Beschäftigung mit der Geschichte, auf deren Bühne sich das Handeln des Menschen vollzieht.

Beim genaueren Hinschauen treten jedoch die Unterschiede zwischen den beiden Denkweisen eindeutig in den Vordergrund: Diese betreffen Aspekte, die ihrerseits mit allgemeineren thematischen Bereichen im Denken beider Autoren zusammenhängen, insbesondere mit ihrer unterschiedlichen Weise, den Idealismus aufzufassen (systematisch Croce, und methodologisch Cassirer), die Dialektik (hegelianisch oder nicht), die Geschichte, den Geist und seine Beziehung zur Empirie. Solche Unterschiede machen sich nun an einigen theoretischen Kernbereichen besonders bemerkbar und können um diese herum gruppiert werden: Erstens die Bewertung der Aufklärung und ihre Konzeption als Denkkategorie oder aber als historische Epoche; zweitens die Auffassung vom Stellenwert der Wissenschaft und das damit zusammenhängende Verständnis von der Logik, die sich an der Abgrenzung der Merkmale und der Aufgaben des Begriffes zeigen;3 drittens – und hier handelt es sich um den für diesen Beitrag wesentlichsten Aspekt – die Interpretation von Sprache und Kunst und von der Beziehung beider zueinander sowie zum Geist.

Die Textstellen, an denen Cassirer das Crocesche Denken – eben über die genannten theoretischen Bereiche – kritisch betrachtet, begleiteten fast sein gesamtes Schaffen:4 Eine erste kritische Bemerkung erscheint 1913 in seiner Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik in den Jahrbüchern der Philosophie und bezieht sich speziell auf die Konzeption der Croceschen Logik. Eine Analyse der Ästhetik Croces und vor allem die scharfe Kritik an der von ihm vorgenommenen Identifizierung von Linguistik und Ästhetik als Wissenschaft des Ausdrucks im Allgemeinen – an der sogenannten Gleichsetzung von Sprache und Kunst – findet sich aber zum ersten Mal zehn Jahre später, und zwar gerade in dem der Sprache gewidmeten Band der Philosophie der symbolischen Formen (1923). Es handelt sich hier nun um einen besonders wichtigen Aspekt der Kritik Cassirers an Croce, auf den er noch mehrfach und verstärkt zurückkommt: in Zur Logik der Kulturwissenschaften (1942) und in An essay on man (1944). Allerdings wird Cassirers Kritik an der Gleichsetzung von Sprache und Kunst in diesen späteren Werken auch von seinen Einwendungen gegen Croces Weigerung, die Unterteilung in künstlerische und literarische Gattungen anzuerkennen, begleitet und damit vervollständigt und weiter verschärft.

Eine Antwort Croces auf die verschiedenen Objektionen Cassirers lässt sehr lange auf sich warten. Sie erscheint erst 1943 in der Zeitschrift La Critica in einer sehr polemischen Rezension zu Cassirers Zur Logik der Kulturwissenschaften. Nur einige kurze Repliken unterbrechen Croces langes Schweigen vor dem Jahre 1943:5 In der Pretesa rivendicazione del Settecento ist eine kritische Bemerkung zu Cassirers Interpretation der Aufklärung zu finden,6 die Croce dann drei Jahre später in La Storia come pensiero e come azione wieder aufnimmt;7 weiter äußerte sich Croce in einer Fußnote seines Artikels Intorno allo Hölderlin e ai suoi critici gegen die Hölderlin-Interpretation Cassirers.8 Ein thematisch präziser Kern der Kritik lässt sich bei Croces Kurzrepliken leichter identifizieren als in seiner einzigen Antwort von größerem Umfang, der Rezension zu Cassirers Zur Logik der Kulturwissenschaften, in welcher er mehrere zentrale theoretische Ebenen vermischt: Mit einem großen Gegenschlag weist nun Croce all die verschiedenen Vorwürfe, die Cassirer ihm im Laufe der Jahre gemacht hat, zurück; und er tut dies in Bezug auf die beiden zentralen Bereiche, an denen sich der Unterschied des Denkens beider Autoren am offenkundigsten zeigt, nämlich Logik und Ästhetik, die wiederum für Croce den Bereich der Sprachphilosophie mit einschließt.

Sprache – Autonomie oder Abhängigkeit von der Kunst

Was ist Sprache, was Kunst? Die Antwort beider Denker auf diese Frage würde sicherlich unter einem Gesichtspunkt ähnlich ausfallen: Sie sind Geistiges, sie sind Menschliches. Die Sprache ist ein kreativer Akt des Geistes, stets im Fluss und fassbar nur als Gesamtes und im Augenblick des Sprechens, in der Rede, im Text.9 Sie ist Sprache des Sprechers, des Menschen. Gemeinsam ist beiden Autoren also eine idealistische Grundkonzeption der Sprache, die als schöpferische Energie des Geistes bestimmt wird.

Was die philosophischen Spekulationen Cassirers und Croces einander nämlich annähert, was sie dazu bringt, die Sprache und die Kunst als Ausdruck des Geistes zu definieren und in den Handlungen der Menschen gerade das Merkmal des Geistigen aufzuspüren, ist die idealistische Position, die beide miteinander teilen:

[Die] Grundanschauung […], auf der dieses Buch [die Philosophie der symbolischen Formen, SDS] beruht, [besteht] in der Überzeugung, daß die Sprache, wie alle geistigen Grundfunktionen, ihre philosophische Aufhellung nur innerhalb eines Gesamtsystems des philosophischen Idealismus finden kann.10

Was sie voneinander trennt, ist jedoch wiederum die grundverschiedene Weise, wie sie den Idealismus auffassen beziehungsweise wie sie den Geist bestimmen. Und es ist dies, was beide Denker zu einer entgegengesetzten Antwort auf eine weitere – mit der ersten eng verbundenen – Frage veranlasst: Sind diese geistigen und menschlichen Aktivitäten, sind Sprache und Kunst zwei oder eins?

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht hier mit anderen Worten die Frage der Autonomie oder der Abhängigkeit der Sprache gegenüber den anderen Formen des Geistes und insbesondere der Kunst. Croce spricht sich für die Abhängigkeit der Sprache von der Kunst aus, indem er die Reduktion ersterer auf letztere und folglich ihre Identität behauptet:

[…] die ästhetische Form des Geistes [ist] nichts anderes als die in ihrer reinen Natur, ihrer ganzen Wahrheit und wissenschaftlichen Ausdehnung verstandene Sprache.11

Cassirer vertritt hingegen die These der Autonomie jeder einzelnen symbolischen Form und behauptet ihre absolute Gleichwertigkeit:12

Die Philosophie der symbolischen Formen geht von der Voraussetzung aus, daß, wenn es überhaupt eine Definition des ‚Wesens‘ oder der ‚Natur‘ des Menschen gibt, diese Definition nur als funktionale, nicht als substantielle verstanden werden kann. […] Das Eigentümliche des Menschen, das, was ihn wirklich auszeichnet, ist nicht seine metaphysische oder physische Natur, sondern sein Wirken. Dieses Wirken, das System menschlicher Tätigkeiten, definiert und bestimmt die Sphäre des ‚Menschseins‘. Sprache, Mythos, Religion, Kunst, Wissenschaft, Geschichte sind die Bestandteile, die verschiedenen Sektoren dieser Sphäre. Eine ‚Philosophie des Menschen‘ wäre daher eine Philosophie, die uns Einblick in die Grundstruktur jeder dieser verschiedenen Tätigkeiten gibt und uns zugleich in die Lage versetzt, sie als ein organisches Ganzes zu verstehen. Sprache, Kunst, Mythos, Religion sind keine isolierten, zufälligen Schöpfungen. Sie werden von einem gemeinsamen Band zusammengehalten.13

Hinter beiden Positionen verbergen sich tiefgreifende Gründe, die mit dem dialektischen bzw. funktionsbegrifflichen Grundprinzip der Philosophie bei Croce bzw. bei Cassirer zu tun haben. Um diese aufzuspüren ist es erst einmal nötig, die Hauptlinie der Gedankengebäude beider Autoren kurz zu umreißen.

Cassirers Sprachtheorie: Sprache als ‚symbolische Form‘14

Seine allgemeine Theorie der Ausdrucksformen des Geistes führt Cassirer selbst in der Einleitung zur Philosophie der symbolischen Formen auf das ursprüngliche theoretische Projekt zurück, das er 1910 in Substanzbegriff und Funktionsbegriff erarbeitet hatte, nämlich die Erkenntnistheorie mit dem Ziel einer allgemeinen Gestaltlehre des Geistes zu überwinden.15 Die philosophische Erkenntniskritik muss sich Cassirer zufolge die neue Aufgabe stellen, den Weg, welche die Einzelwissenschaften je für sich durchlaufen, in seiner Gesamtheit zu verfolgen und zu beherrschen. Und wenn die intellektuellen Symbole, mittels derer die Einzelwissenschaften die Wirklichkeit betrachten und beschreiben, sich als verschiedene Manifestationen ein und derselben geistigen Grundfunktion verstehen lassen, so wird gerade das zur neuen Aufgabe der philosophischen Erkenntniskritik, die allgemeinen Bedingungen dieser Funktion festzulegen und das Prinzip, von dem sie dominiert wird, klar herauszustellen:

Statt mit der dogmatischen Metaphysik nach der absoluten Einheit der Substanz zu fragen, in die alles besondere Dasein zurückgehen soll, wird jetzt nach einer Regel gefragt, die die konkrete Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Erkenntnisfunktion beherrscht und die sie, ohne sie aufzuheben und zu zerstören, zu einem einheitlichen Tun, zu einer in sich geschlossenen geistigen Aktion zusammenfaßt.16

Jede Erkenntnis, wie verschieden die Pfade auch sein mögen, die sie durchläuft, neigt dazu, die Vielfalt der Phänomene unter die Einheit des ‚Vernunftsprinzips‘ zu subsumieren, das heißt, das Besondere in eine als Gesetz oder universelle Ordnung aufgefasste Form eingehen zu lassen. Dies leugnet Cassirer sicher nicht; gleichwohl betont er nachdrücklich, dass in der Gesamtheit des geistigen Lebens neben dieser Form der intellektuellen Synthese, welche im System der wissenschaftlichen Begriffe wirkt, noch andere Arten gestaltender Tätigkeit existieren. Und alle diese Arten der gestaltenden Aktivität stellen bestimmte Weisen der geistigen Objektivierung dar: Sie sind in anderen Worten Mittel, einer individuellen Wesenheit universellen Wert zu verleihen.

Cassirer geht es darum, zu zeigen, dass jede einzelne dieser geistigen Ausdrucksformen eine präzise Aufgabe bei der Konstitution des Geistes erfüllt und jeweils einem eigenen Gesetz unterliegt. Der Lehre von den Formen des wissenschaftlichen Denkens, der eigentlichen Erkenntnislehre, die im dritten Band des Werkes (1929) behandelt wird, stellt er im Rahmen seines allgemeinen Planes einer Philosophie der symbolischen Formen die Grundzüge einer Phänomenologie des mythischen und religiösen Denkens (Band 2, 1925) sowie die Untersuchung der sprachlichen Form (Band 1, 1923) zur Seite.17 Die Erkenntnistheorie soll Cassirer zufolge eine prinzipielle Erweiterung erfahren und sich in eine Reflexion über die Grundformen des Verstehens verwandeln.

Diese universelle Gültigkeit aller dieser Arten der gestaltenden Aktivität wird auf anderen Wegen erzielt, als es die der logischen Erkenntnis sind, aber zwischen letzterer und jeder wahren Grundfunktion des Geistes besteht eine substantielle Gemeinsamkeit, die ihre ‚Ebenbürtigkeit‘ begründet. Denn jede Grundfunktion des Geistes stellt eine ursprüngliche, gestaltende, also nicht einfach reproduktive, und vor allem symbolisierende Aktivität dar. Gerade Cassirers Suche nach einem einheitlichen Bildungsprinzip der geistigen Formen der Erkenntnis und des Verständnisses der Welt bildet nun den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Lehre von den symbolischen Formen: Sprache, Kunst, Erkenntnis, Mythos, Religion, die Cassirer zu der geistigen gestaltenden Aktivität zählt,18 schließen alle eine autonome Energie des Geistes ein, durch welche die einfache Existenz der Phänomene eine bestimmte ‚Bedeutung‘, einen ihr eigenen ideellen Wert erhält:

Sie alle [sc. Sprache, Kunst, Erkenntnis usw.] leben in eigentümlichen Bildwelten, in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie vielmehr nach einem selbständigen Prinzip hervorbringen. Und so schafft auch jede von ihnen sich eigene symbolische Gestaltungen, die den intellektuellen Symbolen wenn nicht gleichartig, so doch ihrem geistigen Ursprung nach ebenbürtig sind.19

Jede dieser Formen genießt vollständige Autonomie und übt eine unterschiedliche Funktion aus: Keine von ihnen lässt sich auf eine andere reduzieren, noch aus einer anderen ableiten, keine wird von einer anderen vorausgesetzt. Jede dieser Formen stellt eine bestimmte Art des Auffassens, des geistigen Hervorbringens dar, und zugleich konstituiert sie – eben durch ihre Art, das Geistige aufzufassen – einen spezifischen Aspekt des Wirklichen. Cassirer definiert die symbolischen Formen aber keineswegs nur als die vielen möglichen Arten, in denen sich eine in sich existierende Realität dem Geist enthüllt, sondern er versteht sie geradezu als die Wege, denen der Geist selbst bei seiner Objektivierung, d. h. bei seiner Manifestation, folgt.20

Hieraus entsteht eine komplexe Morphologie, eine allgemeine Formenlehre, innerhalb derer jede Form ihre Autonomie, ihre produktive Funktion – als Form der Objektivierung des Geistes – und ihre hermeneutische Funktion – als Form des Verständnisses der Welt – hat. Das ‚Symbol‘, das dabei gerade letztes Prinzip und Schlüsselterminus dieser Lehre darstellt, versteht Cassirer in seinem weitesten und umfassendsten Sinne als ‚symbolischen Ausdruck‘, als Ausdruck von etwas Geistigem durch Zeichen oder Bilder. Die nun aus dieser Perspektive definierten symbolischen Formen sind triadisch aufgebaut: a) Ein geistiger Bedeutungsinhalt ist geknüpft an b) ein konkretes sinnliches Zeichen (dem er innerlich zugeeignet wird) mittels c) einer geistigen Energie:

Unter einer ‚symbolischen Form‘ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird. In diesem Sinne tritt uns die Sprache, tritt uns die mythisch-religiöse Welt und die Kunst als je eine besondere symbolische Form entgegen. Denn in ihnen allen prägt sich das Grundphänomen aus, daß unser Bewußtsein sich nicht damit begnügt, den Eindruck des Äußeren zu empfangen, sondern daß es jeden Eindruck mit einer freien Tätigkeit des Ausdrucks verknüpft und durchdringt. Eine Welt selbstgeschaffener Zeichen und Bilder tritt dem, was wir die objektive Wirklichkeit der Dinge nennen, gegenüber und behauptet sich gegen sie in selbständiger Fülle und ursprünglicher Kraft.21

Zweifellos handelt es sich um eine Definition,22 die eine Reihe von Implikationen beinhaltet: Die Entscheidung für die morphologische Perspektive impliziert notwendigerweise einerseits eine Neuformulierung bekannter philosophischer Probleme, andererseits die Überwindung der klassischen metaphysischen Interpretation. Denn der problematische Kern der Untersuchung besteht Cassirer zufolge nicht mehr darin, Bedeutung und Funktion des Symbols in jeder einzelnen geistigen Sphäre zu erkennen, sondern vielmehr darin, zu verstehen, inwieweit die Sprache, der Mythos und die Kunst ‚als Ganzes‘ in sich den allgemeinen Charakter der symbolischen Gestaltung tragen. Für Cassirer existiert mit anderen Worten keine Gegenüberstellung von Symbol und Objekt, denn die symbolische Funktion ist die ursprüngliche Grundfunktion: Es gibt keine Gegebenheit des Geistes, die nicht schon symbolisch wäre, die nicht Symbole verwendete und sie zugleich hervorbrächte und ausdrückte – und die dadurch nicht selbst Produkt einer symbolischen Formung wäre:

Die Zweiteilung: Symbol oder Gegenstand erweist sich auch hier als unmöglich, da die schärfere Analyse uns lehrt, daß eben die Funktion des symbolischen es ist, die die Vorbedingung für alles Erfassen von „Gegenständen“ oder Sachverhalten ist.23

Auffällig ist in einer solchen prägnanten Definition der symbolischen Form ihre Ähnlichkeit mit jener ‚Energie des Geistes‘, welche das spekulative Denken Humboldts charakterisiert.24 In der Tat teilt Cassirer mit Humboldt die Auffassung, dass die Sprache – so wie die Kunst und die Erkenntnis – kreative Tätigkeit, ἐνέργεια sei und kein geschaffenes Produkt, ἔργον. Der Geist wirkt in den verschiedenen symbolischen Formen nicht produzierend und sich objektivierend, um eine schon gegebene Realität abzubilden oder zu explizieren, sondern um Verwirklichung und Konstitution der Realität selbst erst zu ermöglichen. Der Geist konstituiert die Welt, indem er sich symbolisch entfaltet, und in diesem Sinne stellen sich die symbolischen Formen als die ‚wahren‘, ursprünglichen Manifestationen des Geistes dar, die sich als solche ‚darbieten‘ können, in denen und von denen man aber nichts ‚erklären‘, das heißt auf etwas anderes als sie selbst zurückführen kann:

Descartes hat von der theoretischen Erkenntnis gesagt, daß sie in ihrer Natur und in ihrem Wesen ein und dieselbe bleibe, auf welchen Gegenstand sie sich auch richten mag – ebenso wie das Licht der Sonne ein und dasselbe ist, wie vielerlei und wie verschiedene Objekte es immer beleuchtet. Das Gleiche gilt von jeder symbolischen Form, von der Sprache, wie von der Kunst oder vom Mythos, sofern jede von ihnen eine besondere Art des Sehens ist und eine besondere, nur ihre eigene Lichtquelle in sich birgt. Die Funktion des Sehens, die geistige Lichtwerdung selbst läßt sich niemals realistisch von den Dingen und läßt sich nicht vom Gesehenen aus verständlich machen. Denn es handelt sich hier nicht um das, was in ihr erblickt wird, sondern um die ursprüngliche Blickrichtung. […] Denn jetzt stellen sich die Sprache, die Kunst, der Mythos als wahrhafte Urphänomene des Geistes dar, die sich zwar als solche aufweisen lassen, an denen sich aber nichts mehr ‚erklären‘, d.h. auf ein anderes zurückführen läßt.25

Auch deshalb nimmt Cassirer nicht nur dem, was er ‚traditionelle Metaphysik‘ nennt, sondern auch dem philosophischen Idealismus Croces und Vosslers gegenüber kritisch Stellung. Um seine Position besser verstehen und beurteilen zu können, ist nun ein Exkurs in Croces philosophische Denkwelt notwendig.

Croces System der Aktivitäten des Geistes: die Filosofia dello Spirito26

Die Filosofia dello Spirito aufzuzeichnen bedeutet, ein philosophisches System darzustellen, auf welchem nach Meinung Croces das Leben des Geistes beruhe und in dessen Bahnen es sich bewege, ein gegen die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Italien noch weit verbreitete (neo)positivistische Kultur entworfenes System, das in den drei zwischen 1902 und 1909 publizierten Werken organisch entwickelt wird: Estetica come scienza dell’espressione e linguistica generale (1902), Logica come scienza del concetto puro (1909) und Filosofia della pratica: economia ed etica (1909). In diesen gibt sich Croce nicht damit zufrieden, die Kunst als Akt des Ausdrucks zu definieren, sondern er behauptet und verteidigt mit Entschiedenheit den aktiven Charakter aller geistigen Operationen, und weist jede sensualistische und assoziationistische Theorie weit von sich. Die absolute Historizität des Geistes spielt nämlich eine zentrale Rolle in diesem System, das sich als eine radikale Form des Idealismus charakterisiert. Dabei übernimmt Croce die Grundlage der Hegelschen Philosophie, die Rationalität des Realen, während er die – sicherlich nicht marginalen – Begriffe von Dialektik, Geschichte und Natur völlig neu denkt:

Wie dem auch sei, das Studium Hegels und seine Nutzanwendung mußte für mich [...] zugleich ein Kritisieren und ein Auflösen sein; [...]. Die Auffassung, zu der ich durch die Kritik an Hegel und die allgemeine Revision der Geschichte der Philosophie hindurch gelangt war, wurde besonders unterstrichen in dem Gesamttitel der Philosophie als Wissenschaft des Geistes, den ich in meinen drei Bänden oder Darstellungen der Ästhetik, Logik und Praktik gab. [...] so ist die Philosophie als Wissenschaft des Geistes, wie ich sie entworfen habe, nicht die Fortsetzung, sondern der vollständige Umsturz des Hegeltum. Denn sie leugnet tatsächlich die Unterscheidung von Phänomenologie und Logik; leugnet nicht bloß die dialektischen Konstruktionen der Natur- und Geschichtsphilosophie, sondern auch die der Logik selbst, sie leugnet die Dreiheit von Logos, Natur und Geist, indem sie als einzig Reales den Geist hinstellt, in dem die Natur nichts anderes ist als eine Seite der geistigen Dialektik selbst.27

Croces intensive Auseinandersetzung mit Hegels Denken wird jedoch – das erkennt Croce selbst an – seine Philosophie, das Gebäude seines gesamten Systems, zweifellos zutiefst prägen:28

Legt man aber bei Hegel besonderen Nachdruck auf das kraftvolle Streben zur Immanenz und Konkretheit und auf die Ausbildung einer innerlichst von der der Naturwissenschaften verschiedenen Logik, so erkennt die Philosophie als Wissenschaft des Geistes Hegel sicherlich, wenn auch nicht gerade als ihren Vater [...], so doch gewiß als ihren großen Ahnherrn an, wie gleichermaßen als einen noch weiter zurückliegenden und nicht weniger ehrwürdigen Vico.29

Hegels ‚Dialektik des Entgegengesetzten‘ (dialettica degli opposti) interpretiert Croce kritisch als fortschreitendes Überwinden der Gegensätze zu einer fort­schreitenden Verwirklichung der verschiedenen Momente des Lebens des Geistes hin zur Fülle der vollendeten Rationalität. Dagegen setzt er seine Neukonzeption der Dialektik, die sogenannte ‚Dialektik oder Verbindung des Verschiedenen‘ (dialettica o nesso dei distinti): Die Dynamis des Lebens des Geistes.

Dabei stellen Erkenntnis und Handeln, Theorie und Praxis, Vernunft und Wille die Grunddimensionen dar, in denen das Leben des Geistes sich entfaltet und innerhalb derer der Geist partikuläre und uni­versale, besondere und allgemeine Ziele verfolgt. Hieraus entstehen Croces vier unter­schiedliche Entwicklungssphären oder Formen des Geistes: 1) die Erkenntnis des Besonderen durch die Intuition;30 2) die Erkenntnis des Universalen als Forschen der Vernunft mittels der ‚reinen Begriffe‘ (concetti puri) oder Kategorien; 3) das Wollen des Besonderen als Wollen des Nützlichen; 4) das Wollen des Universalen als das Streben nach dem Guten. Ästhetik, Logik, Ökonomie und Ethik – die vier philosophischen Wissenschaften – sind es, die sich jeweils mit diesen vier Formen des Geistes beschäftigen.

Die Kunst stellt für Croce das erste Moment der dialektischen Aktivität des Geistes dar, denn sie ist Erkenntnis des Besonderen, sie ist reine Intuition; die Philosophie wird hingegen als Erkenntnis des Universalen, als reiner Begriff aufgefasst. Kunst und Philosophie – Erkenntnis des Besonderen und des Universalen – bilden nun zusammen die theoretische Aktivität des Geistes: So untersucht die Ästhetik die Intuition in ihren verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten, während die Logik sich mit der Natur und Funktion der reinen Begriffe beschäftigt (auch in Bezug auf das, was Croce die ‚Pseudobegriffe‘ (pseudoconcetti) nennt, welche zur Sphäre des Praktischen gehören).31 Die Ökonomie und die Ethik stellen hingegen die praktische Tätigkeit des Geistes dar, indem die erstere das Wollen des Besonderen, die zweite das Wollen des Universalen untersucht.32

In einem beständig kreisenden Prozess entfaltet sich der Geist in diesen vier Formen, die ihre Synthese lediglich in der Einheit des Geistes selbst erfahren. Eine klare Affinität zur Hegelschen Dialektik ist nicht zu übersehen; an dieser kritisiert Croce jedoch die Kategorie des Gegensatzes radikal: Es handle sich um eine in unzulässiger Weise ausgedehnte Kategorie, um nicht nur alle Beziehungen innerhalb der verschiedenen Formen des Geistes zu erklären, sondern auch diejenigen zwischen einer Form und der anderen.

Zwischen den vier Formen des Geistes gibt es Croce zufolge nämlich weder Gegensatz noch Aufhebung der einen in der anderen, sondern nur Unterschied: Sie sind nichts anderes als ‚Einheit in der Verschiedenheit‘, denn jede dieser Formen kann nicht auf die anderen zurückgeführt werden. Nur innerhalb jeder einzelnen Form des Geistes – zwischen ihrem Wert und dem ihm entsprechenden Unwert – gibt es für Croce Gegensatz. Und nur die interne Dynamik innerhalb dieser vier Formen ist von der Dialektik der Gegensätze gekennzeichnet: schön vs. hässlich, wahr vs. falsch, nützlich vs. nutzlos, gut vs. schlecht:

Daß die konträren Begriffe nicht mit den distinkten identisch sind oder sich ohne weiteres auf sie zurückführen lassen, erhellt, sobald man Beispiele für jede der beiden Formen heranzieht. So ist, um beim System des Geistes zu bleiben, das Verhältnis des praktischen gegenüber dem theoretischen Verhalten das der Distinktion, und subdistinkt sind innerhalb des ersteren utilitaristisches und ethisches Verhalten. Gegensatz aber ist etwas anderes. Der Gegensatz zum praktischen Verhalten, zum praktischen Tätigsein, ist die praktische Untätigkeit; der Gegensatz zur Nützlichkeit ist die Schädlichkeit, der Gegensatz zur Moralität die Immoralität. Sind Schönheit, Wahrheit, das Nützliche, das sittlich Gute distinkte Begriffe, so bemerkt man leicht, daß man ihnen nicht die Häßlichkeit, die Falschheit, die Nutzlosigkeit, die Schlechtigkeit koordinieren oder als Zwischenglieder einfügen darf. Mehr noch: bei näherem Hinsehen findet man, daß der Grund, weshalb die zweite Reihe der ersten nicht koordiniert oder mit ihr vermischt werden kann, der ist, daß jeder der konträren Termini schon seinem Gegensatz inhäriert und daß er ihn begleitet wie der Schatten das Licht. Schönheit ist Schönheit, weil sie die Häßlichkeit negiert, das Gute ein Gutes, weil es das Schlechte negiert und so weiter. Der Gegensatz ist nichts Positives, sondern etwas Negatives und begleitet in dieser Funktion das Positive.33

Croce beschreibt die innere Dynamik der verschiedenen Grundmomente des Geistes als den Übergang von dem einen zum anderen in irreversibler Abfolge: Wie das praktische Handeln, die praktische Aktivität des Geistes, stets Er­kenntnis, die theoretische Aktivität des Geistes, voraussetzt, so setzt innerhalb des theoretischen Bereichs der Begriff die Intuition voraus. Denn das Denken ist nur in sprachlicher Gestalt möglich; die Sprache aber ist stets von intuitivem Charakter: sie ist Kunst, das erste Moment der dialektischen Aktivität des Geistes.34 In analoger Weise setzt innerhalb des praktischen Bereichs die Ethik die technische Effizienz, die Ökonomie, voraus, wenn sie sich nicht auf einen abstrakten Moralismus reduzieren wolle.35

Schon an dieser Stelle soll nun auf eine erste wichtige Analogie in der jeweiligen Art, wie Cassirer und Croce die Aktivität des Geistes auffassen, hingewiesen werden: Sie besteht gerade darin, dass sie die Existenz vielfältiger Modalitäten der Objektivierung, der Äußerung des Geistes und ihrer Deutung als Tätigkeiten des Menschen anerkennen. Ziemlich verschieden ist hingegen einerseits die Beziehung, die sie zwischen diesen annehmen, oder vielmehr die – paritätische oder hierarchische – Systematisierung, die sie an diesen geistigen Tätigkeiten vornehmen, andererseits die bei Croce genau bestimmte, bei Cassirer offengelassene Zahl der unter der Definition ‚Art der Objektivierung des Geistes‘ zusammengefassten Einheiten, der symbolischen Formen.

Croce organisiert in der Tat das System der Aktivitäten, die Formen der Objektivierung des Geistes in einer strengen Hierarchie, in welcher sie nach dem Kriterium der Ursprünglichkeit und der Autonomie unterschieden und angeordnet werden. Zwar ist auch für Croce eine jede dieser Aktivitäten – denen, obwohl sie ‚unterschieden‘ sind, doch das Wesen des Geistigen gemeinsam ist – auf die anderen nicht reduzibel. Was jedoch bei Croce von der Cassirerschen Art, die Grundmomente des Geistes aufzufassen, radikal verschieden erscheint, ist nicht nur seine rigide Trennung zwischen theoretischer und praktischer Sphäre des Geistes, sondern auch der deutlich dialektisch geprägte Dynamismus, der zwischen den – sich im irreversiblen Übergang von einer zum anderen befindenden ­– Formen der Objektivierung des Geistes postuliert wird:

Die vier Momente [sc. die zwei Stufen der theoretischen Aktivität und die zwei der praktischen] werden regressiv durch ihre Konkretheit impliziert: der Begriff kann nicht ohne die Expression existieren, das Nützliche nicht ohne Begriff und Expression, und die Moralität nicht ohne die drei vorhergehenden Stufen. Wenn nun das ästhetische Faktum in gewissem Sinne unabhängig ist und die anderen mehr oder weniger abhängig sind, so bezieht sich das ‚weniger‘ auf den logischen Gedanken und das ‚mehr‘ auf den moralischen Willen. […] Eine fünfte Form der Aktivität des Geistes gibt es nicht.36

Nur der Kunst, welche als Ausgangsmoment der Hierarchie ‚die ursprünglichste‘ der Aktivitäten darstellt, wird bezüglich der begrifflichen Erkenntnis totale Autonomie eingeräumt – sowie den praktischen Aktivitäten, von denen sie vorausgesetzt wird.

Die Polemik zwischen Croce und Cassirer um die Beziehung zwischen Kunst und Sprache

Eine eingehendere Betrachtung der Stellen, an denen der eine Autor sich ausdrücklich und kritisch bezüglich der Sprache mit dem anderen auseinandersetzt, liefert ein Bild der wechselseitigen Auffassungen Croces und Cassirers, das ziemlich vielschichtig, in beständiger Entwicklung begriffen, nicht immer homogen und streckenweise durchaus von überraschender Natur ist. Auf den ersten Blick sind zwei unvereinbare Positionen zu finden: einerseits die Identität von Kunst und Sprache, als primäre Ausdrucksform des Geistes, die auf der Identität von Intuition und Expression und auf der Unmöglichkeit, die Expression in Klassen zu unterteilen, basiert; andererseits die Suche nach einem originären Prinzip, einem geistigen Medium, das gleichsam als gemeinsamer Grund von Kunst und Sprache in der Bedeutung gefunden wird, in der symbolischen Form, auf Grund derer sie sich als verwandt erweisen und doch für sich stehend und nicht assimilierbar. Diese Positionen halten und erklären die Autoren selbst für miteinander unvereinbar.

Croces Definition der Kunst: ‚Intuition‘ und ‚Ausdruck‘

Um in vollem Umfang zu verstehen, warum Croce dazu kommen kann, die Geistigkeit der Sprache zu behaupten und im Einklang mit seinem philosophischen System die Sprachwissenschaft als Wissenschaft vom Ausdruck auf die Ästhetik zu reduzieren, ist es erst einmal notwendig, seine Auffassung von der Kunst näher zu beleuchten. Sucht man nämlich auf den Seiten von Estetica come scienza dell’espressione e linguistica generale – des Werkes, in dem sich Croce neben La Poesia und zahlreichen anderen im engeren Sinne der Sprache gewidmeten Schriften37 mit diesem Thema besonders befasst – nach einer präzisen, autonomen und unmittelbaren Definition der Sprache selbst, so wird man enttäuscht. Dies bedeutet nicht, dass die Rolle der Sprache in Croces Spekulation zweitrangig wäre. Vielmehr muss dieses Fehlen eines spezifisch ihr gewidmeten Werkes im Zusammenhang im Gegenteil als Indiz dafür gesehen werden, welche große Bedeutung, zugleich aber Problemhaftigkeit dem Thema der Sprache in der Theorie Croces zukommt.38

Zu einer Definition dessen, was er unter Sprache versteht – eine geistige, intuitiv-expressive und nicht begriffliche Tätigkeit in ewigem Werden – und zur Formulierung seiner bekannten Gleichung von Ästhetik und Linguistik gelangt Croce in verschiedenen Schritten. Hierbei zeigt sich einerseits klar, dass sich die Ausarbeitung seines Systems in beständiger Entwicklung und Wandlung vollzieht,39 und andererseits, welche argumentativen und definitorischen Stilmittel Croce dabei bevorzugt.40

[…] daß die Wissenschaft von der Kunst und die Wissenschaft von der Sprache, die Ästhetik und die Linguistik, wenn man sie als wahre und eigentliche Wissenschaften auffaßt, nicht zwei getrennte Wissenschaften, sondern eine einzige Wissenschaft sind. Nicht, daß es nicht eine besondere Linguistik gäbe; aber die erstrebte linguistische Wissenschaft, die allgemeine Linguistik, ist in dem, was in ihr auf Philosophie zurückgeführt werden kann, nichts anderes als Ästhetik.41

Dies stellt nun eine radikale und sehr starke These dar. Und Croce beweist sie, wie man ein geometrisches Theorem beweist: Er geht aus von – ihrem Wesen nach unbewiesenen und unbeweisbaren – Axiomen, auf denen seine Philosophie beruht, und gelangt schließlich zu der Behauptung, dass die Leugnung einer Identitätsbeziehung zwischen Sprache und Kunst gleichbedeutend damit sei, zu leugnen, dass Sprache Ausdruck sei. Im Detail ist der Beweisgang der folgende:42

Um eine von der Ästhetik verschiedene Wissenschaft sein zu können, dürfte die Linguistik nicht den Ausdruck zum Gegenstand haben, in dem das ästhetische Faktum gerade besteht. Das heißt, sie müsste gerade leugnen, dass die Sprache Ausdruck sei. Andererseits ist klar, dass die schlichte und einfache Hervorbringung von Lauten – also eine Tonemission, die nichts bedeutet – nicht Sprache ist. Die Sprache ist artikulierter, abgegrenzter, organisch gefügter Laut zum Zwecke des Ausdrucks. Es ergibt sich daher nur eine andere Möglichkeit, auf Grund derer die Linguistik eine von der Ästhetik gesonderte Wissenschaft sein könnte: Sie müsste eine besondere Klasse von Ausdrücken zum Gegenstand haben, eine andere als die, welche den Gegenstand der Kunst umfasst. Da aber Croce die Möglichkeit der Existenz von unterschiedlichen Ausdrucksklassen radikal leugnet, ist die Gleichsetzung von Linguistik und Ästhetik damit für ihn schlüssig bewiesen. Doch ist sie eigentlich nur in kohärenter Weise von der ersten Grundannahme und der Reihe von Folgeannahmen, auf welche sich die Crocesche Philosophie stützt, ‚abgeleitet‘.43

Gleichsam nach den methodischen und philosophischen Anweisungen, die Croce vor allem in der Estetica gibt, soll dieser Weg hier noch einmal genauer verfolgt und dabei bei einigen Schlüsselbegriffen seiner Ästhetik und Sprachphilosophie innegehalten werden, insbesondere bei den Begriffen der ‚Intuition‘ und des ‚Ausdrucks‘, um sie mit dem Gebrauch zu vergleichen, den Cassirer von eben diesen Begriffen macht.

Mit Bezug auf die allgemeinen Linienzüge des philosophischen Systems Croces wurde gesagt (vgl. § 3.2), dass die intuitive oder expressive Erkenntnis des Partikulären im ästhetischen oder künstlerischen Akt bestehe – einer mittels der Phantasie bilderzeugenden Erkenntnis – und dass diese sich von der intellektuellen Erkenntnis des Universellen unterscheide, welche hingegen zum begriffserzeugenden Bereich der Logik gehöre. Croce untersucht nun die Beziehungen zwischen diesen beiden theoretischen und den anderen beiden geistigen Tätigkeiten (Ökonomie und Ethik), die nicht zum theoretischen Bereich gehören, sondern zu dem der Praxis und als solche die ersteren voraussetzen, und betont dabei, dass nur diese vier die einzigen und unteilbaren44 Formen des Geistes darstellen. Schon die Definition des ästhetischen oder künstlerischen Akts als intuitive oder expressive Erkenntnis des Partikulären führt direkt zu den genannten Schlüsselbegriffen der Sprachtheorie Croces, zu dem der Intuition und dem des Ausdrucks:

Kunst ist Vision oder Intuition. Der Künstler schafft ein Bild oder Phantasma; der Kunstgenießende stellt sein Auge auf den Punkt ein, den ihm der Künstler gewiesen, blickt durch die Spalte, die er ihm geöffnet hat und reproduziert in sich jenes Bild. ‚Intuition‘, ‚Vision‘, ‚Anschauung‘, ‚Einbildung‘, ‚Phantasie‘, ‚Verbildlichung‘, ‚Vorstellung‘ usw. sind lauter Worte, die gleichsam als Synonyme in den Erörterungen über die Kunst beständig wiederkehren und die alle unseren Verstand auf denselben Begriff oder auf dieselbe Begriffssphäre richten: ein Zeichen allgemeiner Übereinstimmung.45

Croce stellt dabei jedoch gleichzeitig klar, dass der tiefere Wert seiner Auffassung der Kunst jenseits der Definition an sich in den Folgen liegt, die sich aus dieser ableiten: Gerade die Antwort, dass die Kunst Intuition sei, erhält ihre Bedeutung und Kraft aus all dem, was sie implizit negiert und von dem sie die Kunst unterscheidet. Auch bei der Untersuchung des Begriffs der Intuition bedient sich Croce mit anderen Worten des ihm gewohnten – und äußerst wirkungsvollen – definitorischen Mittels der Litotes: Es wird vor allem gesagt, was Intuition nicht ist, und sie wird genau bestimmt, indem sie von etwas anderem unterschieden wird:

Die Definition der Kunst als Intuition negiert in der Tat, a) dass sie ein physisches Faktum sei, b) dass sie ein utilitärer oder moralischer Akt sei, c) dass sie den Charakter begrifflicher Erkenntnis habe. Dies sind Aussagen, die sich kohärent aus der Struktur des philosophischen Systems Croces ableiten, welches, wenn es sie auch in der Einheit des Geistes zusammenfasst, doch die Ästhetik von der Logik, von der Ethik und von der Ökonomie ‚unterscheidet‘. Der Kunst, der ästhetischen Aktivität, bescheinigt Croce nicht nur ihren kreativen Wert, sondern auch ihre volle Autonomie – welche sie in noch höherem Grade als die Logik besitzt –, wobei er zu seinem Bedauern feststellen muss, dass der umfassenden Anerkennung, welche die intuitive Erkenntnis im alltäglichen Leben erfährt, keine gleiche und adäquate Anerkennung in der Philosophie entspricht. Vielmehr hat sich in letzterer die Logik „den Löwenanteil genommen“; denn die Philosophen sind oft überzeugt, die Intuition sei blind, und nur der Intellekt vermöge es, ihr Augen zu verleihen. Dessen bedarf die Intuition indes nach Croce nicht, „weil sie eigene sehr scharfe Augen auf der Stirn hat“.46

Um eine wahre und genaue Idee von dem zu haben, was die Intuition ist, genügt es Croces Meinung nach aber nicht, sie vom Begriff zu unterscheiden, sie als etwas vom Begriff Unabhängiges zu erkennen, sondern sie muss auch von der Wahrnehmung unterschieden werden, d. h. von der „Erkenntnis der stattgefundenen Realität“, der „Auffassung von irgend etwas als etwas Realem“47. Denn, wenn es einerseits zutrifft, dass die Wahrnehmung Intuition ist, so ist ebenso wahr, dass auch die Einbildung Intuition ist. Croce geht es hier darum, zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit dem Wesen der Intuition fremd ist: Bei der Intuition stellt sich der Mensch nicht als empirisches Wesen der äußeren Realität gegenüber, sondern er objektiviert seine Impressionen, welcher Art diese auch sein mögen.

Ferner muss die Intuition auch von der Empfindung unterschieden werden, oder besser, von dem, was Croce die „rohe Empfindung“ nennt48. Diese wird verstanden als ungeformte Materie, die der Geist niemals als solche erfassen kann, sofern sie bloße Materie ist, der er sich nur in der Form und durch die Form bemächtigt, deren Begriff er jedoch als Grenze postuliert. Die geistige Intuition von der rohen Empfindung zu trennen ist Croce zufolge wesentlich und zugleich leicht; gerade bei der Erklärung dieser Möglichkeit gelangt Croce zur Formulierung eines der originellsten und überzeugendsten Begriffe seiner Sprachtheorie, der sich als erste Voraussetzung für seine Identifizierung der Ästhetik mit einer Art der allgemeinen Linguistik erkennen lässt: Der grundlegende und eigentümlichste Gedanke der Croceschen Ästhetik ist nämlich das Prinzip, dass die intuitive Erkenntnis des Individuellen schon an sich Ausdrucksakt ist:

Es gibt aber auch eine sichere Methode, die wahre Intuition, die wahre Vorstellung49 von dem zu unterscheiden, was tiefer steht als sie: jenen geistigen Akt vom mechanischen, passiven, natürlichen Faktum. Jede wahre Intuition oder Vorstellung ist zugleich Ausdruck (Expression). Alles das, was nicht in einem Ausdruck objektiviert wird, ist weder Intuition noch Vorstellung, es ist Empfindung und gehört dem Reich der Natur an. Der Geist erkennt nur dadurch intuitiv, daß er schöpferisch tätig ist, daß er ausdrückt. […] Die intuitive Aktivität erkennt so viel intuitiv, wie sie ausdrückt. Wenn dieser Satz paradox erscheint, so liegt einer der Gründe dafür zweifellos in der Gewohnheit, dem Wort ‚Ausdruck‘ dadurch eine gar zu enge Bedeutung zu geben, daß man es nur auf die sogenannten verbalen Ausdrücke anwendet; es gibt aber auch nicht-verbale Ausdrücke wie Linien, Farben, Töne: sie alle müssen in den Begriff Ausdruck mit einbezogen werden, welcher daher alle Arten von Manifestationen des Menschen umfaßt: die des Redners, des Musikers, des Malers und aller anderen. Ob man nun den Ausdruck malerisch oder musikalisch oder sonst wie beschreiben oder benennen mag, in keiner dieser Manifestationen kann er der Intuition fehlen, von der er seinem Wesen nach untrennbar ist.50

Zwischen Ausdruck und Intuition besteht daher die Beziehung der Identität. Diese Gleichsetzung nimmt Croce an mehreren Stellen vor, und sie lässt sich aus dem Vorangegangenen syllogistisch ableiten: Wenn Kunst Intuition ist und Intuition Ausdruck, so ist klar, dass auch die Kunst Ausdruck sein muss. Hingegen besteht – und das wird ein zentraler Punkt der Kritik Cassirers an Croce sein – keine Identität zwischen dem Ausdruck und seiner ‚Übersetzung‘ in physische Akte (Töne, Farben, Bewegungen usw.). Der Ausdruck – der künstlerische Akt – befindet sich in der Tat diesseits seiner physischen Manifestationen: Er kann sich in äußeren Manifestationen zu erkennen geben, aber er ist weit davon entfernt, sich mit ihnen zu identifizieren. Denn seine Natur ist viel tieferer und umfassenderer Art:

Nachdem wir aber an dieser Stelle unserer Betrachtung angelangt sind und die Kunst als geistige Aktivität, als theoretische Aktivität und als besondere (intuitive) Aktivität betrachtet haben, ist es uns leicht möglich, zu erkennen, daß alle die zahlreichen und verschiedenartigen Definitionen von Charakteren immer, wenn sie etwas Reales anzeigen, nichts anderes tun, als das darzustellen, was wir bereits als Gattung, Spezies und Individualität der ästhetischen Form kennengelernt haben. Die Charaktere lassen sich, wie man beobachtet hat, auf die generelle Definition zurückführen; richtiger gesagt sind diese Charaktere verbale Varianten der Einheit, der Einheit in der Mannigfaltigkeit, der Einfachheit, der Originalität usw.; auf die spezifische Definition zurückgeführt sind sie das Leben, die Lebhaftigkeit, die Konkretheit, die Individualität, das Charakteristische. Diese Worte können noch weiter geändert werden, aber wissenschaftlich werden sie nichts Neues bringen. Die Analyse der Expression als solcher ist mit den oben dargelegten Charakteren erschöpft.51

Der Ausdruck ist aber nicht nur nicht identisch mit der physischen äußeren Form, er kann sogar ohne diese bestehen. Hier sei kurz auf ein mit der Auffassung vom Ausdruck zusammenhängendes Problem hingewiesen, das innerhalb der spezifischeren Sprachtheorie Croces Bedeutung gewinnt. Es handelt sich um die Beziehung zwischen der ‚wahren‘ Expression (die also gleichzeitig Ausdruck ist), der sogenannten Intuition-Expression (intuizione-espressione), und der ‚naturalistischen Expression‘. Letztere ist nämlich nicht Ausdruck eines theoretischen Faktums, sondern eines physischen Faktums, von dem er in Wirklichkeit nicht einmal verschieden ist, denn er lässt sich von diesem nur durch einen Akt der Abstraktion trennen.52 Dass der wahre Ausdruck auch ohne seine äußere Form Bestand haben kann, ist allerdings ein problematischer Punkt in Croces Theorie:53 Die Frage der Beziehung bzw. des Übergangs zwischen dem inneren Ausdruck und seiner äußeren Manifestation – seines ‚Nachaußentretens‘ (estrinsecazione) – wird nicht wirklich gelöst. Bei der Behandlung der Cassirerschen Kritik an Croce wird sich zeigen, dass dieses Problem auch Cassirer anspricht.

Noch eine zweite Voraussetzung liegt aber der Identifizierung von Ästhetik und Linguistik zugrunde, und zwar die radikale Leugnung der – erkenntnismäßigen, d. h. theoretischen – Möglichkeit, verschiedene Klassen von Ausdrücken zu unterscheiden. Für Croce existiert in der Tat nur eine einzige Ausdruckswirklichkeit – die eben mit der intuitiven zusammenfällt –, ihre Unterscheidung, ihre Trennung in Klassen, wie die des musikalischen, bildnerischen, malerischen, verbalen Ausdrucks, gehört nicht zur theoretischen, sondern zur praktischen Sphäre des Geistes, zur pseudobegrifflichen Wirklichkeit. Sie ist Frucht menschlicher Abstraktion und hat daher, wie bezüglich der Begriffe der Wissenschaft schon gesehen wurde, keinen erkenntnismäßigen, sondern nur einen nützlichkeitsrelevanten Wert. Kurz gesagt, sie ist nicht wahr.

Croce treibt nun seine Behauptungen bis zu ihren extremen Konsequenzen: Er besteht darauf, dass es nicht nur unmöglich ist, einen wortsprachlichen Ausdruck von anderen Formen des Ausdrucks zu unterscheiden, sondern dass auch innerhalb verbaler Ausdrücke weitere Unterteilungen unmöglich sind, wie man sie etwa erhält, indem man in einigen Klassen vorgebliche Konstanten feststellt (Wortklassen, Redeteile), oder indem man sie sich als von ‚wissenschaftlichen Gesetzen‘ geregelt denkt. Möglich sind diese Unterteilungen offensichtlich aus praktischer Sicht – beziehungsweise zu Zwecken der Nützlichkeit und insofern durchaus positiv zu beurtei aber eben nicht aus theoretischer Sicht.54

Cassirers Definition des ‚Ausdrucks‘ als symbolische Funktion55

Cassirer führt die Termini ‚Eindruck‘ und ‚Ausdruck‘ ein, als er die ‚Kritik der Vernunft‘ zu einer ‚Kritik der Kultur‘ umformt:

Die verschiedenen Erzeugnisse der geistigen Kultur, die Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnis, der Mythos, die Kunst, die Religion werden so, bei all ihrer inneren Verschiedenheit, zu Gliedern eines einzigen großen Problemzusammenhangs – zu mannigfachen Ansätzen, die alle auf das eine Ziel bezogen sind, die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden.56

Auffällig ist, dass Cassirer – zumindest in diesen Zeilen – den Terminus ‚Eindruck‘ in einem traditionellen, rein passiven Sinne verwendet, der sich von dem Croces beträchtlich unterscheidet. Denn dieser fasst wie eben gesehen den mit dem Ausdruck identifizierten Eindruck als geistige Aktivität auf. Die genauere Untersuchung zeigt nun zwischen dem Denken der beiden Philosophen zwar deutliche Abweichungen, aber auch tiefreichende Übereinstimmungen, die nicht nur auf das Terminologische reduziert werden sollten. Jede originäre geistige Tätigkeit, die gestaltend ist und nicht nur reproduktiv, schließt nach Cassirer eine selbständige Energie des Geistes ein, kraft welcher die einfache phänomenhafte Existenz eine besondere Bedeutung, einen ideellen Wert gewinnt. Cassirer knüpft in dieser Hinsicht an die ‚kopernikanische Revolution‘ Kants an, wonach man die ‚Gegenstände‘ nicht erkennt, als seien sie schon bestimmt und gegeben, sondern das Erkennen ‚gegenstandsschaffend‘ geschieht:

Wir erkennen somit nicht ‚die Gegenstände‘ – als wären sie schon zuvor und unabhängig als Gegenstände bestimmt und gegeben – sondern wir erkennen gegenständlich, indem wir innerhalb des gleichförmigen Ablaufs der Erfahrungsinhalte bestimmte Abgrenzungen schaffen und bestimmte dauernde Elemente und Verknüpfungszusammenhänge fixieren.57

Sein Denken entfernt sich jedoch entschieden – ganz besonders bezüglich zweier Aspekte – von dem Kants: An erster Stelle darf man die kritizistische Perspektive nicht nur hinsichtlich der logischen Funktion des Urteils anwenden, vielmehr muss sie sich „mit gleichem Grund und Recht“58 auf jedes Ziel und auf jedes Prinzip der gestaltenden Aktivität des Geistes beziehen: Denn das Grundprinzip des kritischen Denkens, das Prinzip des ‚Primats‘ der Funktion vor dem Gegenstand, nehme – so Cassirer – in jedem Sondergebiet eine neue Gestalt an und verlange eine neue, selbständige Begründung:

Die Kritik der Vernunft wird damit zur Kritik der Kultur […]. Hierin erst findet die Grundthese des Idealismus ihre eigentliche und vollständige Bewährung.59

Der zweite Aspekt betrifft die traditionelle Erkenntnistheorie, die die Gegebenheiten der Erfahrung stets als alogische Rohdaten betrachtet hatte. Dies stellt aber nach Cassirers Meinung eine Idealisierung dar, da man es schon im Moment der Erfahrung nicht mit rohen Daten zu tun hat, sondern mit Daten, welche bereits durch Bedeutung gesättigt sind: durch eine Bedeutung, welche von einer besonderen Äußerungsweise des Geistes verliehen wird, welche in einer besonderen symbolischen Form gegeben ist. Korrekt bewertet man die Realität der Erfahrung erst dann, wenn man das sinnlich Wahrnehmbare in allen seinen Manifestationen nicht nur als Eindruck betrachtet, sondern auch – und die Nähe zu Croce könnte nicht evidenter sein – als Ausdruck:60 Materie und Form bilden eine Einheit, denn was als Materie gegenwärtig ist, ist immer gleichzeitig als Vorstellung gegeben, das heißt, das Sinnliche ist ‚gestaltet‘, weil es von Sinn und Bedeutung durchdrungen ist. Der geistige Ausdruck ist daher das Fundament jeglicher Form des Verständnisses der Realität.

Nun stößt man gerade da, wo eine der markantesten Affinitäten zwischen Croce und Cassirer zu finden ist, nämlich in der Auffassung des Begriffs des geistigen Ausdrucks, zugleich auf den Punkt ihrer größten Ferne voneinander: Um das Ziel zu erreichen, die passive Welt der Eindrücke in eine Welt rein geistigen Ausdrucks zu verwandeln, muss man nach Cassirer notwendigerweise den idealen Zusammenhang der einzelnen Bereiche verstehen, den Zusammenhang zwischen den Grundfunktionen von Sprache, Erkenntnis und Kunst, „ohne daß […] die unvergleichliche Eigenheit einer jeden von ihnen verloren ginge“61. Zum morphologischen Hauptproblem wird die Identifizierung und Beschreibung eines gestaltenden Mediums, einer vermittelnden Funktion, „durch welche alle Gestaltung, wie sie sich in den einzelnen geistigen Grundrichtungen vollzieht, hindurchgeht“62.

Mit anderen Worten geht es hier um eine Identifizierung und Beschreibung der Symbolisierung, der symbolischen Form, des Symbols. Denn dieses ist – wie Cassirer von Leibniz weiß – keineswegs „eine bloß zufällige Hülle des Gedankens, sondern sein notwendiges und wesentliches Organ“63:

Wenn es wahr ist, daß alle Objektivität, alles, was wir gegenständliches Anschauen oder Wissen nennen, uns immer nur in bestimmten Formen gegeben und nur durch diese zugänglich ist, so können wir aus dem Umkreis dieser Formen niemals heraustreten – so ist jeder Versuch, sie gewissermaßen ‚von außen‘ zu betrachten, von Anfang an hoffnungslos. Wir können nur in diesen Formen anschauen, erfahren, vorstellen, denken; wir sind an ihre rein immanente Bedeutung und Leistung gebunden.64

Auch bei Croce wird die Unterscheidung der vier geistigen Tätigkeiten von dem Bestreben begleitet, sie in eine Einheit, in ein System zusammenzufassen. Auch in der Filosofia dello Spirito kann man daher versuchen, ein Medium zu finden, das den geistigen Formen, den Weisen, wie der Geist sich verwirklicht, gemeinsam ist. Croce nimmt diese Suche jedoch nicht explizit und systematisch vor, sie verbleibt vielmehr absichtlich vage. Konstant und präzise ist hingegen das Bemühen Cassirers, die gestaltende Funktion des Geistes, das Medium, das seiner Theorie der symbolischen Formen zugrunde liegt und dank dem sie alle Formen des Geistes genannt werden können, zu ermitteln und zu definieren. Dieses Medium erweist sich geradezu als Urprinzip des Cassirerschen Systems oder, genauer, seiner Methode. Und Cassirer identifiziert es in etwas genau Bestimmtem, eben in der Symbolisierung, die er durch die erkenntniskritische Herleitung des Symbolbegriffs beschreibt, wie auch durch die Begründung und Rechtfertigung des Begriffs der Vorstellung.65

Cassirers Argumente gegen Croces Kunst- und Sprachtheorie

Aus diesen theoretischen Prämissen ist es nicht schwierig zu verstehen, wie die Kritik Cassirers an der Sprachtheorie und Ästhetik Croces intimste Aspekte seines Denkens betreffen kann: Cassirer gesteht dem philosophischen Idealismus – insbesondere Vossler –66 zwar das Verdienst zu, den Psychologismus und den Positivismus bekämpft zu haben. Doch stellt er zugleich fest, dass auch er nicht in der Lage gewesen sei, die Sprache wieder in jene autonome und philosophisch zentrale Stellung zurückzuversetzen, die sie im Denken und Werk Humboldts eingenommen hatte, und die sie nach seiner Meinung weiterhin hätte behaupten sollen. Gerade als er die Gründe seiner Kritik an jenen idealistischen Richtungen der Philosophie genauer erläutert, welche die Sprache in den Bereich der Ästhetik verweisen wollen und die ihr eigene Autonomie verkennen, wendet sich Cassirer direkt gegen Cohen und Croce: Der erste vernachlässigt die Probleme der Sprache und behandelt sie nur gelegentlich im Zusammenhang mit den Grundfragen der Ästhetik. Noch radikaler führt der zweite die Sprache auf die allgemeine ästhetische Funktion des Ausdrucks zurück, anstatt sie als eine selbständige Form des Geistes aufzufassen, die auf ihr eigenen Gesetzen beruht. Er identifiziert sie mit der Kunst. Und damit ist eine klare Drohung ausgesprochen, nämlich dass die positivistische Metaphysik durch eine auf die Ästhetik gegründete Metaphysik des Idealismus ersetzt wird:

Wieder ist sie [sc. die Sprache] jetzt [sc. in der idealistischen Metaphysik Croces und also auch Vosslers] in das Ganze eines philosophischen Systems aufgenommen – aber diese Aufnahme scheint zugleich die Bedingung in sich zu schließen, daß die Sprache sich mit einem der Glieder dieses Systems identifiziert. Wie im Gedanken der allgemeinen, der rationalen Grammatik die Eigenart der Sprache zuletzt in der universellen Logik aufging, so droht sie jetzt in der Ästhetik, als allgemeine Wissenschaft des Ausdrucks, aufzugehen.67

Die Sprachphilosophie kann nur dann als Sonderfall der Ästhetik bezeichnet werden, wenn letztere alle besonderen Beziehungen mit dem künstlerischen Ausdruck gelöst hat, d. h. wenn die Aufgabe der Ästhetik in einem derartig erweiterten Sinne verstanden wird, dass sie in sich alles das begreift, was Cassirer als die Aufgabe einer universellen Philosophie der symbolischen Formen versteht. Aus diesem Gedanken zieht Cassirer indes, zumindest in dieser Phase seines Werkes, noch nicht die radikaleren und interessanteren Folgerungen, d. h. er zeigt nicht die Konsequenzen auf, die aus der Theorie Croces mit ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auch für die Theorie der Ästhetik im Allgemeinen entstehen. Diese erscheinen erst in einem späteren Stadium seiner Reflexion über das Crocesche Denken in seinem Essay aus dem Jahre 1942, und zwar im Zusammenhang mit seiner Kritik an Croces Ablehnung der Gattungseinteilungen in der Kunst.

An der erwähnten Stelle der Philosophie der symbolischen Formen sind noch zwei Aspekte hervorzuheben, die – einander zwar vielleicht widersprechend – sowohl für ein tieferes Verständnis der Polemik zwischen beiden Autoren als auch für die kritische Interpretation des Cassirerschen Denkens grundlegend sind. Zum einen ist es schwierig – es sei denn im Namen eines bis zum Ätherischen verallgemeinerten Prinzips wie dem Croces – Einwände gegen die anticroceanischen Bemerkungen Cassirers zu erheben, mit denen er das Kapitel der Philosophie der symbolischen Formen beschließt, welches er dem Problem der Sprache in der Philosophiegeschichte widmet:

Soll die Sprache als eine wahrhaft selbständige und ursprüngliche Energie des Geistes erwiesen werden, so muß sie in das Ganze dieser Formen eingehen, ohne mit irgend einem anderen schon bestehenden Einzelglied desselben zusammenzufallen – so muß ihr bei aller systematischen Verknüpfung, die sie mit der Logik und Ästhetik eingeht, eine ihr eigentümliche Stelle in diesem ganzen zugewiesen und damit ihre ‚Autonomie‘ gesichert werden.68

Zum anderen aber kommt man, wenn man diese Zeilen und die zuvor zitierten genauer betrachtet, nicht umhin, die behauptete Überzeugung Cassirers, dass ein Band der Analogie die verschiedenen symbolischen Formen paritätisch, also ohne hierarchische Privilegien, nebeneinanderordne, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Auch er kann nämlich, ebenso wie Croce, das fundierende Prinzip seiner Theorie nicht in Frage stellen, indem er zugibt, dass die Sprache gegenüber den anderen symbolischen Formen doch in gewisser Weise eine vorgeordnete Funktion erfüllt. Gleichwohl wird in seinen Schriften, besonders in denen der Marburger Zeit, deutlich das Bemühen spürbar, den semiotischen Mechanismus der Bedeutung aus dem, was man fast sein natürliches Umfeld nennen könnte – das der Spra herauszuabstrahieren, auch und vielleicht gerade dann, wenn er über die Humboldtsche Sprachtheorie zur Erarbeitung des Status der Symbolizität gelangt. Gestützt wird diese Interpretation durch eine rein empirische Feststellung: Es fällt nämlich schwer, die Tatsache, dass Cassirer seine Morphologie gerade mit der symbolischen Form der Sprache beginnen lässt, für bloßen Zufall zu halten.69 Ebenso lassen sich einige Beobachtungen Cassirers bezüglich der Sprache kaum übersehen, die ihm jedenfalls bei der Beschreibung anderer symbolischer Formen nicht in die Feder geraten:

Die Sprache steht in einem Brennpunkt des geistigen Seins, in dem sich Strahlen ganz verschiedenartiger Herkunft vereinen und von dem Richtlinien nach allen Gebieten des Geistes ausgehen.70

Jenseits aller Polemik und jenseits aller Suche nach Inkohärenzen in System und Methode Cassirers ist eines jedoch sicher: Die Stellung der Sprache in seinem spekulativen Denken liefert gute Gründe dafür, Cassirer, insbesondere den ‚europäischen‘ Cassirer, als einen der wichtigsten Protagonisten der ‚Wende hin zur Sprache‘ in der modernen Philosophie zu betrachten.

Aber zurück zu Cassirers Kritik an Croce.71 In Zur Logik der Kulturwissenschaften greift Cassirer noch einmal, wenn auch nun mit anderen Termini als in seinen früheren Schriften, in die Diskussion ein, die am Ende des 19. Jahrhunderts um die Beziehung zwischen Naturwissenschaften und historischen oder Humanwissenschaften in Deutschland aufgekommen war. Er beschäftigt sich erneut mit der Möglichkeit, all jene Phänomene durch eine begriffliche und gesetzmäßige Disposition zu erforschen, die nicht der Objektivität und Regularität unterliegen, mit der die Naturgesetze ‚wirken‘, sondern zur kreativen und vitalen Sphäre gehören, zu der des Handelns und sozialen Seins des Menschen. Er nennt dabei ausdrücklich sein Ziel: nicht die Erstellung einer besonderen Logik der Kulturwissenschaften (gegenüber derjenigen der Naturwissenschaften) als vielmehr die Absicht, gerade den Bruch zwischen Naturalismus und Historismus zu überwinden.72 Wie in seinen zuvor behandelten Arbeiten bietet Cassirer auch in diesem Aufsatz einen Überblick über die bisherigen Theorien, an denen sich die Modalitäten des ‚Rückfalls‘ in die eine oder die andere der beiden philosophischen Konzeptionen illustrieren lassen. Und gerade im Verlauf dieser analytischen Sichtung kommt er auch zu seiner Kritik an dem Croceschen Idealismus.73

Ausdrücklich weist er Croces Kritik an den sogenannten künstlerischen Gattungen zurück. Dafür führt er Gründe an, die nicht nur gegen diese spezielle Auffassung sprechen, sondern damit zugleich auch die Ablehnung der gesamten ästhetischen Theorie Croces enthalten, welche sich auf das Prinzip der Intuition-Expression, auf das Prinzip des ‚reinen‘ Ausdrucks gründet: Die Crocesche Konzeption der Kunst, nach der philosophisch ‚wahr‘ nur die Kunst und das Individuum sind, die Mittel, durch welche die Kunst sich ausdrückt, hingegen vollkommen gleichgültig, wird nach Cassirer dem Prozess des künstlerischen Schaffens nicht gerecht. Denn sie zerbricht das Kunstwerk in zwei Teile ohne notwendigen inneren Zusammenhang. Cassirer beharrt hingegen darauf, dass die jeweils besondere Art des Ausdrucks nicht nur die technische Fertigung des Kunstwerks, seinen materiellen Aspekt im engeren Sinne, sondern seine gesamte Konzeption betrifft: „Beethovens Intuition ist musikalisch, Phidias’ Intuition ist plastisch, Miltons Intuition ist episch, Goethes Intuition ist lyrisch. Dies alles betrifft nicht nur die äußere Schale, sondern den Kern ihres Schaffens“.74

Cassirer versteht einige der durchaus richtigen Motive, die Croce „zu seinem heftigen Kampf gegen die Lehre von den Gattungen“75 veranlasst haben. Aber er kann nicht umhin, sich von einer Ästhetik zu distanzieren, die sich das Moment des reinen Ausdrucks, wie Croce ihn versteht, zur eigenen – spezifischen – Grundlage macht. Und das aus verschiedenen Gründen. Cassirers Analyse der Croceschen Theorie zeigt sich auf diesen Seiten präzise und scharfsinnig:

Er [sc. Croce] legt den Akzent fast ausschließlich darauf, daß die Kunst Ausdruck des individuellen Gefühls und des individuellen Gemütszustandes sein müsse, und es gilt ihm gleichviel, welche Wege sie hierbei einschlägt, und welcher besonderen Richtung der Darstellung sie folgt. Dadurch wird die „subjektive“ Seite vor der „objektiven“ nicht nur bevorzugt, sondern die letztere sinkt der ersteren gegenüber fast zu einem gleichgültigen Moment herab. Alle künstlerische Intuition wird „lyrische Intuition“ – gleichviel, ob sie sich in einem Drama, einem Heldengedicht, in der Skulptur, in der Architektur, in der Schauspielkunst verwirklicht.76

Dies bedeutet zudem nach Cassirers Ansicht die Annullierung aller Unterschiede der Darstellungsform oder aber ihre Modifizierung zu bloßen Unterschieden der physischen Mittel des Ausdrucks. Einer solchen Annahme widerspricht nun schon der bloße Augenschein des Kunstwerks selbst. Denn das physische und das psychische Moment durchdringen sich darin dergestalt, dass sie, auch wenn sie in der Reflexion unterschieden werden können, für die Intuition und das ästhetische Empfinden ein unteilbares Ganzes darstellen:

Kann man wirklich, wie Croce es tut, die konkrete „Intuition“ den „abstrakten“ Mitteln des Ausdrucks gegenüberstellen und demgemäß alle Differenzen, die sich im Kreise des letzteren finden, als rein begriffliche Differenzen behandeln? Oder ist nicht eben beides im Kunstwerk innerlich zusammengewachsen? Lässt sich, rein phänomenologisch, eine Art gleichförmiger Urschicht der ästhetischen Intuition aufweisen, die immer dieselbe bleibt, und die sich erst bei der Ausführung des Werkes dafür entscheidet, welchen Weg sie gehen und ob sie sich in Worten, in Tönen oder Farben verwirklichen will?77 Zum Beweis seiner Theorie, dass die ästhetische Intuition schon als musikalische oder plastische, lyrische oder dramatische entstehe, zitiert Cassirer die Zeilen Croces, in denen dieser behauptet, dass die Dichtung in ihrem Innersten und untrennbar mit ihren jeweiligen besonderen Worten, mit ihrem Rhythmus, mit ihrem Metrum, mit denen sie sich ausdrückt, verbunden sei, und zwar in dem Sinne, dass sie schon als diese komplexe Verbindung entsteht. Jenseits dieser Elemente verbleibt nach Croce kein ‚absolutes‘ poetisches Denken, losgelöst vom poetischen Kontext. Cassirer tut also nichts anderes, als diese Überlegung Croces auf die anderen künstlerischen Formen auszudehnen. Dabei vernachlässigt er allenfalls, wie sehr gerade die Poesie für Croce einen Sonderfall des Ausdrucks darstellt – was allerdings vor allem in seinen Arbeiten der Reifezeit deutlich wird, die Cassirer im Exil aber vermutlich nicht mehr rezipierte.

Cassirers Kritik nimmt in dieser Arbeit einen anderen Charakter an als in der Philosophie der symbolischen Formen: Wandte sie sich dort nur gegen die Reduktion der Sprache auf die Kunst durch den Begriff des Ausdrucks, so geht sie hier die Crocesche Reflexion mehr in der Tiefe an, besser gesagt, sie berührt gleichsam den Punkt, in dem die Crocesche Sprachtheorie wurzelt: die Ästhetik. Cassirer beschränkt sich hier nicht darauf, seine eigene sprachphilosophische Auffassung derjenigen Croces entgegenzustellen, sondern er gibt seiner Kritik nunmehr einen erweiterten Reflexionshorizont: Im Vordergrund steht jetzt das Problem einer Wissenschaft der Ästhetik, die, wie diejenige Croces, so allgemein und abstrakt gefasst ist, dass sie sich nicht nur dadurch, dass sie der Sprache ihr eigenes spezifisches Wesen entzieht, sondern auch dadurch, dass sie die Kunst selbst ‚entcharakterisiert‘, als fragwürdig erweist.

Die Sprache mit der Kunst zu identifizieren, nachdem man die ‚formalen‘ Unterschiede der Kunst auf bloße ‚materielle‘ Unterschiede reduziert hat, bedeutet in der Tat nicht nur, die Autonomie der Sprachwissenschaft zu leugnen, sondern auch, der ästhetischen Wissenschaft selbst ihre eigenen und für sie spezifischen Umrisse zu nehmen. Auch könnte man noch radikaler als Cassirer behaupten: Nicht nur funktioniert die Gleichsetzung von Kunst und Sprache im System Croces nur, wenn man die Sprache ‚in ihrer reinen Natur betrachtet‘, „in dem, was an ihr auf Philosophie zurückgeführt werden kann“78 – wenn man ihr also viele ihrer Merkmale entzieht, die Croce ‚empirisch‘ nennen würde, die aber in Wirklichkeit gerade ihre charakteristischen sind –, sondern auch nur, wenn man der Ästhetik alle Elemente austreibt, die sie als solche ausmachen, mit Ausnahme jenes letzten, allerallgemeinsten, durch das sie einfach auf den Geist zurückgeführt, zugleich aber aus jeder besonderen Bestimmung gelöst wird. Nicht allein also nur dann, wenn man sie entmaterialisiert, sondern auch nur dann, wenn man sie darauf reduziert, Ausdruck des Geistes ohne irgendeine andere Bestimmung irgendeines anderen Typs zu sein, weder empirischer, noch kategorieller Art, auf Grund deren sie als das identifiziert werden könnte, was sie ist. Mit anderen Worten, die Gleichsetzung gelingt ausschließlich dann, wenn man auch die Ästhetik nur in dem betrachtet, „was in ihr auf Philosophie zurückgeführt werden kann“79.

Croces Antwort

In Reaktion auf diese Kritik äußert sich Croce zu diesen Themen in seiner Rezension von Cassirers Zur Logik der Kulturwissenschaften. Zugleich ergreift er die Gelegenheit, um den gesamten philosophischen Ansatz seines Gegners radikal anzugreifen. Um den aus der Ferne aufgenommenen Dialog zu beantworten, findet Croce keine anderen Worte als die der Aggression und die des Spottes. Bei seinem Kommentar der Theorie der symbolischen Formen beschuldigt er Cassirer – das Paradox ist evident – des Naturalismus und des Mystizismus. Die Begründung für diese unfundierte Anschuldigung bleibt allerdings im Dunkeln, die diesbezüglichen Bemerkungen Croces beruhen auf  Voraussetzungen, die die Argumente in seinem philosophischen Gedankengang schwer nachvollziehbar machen.

Cassirer sei unfähig, die wahre Verbindung zu verstehen, die zwischen den verschiedenen Momenten der Aktivität des Geistes bestehe, die sich in letzterer zusammenfänden und in ihr aufgingen. Er sei unfähig, seine symbolischen Formen „in ihrer ewigen Entstehung und Entwicklung“ zu behandeln. Er sei nur in der Lage, sie „aufzuzählen“ und zu „beschreiben“ ohne sie zu „durchdringen“, d. h. ohne zu ihrer wahren Natur vorzustoßen, welche sie als Momente „des dialektischen Übergangs der einen in die andere“ zeige:

Und infolgedessen stellt er z. B. den ‚Mythos‘ neben die ‚Sprache‘: als ob der Mythos nicht immer von der Kritik, also von der Logik und vom Denken bekämpft und aufgelöst worden wäre, und die Sprache hingegen nicht notwendige Bedingung und zugleich Instrument des logischen Denkens wäre.80

Ein analoger Grund ist es, der, nach Croce, Cassirer dazu bringt, Vossler und Croce die Identifizierung von Kunst und Sprache zu bestreiten, nämlich ein weiteres Mal die vorgebliche Unfähigkeit, sich der ‚spekulativen Vernunft‘ zu bedienen, statt des ‚trennenden Intellekts‘, von dem sein ‚Festhalten an empirischen Klassifikationen‘ herrühre.

Croces Attacke ­– dies lässt sich ohne weiteres sehen – richtet sich gegen Themen, die Cassirers Kritik in dem rezensierten Aufsatz zwar zugrunde liegen, von denen darin aber ausdrücklich überhaupt keine Rede ist. Croces Antwort auf Cassirers kritische Anmerkungen bezüglich der Gleichsetzung von Ästhetik und Sprachwissenschaft können daher auch als weitere Bestätigung dessen gelesen werden, was auf den vorausgehenden Seiten gesagt wurde: Die Rezension von Zur Logik der Kulturwissenschaften ist für Croce ein Anlass, der sich ihm bietet und den er endlich aufgreift, sein unerklärlich langes Schweigen zu brechen und dem in Jahren angestauten Unmut freien Lauf zu lassen.

Eine besondere Interpretation der Theorie der symbolischen Formen liefert die Verbindung zur eigentlichen Analyse der in dem rezensierten Aufsatz enthaltenen Einwände Cassirers gegen seine Theorie. Er missversteht nämlich die ‚Pluralität‘ dieser symbolischen Formen, indem er sie auf eine Unterscheidung von Gattungen und Arten zurückführt und sie dann durch seinen gewohnten Kritikmodus liquidiert:

Wenn er [sc. Cassirer] die philosophischen Probleme nicht immer noch in Gattungen und Arten dächte, dann würde er dessen gewahr, daß die Sprache in ihrer ursprünglichen und reinen Natur intuitive, musikalische und poetische Form des Geistes ist, und daß die Dichtung die Ausdrucksform des Geistes ist, und daß mithin die beiden Formen in jedem Punkt zusammenfallen. Die spekulative Untersuchung der Dichtung und der Kunst hätte ihm gezeigt, daß die Sprache niemals getrennt von Intuition und Phantasie gedacht werden kann, da sie nichts anderes ist als diese selbst in ihrer konkreten Wirklichkeit, und daß die Dichtung umgekehrt, sieht man von ihrer Ausdruckskraft ab, verschwindet. Aber ich glaube zu Recht, daß Cassirer sich niemals länger bei Dichtung und Kunst aufgehalten und die diesbezüglichen Probleme nicht vertieft hat; übrigens ist auch der dritte Band seines Werkes, der die Kunst eingehend behandeln sollte, meines Wissens nie erschienen.81

Die letzten Zeilen dieses Zitats geben – unabhängig von Croces herablassendem Ton – jedoch Anlass, die grundlegende Frage nach Cassirers Auffassung der Kunst wiederaufzugreifen. Croce hatte anscheinend Kenntnis von Cassirers ursprünglichem Plan, einen Band der Philosophie der symbolischen Formen der Kunst zu widmen. Cassirer selbst spricht von dieser Absicht in einem Brief an Paul Arthur Schilpp.82 Woher Croce diese Information hatte, ist nicht klar, tatsächlich lässt aber eine explizite Behandlung des Themas Kunst als symbolischer Form durch Cassirer bis zur amerikanischen Periode auf sich warten. Zwar beschuldigt Croce Cassirer zu Unrecht, die Kunst nur oberflächlich behandelt zu haben, da er zum einen die Bemerkungen übersieht, welche Cassirer in seiner Kritik an Croce selbst ‚indirekt‘ hierzu macht, und zum anderen auch Cassirers Schriften zu diesem Thema nicht kennt. Gleichwohl hat Croce hier mit Scharfsinn ein Grundproblem erfasst: Denn zweifellos ist die Verspätung, mit der selbst die kleinen Schriften Cassirers zu diesem Thema erscheinen, besonders aber das Fehlen eines mit den anderen vergleichbaren Bandes zur Kunst – und das trotz der Ankündigung seiner Abfassung und seiner ausdrücklich empfundenen Notwendigkeit – ein Indiz für die Schwierigkeit, die Cassirer darin sah, das Problem der Kunst im Rahmen des Systems der Philosophie der symbolischen Formen anzugehen. Es ist kein Zufall, dass sich Cassirers gesamte phänomenologische Perspektive, als er in An Essay on Man die Behandlung der Kunst an der Seite der anderen symbolischen Formen vorschlug, bereits immer weiter hin zu einer philosophisch-kulturellen und immer weniger auf die Sprache zentrierten Konnotation verschoben hatte.83

Damit zurück zu Croces Rezension, in der er seine Kritik schließlich doch direkt gegen Cassirers Aufsatz aus dem Jahre 1942 wendet:

In eben diesem Aufsatz weist er [sc. Cassirer] meine Leugnung der literarischen und künstlerischen Gattungen zurück […] und fügt hinzu, daß bei meiner Theorie alle Differenzen in der Kunst verschwinden und sich in physische Differenzen verwandeln, welche die Einheit der Kunst zerbrechen, was durch die „unbefangene Versenkung in ein großes Kunstwerk“ widerlegt werde und schreibt mir damit diese und ähnliche Abscheulichkeiten zu, die mir aber so ferne stehen, daß ich sogar ihre plumpen Wörter mit wissenschaftlichem Klang vergessen habe („der physische und psychische Faktor!“).84

Es ist leicht zu sehen, dass Croces Widerstand gegen Cassirers Kritik an seiner Ablehnung einer Einteilung in künstlerische und literarische Gattungen außer der Affirmation der eigenen Theorie – und der Herabsetzung derjenigen des anderen – jede fundierte Argumentation vermissen lässt: Croce ist nicht bereit zu antworten.85 Aber jenseits aller Probleme und Inkohärenzen, die sich hinter Croces Interpretation verbergen können, wird sichtbar, dass Croce die Beziehung zwischen den Kategorien der Subjektivität und der Objektivität deutlich anders auffasst als Cassirer. Radikaler könnte man noch hinzufügen: Gerade bei der Beziehung zwischen (individuell-geistiger) Subjektivität und (kultureller) Objektivität liegt der Punkt der größten Divergenz zwischen den Theorien Croces und Cassirers.

Zu Recht beschuldigt Croce im Fortgang seiner Gegenattacke Cassirer, dass er, als er sich gegen die ‚Dichtungshaftigkeit‘ (liricità) jeder Kunst wendet, den von ihm entwickelten Unterschied zwischen dem reinen Sprechen, das poetisch ist, und den affektiven, rhetorischen und prosatextlichen Äußerungen ignoriert. Cassirer kennt also den Entwicklungsgang des Croceschen Denkens nicht, der in seinem Buch La Poesia in vollem Umfang sichtbar wird, und bezieht sich stattdessen auf die Konzeption von der Dichtungshaftigkeit aller Kunst, die sich in der vorausgehenden Phase seiner Theoriebildung fand. Dies belegt aber auch, wie sehr das ‚Verdikt‘ Croces schon feststand: Croce geht nämlich mit keinem Wort auf die Möglichkeit ein, dass Cassirer den Gang seines Denkens nur bis zu den Werken des Systems kennen könnte, sondern geht davon aus, dass er seine Theorie missverstanden habe. Er geht sogar so weit, ihn der Oberflächlichkeit und des nationalistischen Egozentrismus zu zeihen:

Cassirer ist auch darin, daß er die außerhalb der professoralen deutschen Mentalität entstandenen Theorien nicht der notwendigen Aufmerksamkeit und Überlegung würdigt, ein typischer deutscher Akademiker, nicht ohne nationalistische Beschränktheit, wiewohl die Merkwürdigkeit des Falles es gefügt hat, daß er jetzt verfolgt und Flüchtling unter Anklage des Antinationalismus und Antirassismus ist. Der Wagen der Geschichte rollt schwer, und grausam zermalmt er Unschuldige; trotzdem hat er auch in diesen seinen Arbeiten, die im Exil geschrieben wurden, den lebendigen Sinn für die Geschichte und die Einsicht in ihr Problem nicht erworben, oder besser in ihre Probleme, die jedem „Scientizismus“ im innersten widerstreben.86

Aus Croces Auffassung von der Beziehung zwischen Subjektivität und Objektivität und aus den Grundannahmen, auf welche sie sich gründet, ergeben sich viele Konsequenzen. Darunter ist auch die weiter oben kritisch untersuchte, dass es möglich ist, eine Unterscheidung zwischen Kunst und Sprache nur auf der Basis empirischer Klassifikationen vorzunehmen, welche zu einem nicht theoretischen, sondern praktischen Bereich gehören. Diese Annahmen und Konsequenzen erklären vielleicht, auch wenn sie es sicher nicht rechtfertigen, dass alles das, was nicht dialektisch verstanden und zusammengeführt wird – dialektisch ist hier im Hegelschen Sinne gemeint –, automatisch durch das Verdikt des Naturalismus, Mystizismus oder Szientizismus abgestempelt wird. Alles, sogar eine idealistische und im tiefsten kritizistische Theorie wie die Cassirers, welche nicht nur zwischen den Zeilen feststellt:

Eine kritische Kulturphilosophie kann sich keiner der beiden Erklärungsarten gefangengeben. Sie muß ebensowohl die Scylla des Naturalismus wie die Charybdis der Metaphysik vermeiden. Und der Weg hierzu eröffnet sich ihr, wenn sie sich klarmacht, daß ‚Ich‘ und ‚Du‘ nicht fertige Gegebenheiten sind, die durch die Wirkung, die sie aufeinander ausüben, die Formen der Kultur erschaffen. Es zeigt sich vielmehr, daß in diesen Formen und kraft ihrer die beiden Sphären, die Welt des ‚Ich‘, wie die des ‚Du‘, sich erst konstituieren. […] Im Gebrauch der Sprache, im künstlerischen Bilden, im Prozeß des Denkens und Forschens drückt sich je eine eigene Aktivität aus, und erst in ihr finden sich Ich und Du, um sich gleichzeitig voneinander zu scheiden. Sie sind in- und miteinander, indem sie sich in dieser Weise im Sprechen, im Denken, in allen Arten des künstlerischen Ausdrucks Einheit bleiben.87

Schlussbemerkungen – Geistige Aktivität und Empirie

Cassirers Plan einer allgemeinen Theorie der Ausdrucksformen des Geistes zeigt ganz andere Akzente, als sie Croce bei seiner Begründung der Filosofia dello Spirito setzt: Seiner Philosophie der symbolischen Formen, wie er sie im ersten Band des gleichnamigen Werkes vorstellt, nämlich als Arbeitsprogramm, als philosophisches Projekt und nicht als starres, abgeschlossenes System, gibt Cassirer nicht zuletzt die Aufgabe, jene transzendentale Begründung der Geisteswissenschaften darzustellen, welche in der kritischen Analyse Kants historisch nicht vorlag, welche aber die gesamte nachkantianische Philosophie zunehmend in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückt hatte. Diese Begründung der Geisteswissenschaften scheint für Cassirer unauflöslich verbunden zu sein mit der Forderung nach einer Philosophie des Geistes, welche – verstanden als Formenlehre des Geistes – der konkreten Arbeit der einzelnen Humanwissenschaften ihre systematische Begründung zu verleihen vermag. In diesem Projekt spielt – hier wurde es wiederholt gezeigt – die Semiosis, der Mechanismus des Bedeutens die Hauptrolle. Da selbst der philosophische Idealismus nicht in der Lage war, die Wissenschaft von der Sprache wieder ihrer eigenen Autonomie zuzuführen und ihre Weiterentwicklung zu fördern, kann Cassirer sich bei der Begründung seiner Formenlehre nicht „innerhalb eines fest abgesteckten Gedankenkreises“88 bewegen, sondern er muss versuchen, sich einen eigenen methodischen Weg zu eröffnen. Natürlich bleibt das Leitprinzip seiner Methode die Transzendentalphilosophie – auszugehen von einem gesicherten Faktum, von der Erfahrung, um dann die Bedingungen ihrer Möglichkeit aufzusuchen. Die durch Kant ins Werk gesetzte kopernikanische Revolution erfährt jedoch nicht nur eine ‚Anwendung‘ oder ‚Erweiterung‘ auf alle formenden Tätigkeiten des Geistes, auf die Formen der Objektivierung und der Konstituierung der Welt (Sprache, Kunst, Erkenntnis, Mythos …), sondern eine Neuinterpretation. Zu behaupten, Cassirer ‚erweitere‘ lediglich die mit der Erkenntnistheorie verbundenen Fragen auf andere geistige Bereiche, wäre irreführend, zumindest bedeutete es, einen wesentlichen Punkt der Cassirerschen Auffassung von Transzendentalphilosophie aus dem Blick zu verlieren, nämlich die Führungsrolle, welche dabei das Bedeuten einnimmt. Denn Cassirers Vorgehensweise ist zwar transzendentalphilosophisch, aber noch bevor er sich über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung oder der Erkenntnis befragt, befragt er sich über die Bedingungen der Möglichkeit der Bedeutung, von der die ersteren seiner Meinung nach einen Teil darstellen. Und er selbst stellt dazu fest:

[…] daß jenes Gebiet theoretischen Sinnes, das wir mit dem Namen ‚Erkenntnis‘ und ‚Wahrheit‘ bezeichnen, nur eine, wie immer bedeutsame und fundamentale Sinnschicht darstellt. Um sie zu verstehen, um sie in ihrer Struktur zu durchschauen, müssen wir diese Schicht anderen Sinn-Dimensionen gegenüberstellen und entgegenhalten, müssen wir, mit anderen Worten, das Erkenntnisproblem und das Wahrheitsproblem als Sonderfälle des allgemeinen Bedeutungsproblems begreifen.89

Gerade dieser Weg zu dem und über das Bedeuten, aufgefasst als Mechanismus des Geistigen par excellence führt nun Cassirer an den Punkt, an dem sich seine idealistische Theorie der Sprache und der Kunst von der Croces auf radikale Weise trennt. Und dies aus verschiedenen Gründen:

Zunächst einmal stimmt es zwar, dass beide Autoren dem Begriff des Ausdrucks des Geistes und dem damit eng zusammenhängenden des Bedeutens großes Gewicht beimessen. Aber beider Weise, diese Begriffe zu verstehen, sei es jeden für sich, sei es in ihrer wechselseitigen Korrelation, ist grundverschieden. Denn gerade von der Interpretation her, welche Croce dem Begriff des Ausdrucks und dem davon untrennbaren der Intuition gibt, von seiner Weigerung, ihn in ‚Klassen von Ausdrücken‘ einzuteilen, stammt die Identifizierung von Linguistik und Ästhetik, die Zurückführung bzw. die Reduktion der Sprache auf die Kunst, welche einen der fokalen Punkte der Cassirerschen Kritik an Croce darstellt.

An zweiter Stelle spiegeln die verschiedenen Auffassungen Cassirers und Croces von der Sprache auch das unterschiedliche Verständnis wider, das sie vom Idealismus in allgemeiner Hinsicht haben: Für Cassirer kann und darf eine wirklich universelle Erforschung der Sprache auch den empirischen Aspekt jener linguistischen Wissenschaft nicht ignorieren, dem Croce keinen Raum und keinen Erkenntniswert zubilligt, da alles, was mit der Empirie zu tun hat, für ihn in die praktische Sphäre des Nutzens verbannt ist. Für Cassirer existiert indes weder eine philosophische Betrachtung der Sprache, die von ihrer konkreten Wirklichkeit absehen könnte, noch eine empirische Betrachtung sprachlicher Fakten ohne ein sie fundierendes geistiges Moment. Aus dieser Grundannahme folgt freilich eine Schwierigkeit, auf die jede philosophische Betrachtung der Sprache stößt: Einerseits kann sie auf die Einzelfakten nicht einfach verzichten, auf die empirisch gewonnenen Materialien, die sich der Forschung darbieten; andererseits aber muss sie darauf achten, sich ihnen nicht gänzlich zu unterwerfen, denn sonst würde sie riskieren, ihre eigene Intention und Aufgabe zu verraten. In diesem Schwingen zwischen Universalität und Empirie zeigt sich das Originelle und Moderne der Cassirerschen Lösung und zugleich auch eines der wichtigsten Merkmale seiner Nähe zum Sprachdenken Humboldts.90

An dritter Stelle trennen sich die Sprachtheorien beider Autoren durch die Art, wie sie den Geist betrachten: Die Auffassung Cassirers ist funktionell, die Croces hingegen dialektisch. Denn Cassirer entzieht dem Geist jede substantialistische, also metaphysische Bedeutung und stellt ihn nicht der Natur gegenüber; im Gegenteil betrachtet er ihn geradezu als etwas, das alle Funktionen in sich begreift, die die Welt der menschlichen Kultur bilden und konstituieren.91 In der Tat gestattet es nur eine funktionale Auffassung des Geistes, jene für die Erkenntnis so problematische Spaltung zwischen Natur und Kultur – welche sich dann in der zwischen Natur- und Geisteswissenschaften wieder abbildet – zu vermeiden. Die Einheit dieser beiden Termini muss nach Meinung Cassirers zurückgewonnen werden; und zwar darf dabei nicht von der Reproduktion einer in sich schon bestimmten Wirklichkeit ausgegangen werden, sondern Grundlage müssen die Weisen der Objektivierung des Geistes, also die symbolischen Medien, sein:

Die Differenz, nach der wir hier allein suchen und die wir mit Sicherheit aufweisen können [sc. die zwischen „Leben“ und „Geist“, zwischen der Welt der organischen Formen und der Kulturformen], ist keine physische, sondern eine funktionelle Differenz. […] Die „Freiheit“, die der Mensch sich zu erringen vermag, bedeutet nicht, daß er aus der Natur heraustreten und sich ihrem Sein oder Wirken entziehen kann. […] Die Bewußt-Werdung ist der Anfang und das Ende, ist das A und O der Freiheit, die dem Menschen vergönnt ist; das Erkennen und Anerkennen der Notwendigkeit ist der eigentliche Befreiungsprozeß, den der „Geist“ gegenüber der „Natur“ zu vollbringen hat. Für diesen Prozeß bilden die einzelnen ‚symbolischen Formen‘: der Mythos, die Sprache, die Kunst, die Erkenntnis die unentbehrliche Vorbedingung. Sie sind die eigentümlichen Medien, die der Mensch sich erschafft, um sich kraft ihrer von der Welt zu trennen und sich in eben dieser Trennung um so fester mit ihr zu verbinden.92

Im Unterschied dazu orientiert sich die Auffassung Croces vom Wesen des Geistes an derjenigen der Hegelschen Dialektik und führt zu einer Radikalisierung der Trennung oder besser – aus der dialogischen und sozialen Sicht Cassirers – zur Unvereinbarkeit der Sphären der Subjektivität und der Objektivität. Gerade die Vermittlung zwischen diesen beiden Sphären stellt hingegen für Cassirer das Besondere am Wesen der Sprache dar.93

Sucht man also den zentralen Punkt, an dem sich die Theorien Cassirers und Croces effektiv voneinander scheiden, dürfte man diesen in der unterschiedlichen Fähigkeit beider finden, die Empirie und die Tätigkeiten des Menschen zu thematisieren, mit philosophischer Konsistenz zu versehen und sie dadurch zugleich als Tätigkeiten des Geistes und der Kultur zu kennzeichnen.

Die Rolle der Empirie, der sinnlichen Wahrnehmung, innerhalb des geistigen Prozesses wird in der Tat von beiden Denkern auf radikalste Weise verschieden bestimmt. Bei Croce wird sie ignoriert, gestrichen oder in die Sphäre der Pseudobegriffe verwiesen, bei Cassirer ist sie wesentlicher konstitutiver Teil im Prozess der Manifestation des Geistes. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass die Form des Idealismus auf der die Cassirersche Sprachphilosophie – wie die Philosophie der symbolischen Formen überhaupt – beruht, die Voraussetzung eines anderen Zugangs zu Anthropologie und Sozialität ist, Voraussetzung für einen neuen Humanismus. Nicht zufällig ist also, dass sie sich im Laufe der Zeit immer mehr als Kulturphilosophie charakterisiert und ins Zentrum ihrer Forschung immer mehr jenen Menschen rückt, der als animal symbolicum in einem von ihm selbst geschaffenen Universum von Symbolen lebt. Denn die Kultur lässt sich in letzter Instanz als Moment menschlicher Erfahrung interpretieren, als Prozess der fortschreitenden menschlichen Selbstbefreiung:

Im ganzen genommen könnte man die Kultur als den Prozeß der fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen beschreiben. Sprache, Kunst, Religion und Wissenschaft bilden unterschiedliche Phasen in diesem Prozeß. In ihnen allen entdeckt und erweist der Mensch eine neue Kraft – die Kraft, sich eine eigene, eine ‚ideale‘ Welt zu errichten. Die Philosophie kann die Suche nach einer grundlegenden Einheit dieser idealen Welt nicht aufgeben. Sie verwechselt diese Einheit freilich nicht mit Einfachheit. Sie übersieht nicht die Spannungen und Reibungen, die starken Kontraste und tiefen Konflikte zwischen den verschiedenen Kräften des Menschen. Sie lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Sie streben in verschiedene Richtungen und gehorchen unterschiedlichen Prinzipien. Aber diese Vielfalt und Disparatheit bedeutet nicht Zwietracht oder Disharmonie. Alle diese Funktionen vervollständigen und ergänzen einander. Jede von ihnen öffnet einen neuen Horizont und zeigt uns einen neuen Aspekt der Humanität. Das Dissonante steht im Einklang mit sich selbst: die Gegensätze schließen einander nicht aus, sondern verweisen aufeinander.94


  1. Dieser Artikel baut wesentlich auf der Monographie Sarah Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, die Wiederentdeckung des Geistes: ein Vergleich ihrer Sprachtheorien (Tübingen und Basel: Francke, 2005) auf, auf diese wird im Folgenden an mehreren Stellen auch wörtlich Bezug genommen.

  2. Benedetto Croce, „Recensione a Ernst Cassirer: Zur Logik der Kulturwissenschaften“, La Critica 41 (1943), 93–5, hier 95.

  3. Für eine Behandlung dieses Aspekts der Auseinandersetzung zwischen Cassirer und Croce vgl. Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, Kap. 2. Hier sei nur kurz angemerkt: Croce verficht einen ‚reinen Begriff‘, den er zwar kritisch als Verbindung des Besonderen und des Universalen auffasst, aber er ignoriert dabei nicht nur den Begriff, welchen die zeitgenössische Wissenschaft verwendet, sondern er geht sogar so weit, diese aus der Sphäre der Begrifflichkeit definitiv auszuschließen. Die Wissenschaft führt zu nützlichem Handeln, zu praktischen Entscheidungen, aber nicht zu universalen Wahrheiten, zu denen nur Geschichte und Philosophie hinleiten. Cassirer geht hingegen von den Fortschritten der Wissenschaft aus, um die Merkmale eines Begriffes neu zu definieren, der es der Philosophie gestatten soll, ihre problematische ‚Metaphysizität‘ zu überwinden, und gelangt zu seiner Philosophie der symbolischen Formen. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies ein Punkt wurde, an dem sich die Polemik zwischen beiden Autoren besonders entzündete: Wenn man die Wissenschaft in den Bereich des Praktischen verweist, bedeutet dies nicht nur, ihr den Erkenntniswert abzusprechen, sondern ihr auch jene Aufgabe zu entziehen, welche sie in der Kantschen kritizistischen Theorie des Begriffes besaß, nämlich die Rolle der Vermittlerin beim Erreichen der Einheit des Allgemeinen und des Besonderen zu spielen.

  4. Die Behandlung des postumen Werks kann in diesen Beitrag nicht einbezogen werden.

  5. Die fast totale Abwesenheit von Kommentaren zu Cassirer bis zum Jahre 1935 darf keineswegs zu der Vermutung Anlass geben, Croce habe sich bis dahin nicht mit dem Denken Cassirers beschäftigt.

  6. „Der Mangel dieses Buches besteht darin, daß Cassirer nicht begriffen hat, daß ‚Aufklärung‘ eine ideelle Kategorie ist und kein Faktum oder eine historische Epoche. […] Dieser methodische Fehler, der heute von vielen begangen wird, [muß vermieden werden], damit man keine Entdeckungen macht, die keine Entdeckungen sind oder Bilder entwirft, die in Wirklichkeit völlig willkürlich sind.“ Benedetto Croce, „Pretesa rivendicazione del 700“, La Critica 33 (1935), 316–7, hier 317.

  7. Benedetto Croce, La Storia come pensiero e come azione, Edizione nazionale delle opere di Benedetto Croce (Neapel: Bibliopolis, 1938/2002), 64 und 66.

  8. Noch einen kurzen Kommentar Croces zu Cassirer kann man schließlich im Brief an Vittorio Alfieri vom November 1928 finden, vgl. Benedetto Croce, Lettere a Vittorio Alfieri (1925–1952) (Milazzo: Sicilia Nuova, 1976).

  9. „Die Sprache [ist] die erste Manifestation des Geistes.“ Benedetto Croce, Aesthetik als Wissenschaft vom Ausdruck und allgemeine Sprachwissenschaft: Theorie und Geschichte (Tübingen: Mohr, 1930), LIV.

  10. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Erster Teil: „Die Sprache“, Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe 11 (Hamburg: Meiner, 1923/2001), XI.

  11. Croce, Aesthetik, LIV.

  12. Zwischen der Philosophie der symbolischen Formen (1923–1929) und An Essay on Man (1944) besteht ein Unterschied bei der Behandlung der Beziehungen zwischen den einzelnen symbolischen Formen. Freilich gibt schon die äußere Struktur des späteren Werkes der Rolle, die der Sprache zugestanden wird, einen neuen Zuschnitt: Cassirer schreibt den Essay in der Absicht, dem amerikanischen Publikum eine Synthese des Projekts der Philosophie der symbolischen Formen zu liefern. Dabei hat sich das ethische und politische, das anthropologische Interesse Cassirers immer deutlicher akzentuiert: Im Zentrum steht nun die allgemeine kulturelle Perspektive des Menschen in ihrer ganzen Vielfalt. Konsequent wird im Essay einerseits die gleichwertige Stellung der symbolischen Formen betont, andererseits wird die Sprache bei aller Anerkennung ihrer Besonderheit ausgewogener abgehandelt, schon allein hinsichtlich des ihr gewidmeten Raums. Die Sprache erfährt hier also eine Behandlung, die diejenige der anderen Formen, einschließlich der symbolischen Form der Kunst, nicht zurücksetzt, was allgemein für das symbolisch-philosophische Denken Cassirers nicht so einfach zu behaupten ist. Denn der ‚europäische Cassirer‘ schreibt der Sprache mit ihrer ‚Semiotizität‘ par excellence den anderen symbolischen Formen gegenüber eine größere Bedeutung zu. Vgl. hierzu u. a. Birgit Recki, Kultur als Praxis: eine Einführung in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (Berlin: Akademie Verlag, 2004) und Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce. Zu den Schwierigkeiten der Beschäftigung mit Cassirers Behandlung der Kunst (und zu letzterer im Allgemeinen) vgl. insb. Marion Lauschke, Ästhetik im Zeichen des Menschen (Hamburg: Meiner, 2007) und ders., „Les fonctions de l’art chez Ernst Cassirer“, in Ernst Cassirer et l’art comme forme symbolique, hrsg. von Muriel van Vliet (Rennes: Pur, 2010), 27–41.

  13. Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur (Frankfurt a. M.: Fischer, 1944/1990), 110 [engl. Originaltitel An Essay on Man: An Introduction to a Philosophy of Human Culture].

  14. Vgl. hierzu Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, 124ff. Die Sekundärliteratur zur Cassirers Philosophie im Allgemeinen ist sehr umfangreich. Vgl. u. v. a. besonders zu sprachphilosophischen Aspekten: Über Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, hrsg. von H.-J. Braun u. a. (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988); Massimo Ferrari, „La Cassirer-Renaissance in Europa“, Studi Kantiani 7 (1994), 111–38, ders.; Ernst Cassirer: dalla scuola di Marburgo alla filosofia della cultura (Florenz: Olschki, 1996); Andreas Graeser, Ernst Cassirer (München: Beck, 1994); John M. Krois, „Ernst Cassirers Semiotik der symbolischen Formen“, Zeitschrift für Semiotik 6 (1984), 433–4; ders., Cassirer: symbolic forms and history (New Haven und London: Yale Univ. Pr., 1987); E. W. Orth, Von der Erkenntnistheorie zur Kulturphilosophie: Studien zu Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (Würzburg: Königshausen und Neumann, 1996); H. Paetzold, Die Realität der symbolischen Formen: die Kulturphilosophie Ernst Cassirers im Kontext (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1994); Birgit Recki, Kultur als Praxis; Enno Rudolph, Ernst Cassirer im Kontext: Kulturphilosophie zwischen Metaphysik und Historismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003); Kulturkritik nach Ernst Cassirer, hrsg. von Enno Rudolph u. a. (Hamburg: Meiner, 1995); Symbolische Formen, mögliche Welten: Ernst Cassirer, hrsg. von Enno Rudolph u. a. (monographische Ausgabe von Dialektik: enzyklopädische Zeitschrift für Philosophie und Wissenschaft 1, 1995); O. Schwemmer, Ernst Cassirer: ein Philosoph der europäischen Moderne (Berlin: Akademie-Verlag, 1997); D. Ph. Verene, „Introduction: Cassirer’s Thought 1935–1945“, in ders., E. Cassirer: Symbol, Myth, and Culture. Essays and Lectures of Ernst Cassirer 1939–1945 (New York und London: Yale Univ. Pr., 1979), 1–45; ders., „Cassirer’s Philosophy of Culture”, International Philosophical Quarterly 22 (1982), 133–44; ders., „Cassirer’s ‚Symbolic Form‘“, Il Cannocchiale 1/2 (1991): 289–305.

  15. In der Tat hatte Cassirer schon in Substanzbegriff und Funktionsbegriff die Grenzen aufgezeigt, an die eine schlichte Erforschung der allgemeinen Voraussetzungen der wissenschaftlichen Welterkenntnis stößt, das heißt, das Ungenügen einer allgemeinen Erkenntnistheorie in ihrer herkömmlichen Auffassung. Er hatte es daher für notwendig befunden, die verschiedenen Grundformen der Welterkenntnis, auch in ihrer wechselseitigen Abgrenzung voneinander, festzustellen und dabei jede von ihnen in der ihr eigenen Zielsetzung zu erfassen, in ihrer jeweils besonderen geistigen Form. Dieses nämlich sei die Voraussetzung dafür, nun auch seitens der Geisteswissenschaften eine klare methodische Perspektive und ein sicheres eigenes Prinzip der Begründung zu gewinnen. Was nach Cassirers Auffassung noch fehlte, war eine der naturwissenschaftlichen Begriffs- und Urteilsbildung analoge Untersuchung für den Bereich der (reinen) Subjektivität, welche sich nicht in der erkennenden Betrachtung der Natur und der Wirklichkeit erschöpft, sondern sich da wirksam zeigt, wo die Wirklichkeit der Erscheinung unter einen bestimmten geistigen Blickwinkel gestellt und von ihm aus gestaltet wird, vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, VII.

  16. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 6.

  17. Der vierte Band dieses großen philosophischen Projekts wurde 1995 postum aus dem Nachlass Cassirers herausgegeben; mit diesem kann sich der Beitrag jedoch nicht beschäftigen.

  18. Cassirer schränkt die Zahl der symbolischen Formen nicht ein.

  19. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 7.

  20. Vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 8.

  21. Ernst Cassirer, „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, in ders., Aufsätze und kleine Schriften (1922–1926), Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe 16 (Hamburg: Meiner, 1921–1922/2003), 75–104, hier 79.

  22. Zu seinem Begriff der symbolischen Form, besonders aber zu seinem komplexen Plan einer morphologischen Theorie im Sinne einer systematischen Theorie der Gesamtheit des Geistigen gelangt Cassirer über verschiedene Phasen. Zwar vertiefen sich die Auffassungen Cassirers im Laufe der Zeit und prägen sich präziser aus, sie modifizieren sich jedoch nicht grundlegend, sondern bleiben im Gleis der ursprünglichen theoretischen Intuition. Es handelt sich dabei – hierin liegt eine Analogie zu Croce – um das Projekt und das Ergebnis eines ganzen Lebens, das seine Schriften von der ersten Berliner Schaffensperiode bis zur letzten amerikanischen begleitet.

  23. Ernst Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften: fünf Studien (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1942/1961), 31.

  24. Die philosophischen Quellen des Begriffs der symbolischen Form lassen sich schematisch in der folgenden Weise gliedern: 1) logisch-metaphysische Quellen: Cusanus, Leibniz, Kant, Hegel; 2) ästhetische Quellen: Goethe, Schiller, Hegel, Humboldt, Vischer; 3) wissenschaftliche Quellen: Helmholtz, Mach, Hertz; 4) mythologische Quellen: Schelling, Usener, Vignoli; 5) ikonologische Quellen: Warburg, Saxl, Boll, Justi; vgl. hierzu u. a. Giulio Raio, Introduzione a: Cassirer (Roma und Bari: Laterza, 1991).

  25. Ernst Cassirer, „Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen“, in Aufsätze und kleine Schriften (1922–1926), Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe 16 (Hamburg: Meiner, 1925/2003), 227–311, hier 236.

  26. Vgl. hierzu Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, die Wiederentdeckung des Geistes, 81ff. Die Sekundärliteratur zur Croces Philosophie im Allgemeinen ist sehr umfangreich. Vgl. u. v. a. besonders zu sprachphilosophischen und ästhetischen Aspekten: Carlo Antoni, Commento a Croce (Venedig: Neri Pozza, 1955); Paolo Bonetti, Introduzione a Croce (Rom und Bari: Laterza, 51996); Mario Contini, La parte di Benedetto Croce nella cultura italiana (Turin: Einaudi, 1989); Eugenio Coseriu, „System, Norm, Rede“, in ders., Sprachtheorie und allgemeine Sprachwissenschaft: fünf Studien (München: Fink, 1952/1975), 11–101; Tullio De Mauro, Introduzione alla semantica (Bari: Laterza, 1966); Marcel Deneckere, Benedetto Croce et la Linguistique, 2 Bde. (Antwerpen: Rijksuniversitair Centrum, 1983); Giacomo Devoto, „Croce storico e Croce linguista“, in Benedetto Croce, hrsg. von F. Flora (Mailand: Malfasi, 1953), 183–93; Giuseppe Galasso, Croce e lo spirito del suo tempo (Mailand: Il Saggiatore, 1990); Eugenio Garin, Cronache di filosofia italiana (1900–1943) (Bari: Laterza, 1955); Croce e Gentile un secolo dopo: saggi, testi inediti e un‘appendice bibliografica 1980–1993, hrsg. von Eugenio Garin (Florenz: Le Lettere, 1994); Fabrizia Giuliani, Espressione ed Ethos: il linguaggio nella filosofia di Benedetto Croce (Neapel: Istituto italiano per gli studi storici, il Mulino, 2002); Antonio Gramsci, Il materialismo storico e la filosofia di Benedetto Croce (Turin: Einaudi, 1948/1971); Karl-Egon Lönne, Benedetto Croce: Vermittler zwischen deutschem und italienischem Geistesleben (Tübingen und Basel: Franke, 2002); Enzo Paci, „Benedetto Croce”, in ders., La filosofia contemporanea (Mailand: Garzanti, 1957), 65–70; Gennaro Sasso, Benedetto Croce: la ricerca della dialettica (Neapel: Morano, 1975); Karl Vossler, „Benedetto Croces Sprachphilosophie“, Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaften und Geistesgeschichte 19.2 (1941), 138–66.

  27. Benedetto Croce, „Beitrag zur Kritik meiner selbst“, in Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. von R. Schmidt (Leipzig: Meiner, 1915/1923), Bd. 4, 34–5.

  28. Vgl. Benedetto Croce, Saggio sullo Hegel seguito da altri scritti di storia della filosofia (Bari: Laterza, 1913).

  29. Croce, „Beitrag zur Kritik meiner selbst“, 35.

  30. Croce verwendet intuizioni oder rappresentazioni ohne Bedeutungsunterschied; in den verschiedenen deutschen Übersetzungen findet man hierfür ‚Intuitionen‘, ‚Anschauungen‘, ‚Vorstellungen‘, ‚Repräsentationen‘, die also als Synonyme betrachtet werden können.

  31. Cassirer kritisiert in dieser Unterscheidung zwischen ‚reinen Begriffen‘ der theoretischen Sphäre und ‚Pseudobegriffen‘ der praktischen Sphäre insbesondere Croces Verbannen der Wissenschaft auf der Ebene der Pseudobegriffe streng: damit wird in der Tat der Wissenschaft jeder Erkenntniswert abgesprochen.

  32. Croce fasst unter die Kategorie der Ökonomie nicht nur das Ökonomische im engeren Sinne, sondern überhaupt alle menschlichen Tätigkeiten, die auf praktischen Erfolg und technische Effizienz abzielen. Dazu gehören zum Beispiel die Rechtswissenschaft, die Politik und selbst die Naturwissenschaften, die, seien sie nun experimentell oder deduktiv, Croce zufolge verallgemeinernd vorgehen und sich – darin besteht ein großer Unterschied zu Cassirer – von der authentischen philosophischen Wissenschaft insofern unterscheiden, als sie Pseudobegriffe und keine reinen Begriffe hervorbringen und verwenden.

  33. Benedetto Croce, Logik als Wissenschaft vom reinen Begriff (Tübingen: Mohr, 1930), 60–1.

  34. Allerdings müsse die Kunst Croce zufolge hinsichtlich der begrifflichen Erkenntnis autonom bleiben, wenn sie Allegorismus und Lehrhaftigkeit vermeiden wolle; dagegen könne die Ökonomie von der Moral ohne weiteres absehen. Dabei ist anzumerken, dass Croce die Radikalität seiner anfänglichen Position im Laufe der Jahre abschwächt.

  35. An dieser Stelle sei kurz angemerkt, dass in Croces System, anders als in demjenigen Hegels, weder die Natur, noch die Religion einen Platz finden. Den Begriff der Natur fasst Croce als praktische Fiktion auf, welche aus einer ökonomistischen Haltung gegenüber der Welt entstehe; der Religion gesteht er keine Autonomie zu: Er betrachtet sie als Aggregat poetischer, philosophischer und moralischer Motive. Durch diese Abwesenheit wird Croces rigoroser Immanentismus noch auffälliger, welchen er zunächst in die bekannte Formel des ‚absoluten Idealismus‘ gefasst hatte: die ein­zige Realität sei der Geist; später dann, etwa ab den zwanziger Jahren, benutzt Croce den Begriff ‚absoluter Historismus‘ (Storicismo assoluto): Leben und Realität seien Geschichte und nichts anderes als Geschichte.

  36. Croce, Aesthetik, 66–7.

  37. Zu einer ausführlichen Zusammenstellung der auf die Sprache bezogenen Schriften Croces vgl. die Bibliographie von Deneckere, Benedetto Croce et la Linguistique, Bd. 2, 273–96.

  38. Croce steht mit diesem Fehlen nicht allein, sein Verfahren fügt sich in eine von der Ästhetik der Romantik ererbte Tradition ein.

  39. Croces Lektüre von De Sanctis, Marx und Kant spielt in dieser Entwicklung eine wesentliche Rolle. Diese führen ihn einerseits zu der Idee vom Primat des Konkreten in der Geschichte, von der Unwiederholbarkeit und Individualität des Konkreten, andererseits zu einer kritischen Gnoseologie, welche die Auffassung der Erkenntnis als Erkenntnis des Allgemeinen getrennt vom Besonderen und Individuellen für unmöglich hält, also zu einer Auffassung der Erkenntnis als Synthesis a priori.

  40. Neben eine pars destruens tritt in den Schriften Croces gewöhnlich eine pars construens, auf die Stellung des Problems folgt die demonstratio (die sich gelegentlich als petitio principii herausstellt), die Nennung von Korollaren usw. Eine wichtige Rolle spielt dabei seine Definitionsweise durch Negation.

  41. Croce, Aesthetik, 150–1.

  42. Vgl. Croce, Aesthetik, 150ff.

  43. Aus dieser Ableitung, d. h. aus dieser nicht effektiven Beweisführung, entspringen Probleme, die Croce bis in sein Spätwerk hinein verfolgen und ihn dazu veranlassen werden, die Auffassung seiner Jugendjahre zu modifizieren, und schließlich werden sie zur Sinnentleerung der Gleichsetzungsformel von Sprache und Kunst führen, vgl. Giuliani, Espressione ed Ethos, und Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, insb. Kap. 4.

  44. Wie es keine anderen gleichwertigen Formen des Geistes gibt, so gibt es auch keine ursprünglichen Unterteilungen der vier von Croce festgelegten Formen, insbesondere der ästhetischen. Dies ist für Croce wichtig; denn es ist das Argument, das er benutzt, um die Inexistenz von Ausdrucksklassen zu beweisen und seine Kritik an der Rhetorik vorzubringen: „d.h. der geschmückten Expression, die von der nackten Expression unterschieden sein soll, und aller ähnlichen Unterscheidungen und Unterteilungen“, Croce, Aesthetik, 149. Über Croces Kritik an der Rhetorik vgl. Sarah Dessì Schmid, „La critica di Benedetto Croce alle categorie retoriche“, in Rita Franceschini u. a., Hrsg., Retorica: Ordnungen und Brüche (Tübingen: Narr, 2006), 55–69.

  45. Benedetto Croce, „Brevier der Aesthetik“, in Kleine Schriften zur Aesthetik, 2 Bde. (Tübingen: Mohr, 1928), 8.

  46. Croce, Aesthetik, 3–4.

  47. Croce, Aesthetik, 5.

  48. Croce, Aesthetik, 9.

  49. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass Croce die Termini ‚Intuition‘ (intuizione) und ‚Vorstellung‘ (rappresentazione) oft synonym verwendet.

  50. Croce, Aesthetik, 10.

  51. Croce, Aesthetik, 72.

  52. Zu dieser Kategorie des naturalistischen Ausdrucks gehören zum Beispiel die Ausrufe: Bewunderung, Zorn etc. sind Ausdrücke, die von Empfindungen, nicht von Intuitionen zeugen.

  53. Vgl. hierzu auch Santino Cavaciuti, La teoria linguistica di Benedetto Croce (Mailand: Marzorati, 1959), 33 und Deneckere, Benedetto Croce et la Linguistique, Bd. 1, 88–92.

  54. Mit dieser Behauptung und der damit verbundenen Polemik gegen die Linguistik als empirische Wissenschaft möchte er den damals erforschten grammatischen und lautlichen Gesetzen die theoretische Realität absprechen, womit er sie zugleich auch der langue abspricht: Die wahre Sprache kann in der Tat nur reiner und unteilbarer Ausdruck sein, und das Sprechen kann nur unteilbares Kontinuum sein, das daher die Artikulation in diesen geistigen Prozess nicht einschließt. Darin lässt sich auch eines der wichtigsten Momente der Divergenz zwischen Croces und Cassirers Interpretation des Humboldtschen Begriffes der ἐνέργεια fassen.

  55. Vgl. hierzu Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, die Wiederentdeckung des Geistes, 121ff.

  56. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 10.

  57. Ernst Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe 6 (Hamburg: Meiner, 1910/2000), 328.

  58. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 8ff.

  59. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 9.

  60. Zum Begriff ‚Ausdruck‘ bei Cassirer vgl. auch Ferrari, Ernst Cassirer, 184–5.

  61. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 14.

  62. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 14.

  63. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 14.

  64. Ernst Cassirer, „Zur Logik des Symbolbegriffs“, in ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1938/81994), 201–30, hier 209.

  65. Die Vorstellung wird als Vergegenwärtigung eines Inhaltes in einem anderen und mittels eines anderen verstanden und ist die wesentliche Voraussetzung der Konstitution des Bewusstseins und die Bedingung seiner formalen Einheit.

  66. Cassirer spricht an mehr als einer Stelle und in mehr als einer seiner Schriften von der Rolle Vosslers beim ‚Schritt‘ der Sprachphilosophie vom Positivismus zum Idealismus: Vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, IX und 119ff.; Cassirer, „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, 76–7.

  67. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 121.

  68. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 121.

  69. Auch gibt es kein eigenständiges der Kunst gewidmetes Werk, was auch Croce anmerkt (siehe § 3.4).

  70. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, 121.

  71. Vgl. hierzu Dessì Schmid, Ernst Cassirer und Benedetto Croce, 157ff.

  72. Erreichbar schien ihm diese Überwindung dadurch, dass er jede Form der Metaphysik hinter sich ließ und das Problem verlagerte, es aus der kritizistischen Perspektive heraus verstand, also aus der Sicht der Erkenntniskritik. In Zur Logik der Kulturwissenschaften ist die Ebene der ‚Wahrnehmung‘ die privilegierte Ebene gegenüber der logisch-begrifflichen. Das heißt, man hat eine Art der Erkenntniskritik vor sich, die sich als Suche nach der Begründung, nach der ursprünglichen Grundlage der Hervorbringungen des Bewusstseins begreift, wofür es notwendig ist, über die Grenzen der reinen Logik hinauszugehen.

  73. Vgl. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 118.

  74. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 120

  75. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 120.

  76. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 120.

  77. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 121.

  78. Vgl. Croce, Aesthetik, 150–1.

  79. Vgl. Croce, Aesthetik, 151.

  80. Croce, „Recensione a Ernst Cassirer“, 94.

  81. Croce, „Recensione a Ernst Cassirer“, 94.

  82. Vgl. Verene, „Introduction“, 25.

  83. Man könnte sich fragen, ob hierin der Grund dafür liegt, dass die amerikanische Cassirer-Rezeption, die seine Philosophie zumindest zu Beginn hauptsächlich über die Schriften der letzten Schaffensperiode kennenlernte, das Problem der ‚Parität‘ der Sprache gegenüber den anderen symbolischen Formen nicht untersucht hat.

  84. Croce, „Recensione a Ernst Cassirer“, 95.

  85. Und doch könnte man versuchen, dies zu tun, wie es zum Beispiel Maggi gezeigt hat: „Für Croce liegt die Universalität der künstlerischen Kreation in der Besonderheit der Explizierung und der Realisierung der freien schöpferischen Tätigkeit des Menschen, des „Geistes“; sie leitet sich nicht vom Status der Objektivität (und sei es auch nur der der Welt der Kultur eigenen Objektivität) der Produkte ab, die sie hervorbringt: Daher die Ablehnung der literarischen Gattungen, nicht in der Hinsicht, dass sie insubsistent oder unnütz wären, sondern insofern sie aus philosophischer Sicht, d. h. für das Wesen des Kunstwerks irrelevant sind.“ Michele Maggi, „Universalismo e mondo tedesco nella ‚Kulturphilosophie‘ di Ernst Cassirer“, in Ernst Cassirer, Sulla logica delle scienze della cultura (Florenz: La Nuova Italia, 1979), V–XXXV, hier XVII.

  86. Croce, „Recensione a Ernst Cassirer“, 95.

  87. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 50–1.

  88. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, IX.

  89. Ernst Cassirer, „Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denk­psychologie“, in ders., Aufsätze und kleine Schriften (1927–1931), Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe 17 (Hamburg: Meiner, 1927/2004), 13–81, hier 16.

  90. Cassirer widersetzt sich dem Positivismus zwar fundamental, ignoriert aber keineswegs Material und Ergebnisse der sich auf den Positivismus berufenden linguistischen und ethnographischen Forschung. Zur Humboldtschen Anthropologie vgl. Jürgen Trabant, Apeliotes oder der Sinn der Sprache: Wilhelm von Humboldts Sprach-Bild (München: Beck, 1986) und ders., Traditionen Humboldts (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990); zu Cassirers Humboldtianismus vgl. Ferrari, Ernst Cassirer, insbes. 199–213 und natürlich Cassirer selbst, „Die Kantischen Elemente in Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie“, in Aufsätze und kleine Schriften (1922–1926), Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe 16 (Hamburg: Meiner, 1923/2003), 105–33.

  91. Diese antimetaphysische Auffassung des Geistes begleitet über die Jahre konstant die ganze Entwicklung der Theorie Cassirers. Nur wenige Tage vor seinem Tode bringt er sie noch einmal zur Sprache, und zwar in einem Vortrag über den linguistischen Strukturalismus, in dem er bei dem Versuch, den wissenschaftlichen Stellenwert der Linguistik abzuklären, wieder auf den Disput zwischen Wissenschaften der Natur oder exakten Wissenschaften und Wissenschaften des Geistes oder humanen Wissenschaften zurückkommt, vgl. Ernst Cassirer, „Structuralism in modern linguistics“, Word 1.2 (1946), 99–120.

  92. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften, 24–5.

  93. Auch diese Haltung zeigt evidente humboldtianische Züge: Das Ich und das Du gelangen im Dialog zu Kenntnis und Besitz ihrer selbst und ihrer eigenen Gegenstandswelt und begründen in transzendentaler Weise auch das ‚objektive Faktum‘ der Kommunikation.

  94. Cassirer, Versuch über den Menschen, 345–6.





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